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Unsere toxische Beziehung zu Kunststoff überdenken
Unsere 70 Jahre währende positive Beziehung zu Kunststoff hat die Welt verändert. Dieses preiswerte, leichte und vielseitige Material hat das Leben von Milliarden von Menschen verbessert, denn unzählige Produkte lassen sich durch Verwendung von Kunststoffen kostengünstiger und in grossen Mengen herstellen. Zudem macht Kunststoff viele Produkte langlebiger und leistungsfähiger. Und Kunststoff hat Erfindungen ermöglicht, die ohne diesen Werkstoff einfach nicht machbar gewesen wären.
Doch Plastikmüll verschmutzt nahezu jeden Winkel unseres Planeten. Bei der Produktion von Kunststoff gelangen Treibhausgase in die Atmosphäre, ebenso wie bei Verbrennungen – die allzu häufig stattfinden. Zudem landen Plastikabfälle in der Regel auf Mülldeponien oder in der Umwelt, anstatt verwertet zu werden. Dort verursachen sie massive Schäden, wenn sie zerfallen; ein Prozess, der Tausende von Jahren dauern kann.
Nun hat unsere toxische Beziehung zu Kunststoff einen Wendepunkt erreicht. Wir alle sind uns bewusst, dass Kunststoff zur weltweiten Umweltverschmutzung beiträgt. Einflussreiche Akteure versprechen sich zudem gegenseitig, die Beziehung zu Kunststoff wieder in Ordnung zu bringen: Es gilt, Lösungen für eine saubere Umwelt zu entwickeln, die zugleich eine weitere Nutzung dieses Materials vorsehen, das unsere moderne Welt erst möglich gemacht hat.
Im Jahr 2022 vereinbarten alle in der UN vertretenen 193 Länder, den ersten internationalen, verbindlichen Vertrag zur Beendigung der Plastikverschmutzung zu erarbeiten. Die Verhandlungen laufen noch; 2024 soll die Vereinbarung Rechtskraft erlangen.1 Mittlerweile haben die für 20% aller Plastikverpackungen verantwortlichen Unternehmen des weltweiten Einzelhandels sowie der Konsumgüter- und Modebranche zugesagt, ihre Kunststoffabfälle zu reduzieren.2
Trotzdem dürfen wir das Ausmass und die Komplexität des Plastikproblems weiterhin nicht unterschätzen.
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Bestandsaufnahme der Schäden
Weltweit produzieren wir jährlich über 430 Mio. Tonnen Kunststoff.1 Das entspricht etwa dem Gewicht aller heute auf der Erde lebenden Menschen; dieser Wert dürfte sich bis 2060 verdreifachen3. Schätzungen zufolge überstieg im Jahr 2020 das Gewicht der vorhandenen Plastikmenge das Gesamtgewicht aller an Land und in den Meeren lebenden Tiere.4 Schlimmer ist jedoch, dass wir etwa zwei Drittel des Kunststoffs für die Produktion von Einwegprodukten verwenden.1
Das Ergebnis ist eine unablässige Plastikflut, mit der unsere Abfallentsorgungsinfrastruktur seit Langem zu kämpfen hat, damit unsere Umwelt nicht im Plastikmüll versinkt. Von dem gesamten jemals erzeugten Kunststoff sind nur etwas mehr als 1% in ein Kreislaufsystem gelangt. Der Rest landete zumeist auf Mülldeponien. Daneben verbrennen wir jährlich etwa ein Viertel unseres Plastikmülls. Da 93% des Kunststoffs aus fossilen Brennstoffen bestehen, gelangen bei der Verbrennung weitere Treibhausgase in die Atmosphäre – zusätzlich zu den Emissionen, die bei der Produktion entstehen. Insgesamt setzen wir jedes Jahr etwa 1,8 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre frei, um weiterhin Kunststoff zu produzieren. Dies entspricht rund 3,4% der weltweiten Emissionen.5
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Der Rest der Plastikflut hat sich bis in die entlegensten Winkel unseres Planeten verteilt. Die Ozeane ersticken in Plastik – 2050 könnten sie, nach Gewicht, mehr Plastik als Fisch enthalten.6 Kunststoffprodukte zerfallen im Laufe der Zeit sowohl in den Ozeanen als auch an Land zu Mikroplastik. Dieses schädigt die Böden und gelangt schliesslich auch ins Wasser. Sowohl im Wasser als auch an Land finden wir heute Mikroplastik in Tieren – entlang der gesamten Nahrungskette und damit auch in uns Menschen. Dies ist ein schwerwiegendes Problem: Versehentlich mit der Nahrung aufgenommenes Plastik kann Verdauungsstörungen verursachen oder schädliche Bakterien und Giftstoffe enthalten, die sich in der Umwelt angesammelt haben.
Wir brauchen eine Kunststoffrevolution
Um die Plastikverschmutzung zu bekämpfen, müssen wir die Plastikflut eindämmen. Gleichzeitig müssen wir verantwortlicher mit den Produkten umgehen und sie einem Kreislaufsystem zuführen. So könnten wir den Kunststoff, der in die Umwelt gelangt, deutlich reduzieren; und wir hätten eine Chance, die Plastikverschmutzung zu verringern.
Zwar bleibt abzuwarten, wie die UN dieses Mammutprojekt angehen will. Wir wissen jedoch bereits, was geschehen muss, damit wir unsere Beziehung zu Kunststoff wieder in Ordnung bringen können. Wir müssen einen revolutionären Kunststoffkreislauf schaffen, der alle Phasen des Lebenszyklus umfasst: vom Materialdesign über die Vertriebsmodelle bis hin zu verbesserter Sammlung, Sortierung und Recycling von Plastikmüll.
Ausgangspunkt dieser Neuordnung ist jedoch besserer Kunststoff. Eine Option ist der verstärkte Einsatz alternativer, biobasierter Polymere. Dadurch könnten wir den Verbrauch fossiler Brennstoffe senken und gleichzeitig die Wiederverwertbarkeit und Kompostierbarkeit steigern. Einem Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) zufolge können wir die Plastikverschmutzung bis 2040 um 17% reduzieren. Dazu müssten wir viele Kunststoffprodukte – etwa Take-away-Lebensmittelbehälter – durch kompostierbare Verpackungen aus Polymeren oder Papier ersetzen.1
Wir könnten Vertriebsmodelle nutzen, die zur Wiederverwendung von Kunststoffprodukten anregen. Dies würde die Lebensdauer dieser Produkte verlängern, sodass wir weniger neuen Kunststoff produzieren müssten. Coca-Cola hat beispielsweise 2022 angekündigt, den Einsatz von Mehrwegverpackungen deutlich zu erhöhen. Bis 2030 will das Unternehmen weltweit mindestens 25% aller Getränke in seinem Markenportfolio in Mehrwegflaschen aus Glas oder Kunststoff oder in wiederbefüllbaren Gebinden verkaufen.7 Laut UNEP-Bericht könnten wir mit solchen Vertriebsmodellen die Plastikverschmutzung bis 2040 um weitere 30% senken.1
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Kunststoff muss für das Recycling aufgrund Beschaffenheit und Art des Produkts gereinigt und sortiert werden. Verschmutztes und unsortiertes Plastik landet in der Regel auf Mülldeponien. Bestenfalls wird daraus minderwertiges, nicht verwertbares Plastik, das nach seiner Entsorgung wiederum auf der Mülldeponie landet. Das schnelle Sortieren grosser Mengen Kunststoff ist jedoch kompliziert und teuer. Und vielen – vor allem weniger wohlhabenden – Ländern mangelt es an den nötigen Technologien und Verfahren. Wir müssen daher Verfahren entwickeln, mit denen wir Kunststoff in grossen Mengen schnell, präzise und für alle erschwinglich sortieren können. Bis dahin wird der meiste Plastikmüll – von dem ein Grossteil recycelt werden könnte – auf Mülldeponien landen oder in die Umwelt gelangen. Und dann werden wir natürlich noch mehr neuen Kunststoff produzieren.
Glücklicherweise arbeiten bereits einige wegbereitende Unternehmen an Lösungen. Ein Beispiel ist das niederländische Unternehmen MantiSpectra: Es testet einen Mikrosensor, mit dem sich grosse Mengen an Kunststoff schnell sortieren lassen. Dieses Verfahren würde das Recycling revolutionieren. Daneben brauchen wir aber auch Gesetze und politische Massnahmen, die Anreize für das Kunststoffrecycling und die Entwicklung neuer Recycling-Technologien schaffen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die Produktion von Neukunststoff an Attraktivität verliert.
Selbst wenn wir das Sammeln und Sortieren verbessern, lässt sich Kunststoff mit den heutigen industriellen Recycling-Technologien nur einige Male recyceln. Danach muss er auf einer Deponie entsorgt werden. Aktuell erfolgt das Recycling von Kunststoff meist mechanisch. Er wird zu Flocken gemahlen, eingeschmolzen und zu neuen Produkten geformt. Mit jedem Zyklus verliert der Kunststoff an Qualität und Stabilität, bis schliesslich eine Wiederverwertung nicht mehr sinnvoll ist. Aufgrund dieser Einschränkungen lässt sich der Grossteil der Kunststoffabfälle nicht mechanisch recyceln.8
Dieses Verfahren müssen wir verbessern. Und auch diese Herausforderung haben bereits einige Unternehmen angenommen. Das französische Unternehmen Carbios kann nach jahrelanger Suche voller Stolz auf eine beeindruckende Entwicklung blicken: Es entdeckte, dass das Enzym Cutinase PET (Polyethylenterephthalat) in nur wenigen Stunden in seine molekularen Bestandteile aufspalten kann. Aus den dabei entstehenden Monomeren kann anschliessend neuer Kunststoff hergestellt werden. PET-Kunststoff lässt sich bisher nur einige Male mechanisch wiederverwerten. Durch enzymatisches Recycling sind dagegen mehr als 50 Zyklen mit denselben Molekülen möglich.9 Laut UNEP-Bericht könnten wir die Plastikverschmutzung bis 2040 um weitere 20% verringern, wenn mehr Plastik recyclingfähig wäre.1
Wir müssen Massnahmen ergreifen, um das Kunststoff-Kreislaufsystem auszubauen oder die Entsorgungsprozesse für nicht recyclingfähigen Kunststoff zu verbessern. So könnten wir die Umweltverschmutzung durch Kunststoff senken, und zwar von rund 227 Mio. Tonnen im Jahr 2040 – basierend auf der aktuellen Entwicklung – auf nur noch 40 Mio. Tonnen. Dies entspräche einer Reduktion um etwa 80%. Aber selbst dann ist die Plastikverschmutzung, mit der wir zu kämpfen haben, immer noch enorm gross. Laut UNEP könnten wir viel bewirken, wenn wir die Hersteller für die sichere Entsorgung von nicht recycelfähigem Kunststoff verantwortlich machen. Damit könnten wir sicherstellen, dass der Kunststoff nie in die Umwelt gelangt.1
Für eine gesündere Beziehung zu Kunststoff
Dem UNEP-Bericht zufolge würde eine Revolution in der Kunststoff-Kreislaufwirtschaft erhebliche finanzielle Einsparungen für den öffentlichen und den privaten Sektor bringen. Zudem könnten wir Tausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Doch in den nächsten 18 Jahren wären Investitionen von rund USD 1,2 Bio. erforderlich, um die nötigen Änderungen umzusetzen.1
Hier spielen die Anlegerinnen und Anleger eine wesentliche Rolle: Sie können die Innovationen vorantreiben, die wir brauchen, um die Industrie zu revolutionieren und die Plastikverschmutzung zu beenden. Wir stehen zwar erst am Anfang der Kunststoff-Kreislaufwirtschaft. Doch neueste Entwicklungen in den Bereichen Technologie, Verbrauchernachfrage und Nachhaltigkeitspolitik im öffentlichen wie auch im privaten Sektor schaffen immer mehr attraktive Anlagechancen.
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Vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind private Investitionen wichtig: Hier wird Kunststoff häufig von innovativen, aber kleinen Unternehmen gesammelt, denen eine Skalierung schwerfällt. Zudem entsprechen diese Unternehmen nicht den Risiko-Rendite-Profilen vieler institutioneller Anleger. Privatkapital kann jedoch dazu beitragen, diese Unternehmen zusammenzubringen, sodass sie im Rahmen einer Zusammenarbeit und durch Grössenvorteile an Effizienz und Rentabilität gewinnen. Letztlich werden diese Unternehmen für immer mehr Investoren attraktiver, und es ergeben sich weitere Chancen für die Weiterentwicklung der Kunststoff-Kreislaufinfrastruktur.
Laut UNEP-Bericht würde eine Verringerung der Plastikverschmutzung um 80% bis 2040 Gesundheits- und Umweltschäden in Höhe von etwa USD 3 Bio. verhindern. Hinzu kämen sogar noch Kosten für Klagen gegen Unternehmen im Zusammenhang mit Plastikverschmutzung.1 Vor uns liegt also eine wichtige Aufgabe. Doch wenn wir diese erfolgreich bewältigen, werden wir Grosses für die Gesellschaft und den Planeten erreichen. Wir können erfolgreich sein – wenn wir heute beginnen.
1 UNEP (2023) „Turning off the Tap: How the world can end plastic pollution and create a circular economy“.
2 UNEP (2022) „The Global Commitment 2022“.
3 OECD (2022) „Global Plastics Outlook: Economic Drivers, Environmental Impacts and Policy Options“.
4 Elhacham et al. (2020) „Global human-made mass exceeds all living biomass“.
5 OECD (o. D.) „Plastic leakage and greenhouse gas emissions are increasing“.
6 Ellen MacArthur Foundation (2016) „The New Plastics Economy: Rethinking the future of plastics“.
7 The Coca-Cola Company (2022) „The Coca‑Cola Company Announces Industry-Leading Target for Reusable Packaging“.
8 Greenpeace (2022) „Circular Claims Fall Flat Again“.
9 Lombard Odier (2023) „Die CLIC®-Chronik: Wir stellen Ihnen Carbios vor, das französische Unternehmen, das Kunststoff-Recycling mit Proteinen revolutioniert“.
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