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    Die US-Wachstumsdebatte entwirren

    Die US-Wachstumsdebatte entwirren
    Samy Chaar - Chefökonom und CIO Schweiz

    Samy Chaar

    Chefökonom und CIO Schweiz

    Kernpunkte

    • Die überzeugende Verlangsamung der US-Inflation geht nicht mit einer entsprechenden Verlangsamung der Wirtschaftsaktivität einher. Die Argumente für eine „weiche Landung“ sind stärker geworden.
    • Das Wachstum ist uneinheitlich. Es profitiert von überschüssigen Ersparnissen, die nach und nach ausgegeben werden, und einem starken Arbeitsmarkt, der allmählich ins Gleichgewicht kommt.
    • Unseres Erachtens sprechen die anhaltend restriktiven Finanzierungsbedingungen für das Risiko einer milden Rezession Ende 2023 und Anfang 2024.
    • Vor diesem Hintergrund halten wir an einem neutralen Engagement in Risikoanlagen und Aktien fest.

    Die US-Wirtschaft trotzt nach wie vor dem Umfeld. Eine seit über 18 Monaten angekündigte Rezession lässt weiterhin auf sich warten. Warum schwächt sich das Wachstum trotz aggressiver Zinserhöhungen nicht deutlich ab? Verzögert sich die Abkühlung, oder kommt sie gar nicht? Könnte eine anhaltende geldpolitische Straffung nun einen starken Abschwung auslösen? Wir halten eine milde Rezession nach wie vor für das wahrscheinlichste Szenario.

    Die Argumente für eine weiche Landung der US-Wirtschaft – wobei die Inflation zurückgeht, ohne dass es zu einer Rezession kommt – sind in den letzten Monaten stärker geworden. Der Citigroup-Index für wirtschaftliche Überraschungen erfasst die Differenz zwischen den veröffentlichten offiziellen Daten und den Prognosen; dem Index zufolge übertreffen die Daten die Prognosen so deutlich wie seit zwei Jahren nicht mehr. Dies ist vor allem auf den Konsum zurückzuführen, der längst die Hauptquelle des US-Wirtschaftswachstums ist. Die Ausgaben für Dienstleistungen wie Reisen und Restaurantbesuche sind sehr hoch. Sie profitieren vom Nachholbedarf und den Ersparnissen aufgrund der Pandemie, der niedrigen Arbeitslosigkeit und steigenden Einkommen. Trotz der drastischen Straffung der Geldpolitik kommt der Arbeitsmarkt nur allmählich ins Gleichgewicht. Die Arbeitslosenquote ist im Juni auf 3,6% gesunken, und die Stundenlöhne sind um 4,4% gestiegen. Ausserdem haben die Aufträge für langlebige Wirtschaftsgüter, die Verkäufe neuer Häuser und die Bautätigkeit im Mai überraschend zugelegt. Die Hauspreise in einigen US-Märkten haben neue Höchststände erreicht. Der Wettbewerb mit China begünstigt neue Investitionen in Computerchips und Mikroprozessoren. Aus dem Protokoll zur Junisitzung der US-Notenbank Fed geht hervor, dass die Fed-Ökonomen weiterhin mit einer milden Rezession im Laufe dieses Jahres rechnen. Sie räumen aber ein, dass ein Szenario, bei dem eine Rezession vermieden wird, „fast genauso wahrscheinlich“ sei.

    Die Argumente für eine weiche Landung der US-Wirtschaft – wobei die Inflation zurückgeht, ohne dass es zu einer Rezession kommt – sind in den letzten Monaten stärker geworden

    Chronik einer vorausgesagten Rezession

    Viele Indikatoren deuten auf eine bevorstehende Rezession hin, auch wenn sie immer wieder nach hinten verschoben wird. Der bekannteste Indikator ist die stark inverse US-Renditekurve: Die Zinsen für dreimonatige US-Schatzwechsel liegen seit Oktober 2022 über den Zinsen für zehnjährige Anleihen. Wenn dies in der Vergangenheit der Fall war, folgte innerhalb von zwei Jahren stets eine Rezession – fünfmal in den letzten 40 Jahren. Die hohen Zinsen am kurzen Ende sind das Ergebnis des aggressivsten Zinserhöhungszyklus der Fed seit Jahrzehnten. Die Abkühlung mag spät erfolgen, doch die verzögerten Auswirkungen dieser Straffung könnten im dritten und vierten Quartal zu einer Schwäche führen. Handelsdaten und Umfragen unter US-Unternehmensmanagern zeigen bereits eine Wirtschaft, die unter dem Trend wächst. Laut den Erhebungen schrumpft das verarbeitende Gewerbe seit September 2022, und auch der Dienstleistungssektor verlangsamt sich nun. Gemäss einer von der Fed veröffentlichten neuen Kennzahl sind die Finanzierungsbedingungen so restriktiv wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr. Dies dürfte laut Schätzung der Fed auf Jahressicht 0,75% Wachstum kosten.

    Die Abkühlung mag spät erfolgen, doch die verzögerten Auswirkungen der Zinsstraffung könnten im dritten und vierten Quartal zu einer Schwäche führen

    Warum haben sich die Zinserhöhungen bisher nicht deutlich auf das Wachstum ausgewirkt? Ein Grund ist die anhaltende Erholung von den Pandemieschocks: Der Arbeitskräftemangel sorgt weiterhin für hohe Löhne und eine hohe Beschäftigung. Dies gilt insbesondere für die Dienstleistungssektoren, die während der Pandemie Personal entlassen haben. Dienstleistungsorientierte Volkswirtschaften, die weniger Kredite für teure Maschinen aufnehmen müssen, bekommen Zinserhöhungen weniger zu spüren. Die Ersparnisse aus der Pandemiezeit bilden ein vorübergehendes Polster gegen höhere Zinsen. Des Weiteren ist der Anteil der variabel verzinsten Hypotheken in den USA sehr gering. Deshalb dauert es länger, bis Zinserhöhungen auf die Haushalte durchschlagen.

    Die renommierten Ökonomen Larry Summers und Olivier Blanchard haben zudem folgende Frage aufgeworfen: Könnte der von der Fed geschätzte „neutrale“ Zinssatz, der das Wachstum weder antreibt noch einschränkt, nach der Pandemie, massiven Konjunkturmassnahmen und der Emission von Staatsanleihen höher liegen? Dies würde bedeuten, dass die Geldpolitik noch gar nicht so straff ist. Die realen – also inflationsbereinigten – Zinsen liegen jedenfalls mehrere Prozentpunkte unter dem Leitzins der Fed von 5,00% bis 5,25%.

     

    Makellose Disinflation?

    Während über die Rezessions- und Wachstumsaussichten diskutiert wird, ist an der Inflationsfront mehr Klarheit entstanden. Die Teuerung verlangsamt sich auf überzeugende Weise, ohne dass es zu einer grösseren Wachstumsdelle gekommen wäre. Die Verbraucherpreisinflation sank im Juni auf 3,0% und die Messgrösse ohne Nahrungsmittel und Energie auf 4,8%. Beide Werte liegen leicht unter den Schätzungen der Analysten. Wir erwarten in den kommenden Monaten einen weiteren Rückgang, angetrieben durch niedrigere Wohnkosten. Auch der Arbeitsmarkt erreicht langsam ein besseres Gleichgewicht. Die Schaffung von Arbeitsplätzen verlangsamt sich, die Kündigungsrate normalisiert sich, und die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sinkt – eine erste Reaktion auf die sich abschwächende Konjunktur. Die Zahl der Menschen, die von Vollzeit- in Teilzeitarbeit gedrängt werden, nimmt zu. Wir rechnen nach wie vor mit einer weiteren Zinserhöhung der Fed um 25 Basispunkte (Bp.) im Juli. Es besteht das Risiko einer zusätzlichen Anhebung um 25 Bp. im September, wobei dies nicht unser Basisszenario ist. Danach sind die Voraussetzungen für eine längere Zinspause der Fed gegeben. Es soll vermieden werden, dass der Überschwang der Anleger einen Teil der bisherigen Straffung zunichtemacht. Wir erwarten von den Fed-Vertretern weitere deutliche Worte bezüglich Inflation – vielleicht auf dem jährlichen Symposium in Jackson Hole, Wyoming, im August – und unveränderte Zinsen bis Anfang 2024. 

    … die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sinkt – eine erste Reaktion auf die sich abschwächende Konjunktur. Die Zahl der Menschen, die von Vollzeit- in Teilzeitarbeit gedrängt werden, nimmt zu

    Letztlich wird das Fortdauern restriktiver Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaft entscheidend sein. Im Kern geht es bei der Debatte über das US-Wachstum um die relative Stärke gegenläufiger Kräfte; dies hilft auch, den Unterschied zwischen dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor zu erklären. Einerseits begünstigen überschüssige Ersparnisse der Verbraucher, ein angespannter Arbeitsmarkt und neue öffentliche Investitionen im Wettlauf mit China das Wachstum. Andererseits bremst die Verschärfung der Kreditkonditionen, die noch nie so restriktiv waren, ohne dass es zu einer Rezession gekommen wäre, die wirtschaftliche Expansion. Wir gehen davon aus, dass die Kreditverknappung irgendwann in den kommenden Monaten stärker ins Gewicht fällt, sodass die Verbraucherausgaben und die Unternehmensgewinne zurückgehen. Dadurch besteht das Risiko einer milden Rezession Ende 2023 und Anfang 2024.

     

    Neutrale Risikohaltung

    Was bedeutet das Hin und Her zwischen Inflation und Wachstum für die Investments in den Kundenportfolios? Der grösste Gegenwind für Risikoanlagen im früheren Jahresverlauf – die hohe Inflation – hat nachgelassen, was die Risikostimmung unterstützt und uns weniger Grund gibt, unterinvestiert zu sein. Der Preis dafür ist jedoch eine grössere Unsicherheit in Bezug auf das Wachstum. Dies hält uns davon ab, zum jetzigen Zeitpunkt zu viele Risiken einzugehen. Ein überschiessendes Wachstum könnte die Zinsvolatilität wieder anheizen und die Rezessionssorgen verstärken. Nach wie vor ist unklar, wie es mit der Konjunkturabschwächung weitergeht. Wir bleiben in unserer taktischen Vermögensallokation flexibel. Während sicherere Anlagen weiterhin attraktiv sind, halten wir an einem neutralen Risiko- und Aktienengagement fest.

    Während sicherere Anlagen weiterhin attraktiv sind, halten wir an einem neutralen Risiko- und Aktienengagement fest

    Da die Inflation sinkt und die Zinsen sich dem Höchststand nähern, setzen wir auf erstklassige Anleihen, einschliesslich US-Treasuries und europäischer Investment-Grade-Unternehmensanleihen. Grund dafür sind sowohl der Kapitalerhalt als auch die attraktiven Renditen, die diese Papiere bieten. Bei der Aktienallokation bevorzugen wir Nicht-US-Märkte mit besseren Wachstumsaussichten und einer Sicherheitsmarge, die sich durch niedrigere Bewertungen ergibt. Ausserdem halten wir Ausschau nach Unternehmen, die besser in der Lage sind, höhere Kosten weiterzugeben und eine schwächere Nachfrage zu verkraften. Dazu gehören Titel aus den Sektoren Basiskonsumgüter und Gesundheitswesen.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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