Die CLIC®-Chronik: Die Schweizer Landwirtschaft - Pionier in der nachhaltigen Landwirtschaft - ein Interview mit Michel Darbellay, Schweizerischer Bauernverband
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Die Schweizer Landwirtschaft - Pionier in der nachhaltigen Landwirtschaft - ein Interview mit Michel Darbelly, Schweizerischer Bauernverband
Unser aktuelles Lebensmittelsystem ist geradezu ein Wunder. Dennoch stellt es eine enorme Herausforderung in Bezug auf Nachhaltigkeit dar. Mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen stammen aus unseren Lebensmittelsystemen, und die Agrarindustrie trägt massiv zum weltweiten Verlust der Biodiversität bei – laut einem UN-Bericht ist ein Achtel der weltweit erfassten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, unsere Agrarsysteme zu überdenken und zu einem nachhaltigeren, naturfreundlichen Modell überzugehen.
Glücklicherweise hat die internationale Politik mit der Unterstützung von Landwirten auf der ganzen Welt bereits eingegriffen. Dies zeigt sich in der Schweiz, wo seit einigen Jahren umfangreiche Massnahmen ergriffen werden und der Agrarsektor strenge Standards erfüllen muss. Das Land konzentriert sich auf die Einführung nachhaltiger Produktionstechniken, die darauf abzielen, den ökologischen Fussabdruck des Sektors zu verringern.
Wir sprachen mit Michel Darbellay, Vorstandsmitglied und Leiter der Abteilung Produktion, Märkte und Ökologie beim Schweizerischen Bauernverband (SBV). Er skizziert die Probleme, Herausforderungen und Einschränkungen, mit denen der Sektor heute konfrontiert ist, sowie die Lösungen, die bereits vorhanden sind oder sich abzeichnen.
Inwiefern sind die Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz schon heute besser positioniert als ihre Mitbewerber in anderen Ländern? Und wie reagieren sie auf die Herausforderungen durch Treibhausgasemissionen?
Die Landwirtschaft steht nicht selten in der Kritik, wenn es um das Klima geht. Auf diese Weise wird oft das Bild einer industriellen Landwirtschaft verbreitet und der Eindruck erweckt, es gelte auch für die Schweiz. Aber das ist nicht der Fall. In der Schweiz unterliegt die Agrarwirtschaft einem strengen gesetzlichen Rahmen, der uns vor solchen Irrwegen bewahrt. Unser Modell basiert auf dem landwirtschaftlichen Familienbetrieb. Das ermöglicht uns die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit – mit einer Landwirtschaft, die ihren Fussabdruck in den letzten Jahrzehnten verkleinert hat. Das heisst jedoch nicht, dass wir nichts tun müssten. Doch wir sind auf dem richtigen Weg.
Die Landwirtschaft ist sehr wohl von Problemen wie Biodiversitätsverlusten und Treibhausgasemissionen betroffen. Ohne Biodiversität leidet die Produktion. Und die Treibhausgasemissionen sind wiederum eine der Ursachen des Klimawandels. Die Landwirtschaft ist aber zugleich Opfer des Klimawandels, denn die Klimaveränderungen verursachen Schäden durch Extremwetterlagen, Dürren und Unwetter.
Wir sind gut beraten, dieses Problem sehr ernst zu nehmen. Und genau das tun wir auch. Wir können allerdings die Exzesse der Vergangenheit und die stark veränderte Lebensweise aufgrund von Urbanisierung, Verkehr und erhöhter Mobilität nicht von heute auf morgen korrigieren. Zudem ist der Kostendruck sehr hoch. Wir erleben heute einen ständigen Zielkonflikt zwischen nachhaltigerer Produktion und dem Mithalten im internationalen Wettbewerb. Für uns ermöglicht nur eine rentable Produktion eine nachhaltige Produktion.
Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, müssen wir eine weitere sehr wichtige Herausforderung angehen: die Lebensmittelverschwendung. In unserer Gesellschaft wird viel zu viel weggeworfen. 30% der produzierten Lebensmittel werden nicht verzehrt! Wenn es uns gelingt, dieses Problem zu lösen, haben wir einen grossen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit getan.
Michel Darbellay, Vorstandsmitglied und Leiter der Abteilung Produktion, Märkte und Ökologie beim Schweizerischen Bauernverband (SBV)
Was ist zu tun?
Wir müssen die Menschen sensibilisieren, ihr Bewusstsein schärfen und ihr Verantwortungsgefühl wecken. Die Produkte werden heute im Grossformat verpackt und oft zu Schleuderpreisen angeboten. Uns ist oftmals nicht mehr bewusst, was hinter der Produktion, hinter dem Endprodukt steckt. Wir alle sind uns reich bestückte Supermarktregale und wöchentliche Sonderangebote gewöhnt. Wir müssen Lebensmittel wieder mehr wertschätzen und achten.
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Gibt es in der Schweizer Landwirtschaft Initiativen, um den angesprochenen Herausforderungen zu begegnen?
Die Schweizer Landwirtschaft hat eine Vorreiterrolle. Seit den 1990er-Jahren erfolgten zahlreiche Agrarreformen. Dazu zählen die Einführung von Direktzahlungen und die Forderung nach einer Produktion nach strengen Regeln der ökologischen Landwirtschaft, wie etwa dem Fruchtwechsel. In der Schweiz gibt es keine Monokultur!
Zudem sind in der Schweiz mindestens 7% der gesamten landwirtschaftlichen Fläche für den Schutz der Biodiversität vorzusehen. Heute liegen wir bereits bei 20%: Die Landwirte haben mehr erreicht als von ihnen verlangt wird. Jeder fünfte Quadratmeter ist also heute der Ökologie und Biodiversität gewidmet. Ziemlich enttäuschend ist hingegen die Tatsache, dass sich die Biodiversität trotz all dieser Anstrengungen nicht so schnell verbessert wie erhofft.
Wir setzen zahlreiche Projekte um. Für Energie und Klima haben wir zum Beispiel eine Agentur namens AgroCleanTech eingerichtet. Sie soll Energie- und Klimalösungen erarbeiten und die Landwirte bei ihren Massnahmen unterstützen. Im Energiebereich hat sie bereits Massnahmen – wie die Wärmerückgewinnung, Sparmassnahmen und die Elektrifizierung – erfolgreich umgesetzt. Die Landwirtschaft kann sich auch vorstellen, diese Entwicklung bei CO2-Gutschriften fortzusetzen.
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Worauf ist diese Trägheit Ihrer Meinung nach zurückzuführen?
Die Natur braucht Zeit. Zeit, um sich zu erholen, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Hinzu kommen all die anderen Faktoren: Verkehr, Lichtverschmutzung, Urbanisierung. Wo befinden sich die grössten und interessantesten landwirtschaftlichen Flächen des Landes? Im Schweizer Mittelland, wo der Druck durch bebaute Gebiete, Autobahnen, Eisenbahninfrastruktur oder auch Industriegebiete besonders hoch ist. Die dort bestehenden Zielkonflikte führen dazu, dass sich die Biodiversität nicht unbedingt so gut entwickelt, wie wir es uns wünschten.
In der Landwirtschaft werden jedoch bereits entsprechende Anstrengungen unternommen. So wurde auf Bundesebene ein Aktionsplan zur Minderung der Risiken für die Ökosysteme durch Pflanzenschutzmassnahmen aufgelegt. Zudem wurden verbindliche Reduktionspfade festgesetzt. Die Landwirtschaft arbeitet nach dem Prinzip des integrierten Pflanzenschutzes1: Wir ergreifen zunächst präventive Massnahmen, um so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig auf Pflanzenschutzmassnahmen zurückzugreifen.
Kann die Schweizer Landwirtschaft von den Agrarpraktiken in anderen Ländern lernen?
In Frankreich gibt es Möglichkeiten der Steuerrückstellung für klimabedingte Verluste. In den USA und Kanada können Ernteversicherungen abgeschlossen werden. Das wäre für uns sehr wichtig, denn solche Instrumente bedeuten für die Landwirtschaft eine höhere Resilienz. Wenn beispielsweise wetterbedingte Ernteeinbussen die Landwirte wirtschaftlich unter Druck setzen, geraten diese in grosse finanzielle Schwierigkeiten. Sie können dann nicht mehr genügend in noch nachhaltigere Methoden investieren. Die Landwirtschaft braucht einen ausreichenden finanziellen Spielraum, um mit neuen Produktionsformen Risiken einzugehen.
Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach der Finanz- und Bankensektor spielen? Mit welchen Massnahmen können wir eine nachhaltige Landwirtschaft unterstützen?
Die Landwirtschaft muss einen Teil des Risikos tragen können. Wenn die Preise unter Druck sind, neigt man zwangsläufig zur Vorsicht und ist kaum bereit, neue Wege zu gehen. Auf Bundesebene wurden zum Beispiel Produktionssysteme eingeführt, die den Verzicht auf Insektizide und Herbizide fördern. Das kann man bis zu einem gewissen Grad machen. In manchen Jahren aber funktioniert das nicht: Der Druck durch Krankheiten und Schädlinge ist zu stark und die für unsere Versorgung erforderliche Produktion darf nicht gefährdet werden. Um das Verdienstausfallrisiko abzudecken, brauchen wir ein Sicherheitsnetz, sei es über Staatshilfen oder auf marktwirtschaftlichem Wege, wie es durch Labels angestrebt wird.
Bei den Innovationen beobachten wir heute einen wachsenden Bedarf an vielversprechenden neuen Technologien vom Typ „Smart Farming“. Diese Technologien sind jedoch sehr teuer und verursachen deutlich höhere Kosten als herkömmliche Maschinen. Wie können wir die Landwirtinnen und Landwirte dazu bewegen, diesen Weg zu beschreiten? Hier ist an vorteilhaftere Kredit- und Zuschussbedingungen zu denken. Wenn diese Art von Ausrüstung wirklich Standard werden soll, sind Investitionsfonds erforderlich, um diesen Übergang zu unterstützen. Daneben sind Investitionen in die Agrarforschung erforderlich.
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Können Sie Beispiele für eine regenerative Landwirtschaft und Agrartechnik in der Schweiz nennen?
Wir praktizieren seit mehreren Jahren eine regenerative Landwirtschaft in unterschiedlichen Formen. Es gibt Anforderungen, zum Beispiel die Bodenbedeckung, um die Erosion der Böden zu verhindern. Dieses Phänomen wird häufig unterschätzt und hat doch katastrophale Folgen für die Landwirtschaft. Mithilfe der Bodenbedeckungen können zudem die Nährstoffe besser gebunden werden, um zum Beispiel Nitratverluste zu vermeiden. Beispielsweise kann man eine Pflanzendecke anlegen, die den Stickstoff aus der Luft aufnimmt und damit den Stickstoffgehalt des Bodens erhöht. So lässt sich der Düngebedarf und auch der Einsatz von Herbiziden reduzieren. Mit diesen Pflanzendecken, aber auch mithilfe von Gülle können wir organisches Material schaffen, mit dem wir auch CO2 absorbieren können.
Lebensmittelmarken, Händler, Regierungen, Verbraucher: Wie können wir optimal mit diesen Akteuren interagieren, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen?
Für uns kommt es darauf an, die Komponenten der Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Viele Akteure haben sich bisher um Nachhaltigkeit bemüht, jedoch ausschliesslich auf ökologischer Ebene. Nachhaltigkeit ist aber nur möglich, wenn man die anderen beiden Aspekte – den sozialen und den wirtschaftlichen Aspekt – miteinbezieht.
Können Sie Beispiele für Vorschläge nennen, um die Lage der Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz zu verbessern?
Bei der Preisbildung der Produkte müssen die Produktionskosten besser berücksichtigt werden. Aktuell erhalten Erzeugerinnen und Erzeuger nur ein Drittel des Ladenpreises. Und je stärker die Produkte weiterverarbeitet sind, desto geringer ist der Anteil des Erzeugers. Die Verbraucher müssen ihre Wahl in Kenntnis der Sachlage treffen können. Wichtig ist eine klare Deklaration der Produkte in Bezug auf Herkunft und Produktionsweise. Dann können Verbraucher ihre Käufe bewusst tätigen. Ein verantwortungsvoller Konsum führt de facto zu einer verantwortungsvollen Produktion.
Können die in der Schweiz bereits angewandten Massnahmen Ihrer Meinung nach auf andere Länder übertragen werden?
Die Schweiz hat einen ausserordentlich strengen Rechtsrahmen. Dieser muss an den Markt, aber auch an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Wären all diese Massnahmen ohne diesen Rechtsrahmen getroffen worden? Diese Frage kann man sich stellen. Zudem praktizieren einige andere Länder eine industrielle Landwirtschaft. Sie ist nicht mehr in Händen bäuerlicher Familien; an erster Stelle steht die Rendite. Unter diesen Bedingungen ist es noch schwieriger, Massnahmen, wie wir sie kennen, umzusetzen. Aber bevor wir in Sackgassen geraten: Hoffen wir, dass diese Länder sich von einigen unserer Praktiken inspirieren lassen. Genauso achten auch wir darauf, gute Ideen aus dem Ausland zu übernehmen.
1 Integrierter Pflanzenschutz (admin.ch)
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