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    Können GLP-1-Medikamente zur Gewichtsabnahme dem Hype gerecht werden?

    Können GLP-1-Medikamente zur Gewichtsabnahme dem Hype gerecht werden?
    Alexandra Ralli - Senior Equity Research Analyst, Healthcare Sector

    Alexandra Ralli

    Senior Equity Research Analyst, Healthcare Sector

    Kernpunkte:

    • GLP-1-Medikamente könnten sich als die bedeutendsten Pharmaprodukte der modernen Geschichte erweisen. Für Arzneimittelhersteller bieten sie einen riesigen potenziellen Markt mit langfristiger Anwendung und folglich wiederkehrenden Einnahmen.
    • Bis der Wettbewerb ungefähr im Jahr 2027 einsetzt, dürften die Kosten dieser Medikamente hoch bleiben. Daher dürfte die Verbreitung dieser Arzneien bis 2030 auf unter 10% der fettleibigen US-Erwachsenen begrenzt bleiben.
    • Derzeit haben lediglich zwei Pharmaunternehmen zugelassene GLP-1-Medikamente zur Gewichtsreduktion. Die Konkurrenten verfügen nur über Medikamentenkandidaten in der klinischen Prüfung.
    • Der Ausverkauf im Sektor medizinische Geräte und bei grossen Lebensmittel- und Getränkeherstellern aufgrund von Bedenken wegen GLP-1 könnte übertrieben sein.

    Neben künstlicher Intelligenz (KI) haben dieses Jahr auch Medikamente gegen Fettleibigkeit die Aufmerksamkeit der Anlegerinnen und Anleger auf sich gezogen. GLP-1-Medikamente zur Gewichtsreduktion haben grosse Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit sowie auf Pharma- und Medizintechnikunternehmen und beeinflussen auch den Verbrauchersektor.

    Es bestehen kaum Zweifel daran, dass GLP-1-Medikamente wie Wegovy, Ozempic, Mounjaro und Zepbound bahnbrechend sind. Die ursprünglich zur Stimulierung der Insulinproduktion bei Typ-2-Diabetikern entwickelten Arzneien imitieren die Wirkung des nach dem Essen ausgeschütteten Darmhormons GLP-1. In Studien wurde festgestellt, dass sie zu einem Gewichtsverlust von 15% bis 20% führen, indem sie den Appetit zügeln und die Verdauung verlangsamen. Bald begannen Prominente die Medikamente zu nutzen, und es wurde deutlich, dass die Arzneien helfen können, die schnell zunehmende Fettleibigkeitsepidemie zu bekämpfen.

    Mehr als jeder vierte Erwachsene in den USA und einer von zehn weltweit ist bereits fettleibig, was zu einem höheren Risiko für viele Erkrankungen führt: Diabetes, Herzkrankheiten, Schlaganfälle, einige Krebsarten, schlechte Mobilität und psychische Probleme. Bis vor Kurzem wurde Fettleibigkeit eher als Lebensstil denn als Krankheit angesehen. Doch das ändert sich jetzt, zum Teil aufgrund der hohen Kosten für die Öffentlichkeit: Die World Obesity Federation schätzt die Kosten bis 2035 auf 2,5% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, was den Auswirkungen von Covid-19 im Jahr 2020 entspricht.

    Die Anleger sind zu Recht begeistert: GLP-1-Medikamente könnten zu den bedeutendsten Pharmaprodukten aller Zeiten gehören

    Der Hype ist echt

    Die Anleger sind zu Recht begeistert: GLP-1-Medikamente könnten zu den bedeutendsten Pharmaprodukten aller Zeiten gehören. In den vergangenen Jahrzehnten haben Statine, Krebsimmuntherapien und dann Covid-Impfstoffe den Umsatz angekurbelt. Aber der Markt für GLP-1-Medikamente könnte grösser sein und sich schneller entwickeln: Wir schätzen den Jahresumsatz bis 2030 auf USD 70 bis 100 Mrd. Bislang gab es keine wirklich wirksamen Medikamente zur Gewichtsabnahme. Die bariatrische Chirurgie – also Operationen zur Gewichtsreduktion – war somit die wichtigste Behandlungsoption.

    GLP-1-Medikamente kombinieren zwei wichtige Elemente für Pharmaunternehmen: einen riesigen potenziellen Markt aufgrund eines ungedeckten Bedarfs sowie eine lebenslange Anwendung – und folglich wiederkehrende Einnahmen –, damit die Wirksamkeit sicherstellt ist. Derzeit verfügen nur zwei Unternehmen über zugelassene GLP-1-Medikamente zur Gewichtsabnahme. Wir erwarten, dass dieses Duopol bis etwa 2027 bestehen bleibt, was es den beiden Unternehmen ermöglicht, die Preise hoch zu halten: schätzungsweise USD 10’000 bis 16’000 pro Patient und Jahr in den USA, wobei die Preise aufgrund des Wettbewerbs zwischen den beiden Anbietern etwas unter Druck geraten könnten.

    GLP-1-Medikamente kombinieren zwei wichtige Elemente für Pharmaunternehmen: einen riesigen potenziellen Markt aufgrund eines ungedeckten Bedarfs sowie eine lebenslange Anwendung – und folglich wiederkehrende Einnahmen –, damit die Wirksamkeit sicherstellt ist

    Jüngste Studienergebnisse für das führende Adipositas-Medikament Wegovy zeigen ausserdem: Das Präparat senkt das Risiko von Herzinfarkten, Schlaganfällen und herzbedingten Todesfällen bei fettleibigen oder übergewichtigen Menschen mit Herzerkrankungen um 20%. Dies dürfte die Verschreibung und die Kostenübernahme durch Krankenkassen ankurbeln und signalisiert, dass GLP-1-Arzneien zu einer tragenden Säule in der Herz-Kreislauf-Behandlung werden könnten, einem weiteren riesigen Markt. In Studien wird untersucht, ob sie auch bei anderen Erkrankungen helfen können, vom polyzystischen Ovarsyndrom bis hin zu Alkoholmissbrauch und Demenz. Der Einsatz bei Fettleibigkeit wird auf neue Märkte und jüngere Bevölkerungsgruppen ausgedehnt. Die ersten oralen GLP-1-Medikamente könnten 2025 auf den Markt kommen, was interessant ist für Personen, die wöchentliche Injektionen scheuen.

    Hohe Kosten

    Die grosse Diskussion dreht sich heute nicht um die Wirksamkeit von GLP-1, sondern um die Kosten – und damit um die Hindernisse, die ihrer weiteren Verbreitung im Weg stehen. Eine künftige Kostenübernahme für GLP-1-Medikamente zur Behandlung von Fettleibigkeit zu den heutigen Preisen würde die Finanzen des staatlichen US-Krankenversicherers Medicare enorm belasten, so Gesundheitsökonomen; dies gilt selbst bei einer begrenzten Verbreitung. Im Vereinigten Königreich können Ärzte diese Medikamente gegen Fettleibigkeit verschreiben, allerdings nur für ein Jahr. In unserem Modell gehen wir von einem vergleichsweise geringen Anstieg der Marktdurchdringung bis 2030 auf nur 8% der fettleibigen US-Erwachsenen aus.

    In unserem Modell gehen wir von einem vergleichsweise geringen Anstieg der Marktdurchdringung bis 2030 auf nur 8% der fettleibigen US-Erwachsenen aus

    Andere Faktoren könnten den Marktoptimismus dämpfen. Die langfristigen Nebenwirkungen der Medikamente sind unbekannt. Bei früheren Arzneien zur Gewichtsreduktion gab es Probleme, von Amphetaminen und „Fen-Phen“ bis hin zu Acomplia von Sanofi, das 2008 nach Bedenken wegen eines erhöhten Selbstmordrisikos vom Markt genommen wurde. Die Europäische Arzneimittel-Agentur prüft Daten über das Risiko von Selbstmordgedanken bei Patienten, die GLP-1-Präparate verwenden. Die Prüfung soll diesen Monat abgeschlossen werden. Nach mehreren Jahren der Anwendung bei Diabetes sind jedoch nur wenige ernsthafte Probleme mit GLP-1 aufgetreten. Die meisten beschränken sich auf Übelkeit, Erbrechen und Durchfall – wobei die Dosierung bei Wegovy (der bei Fettleibigkeit verschriebenen Version) etwas höher ist als bei Ozempic (bei Diabetes). Bei den konkurrierenden GLP-1-Medikamenten Mounjaro (Diabetes) und Zepbound (Fettleibigkeit) besteht kein wesentlicher Unterschied.

    Ein grösseres Problem sind die Versorgungsengpässe. Es ist schwierig, die Produktion von injizierbaren Arzneimitteln hochzufahren, und der begrenzte Vorrat an Wegovy wird vorrangig für bestehende Patienten und nicht für neue Patienten verwendet.

     

    Bewertungsunterschiede

    Für die Anleger dürfte der grösste Realitätscheck der Preis der Unternehmen sein, welche die Medikamente verkaufen. Die beiden einzigen Firmen, die über zugelassene GLP-1-Medikamente gegen Fettleibigkeit verfügen, werden mit dem 40- bzw. 100-Fachen ihres Gewinns gehandelt, während ihre Konkurrenten im mittleren Zehnerbereich notieren. Da die Pharmaanalysten nicht gewohnt sind, ein solches Wachstum zu modellieren, sind sie dazu übergegangen, diese Unternehmen anhand des Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnisses zu bewerten. Aufgrund des mehrjährigen Potenzials könnte eine Bewertung, die auf der Summe der künftigen Cashflows statt auf den Gewinnen eines einzigen Jahres basiert, besser geeignet sein. Längerfristig ist es denkbar, dass GLP-1 den gesamten Pharmasektor beflügelt. Vorerst ist es jedoch schwierig, das Potenzial der konkurrierenden Unternehmen zu beurteilen. Ihre Arzneimittelkandidaten befinden sich erst in frühen klinischen Studien; hier besteht im Durchschnitt nur eine 15%ige Chance für eine Markteinführung.

    Längerfristig ist es denkbar, dass GLP-1 den gesamten Pharmasektor beflügelt. Vorerst ist es jedoch schwierig, das Potenzial der konkurrierenden Unternehmen zu beurteilen

    Der Himmel ist die Grenze

    Die Spekulationen über die Auswirkungen von GLP-1 haben sich schnell über die Aktiensektoren ausgeweitet: Werden schlankere Passagiere die Treibstoffkosten der Fluggesellschaften senken? Werden Diät-Apps der Vergangenheit angehören? Zwei Ereignisse lösten im Oktober 2023 einen Ausverkauf bei Aktien von Konsumgüter- und Medizingeräte-Unternehmen aus. Das erste war eine Bemerkung des US-Chefs von Walmart, dass GLP-1-Patienten weniger Lebensmittel kaufen würden. Die Chefs grosser Lebensmittel- und Getränkehersteller beeilten sich zu erklären, dass sie keine Auswirkungen festgestellt hätten. Zudem gab ein Hersteller von Robotern für die bariatrische Chirurgie an, dass sich die Wachstumsraten für Eingriffe in den USA verlangsamt hätten.

    Unseres Erachtens könnte der Ausverkauf im Sektor medizinische Geräte übertrieben sein. Spezialisierte Hersteller von Geräten zur Behandlung der Schlafapnoe und von Medikamenten gegen Fettleber könnten leiden, da diese Krankheiten eng mit Fettleibigkeit in Verbindung stehen. Diversifiziertere Unternehmen, darunter Hersteller von Blutzuckermesssystemen und Ersatzgelenken, sehen sich jedoch nach wie vor einem grossen und wachsenden Markt gegenüber. Dies gilt insbesondere angesichts des geringen Anteils fettleibiger Patienten, die bis 2030 mit GLP-1-Medikamenten behandelt werden dürften. Viele Versicherer übernehmen die Kosten für diese Arzneien nur kurzfristig, und zahlreiche Patienten brechen die Behandlung nach einem Jahr ab, sodass das Gewicht wieder ansteigt.

    Wir sind der Meinung, dass das Worst-Case-Szenario für GLP-1-Medikamente bei einigen Basiskonsumgüter-Unternehmen bereits eingepreist ist

    Wir sind zudem der Meinung, dass das Worst-Case-Szenario für GLP-1-Medikamente bei einigen Basiskonsumgüter-Unternehmen bereits eingepreist ist. Eine Änderung der Konsumgewohnheiten lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer vorhersagen, und die Firmen könnten ausreichend Zeit haben, ihre Produktportfolios anzupassen. Viele, insbesondere in Europa, haben bereits auf gesündere Snacks und Sporternährung umgestellt.

    Natürlich wurden defensive Sektoren wie das Gesundheitswesen und Konsumgüter 2023 durch eine überraschend robuste US-Wirtschaft und die wettbewerbsfähigen Renditen vieler Anleihen beeinträchtigt. Von den beiden genannten Aktiensektoren bevorzugen wir die Konsumgüter, bei denen wir Potenzial für eine Volumen- und Margenerholung im Jahr 2024 sehen.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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