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Schuldendynamik und Ausfallrisiken – Beurteilung der Gefahren
Kernpunkte
- Die Staatsverschuldung steigt weltweit wegen der Bevölkerungsalterung, erforderlicher Klimaausgaben und der grösseren Bereitschaft für Haushaltsdefizite; die Bedenken der Anleger konzentrieren sich meist auf die USA.
- Wir nutzen einen disziplinierten Rahmen zur Beurteilung von Verschuldungsrisiken. So bewerten wir die Verschuldung des öffentlichen und privaten Sektors, die Verwendung und Kosten der Schulden und die Fähigkeit, sie zu finanzieren. Wir halten die aktuelle Dynamik für tragbar.
- Die Regierungen sollten mit Blick auf Defizite vorsichtig sein; doch ein Grossteil der jüngst aufgenommenen Schulden wurde für produktive, langfristige Kapitalinvestitionen verwendet. Die Bilanzen der privaten Haushalte und der Unternehmen sehen solide aus.
- Die langfristigen Realzinsen dürften in den meisten grossen Volkswirtschaften weiterhin unter den langfristigen Wachstumsraten liegen, sodass gewisse Defizite tragbar sind. Die USA haben Spielraum für Steuererhöhungen, falls die Sorgen um die Tragfähigkeit der Schulden eskalieren.
Steuern die USA auf eine Schuldenkrise zu? Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren weltweit stark gestiegen, und in den USA verschärft ein Wahljahr die Risiken. Doch auch wenn das derzeitige Tempo der Schuldenanhäufung besorgniserregend scheint, sollten mehrere Faktoren die Bedenken der Anlegerinnen und Anleger lindern.
Die Anhäufung von Schulden ist ein globales Phänomen, auch wenn die Aufmerksamkeit der Anleger diesbezüglich oft den USA gilt. Die öffentliche Verschuldung ist in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich gestiegen. Lag sie zu Beginn dieses Jahrzehnts in den Industrieländern noch unter 75% des BIP und in den Schwellenländern bei 50%, so prognostiziert der Internationale Währungsfonds bis 2028 eine Zunahme auf 120% bzw. 80%. In den USA hat das Congressional Budget Office (CBO) bereits vor dem Ausmass der Verschuldung gewarnt; so sollen die Schulden bei einer Fortsetzung der aktuellen Politik bis Ende 2053 auf 192% des BIP klettern.
Neben strukturellen Gründen war auch fiskalische Grosszügigkeit während der Pandemie ein Treiber des jüngsten Anstiegs: Die alternde Bevölkerung macht mehr Ausgaben für die soziale Sicherheit und das Gesundheitswesen nötig. Die Nachhaltigkeitsrevolution erfordert zudem bedeutende Investitionen in die Infrastruktur und neue grüne Technologien. Des Weiteren führen geopolitische Rivalitäten zu einem Wettlauf bei Investitionen in strategischen Branchen wie Technologie, Verteidigung und Gesundheitswesen. Wir erwarten eine anhaltende Fragmentierung der Welt und eine zunehmende Bereitschaft für hohe öffentliche Defizite; dies dürfte in den kommenden Jahren einen leichten Anstieg der strukturellen Inflation und der „neutralen“ Zinsen bewirken.
Warum sorgen sich die Anleger über die Schuldendynamik? Obwohl in vielen Industrieländern ein Zinssenkungszyklus eingesetzt hat, belasten die hohen Zinsen nach wie vor die Volkswirtschaften dieser Länder. Darüber hinaus verlangsamt sich das globale Wachstum, und 2024 ist ein wichtiges Wahljahr, was das Risiko für nicht tragfähige Ausgaben noch erhöht. In den USA zeigen sich die Kandidierenden der Präsidentschaftswahl im November nicht willens, das Staatsdefizit in Angriff zu nehmen. In den kommenden Jahren dürfte ein republikanischer Präsident oder eine demokratische Präsidentin entweder die Steuersenkungen oder die Steuergutschriften verlängern. Dies würde die Verschuldung in die Höhe treiben.
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Wir sind der Meinung, dass ein disziplinierter Rahmen für die Beurteilung von Verschuldungsrisiken erforderlich ist. Dies bedeutet, dass die Verschuldung des öffentlichen und privaten Sektors einer Volkswirtschaft ganzheitlich betrachtet werden muss. Ebenfalls zu beurteilen sind die Verwendung der Schulden und die Fähigkeit, sie zu finanzieren, sowie die Kosten, insbesondere im Verhältnis zur Wachstumsrate der Wirtschaft. Im Folgenden bewerten wir die Verschuldungsrisiken in den grossen Industrieländern, vor allem in den USA. Zudem nennen wir drei Hauptgründe, warum die steigende Staatsverschuldung die Anleger nicht übermässig beunruhigen sollte.
Die Debatte über „gute“ und „schlechte“ Schulden
Während sich der Markt tendenziell auf die Höhe des Schuldenbergs konzentriert, sollten sich die Anleger unseres Erachtens stärker auf die Verwendung der Schulden fokussieren. Mit Ausnahme der Pandemiehilfen diente ein Grossteil der jüngst aufgenommenen Staatsschulden weltweit produktiven langfristigen Investitionen, die das Wachstum ankurbeln sollen, und nicht dem täglichen Regierungsbetrieb. In den USA, welche die Investitionsoffensive angeführt haben, in China und in geringerem Masse auch in der Europäischen Union (EU) fliessen die Investitionen in die dringend nötige Modernisierung kritischer Infrastruktur; hinzu kommt in einigen Fällen der Versuch, negative Umweltauswirkungen durch Subventionen für saubere Energie auszugleichen.
In vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, wie in Japan, Deutschland und der EU, besteht unseres Erachtens weiterhin bedeutendes Potenzial für eine Erhöhung dieser Investitionen. Insbesondere in Deutschland werden die öffentlichen Investitionen durch die verfassungsrechtlichen Vorschriften des Landes eingeschränkt, was das Wachstum belastet.
Zwar hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Staatsausgaben Investitionen des privaten Sektors schwächen oder „verdrängen“ können. Doch zumindest in den USA scheint dies bisher nicht der Fall zu sein. Der CHIPS and Science Act und der Inflation Reduction Act (IRA) haben stattdessen eher Unternehmensinvestitionen in Sparten wie Halbleiter und umweltfreundliche Technologien geleitet und damit Kapital in einen aufstrebenden Investitionsbereich gelenkt. Zwar müssen alle Regierungen bei der Erhöhung der Verschuldung Vorsicht walten lassen. Doch die Energiewende wird enorme Investitionen erfordern, die der private Sektor kaum allein stemmen kann. Die Kosten für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in den Industrieländern belaufen sich auf 1% bis 3% des jährlichen BIP. Dies haben Schätzungen des Peterson Institute for International Economics ergeben.
Schuldendynamik – öffentlicher Sektor und privater Sektor
Ein weiterer Grund, weshalb wir die Verschuldung in den grossen Volkswirtschaften für tragbar halten, ist die unterschiedliche Dynamik der Verschuldung im öffentlichen und im privaten Sektor. Die starken Bilanzen der privaten Haushalte und Unternehmen weltweit lindern unserer Meinung nach die Sorge über die steigende Staatsverschuldung beträchtlich. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, dass die öffentliche Verschuldung vom Haushaltssektor absorbiert wird. Zudem haben sich die Leistungsbilanzungleichgewichte in den letzten 15 Jahren in mehreren wichtigen Volkswirtschaften deutlich verbessert, vor allem in der EU. Hier neigten die am stärksten betroffenen Volkswirtschaften in der Staatsschuldenkrise von 2009 bis 2010 zu Zwillingsdefiziten – Defiziten im Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz. Viele Länder mit einer starken Aussenbilanz haben in der Vergangenheit ohne grössere Probleme eine hohe Staatsverschuldung aufgewiesen. Dies gilt vor allem für Japan, wo eine starke Anlegerbasis im Inland die Wahrscheinlichkeit einer Schuldenkrise deutlich verringert.
Zinsen und Wachstum
Solange die Rate des Wirtschaftswachstums den Schuldzins übersteigt, kann der Staat ein dauerhaftes Defizit aufweisen, während seine Schulden in Prozent des BIP konstant bleiben.1 In mehreren entwickelten Volkswirtschaften lag der Realzins über weite Strecken des letzten Jahrhunderts unter der Wachstumsrate. Wie bereits erwähnt, dürfte eine Ära mit aufbrechenden Handels- und Lieferketten und höherer Staatsverschuldung zu etwas höheren Realzinsen in der Zukunft führen. Doch unserer Ansicht nach dürften die langfristigen Realzinsen in den meisten grossen Volkswirtschaften auch künftig unter dem langfristigen Potenzialwachstum liegen; dabei dürfte sich die Differenz zwischen den beiden Grössen gegenüber den aktuellen Niveaus etwas verbessern, namentlich in den USA. Dadurch kann ein gewisses Staatsdefizit aufrechterhalten werden, ohne dass die Tragfähigkeit der Schulden gefährdet wäre. Angesichts der Unsicherheit, mit der diese Schätzungen und ihre künftige Entwicklung behaftet sind, sollte der finanzpolitische Spielraum jedoch mit Bedacht genutzt werden; das jüngste Tempo des Defizitwachstums kann nicht ewig beibehalten werden.
Die Bedenken der Anleger hinsichtlich der Tragfähigkeit der US-Schulden dürfte weiterhin zu volatilen Phasen am Markt für Staatsanleihen führen. Wir halten jede Form der Zahlungsunfähigkeit der USA für sehr unwahrscheinlich. Sollten die Sorgen um die Tragfähigkeit der US-Schulden eskalieren, haben die USA Spielraum für Steuererhöhungen. Denn die Steuern im Verhältnis zum BIP gehören in den USA aktuell mit zu den niedrigsten unter den grossen Volkswirtschaften.
1 Nehmen wir an, der Staat beginnt mit einem Schuldenstand von 100% des BIP. Er zahlt einen Realzins von 1% pro Jahr auf seine Schulden und weist ein Defizit von 1% des BIP auf. Wenn das BIP jährlich um 2% wächst, reicht dies aus, um sowohl die realen Zinsausgaben des Staats (1%) als auch das Defizit (1%) zu kompensieren. Während der Wert der Schulden weiter steigt, bleibt er in Prozent des BIP konstant.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende.
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