Ab Ende 2025 soll die EU-Verordnung 2023/1115 in Kraft treten. Ihre schlichte Bezeichnung täuscht möglicherweise darüber hinweg, dass sie ganze Branchen transformieren könnte. Dieses Regelwerk, besser bekannt als „Entwaldungsverordnung“, geht die Entwaldung als eines der weltweit ersten Gesetze auf globaler Ebene an. Der World Wildlife Fund nennt es „historisch“ und „bahnbrechend“ und spricht von „ veränderten Spielregeln“.1
Die Verordnung betrifft zahlreiche Rohstoffe, die Risiken für den Wald bergen, wie etwa Holz, Palmöl, Soja, Kaffee und Kakao. Jedes Unternehmen, das die aufgelisteten Rohstoffe innerhalb der EU produziert, nutzt oder damit handelt, muss nachweisen, dass sie nicht von kürzlich entwaldetem Land stammen. Dies gilt auch für aus diesen Rohstoffen hergestellte Erzeugnisse. Der Anbau bzw. die Gewinnung der Rohstoffe muss gemäss den lokalen Gesetzen erfolgt sein, der entsprechende Nachweis alleine reicht jedoch in Zukunft nicht mehr aus. Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Produkte nicht aus Regionen stammen, in denen die Gesetze nicht streng genug sind, nur unzureichend umgesetzt werden oder gar gänzlich fehlen. Dazu müssen sie aktiv belegen, dass die jeweiligen Produkte aus entwaldungsfreien Lieferketten stammen.2
Laut Interpol könnten bis zu 30% des weltweit gehandelten Holzes aus illegalen Quellen stammen. Die rechtswidrige Abholzung ist unter den Verbrechen im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen dasjenige, das am meisten Gewinn abwirft – bis zu USD 150 Mrd. jährlich
Das könnte verheerende Auswirkungen für die Holzindustrie haben. Laut Interpol könnten bis zu 30% des weltweit gehandelten Holzes aus illegalen Quellen stammen.3 Die rechtswidrige Abholzung ist unter den Verbrechen im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen dasjenige, das am meisten Gewinn abwirft – bis zu USD 150 Mrd. jährlich.4 Für die zahllosen Sektoren und Branchen, die von Holz abhängig sind, stellt dies ein Problem dar. Wie können sie angesichts dieser riesigen, wachsenden und häufig undurchsichtigen Industrie sicher sein, dass das von ihnen erworbene Holz aus legalen nachhaltigen Quellen stammt? Und können sie dies entsprechend den Anforderungen der wegweisenden neuen EU-Verordnung – und der zunehmend nachhaltigkeitsbewussten Verbraucherinnen und Verbraucher – belegen?
Sehen Sie sich das untenstehende Video an (mit englischen Untertiteln):
Unter dem Mikroskop
Eine gemeinnützige Organisation aus den USA hat dafür womöglich eine Lösung. Die World Forest ID wurde 2017 von den Royal Botanic Gardens in Kew bei London, dem United States Forestry Service, dem britischen Unternehmen für Isotopenanalytik Agroisolab und dem Forest Stewardship Council gegründet. Die Organisation hat ein zukunftsweisendes neues Testverfahren entwickelt, mit dem der Herkunftsort von Holz bis auf 10 Kilometer genau bestimmt werden kann.5
Die Arbeit beginnt in Kew Gardens: Hier entsteht eine riesige physische und digitale Datenbank mit den anatomischen Parametern hunderter Baumarten. Hierbei kommt ein einfaches Verfahren zum Einsatz: 1) Aus der Holzprobe wird ein kleiner Würfel geschnitten. 2) Dieser wird 30 Sekunden lang gekocht, um Luftblasen zu entfernen. 3) Die Probe wird in nahezu mikroskopisch dünne Scheiben geschnitten. 4) Die Scheiben werden unter dem Mikroskop analysiert. 5) Das Bild wird in der Datenbank erfasst.
Anhand dieser holzanatomischen Datenbank lässt sich die Baumart einer Produktprobe identifizieren – vom unbearbeiteten Holz bis hin zum Endprodukt, etwa einem Kinderspielzeug
Anhand dieser holzanatomischen Datenbank lässt sich die Baumart einer Produktprobe identifizieren – vom unbearbeiteten Holz bis hin zum Endprodukt, etwa einem Kinderspielzeug. Dieser erste Schritt ist nicht neu, wird aber durch Fortschritte in der Rechenleistung beschleunigt. Neu ist hingegen der zweite Schritt.
Alle Pflanzen bestehen aus Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Jedes dieser Elemente weist eine unterschiedliche Isotopenzusammensetzung auf. Diese hängt von standortspezifischen Faktoren ab, etwa von der Mineralienstruktur des Bodens, in dem die Pflanze gewachsen ist, und den Wetterbedingungen in der Region. Haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Art identifiziert, können sie jede Probe nun mit einer zweiten, noch umfangreicheren Isotopen-Datenbank abgleichen. Diese umfasst Tausende von Proben lebender Bäume, bei denen jeweils der Standort vermerkt ist, an dem die Probe entnommen wurde. Stimmen die Isotopen überein, können die Forschenden sicher sein, dass das betreffende Holz aus derselben Region stammt.
Und die Chancen, eine Übereinstimmung zu finden, steigen. World Forest ID hat inzwischen die weltweit grösste Open-Source-Datenbank von Arten und Isotopen-Analysen aufgebaut, die 35'000 physische Referenzproben zu 378 Pflanzenarten umfasst. Sie bietet chemische Fingerabdrücke der Arten und geografischen Standorte von immer mehr Rohstoffen, die zur Entwaldung beitragen können, etwa Holz, Kautschuk, Soja, Kaffee, Kakao und Palmöl.
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Von der Theorie zur Praxis
Im März 2024 identifizierten belgische Behörden dank dieser zukunftsweisenden neuen Technik 260 Tonnen Holz, das illegal von Russland nach Belgien eingeführt wurde.6 Es bestand der Verdacht, dass trotz der Sanktionen, die Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine auferlegt wurden, nach wie vor Holz aus Russland importiert wurde. Dr. Victor Deklerck, der wissenschaftliche Leiter von World Forest ID, analysierte gemeinsam mit Forschenden Proben anhand einer Untergruppen-Referenzbibliothek, darunter auch in Russland entnommene Proben. Diese Referenzbibliothek umfasste die zwölf Länder, die als die wahrscheinlichsten Kandidaten für die tatsächliche Herkunft des Holzes galten.
Nachdem Russland als Ursprungsregion identifiziert worden war, gelang es den Behörden, die Lieferkette über Lettland und Estland zurückzuverfolgen. So konnten sie eine illegale Importroute schliessen und damit eine lukrative Einnahmequelle für Russland zum Versiegen bringen.
Annelies Wynant, Sprecherin des belgischen Föderalen Öffentlichen Dienstes für Volksgesundheit, Sicherheit der Nahrungsmittelkette und Umwelt, erklärte: „Das ist das erste Mal, dass wir auf diese Art und Weise eine Quelle identifiziert haben. Wir haben mehrere Möglichkeiten, das Holz zu beschlagnahmen. Wir können den Unternehmen zudem Geldstrafen auferlegen. Und wir können sie dazu zwingen, die nötigen Massnahmen zu ergreifen, damit kein illegales Holz auf den europäischen Markt gelangt.“
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Nachdem sich die Technik in der Praxis bewährt hat, weitet World Forest ID sie nun auf andere Rohstoffe aus, die mit einem Entwaldungsrisiko verbunden sind. Im Rahmen eines jüngst gestarteten Pilotprojekts soll sogar geprüft werden, ob auf diese Art auch der Herkunftsort von Garnelen bestimmt werden kann. Man hofft, damit den Kampf gegen die illegale Zerstörung von Mangrovenwäldern zu unterstützen – diese werden häufig abgeholzt, um Platz für die Garnelenzucht zu schaffen.7
Holz in der Blockchain / Digitalisierung der Natur
Während der chemische Fingerabdruck Abweichungen am Ende der Lieferkette aufzeigt, könnte eine jüngste Innovation dazu beitragen, bei der Kontrolle der Holz-Lieferkette schon ganz am Anfang anzusetzen. Die digitale Blockchain erleichtert seit 2008 insbesondere die Protokollierung und den Transfer von Bitcoin. Sie ist mittlerweile jedoch auch zu einem wichtigen Bestandteil vieler Lieferketten geworden.
Wenn das Holz die Lieferkette durchläuft, werden die Blockchain-Daten mit weitergegeben. Dabei wird jede Transaktion aufgezeichnet, bei der das Holz den Besitzer wechselt
Endowment for Forestry and Communities ist eine im Auftrag der Regierungen der USA und von Kanada gegründete öffentliche gemeinnützige Organisation. Sie lancierte vor Kurzem in den USA die ForesTrust-Blockchain in Partnerschaft mit Chainparency, einem Anbieter von Blockchain-Lieferkettenlösungen.8 Das Projekt versieht gefällte Bäume oder Holzprodukte wie Zellstoff mit einer einmaligen Blockchain-gestützten Identifikationsnummer. Diese ist mit Informationen wie dem Standort, von dem das Holz stammt, sowie entsprechenden Nachhaltigkeitszertifizierungen verknüpft.
Wenn das Holz die Lieferkette durchläuft, werden die Blockchain-Daten mit weitergegeben. Dabei wird jede Transaktion aufgezeichnet, bei der das Holz den Besitzer wechselt, und jeder weitere Käufer erhält den vollständigen Datensatz zur Historie des Holzes. Blockchain-Datensätze sind fälschungssicher und werden in Echtzeit aktualisiert. Daher ermöglichen sie eine kontinuierliche und einfache Überwachung des gesamten Holzes – anders als gelegentliche Probenentnahmen durch Prüfer, die häufig auf leicht zu fälschende Papierzertifizierungen angewiesen sind.
Das ForesTrust-Projekt ist nur eine von zahlreichen ähnlichen Blockchain-gestützten Initiativen, um die Herkunft von Holz und Holzprodukten nachzuweisen. Timber Chain wurde als Partnerschaft zwischen der globalen gemeinnützigen Organisation Preferred by Nature und dem Lieferketten-Startup iov42 gegründet.9 Timber Chain verfolgt seit 2021 Holz von Malaysia bis zu den Sägemühlen in Osteuropa. Der Forest Stewardship Council wiederum hat seine eigene Beta-Version einer Blockchain-gestützten Lieferkette getestet.
Beide Innovationen – chemische Analyse und digitale Rückverfolgung – könnten in Zukunft kombiniert werden: Jede Holzlieferung könnte mit digitalen Informationen und Datensätzen versehen werden, die neben dem chemischen Fingerabdruck auch das Erntedatum, den geografischem Standort und Nachhaltigkeitszertifizierungen enthalten.
Lieferketten werden immer transparenter, sodass Anlegerinnen und Anleger diejenigen Unternehmen leichter erkennen können, die der Verschärfung von Vorschriften immer einen Schritt voraus sind
Transparenz – wirtschaftlicher Nutzen und Anlageargumente
Die Wälder der Erde absorbieren eineinhalb Mal mehr CO2 als die USA jedes Jahr ausstossen.10 Zudem erbringen sie viele andere wesentliche Ökosystemleistungen: Sie sind die Lebensgrundlage für 80% aller landlebenden Pflanzen- und Tierarten,11 schützen vor Überschwemmungen und verhindern Bodenerosion.
Darüber hinaus reinigen sie unsere Luft und unser Wasser und tragen entscheidend zu einem ausgeglichenen Niederschlags- und Wasserkreislauf bei. Wälder sind unerlässlich für die Gesundheit und auch die Zukunftsfähigkeit unseres Planeten. Trotzdem gehen jährlich weitere 4,7 Millionen Hektar Wald verloren. 95% dieser Zerstörung finden in tropischen Regionen statt.12
Das besorgniserregende Bild zeichnet sich immer klarer ab. Die Unternehmen geraten daher zunehmend unter Druck: Sie müssen sicherstellen, dass ihre Produkte nicht aus entwaldeten Gebieten stammen. Die künftige Entwaldungsverordnung der EU ist nur ein Beispiel dafür. In den letzten Jahren hat eine Fülle von nationalen Gesetzen den Druck auf die Unternehmen verstärkt, negative Umweltauswirkungen ihrer globalen Lieferketten zu minimieren.13 Gleichzeitig zwingen neu verabschiedete supranationale Offenlegungsvorschriften Unternehmen dazu, die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftspraktiken zu überprüfen und darüber zu berichten. Dazu gehört etwa die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD).
In allen Sektoren von Holz über Nahrungsmittel bis zum Abbau von Metallen und Mineralien birgt diese Fokussierung eine doppelte Chance für Anlegerinnen und Anleger: Lieferketten werden immer transparenter, sodass Anlegerinnen und Anleger diejenigen Unternehmen leichter erkennen können, die der Verschärfung von Vorschriften immer einen Schritt voraus sind. Auch Unternehmen, die durch die Umsetzung naturverträglicher Geschäftsmodelle klimaresistentere Rohstoff-Lieferketten schaffen, lassen sich so leichter erkennen. Dazu gehören Praktiken wie Agroforstwirtschaft oder Ökolandbau, die den Übergang von der konventionellen zur regenerativen Landwirtschaft ermöglichen.
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Anlegerinnen und Anleger werden zudem im Lieferkettenmanagement selbst neue Chancen erkennen, denn Unternehmen investieren, um die Einhaltung von Vorschriften zu gewährleisten. Der globale Markt für das Lieferkettenmanagement hat bereits heute einen Wert von USD 23 Mrd. jährlich.14 Laut Marktanalyst Grand View Research dürfte er bis 2030 eine jährliche Wachstumsrate von 11,2% aufweisen.15 Ein treibender Faktor dafür ist unter anderem die Verpflichtung, die Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit der Lieferkette belegen zu müssen.
Jahrzehntelang hat die Intransparenz der Holz-Lieferketten die Branche besonders anfällig für Betrug und Kriminalität gemacht. Auch stehen dadurch einige Wälder kurz vor ihrem vollständigen Verschwinden – mit möglicherweise katastrophalen Folgen für unsere Fähigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen. Nationale Bemühungen, illegale Abholzung zu verhindern, waren häufig nur teilweise erfolgreich. Die heutigen wissenschaftlichen und digitalen Innovationen zusammen mit strengeren Vorschriften geben jedoch neue Hoffnung für unsere lebenswichtigen Wälder.
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