investment insights

    Eurozone steht vor Wachstumsherausforderungen, während der deutsche Motor stockt

    Eurozone steht vor Wachstumsherausforderungen, während der deutsche Motor stockt
    Bill Papadakis - Macro Strategist

    Bill Papadakis

    Macro Strategist
    Christian Abuide - Head of Asset Allocation

    Christian Abuide

    Head of Asset Allocation

    Kernpunkte

    • Die Inflation in der Eurozone ist vor allem dank niedrigerer Energiepreise gesunken. Die Gaslager sind früher als geplant fast voll. Doch die Region ist nun auf den Weltmarkt angewiesen, nachdem sie die Abhängigkeit von Russland beendet hat.
    • Angesichts des bestehenden Disinflationstrends und des besorgniserregend langsamen Wachstums sind wir der Meinung, dass die EZB die Geldpolitik zu sehr gestrafft hat.
    • Dank ihrer Vielfalt ist die Region relativ widerstandsfähig: Spanien verzeichnet seit über einem Jahr ein konstantes Wachstum, während Deutschland in der Rezession steckt. Dennoch schüren die Schwächen der grössten Volkswirtschaft der Eurozone keine Sorgen über den Euro.
    • Wir erwarten, dass der Euro in einem Jahr gegenüber dem US-Dollar auf 1,12 steigt. Gegenüber europäischen Aktien bleiben wir neutral. Wir bevorzugen europäische Investment-Grade-Unternehmensanleihen gegenüber ihren US-Pendants.

    Das Wachstum und die Inflation in der Eurozone verlangsamen sich als Reaktion auf ein Jahr rascher Zinserhöhungen. Die wirtschaftliche Ungleichheit in der Region ist eine Herausforderung für die Politik. Es gilt eine Rezession zu vermeiden, während das Wachstum in Deutschland, dem grössten Mitgliedstaat, stockt. Nach wie vor besteht die Sorge, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldpolitik zu sehr strafft.

    In der Eurozone hat es nie einen Nachfrageboom gegeben. Der anfängliche Inflationsschock beruhte mehr auf dem Angebot als auf der Nachfrage. Der allgemeine Trend zu einem langsameren Preisanstieg in der Eurozone ist nun klar erkennbar: Die Inflation ging im Juli auf 5,3% zurück, gegenüber 5,5% im Juni. Sinkende Energiepreise haben am meisten zum Rückgang der Teuerung in der Eurozone beigetragen und die anhaltende Zunahme der Lebensmittel- und Alkoholpreise ausgeglichen. Die Preise für Erdgas-Terminkontrakte stiegen in der vergangenen Woche aufgrund drohender Streiks in Australien, das einen Zehntel des weltweiten Flüssigerdgases (LNG) liefert. Europa ist zur Deckung seines Bedarfs stärker vom Weltmarkt abhängig, nachdem die Lieferungen über Pipelines aus Russland gedrosselt wurden. Der LNG-Preis ist fast auf einen Zehntel der vor einem Jahr verzeichneten Höchststände gefallen. Die Lagerbestände sind praktisch voll, und dies Monate früher als geplant. Es besteht daher die Hoffnung, dass die Reserven für den Winter 2023/2024 in der Region ausreichen, auch wenn die Hitzewellen in Europa die Energienachfrage wegen Klimaanlagen erhöhen.

    Auch das Wirtschaftswachstum hat sich in Europa verlangsamt. In den drei Monaten bis Juni 2023 verzeichnete die Region ein Wachstum von 0,3%, nach einem Nullwachstum im ersten Quartal und einem Rückgang von 0,1% im vierten Quartal 2022.

    Dies deutet darauf hin, dass die EZB die Geldpolitik bereits zu stark gestrafft hat

    Zusammen mit dem bestehenden Disinflationstrend deutet dies unserer Meinung nach darauf hin, dass die EZB die Geldpolitik bereits zu stark gestrafft hat. Die grösste unmittelbare Bedrohung für die Aussichten der Eurozone ist daher ein geldpolitischer Fehler, denn die Notenbank hat ihren Leitzins innerhalb eines Jahres von -0,5% auf 3,75% angehoben. Die Wachstumsaussichten können sich noch weiter verschlechtern, während die höheren Kreditkosten auf die Wirtschaft durchschlagen. Diese Straffung hat zu einer Eintrübung des Geschäftsklimas beigetragen, während sich das Verbrauchervertrauen dank der angespannten Lage auf den Arbeitsmärkten zu halten vermag (siehe Grafik 1).

    Lesen Sie auch: Ist das Fundament für einen Immobilienaufschwung gegeben?

    Vielfalt macht widerstandsfähig

    Zurzeit erwarten wir für die Eurozone ein schwaches jährliches Wachstum von 0,6% für 2023. Für 2024 rechnen wir mit einer Beschleunigung auf etwa 1%, wenn der Arbeitsmarkt stark bleibt und die Geldpolitik im nächsten Jahr gelockert wird. Das scheint zwar auf den ersten Blick wenig beeindruckend. Doch wir sollten dies im Kontext der Unsicherheiten und Ängste von vor 18 Monaten sehen, als Russland in die Ukraine einmarschierte.

    Das Bild einer expandierenden Wirtschaft in der Eurozone verschleiert die Unterschiede im Euroraum (siehe Grafik 2). Spaniens Wirtschaft verzeichnet seit mehr als einem Jahr ein konstantes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund 0,5%, was auf ein annualisiertes Wachstum von 2,1% schliessen lässt. Italien und Deutschland hingegen sind ins Stocken geraten. In Deutschland schürt das Wachstum Sorgen über die längerfristigen Aussichten. Das BIP ist in drei von vier Quartalen bis Juni 2023 geschrumpft. 2023 könnte das Wachstum mit 1,3% so gering ausfallen wie seit 2008 nicht mehr. Als Reaktion darauf versucht die deutsche Regierung seit Kurzem, das exportorientierte Wachstumsmodell des Landes anzupassen, das während Jahrzehnten auf billigen Arbeitskräften und günstiger Energie beruhte. Deutschland ist es gelungen, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu beenden. Doch nun muss es den Arbeitskräftemangel und die Folgen jahrzehntelanger Unterinvestitionen in die technologische Infrastruktur angehen.

    Bundeskanzler Olaf Scholz versucht, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der Halbleiterindustrie zu verbessern, die Wirtschaft auf nachhaltige Energiequellen umzustellen und mehr ausländische Investitionen anzuziehen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat jedoch nicht nur die Energieversorgung Deutschlands infrage gestellt. Im Jahr 2022 wurde China mit 3,2 Millionen Fahrzeugen zum grössten Autoexporteur der Welt und überholte damit Deutschland mit 2,6 Millionen Fahrzeugen. Das liegt zum Teil daran, dass China die Autoexporte nach Russland erhöht hat, aber auch an Investitionen in moderne Batterien für Elektrofahrzeuge. China produzierte im vergangenen Jahr mehr Batterien als der Rest der Welt insgesamt.

    Die wirtschaftliche Schwäche in Deutschland löst keine Existenzängste aus

    Diese Situation würde jede Regierung fordern, aber für die deutsche Drei-Parteien-Koalition ist die Kombination der Herausforderungen eine besondere Bewährungsprobe. Meinungsumfragen vom Juli 2023 zufolge belegt die SPD (Sozialdemokratische Partei) von Bundeskanzler Scholz den dritten Platz. Damit liegt die SPD nicht nur hinter der CDU (Christdemokraten), die durch die Drei-Parteien-Koalition von der Regierung ausgeschlossen wurde, sondern auch hinter der Rechtspartei AfD (Alternative für Deutschland). Es ist zu erwarten, dass Rechtsaussen bei den Regionalwahlen weiter zulegt.

    Die Schuldenkrise sorgte für Instabilität in der Eurozone. In der Folge kamen vor einem Jahrzehnt Zweifel auf, ob eine einheitliche Geldpolitik für alle Volkswirtschaften der Region – von Deutschland und Frankreich bis hin zu den sogenannten Peripherieländern Spanien, Irland, Griechenland und Portugal – funktioniere. Die wirtschaftliche Schwäche in Deutschland löst aktuell keine solchen Existenzängste aus. Das könnte darauf hindeuten, dass eine grössere Toleranz gegenüber Ungleichheiten in der Währungsunion besteht oder dass niemand ernsthaft eine Alternative in Betracht zieht.

    Lesen Sie auch: Durchzogene Aussichten für resiliente britische Wirtschaft

     

    Folgen für Anlagen

    Unsere Haltung gegenüber europäischen Aktien bleibt neutral. Wir sehen eine Reihe von Faktoren, die für Aktien der Eurozone sprechen: günstige Bewertungen sowie Gewinnerwartungen, die nach oben korrigiert werden – vor allem im Finanzsektor und bei Autoherstellern. Für Gewinnauftrieb könnten auch steigende Zinsen sorgen, welche die Erträge im Finanzsektor begünstigen, und robuste Rohstoffpreise, welche die Gewinne der Energie- und Bergbauunternehmen stützen.

    Zugleich bestehen Risiken: Die EZB könnte mit der zu starken Zinsstraffung fortfahren. Und nachdem die Region ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas beendet hat, ist sie nun stärker auf die internationalen Energiemärkte angewiesen. Des Weiteren sind die Handelsströme der Region nach wie vor stark von China abhängig, wo sich die Wirtschaft verlangsamt.

    Europäische Unternehmensanleihen scheinen attraktiver als ihre auf US-Dollar lautenden Pendants

    Was die europäischen Anleihemärkte betrifft, erwarten wir, dass die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in den nächsten zwölf Monaten leicht von ihrem derzeitigen Niveau von 2,65% zurückkommen. Gegenüber italienischen Staatsanleihen bleiben wir vorsichtig, da sie eine Underperformance verzeichnen könnten. Die Renditedifferenz (Spread) gegenüber deutschen Staatsanleihen ist relativ klein, und die EZB baut die Bestände an Anleihen ab, die sie im Rahmen der Programms zur quantitativen Lockerung erworben hat.

    Lesen Sie auch: Pause der Fed zu erwarten, EZB hat noch zu tun

    Europäische Unternehmensanleihen wiederum scheinen attraktiver als ihre auf US-Dollar lautenden Pendants, denn der Kredit- und geldpolitische Zyklus der US-Wirtschaft ist weiter fortgeschritten, und die Bewertungen sind nach einer Rally im Juli 2023 niedriger (siehe Grafik 3). Insbesondere Investment-Grade-Anleihen europäischer Banken scheinen im Vergleich zu Nicht-Finanzanleihen attraktiv, da die Renditen in der ersten Jahreshälfte nach dem Bankenstress stiegen und umfangreiche Emissionen für Druck sorgten. Bei europäischen Hochzinsanleihen bieten eine sich verbessernde Wirtschaftsdynamik, gute Unternehmensgewinne, ein begrenztes Angebot und vor allem hohe absolute Renditeniveaus auf kurze Sicht Unterstützung.

    An der Währungsfront erwarten wir, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar in drei Monaten bei 1,06 notiert. Hintergrund ist unsere Prognose eines im Vergleich zur Eurozone stärkeren US-Wirtschaftswachstums und höherer US-Renditen. Auf Sicht von einem Jahr erwarten wir einen leichten Anstieg des Euro auf 1,12, wenn eine Zinslockerung durch die US-Notenbank näher rückt und EURUSD unterbewertet ist.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

    Entdecken Sie mehr.

    Sprechen wir.
    teilen.
    Newsletter.