investment insights

    Frankreichs Rentenreform ist ein Tabubruch

    Frankreichs Rentenreform ist ein Tabubruch
    Stéphane Monier - Chief Investment Officer<br/> Lombard Odier Private Bank

    Stéphane Monier

    Chief Investment Officer
    Lombard Odier Private Bank

    Kernpunkte

    • Die französische Regierung plant, das Rentenalter von 62 Jahren auf 64 Jahre zu erhöhen, um die Verschuldung des Landes zu reduzieren. Die Reform wird politisch auf breiter Front bekämpft, und es ist mit Streiks zu rechnen.
    • Die Zahl der Arbeitnehmenden im Alter von 55 Jahren bis 64 Jahre ist in der französischen Wirtschaft geringer als in anderen EU-Ländern. Die öffentlichen Ausgaben Frankreichs im Verhältnis zum BIP sind die höchsten in der EU.
    • Die Regierung von Präsident Macron kann gemäss der französischen Verfassung das Reformgesetz, das auch eine Erhöhung der Mindestrente vorsieht, durchsetzen.
    • Die Renditen französischer Staatsanleihen sind stabil geblieben. Unseres Erachtens werden weder die vorgeschlagenen Reformen noch soziale Unruhen in Frankreich einen bleibenden Einfluss auf die europäischen Finanzmärkte haben.

    Die französische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, das Rentensystem des Landes, das nach manchen Massstäben zu den grosszügigsten in Europa gehört, zu reformieren. Die Vorschläge lassen eine Phase der Unruhen erwarten: Die Gewerkschaften wollen Streiks abhalten, weil sie die Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Reform infrage stellen. Auch wenn die geplante Reform für die französische Binnenwirtschaft von Bedeutung ist, halten wir es als globale Investoren für unwahrscheinlich, dass sie eine dauerhafte Marktreaktion auslöst.

    Die Regierung von Emmanuel Macron schätzt, dass die Reform bis 2027 neue Einnahmen in Höhe von EUR 12 Mrd. generiert. Ohne Reform dürfte die Staatsverschuldung über 25 Jahre um EUR 500 Mrd. steigen, was fast einem Fünftel des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) Frankreichs im Jahr 2022 entspricht. Premierministerin Elisabeth Borne hat die Pläne am 10. Januar vorgestellt. Sie zielen darauf ab, das Mindestrentenalter in Frankreich bis Ende des Jahrzehnts von 62 Jahren auf 64 Jahre anzuheben. Das Alter, in dem ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine volle staatliche Rente hat, soll ab September 2023 bis 2030 jährlich um drei Monate erhöht werden.

    Eine grundlegende Reform des französischen Systems ist nach Ansicht der Regierung Macron überfällig. „Es ist dringend nötig, unser Rentensystem zu retten“, sagte Haushaltsminister Gabriel Attal in einem Interview am 12. Januar. Er argumentierte, dass es bei der Reform nicht nur um eine Anpassung des Rentenalters gehe. Ziel sei auch, die staatliche Mindestrente auf 85% des monatlichen Mindestlohns Frankreichs zu erhöhen.

    Wie in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird die Überalterung der Bevölkerung auch in Frankreich durch einen relativ geringen Anteil der 55- bis 64-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Nur 60% der Bevölkerung in dieser Altersgruppe sind erwerbstätig, verglichen mit 74% in Deutschland und 67% im Vereinigten Königreich. Eine Erhöhung der Beschäftigungsquote dieser Generation und der Rentenbeiträge würde die Zahlungslast der jüngeren Arbeitnehmenden verringern.

    … die Überalterung der Bevölkerung wird auch in Frankreich durch einen relativ geringen Anteil der 55- bis 64-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt verschärft

    Als Teil der Reform soll die Beitragsdauer für den Anspruch auf eine volle staatliche Rente vor 2027 von 41,3 Jahren auf 43 Jahre steigen. Damit würde eine Reform aus dem Jahr 2014 beschleunigt, die unter dem damaligen Präsidenten François Hollande beschlossen wurde. Im Gegenzug schlägt die Regierung vor, die Mindestrente von derzeit EUR 950 monatlich auf EUR 1’200 im Jahr 2023 anzuheben. Ausnahmen für einige körperlich anstrengende Berufe sollen weiter gelten.

    Frankreich hat mit 62 Jahren das niedrigste gesetzliche Rentenalter in der Europäischen Union. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt das „normale“ Rentenalter in Frankreich jedoch bei 63,5 Jahren nach einem Berufsleben, das im Alter von 22 Jahren beginnt. Das entspricht dem EU-Durchschnitt von 63,5 Jahren für Frauen und 64,3 Jahren für Männer, während dieses Alter in Italien bei 62 Jahren, in Spanien bei 65 Jahren und in Deutschland bei 65,7 Jahren liegt.

    Die Gesamtverschuldung des französischen Staates im Verhältnis zum BIP ist mit 138% die fünfthöchste in der EU und ähnlich hoch wie in Spanien (und im Vereinigten Königreich) mit 143%. Das liegt über dem OECD-Durchschnitt von 90% und einem Wert von 77% in Deutschland. Die öffentlichen Ausgaben Frankreichs, die das Gesundheitswesen, die Sozialdienste und die Renten umfassen, sind mit über 61% des BIP im Jahr 2020 weiterhin die höchsten in der OECD. Wir gehen davon aus, dass die französische Wirtschaft 2023 um 0,3% wächst, verglichen mit 0,2% für die Eurozone.

     

    40-jähriges Tabu

    Die Rentenreform ist in Frankreich praktisch zu einem politischen Tabu geworden, und Reformanläufe haben sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen. Einigen Umfragen zufolge sind drei Fünftel der Bevölkerung gegen eine Anhebung des Rentenalters. Die Gewerkschaften stellen die Haushaltsberechnungen der Regierung und die Notwendigkeit einer Reform infrage. Die Reform von 2014, die seit 2020 in Kraft ist, werde das System bis 2040 ausgleichen, indem die Beitragsjahre für die nach 1972 Geborenen auf 43 Jahre erhöht würden.

    Die Rentenreform ist in Frankreich praktisch zu einem politischen Tabu geworden

    Landesweite Streiks sind bereits für den 19. Januar geplant, weitere könnten am 26. Januar und 6. Februar folgen. Streiks haben angestrebte Neuerungen im Jahr 1995 sowie Arbeitsrechtsreformen in den Jahren 2006 und 2010 verhindert. Im Oktober 2018 wurde die Bewegung der „gilets jaunes“ (Gelbwesten) aktiv. Sie lehnte sich gegen eine Reihe von Themen auf und mobilisierte Tausende. Erst im Zuge der Covid-Pandemie lösten sich die entsprechenden Proteste auf der Strasse auf. Letztere richteten sich unter anderem gegen die CO2-Steuer, die Treibstoffkosten und geplante Änderungen des Rentensystems. Seit der Pandemie hat die Krise bei den Lebenshaltungskosten die Besorgnis noch verstärkt. Die französische Regierung reagierte auf die Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs mit subventionierten Benzinpreisen und einer Deckelung der Energiepreise. Diese Massnahmen trugen dazu bei, dass die Inflationsrate Frankreichs im Dezember mit annualisiert 6,7% zu den niedrigsten Raten in der EU gehörte. EU-weit stiegen die Verbraucherpreise im vergangenen Monat um durchschnittlich 9,2% gegenüber dem Vorjahr, darunter in Deutschland um 9,6% und in Italien um 12,3%.

    Die Partei von Präsident Macron – „Renaissance“, vormals „La République en marche“ – braucht die politische Unterstützung anderer Parteien in der Nationalversammlung, um das Reformgesetz zu verabschieden. Zwei Parteien der Mitte, „Mouvement démocrate“ und „Horizons“, unterstützen die Reform bereits. Der zusätzliche Support der liberal-konservativen „Les Républicains“ (LR) scheint wahrscheinlich. Ihr Vorsitzender, Eric Ciotti, erklärte, die Partei sei bereit, eine „gerechte Reform“ zu unterstützen, auch wenn mehrere LR-Abgeordnete weiterhin dagegen sind. Wenn dieser Support ausbleibt, könnte die Regierung Artikel 49.3 der französischen Verfassung anwenden, um ihre Vorschläge durchzusetzen.

    Solvenz und französische Staatsanleihen (OAT)

    Nimmt man die bisherigen Reformbemühungen Frankreichs … als Anhaltspunkt, werden sich Änderungen bei den inländischen Rentenausgaben nicht auf die Finanzmärkte auswirken

    Während die Defizitberechnungen der französischen Regierung langfristig angelegt sind, sehen wir mittelfristig kein Solvenzrisiko. Die Anlegerinnen und Anleger konzentrieren sich weiterhin auf die Geldpolitik der Notenbanken, deren Benchmarks die wichtigsten Markttreiber sind. Nimmt man die bisherigen Reformbemühungen Frankreichs und die damit einhergehenden sozialen Unruhen als Anhaltspunkt, werden sich Änderungen bei den inländischen Rentenausgaben nicht auf die Finanzmärkte auswirken. Die Renditedifferenz (Spread) zwischen zehnjährigen Staatsanleihen Frankreichs und Deutschlands ist in den letzten zehn Jahren relativ stabil geblieben. Französische Staatsanleihen (Obligations Assimilables du Trésor, OAT) weisen derzeit mit 2,55% einen Aufschlag von rund 50 Basispunkten gegenüber entsprechenden deutschen Bundesanleihen auf (siehe Grafik).

    Allgemeiner betrachtet sind die Aussichten für europäische Staatsanleihen schwierig. Die Staatsausgaben und die schrittweise Reduzierung des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten durch die Europäische Zentralbank führen zu einem grösseren Angebot an Staatsanleihen. Zugleich werden die Zinsen in den kommenden Monaten weiter steigen. In diesem Umfeld bevorzugen wir US-Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmenspapiere. Bei Aktien bleiben wir gegenüber europäischen Titeln vorsichtig. Die Bewertungen sind unter den langfristigen Durchschnitt gesunken, während weitere Gewinnkorrekturen erwartet werden. Der Euro schliesslich hat jüngst eine stärkere Performance verzeichnet – dies angesichts der Stabilisierung der Daten aus dem verarbeitenden Gewerbe, des milden Winters und niedrigerer Energiepreise.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

    Entdecken Sie mehr.

    Sprechen wir.
    teilen.
    Newsletter.