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Kann eine Wachstumsförderung in China die Märkte beruhigen?
Kernpunkte
- Das Abflauen der chinesischen Wirtschaft und das Deflationsrisiko machen die Bekanntgabe zusätzlicher Impulse diesen Monat wahrscheinlicher.
- Ausländische Anleger halten Ausschau nach Massnahmen, welche die schwache Verbrauchernachfrage stützen und die anhaltenden Probleme im Immobiliensektor bekämpfen.
- Noch ist nicht klar, ob die chinesischen Behörden ein Konjunkturpaket auflegen, das die Märkte überzeugt.
- Wir bleiben in chinesischen Staatsanleihen und im Yuan untergewichtet und prüfen unsere Positionen in chinesischen Aktien.
Nach der schnellen Wiedereröffnung Chinas im Anschluss an die Null-Covid-Politik sind die Marktteilnehmer von der Wirtschaftsaktivität enttäuscht. Die Daten für das zweite Quartal zeugen von einem verlangsamten Wachstum des Binnenkonsums – trotz hoher Ersparnisse und einer Erholung der Einkommen. Wir erwarten, dass die chinesische Führung bis zum Ende dieses Monats ein grösseres Wachstumspaket auflegt. Wenn dies die Märkte davon überzeugt, dass Peking eine Reflation herbeiführen kann, könnten chinesische Aktien Auftrieb erhalten.
Vieles spricht für erneute wachstumsfördernde Massnahmen der Regierung. Im zweiten Quartal nahm Chinas Wirtschaftswachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 6,3% zu. Dieser sprunghafte Anstieg ist jedoch irreführend, denn Chinas grösste Stadt Schanghai befand sich vor einem Jahr im Lockdown. Die jüngste Zahl bedeutet ein Abwärtsrisiko für unsere Wachstumsprognose von 5,5% für 2023, zumal wir für das zweite Quartal einen Zuwachs von über 7% erwartet hatten. Besorgniserregender ist jedoch, dass der Wirtschaft eine Deflation droht. Die Inflation der Verbraucherpreise ging im Juni auf 0% zurück, und die Produzentenpreise sanken gegenüber dem Vorjahr um 5,4%. Auch der Zuwachs bei der Kreditvergabe von Geschäftsbanken an private Haushalte verlangsamte sich im Juni. Die Kreditvergabe wuchs nur etwa halb so schnell wie die weit gefasste Geldmenge. Dies zeugt davon, dass die geldpolitischen Lockerungen nicht genügend bei den Verbrauchern ankommen. Noch bedenklicher ist, dass die Investitionen im privaten Sektor im Juni effektiv zum Erliegen kamen, während sich öffentliche Investitionen seit Jahresbeginn solide entwickelten.
China hat bereits Anpassungen vorgenommen, um die Wirtschaft zu unterstützen. Im vergangenen Monat senkte die People’s Bank of China (PBoC) die Onshore-Leitzinsen um 10 Basispunkte (Bp.). In der Folge verlängerten die Behörden Massnahmen, welche die Banken zur Kreditvergabe an Immobilienentwickler bewegen sollen. Am 12. Juli traf sich Premierminister Li Qiang mit Unternehmensführern aus dem Technologiesektor und würdigte ihre grosse Bedeutung für das künftige Wachstum Chinas. Ein volkswirtschaftliches Gremium, das dem Staatsrat Chinas unterstellt ist, bekräftigte diese Botschaft. Nach den Geldstrafen, die am 7. Juli gegen Ant Group Co. und Tencent Holdings verhängt wurden, kündigen diese Aussagen möglicherweise das Ende der restriktiven behördlichen Massnahmen an. Dann könnten auch wieder Genehmigungen für die Notierung privater Unternehmen auf chinesischen Technologieplattformen erteilt werden.
Die Marktreaktionen auf diese Entwicklungen sind relativ verhalten. Das zeigt, dass die Anlegerinnen und Anleger weiterhin unsicher sind, wie die Wachstumsinitiativen der Regierung sich auswirken werden und ob die Regulierung künftig vorhersehbarer wird. Auch die langfristigen Wirtschaftsperspektiven bleiben unklar. Nach unserer Einschätzung wird der Schuldenabbau im Privatsektor weitere Lockerungsmassnahmen nach sich ziehen. Nach der Sitzung des 25-köpfigen Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas Ende Juli sollten mehr Details vorliegen. Nur wenige Wirtschaftsexperten erwarten eine Reflationspolitik im „Bazooka“-Stil wie bei Chinas Reaktion auf die Finanzkrise im Jahr 2008. Für die Marktstimmung könnte jedoch jede Ankündigung von grosser Bedeutung sein.
Der Schlüssel liegt bei den Verbrauchern
Zur Bekämpfung der Deflation muss vor allem der Immobilienmarkt stabilisiert werden. Denn dort gehen die Transaktionen nach einer kurzen Atempause im ersten Quartal zurück. Schätzungen zufolge sind zwei Drittel des chinesischen Verbrauchervermögens in Immobilien gebunden. Die Turbulenzen im Immobiliensektor in den Jahren 2021 und 2022 lasten weiter auf der Kreditnachfrage. Die Verbraucher halten sich wegen der Preise zurück und befürchten, dass Immobilienentwickler ihre Projekte nicht fertigstellen.
Die Marktstimmung leidet zudem unter den deflationären Auswirkungen fremdfinanzierter industrieller Überkapazitäten. Auch würden die Marktteilnehmer eine direkte Ankurbelung der Verbrauchernachfrage begrüssen. In Ländern wie den USA und in der Eurozone erhielten die Verbraucher während der Covid-Pandemie Transferleistungen. China dagegen unterstützte nach der Pandemie vor allem die Industrie und lokale Verwaltungen, um Infrastrukturinvestitionen zu fördern. Einige Experten sind der Ansicht, dass der Fokus sich jetzt ändern muss. „Unsere Konjunkturmassnahmen sollten sich von Investitionen zum Konsum verlagern, damit aktuelle wirtschaftliche Engpässe und Schwächen direkter angegangen werden können“, sagte ein Wirtschaftsberater der PBoC diesen Monat.
Bei der Bereitstellung von Sozial- und Gesundheitsleistungen spielen die lokalen Verwaltungen eine wichtige Rolle. Deshalb ist die Stabilisierung ihrer Finanzen entscheidend für die Förderung der Verbrauchernachfrage. Die Schwäche des Immobiliensektors belastet allmählich die Einnahmen der lokalen Verwaltungen aus dem Verkauf von Landnutzungsrechten. Besonders deutlich erkennbar ist dies in Regionen mit Liquiditätsproblemen wie Guizhou und Yunnan.
Die chinesische Wirtschaft braucht deshalb Wachstumsmassnahmen zur Stärkung der Haushalte. Dazu könnte ein Paket ausreichen, das Lockerungen der Immobilienbeschränkungen in den grössten Städten, Konsumgutscheine, fiskalische Impulse für lokale Verwaltungen und eine geldpolitische Kürzung des Mindestreservesatzes um mindestens 25 Bp. umfasst. Darauf sollte idealerweise eine grundlegende Reform der nationalen Wohnungspolitik folgen, die den privaten Haushalten den Besitz von Immobilien erleichtert. Die Landverteilung sollte dem Markt überlassen werden.
Binäres Risiko
Für Investoren ist nicht vorhersehbar, ob die chinesischen Behörden ein überzeugendes Paket vorlegen werden. Nach unserer Ansicht sind die wirtschaftlichen Hindernisse für solche Konjunkturmassnahmen überwindbar. Der Grad der Fremdfinanzierung ist zwar systemweit gestiegen. Die niedrige Inflation und der hohe Leistungsbilanzüberschuss bieten aber Raum für weitere fiskalpolitische Massnahmen. Auch bei der Regulierung ist ein Richtungswechsel entsprechend den politischen Notwendigkeiten möglich. In der Vergangenheit waren Pekings Erfolge bei der Umsetzung von wachstumsfördernden Massnahmen jedoch durchwachsen. Zudem könnte die zunehmende Fokussierung auf nationale Sicherheit einer effektiven Politik im Wege stehen. Diese Fokussierung umfasst auch Technologieinvestitionen, um mit den USA konkurrieren zu können. Dabei haben Kontrolle und Stabilität einzelner Sektoren Vorrang vor breiter angelegtem Wachstum und Marktbelangen. Wir betrachten deshalb die Politbürositzung im Juli als echtes binäres Risiko.
Aus Anlegersicht könnte die negative Marktstimmung den chinesischen Yuan weiterhin belasten. Wir gehen zwar davon aus, dass die Währung auch künftig gegenüber einigen anderen Währungen schwach notiert. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die PBoC den Yuan vor einer weiteren Schwächung gegenüber dem US-Dollar schützt. Wir erwarten, dass der USDCNY-Kurs auch in einem Jahr noch bei etwa 7,2 liegt. Im Dezember 2022 haben wir Gewinne aus unseren Positionen in chinesischen Staatsanleihen mitgenommen. Chinesische Staatspapiere können nach wie vor zur Diversifizierung eines Portfolios eingesetzt werden, doch andere Staatsanleihen bieten inzwischen bessere Renditechancen.
Chinesische Aktien entwickelten sich dieses Jahr bisher schlechter als andere Aktienmärkte. Der MSCI China All Share Index fiel in Yuan um 1%. Trotz dieser schwachen Performance sehen wir keine Anzeichen, dass Anleger Geld aus chinesischen Indexfonds abziehen. Mögliche Performancetreiber wären unerwartet kühne Konjunkturmassnahmen, eine beginnende Stabilisierung des Immobilienmarkts und die Verbesserung des bisher negativen Trends der diesjährigen Gewinnkorrekturen. Wenn das Politbüro kein überzeugendes Konjunkturpaket vorlegt und das Wirtschaftswachstum sich nicht beschleunigt, könnte sich die Entlastung als kurzlebig erweisen. Die Möglichkeit einer Wende im Verhalten ausländischer Investoren besteht weiterhin. Wir halten unsere übergewichtete Positionierung in chinesischen Aktien unter Beobachtung.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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