Rosa Reis als Alternative zu CO₂-intensivem Fleisch

    Artikel veröffentlicht in der Financial Times am 20. Juni 2024.

    Der Reis ist pastellrosa. Er hat ein nussiges Umami-Aroma und eine etwas spröde, brüchige Konsistenz. Überraschend ist jedoch vor allem, dass jedes Reiskorn Rindfleischzellen enthält. Es handelt sich um einen Hybridreis, der mit Muskel- und Fettzellen angereichert ist und in einer Petrischale gezüchtet wurde. Auf diese Weise ist ein neues Nahrungsmittel entstanden: halb Kuh, halb Getreide.

    Laut ihren Berechnungen erzeugt der Hybridreis weniger als ein Zehntel der CO2-Emissionen von echtem Rindfleisch und kostet nur einen Bruchteil des Fleischpreises

    Erfunden haben es Wissenschaftler der Yonsei University in Südkorea. Sie wollten eine nachhaltige, erschwingliche Proteinquelle schaffen ‒ ihrer Ansicht nach ist ihnen das auch gelungen. Laut ihren Berechnungen erzeugt der Hybridreis weniger als ein Zehntel der CO2-Emissionen von echtem Rindfleisch und kostet nur einen Bruchteil des Fleischpreises. Bei der Bekanntgabe ihrer Erfindung im Februar zeigten sich die Forschenden von deren Potenzial überzeugt: „Wir haben eine neuartige Lebensmittelzutat geschaffen, mit der die Ernährungskrise der Menschheit überwunden werden kann.“

    Der rosafarbene „Rindfleischreis“ ist auf dem aufstrebenden Markt für alternative Proteine die jüngste Art von im Labor gezüchtetem Fleischersatz. Die Produkte reichen von Burgern aus Erbsenprotein bis hin zu Laborfleisch aus künstlich gezüchtetem Gewebe: pflanzenbasierte, kultivierte oder fermentierte Lebensmittel, die das Erscheinungsbild, den Geschmack und die Konsistenz von tierischen Produkten nachahmen.

    Insgesamt wächst die Auswahl für Verbraucherinnen und Verbraucher. Doch bisher konnten alternative Proteine herkömmlichem Fleisch noch keine bedeutenden Marktanteile streitig machen. Für die Lebensmittelbranche stellen sich zwei Fragen: Ist es möglich, die häufig zu hohen Kosten alternativer Proteine zu senken? Und wird es gelingen, die Verbraucherinnen und Verbraucher vom Umstieg zu überzeugen?

    Weniger Land, weniger Wasser, weniger Emissionen

    Die Viehwirtschaft trägt weltweit 12% zu den jährlichen Treibhausgasemissionen bei – mehr als der Verkehrssektor. Die Ausweitung der dafür erforderlichen Flächen führt zudem zum Verlust von Lebensräumen und zum Rückgang von Wildtierpopulationen. Trotz internationaler Bemühungen um eine Senkung der Emissionen lässt die Konsumnachfrage nach Fleisch jedoch kaum nach. Bis 2050 wird sie voraussichtlich sogar um 50% steigen,1 da die Weltbevölkerung weiter wächst. Innovatoren hoffen, dass sich ein Teil der Nachfrage durch tierfreundlichere, gesündere und weniger umweltschädliche Nahrungsmittelquellen decken lässt.

    Falls alternative Proteine bis 2035 11% des gesamten Proteinmarktes erobern, würden die Treibhausgasemissionen in einer Grössenordnung gesenkt, die der Dekarbonisierung der gesamten Luftfahrtbranche entspricht

    Für ihre Befürworter sind alternative Proteine die Lösung. „Ihr Potenzial ist enorm“, sagt Carlotte Lucas, Head of Industry beim Good Food Institute Europe (GFI), einem Thinktank mit Schwerpunkt auf alternativen Proteinen. „Wir sind weltweit so vielen Herausforderungen ausgesetzt – vom Klimawandel über Ernährungssicherheit bis hin zur öffentlichen Gesundheit. Alternative Proteine sind eine der wichtigsten Lösungen.“

    In einem Bericht des GFI wurde der Gesamtlebenszyklus mehrerer Produkte bewertet. Es zeigte sich, dass alternative Proteine zwischen 47% und 99% weniger Land und zwischen 72% und 99% weniger Wasser benötigen. Bei ihrer Produktion fallen ausserdem zwischen 30% und 90% weniger Treibhausgasemissionen an als in der herkömmlichen Landwirtschaft.2 Falls alternative Proteine bis 2035 11% des gesamten Proteinmarktes erobern, würden die Treibhausgasemissionen in einer Grössenordnung gesenkt, die der Dekarbonisierung der gesamten Luftfahrtbranche entspricht.

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    Hohe Zinsen dämpfen Investitionen

    In den letzten Jahren drängten in diesem Bereich Hunderte von Start-ups auf den Markt. Zwischen 2018 und 2021 stieg der Absatz von pflanzenbasiertem Fleischersatz um 74%.3 Immer mehr Ersatzprodukte für Steaks, Lammfilets und Meeresfrüchte füllten die Supermarktregale. Im Überschwang der ersten Erfolge stieg der Aktienkurs von Beyond Meat, einem Hersteller pflanzenbasierter Produkte, 2019 am Tag des Börsengangs um 163%. An der Wall Street war es der lukrativste Börsengang seit 20 Jahren4.

    Im Gegensatz dazu steckt der Markt für im Labor gezüchtetes Fleisch noch in den Kinderschuhen. Bisher haben diese Produkte nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht. Aus Zellkulturen hergestelltes Laborfleisch wurde in den USA erst im vergangenen Jahr zugelassen. Als erstes Land erlaubte Singapur 2020 den Verkauf.

    Während der Markt für pflanzenbasierte Lebensmittel vor einiger Zeit noch unaufhaltsam zu wachsen schien, ist er inzwischen ins Stocken geraten. In den letzten Jahren brach der Umsatz ein. Das verschreckte Investoren, deren Risikobereitschaft durch die Stagnation der Weltwirtschaft und die steigenden Zinsen ohnehin gedämpft wurde.

    Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Fleischersatzprodukte die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht überzeugen konnten. Aus zahlreichen Berichten und Umfragen geht hervor, dass die Produkte im Hinblick auf Geschmack, Konsistenz und Nährwert enttäuschen

    Mangelnde Überzeugung

    Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Fleischersatzprodukte die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht überzeugen konnten. Aus zahlreichen Berichten und Umfragen geht hervor, dass die Produkte im Hinblick auf Geschmack, Konsistenz und Nährwert enttäuschen. Das hinterlässt bei den Verbrauchern das Gefühl, dass sie nur ein schlechtes Imitat von echtem Fleisch essen. Damit setzen sich Unternehmen und Wissenschaft nun zunehmend auseinander. Sowohl Impossible Foods als auch Beyond Meat haben dieses Jahr neue, „fleischähnlichere“ Produkte mit vereinfachten Zutatenlisten auf den Markt gebracht.

    Weitere Forschungen sind im Gange. Professor Anwesha Sarkar ist Lebensmittelwissenschaftlerin an der University of Leeds in Grossbritannien. Sie untersucht, wie man trockene, pflanzenbasierte Produkte saftiger machen kann, indem man statt Kalorien oder Salz Wasser zugibt.5 Sie ist zuversichtlich, dass es möglich ist, alternative Proteine herzustellen, die sowohl schmackhafter als auch gesünder sind. „Die Unternehmen haben sich ein Rennen um die Entwicklung neuer Produkte geliefert und nicht verstanden, warum sie am Markt nicht ankamen“, erklärt sie. „Wir müssen erst einmal ein grundlegendes Verständnis entwickeln, anstatt irgendetwas zu produzieren und dann einfach Salz und Fett zuzugeben, bis es geschmacklich passt. So funktioniert das einfach nicht.“

    Freisetzung von Investitionen

    Schliesslich spielen auch die Kosten eine Rolle. Die Herstellung von pflanzenbasierten Produkten ist teurer als die von landwirtschaftlich produziertem Fleisch. Kultivierte und fermentierte Produkte sind sogar noch kostspieliger. Die anhaltend hohen Kosten haben die Schwierigkeiten bei der Steigerung der Produktionsmengen noch verschärft.

    Laut Carlotte Lucas müssten Regierungen die Branche mit offener Forschung, Steuererleichterungen, Subventionen und Finanzierungen unterstützen. Damit würden sich die Risiken für den Sektor verringern, und es würden Spätphaseninvestitionen zur Finanzierung von Pilot- und Demonstrationsanlagen freigesetzt.

    Der Übergang wird stattfinden – die Frage ist nur, wie schnell das geschieht

    „Den Regierungen kommt eine entscheidende Rolle beim Ausbau des Sektors zu“, erklärt sie. „In die Branche ist viel Wagniskapital geflossen, aber um die nächste Stufe zu erreichen, sind Spätphaseninvestitionen notwendig.“ Sie verweist auf einige „Lichtblicke“ in diesem Jahr, die Gutes für die Branche verheissen. Ein Beispiel ist Infinite Roots, ein deutsches Start-up im Bereich der Fermentation. Das Unternehmen konnte sich in Finanzierungsrunden EUR 50 Mio. an Kapital sichern. „Der Markt besitzt definitiv weiterhin Zugkraft“, meint Carlotte Lucas. „Der Übergang wird stattfinden – die Frage ist nur, wie schnell das geschieht.“

    Zunächst die Grundlagen – langfristig dann Chancen durch Konsolidierung

    Paradoxerweise betrachten einige Akteure in der Branche das jüngste Stimmungstief als positiv. Dazu zählt etwa Rosie Wardle, Mitbegründerin und Partnerin von Synthesis Capital, einem Wagniskapitalunternehmen mit Schwerpunkt auf der Zukunft der Ernährung. Nach dem Börsengang von Beyond Meat kam es zu „einem Hype im Sektor und allzu optimistischen Prognosen, wie schnell der Markt wachsen könnte“, sagt sie. Die Folge waren überhöhte Preise. Hunderte von Unternehmen versuchten zudem, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, ohne differenzierte oder bessere Produkte anzubieten.

    Diese Lösungen werden dringender gebraucht als je zuvor. Für uns sind Investitionen in die Lebensmittelbranche von morgen eine der vielversprechendsten Anlagemöglichkeiten, die es aktuell gibt – allerdings nur, wenn der Preis stimmt

    „Im Moment findet eine sehr starke Konsolidierung statt – durch Fusionen und Übernahmen. Für uns sind das gute Nachrichten, und für den Sektor ist es sehr gesund, um langfristig ein wirklich nachhaltiges Fundament zu schaffen“, erklärt sie. „Vergleicht man die Investitionen heute mit denen von vor zwei Jahren, stehen wir deutlich besser da: Die Preise sind weitaus angemessener, und die Gründerinnen und Gründer konzentrieren sich auf die wahren Grundlagen.“

    „Diese Lösungen werden dringender gebraucht als je zuvor. Für uns sind Investitionen in die Lebensmittelbranche von morgen eine der vielversprechendsten Anlagemöglichkeiten, die es aktuell gibt – allerdings nur, wenn der Preis stimmt.“

    Wir bei Lombard Odier sind überzeugt, dass eine Umstellung der Ernährung wesentlich zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen wird. Weltweit und insbesondere in den westlichen Ländern dürfte sich der Konsum von herkömmlichem Fleisch durch das Angebot von alternativen Proteinen verringern. Das wird die Umweltkosten unserer Ernährung senken. Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen wollen, werden wir auf alternative Proteine nicht verzichten können. Die Frage ist, wann sie regelmässig bei uns auf den Tisch kommen – und wie saftig diese Burger dann sein werden.

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