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Volle Verausgabung der neuen britischen Regierung
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Die Regierung von Liz Truss hat versprochen, die Energiepreise zu deckeln – eine Massnahme, die durch zusätzliche staatliche Kreditaufnahme finanziert wird – und zugleich die Steuern zu senken
- Mit einer höheren Verschuldung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Bank of England in einem Umfeld hoher Inflation die Zinsen aggressiver anhebt
- Die Anleger stellten die Haushaltsdisziplin der Regierung infrage. Das Pfund Sterling gab gegenüber dem USD und dem EUR nach, und die Renditen der britischen Staatsanleihen stiegen
- Wir nahmen auf britischen Aktien Gewinne mit und stockten mit dem Erlös das Engagement in Schweizer Aktien auf.
Die neue Regierung des Vereinigten Königreichs hat nach zehn Tagen königlicher Trauer eine Energiepreisobergrenze und Steuersenkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft angekündigt. Das durch staatliche Kreditaufnahme finanzierte Ausgabenprogramm verringert die kurzfristige Unsicherheit über die Inflation, indem es Verbraucher und Unternehmen vor den schlimmsten Auswirkungen des Energieschocks schützt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer vorstellbar, dass die Ausgaben die Wirtschaft auf einen dauerhaften Wachstumspfad führen.
Angesichts der sich verschärfenden Energiekrise will die seit dem 6. September amtierende Regierung von Premierministerin Liz Truss das stagnierende britische Wachstum und die schwache Produktivität ankurbeln. Konkret plant die Regierung, die Energierechnungen ab dem 1. Oktober für zwei Jahre auf durchschnittlich GBP 2’500 pro Haushalt und Jahr einzufrieren und die Preise für Unternehmen für sechs Monate zu deckeln. Die Regierung wird das Programm durch Kreditaufnahme finanzieren und die Energieversorger für die Differenz zu den Marktpreisen entschädigen. Die Obergrenze ist zwar mehr als doppelt so hoch wie die durchschnittliche Energierechnung der Haushalte seit 2018. Sie liegt aber unter dem von der nationalen Energieregulierungsbehörde erwarteten Schwellenwert von GBP 3’549, der 2023 noch weiter gestiegen wäre.
Der Regierung zufolge werden sich die Steuersenkungen und Energieausgaben durch eine Steigerung des Wachstums bezahlt machen. Ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1% wäre nach Angaben des Finanzministeriums GBP 47 Mrd. wert. Wir schätzen, dass die Ausgaben das Wirtschaftswachstum um etwa 4 bis 5 Prozentpunkte steigern werden. Das könnte ausreichen, um die britische Wirtschaft vor einer Rezession im Jahr 2023 zu bewahren. Zugleich plant die Regierung Truss die Abschaffung des höchsten Einkommenssteuersatzes, eine Senkung der Unternehmenssteuern, die Aufhebung der Obergrenze für Banker-Boni, den Verzicht auf eine „grüne Abgabe“ für Haushalte und die Rücknahme einer im April erfolgten Erhöhung der Sozialversicherungsabgabe (National Insurance).
Heizen oder Essen
Die Energiekrise ist nur ein bedeutendes Element einer allgemeinen Lebenshaltungskostenkrise. Aus politischer Sicht musste die Regierung handeln. Es galt zu verhindern, dass viele Menschen in Grossbritannien bei kühlerem Wetter vor die Wahl „Heizen oder Essen“ gestellt werden. Die Lebensmittelpreise sind ebenfalls gestiegen, da die Wirtschaft mit einem Mangel an Arbeitskräften sowie höheren Löhnen und Materialkosten zu kämpfen hat. Gleichzeitig sind die Einfuhren teurer geworden, da das schwächere Pfund den Preisrückgang bei importierten Waren in den letzten Monaten neutralisiert hat.
Wir wissen noch nicht, wie viel diese Politik kosten wird, unter anderem weil sie von der Entwicklung des Gaspreises abhängt. Ausserdem hat die Regierung im Gegensatz zu früheren Haushaltsplänen das Office for Budget Responsibility nicht mit Kostenberechnungen beauftragt. Der britische Gaspreis kletterte im August auf einen Rekordwert von über 600 Pence pro Therm – mehr als das Sechsfache der historischen Durchschnittswerte. Derzeit notiert der Gaspreis bei 294 Pence pro Therm.
Das Institute for Fiscal Studies (IFS), eine unabhängige Forschungsanstalt, schätzt auf Basis des Energieverbrauchs von 2019, dass der Plan über zwölf Monate mehr als GBP 60 Mrd. kostet. Einschliesslich des sechsmonatigen Programms für Unternehmen belaufen sich die Kosten laut IFS auf rund GBP 100 Mrd. Andere Schätzungen gehen von GBP 150 Mrd. aus, zuzüglich GBP 50 Mrd. für die Steuersenkungen.
Das IFS weist darauf hin, dass hohe Gaspreise in den nächsten zwei Jahren nicht nur zu Mehrkosten für die Regierung führen. Vielmehr bedeuten sie auch, dass vermutlich die Unterstützung länger aufrechterhalten werden muss. Die Regierung hat sich nicht dazu geäussert, was sie nach dem Auslaufen des zwei- bzw. sechsmonatigen Programms zu tun gedenkt.
Preissignale und Geldpolitik
Die Politik muss auch ein Gleichgewicht finden zwischen der Abfederung des Energiepreisschocks und zusätzlicher Inflation durch mehr Geld in den Taschen der Verbraucher. Da die Verbraucher von den Energiemarktpreisen abgeschirmt werden, behindert das Paket die Wirkung der Preise auf den Markt und damit einen geringeren Verbrauch. Dies steht im Widerspruch zu der langfristigen Notwendigkeit, den Gasverbrauch zu senken, und könnte letztlich eine Art Rationierung erforderlich machen.
Die geplante Kreditaufnahme des Staats erhöht folglich die Herausforderung für die Bank of England (BoE), die Wirtschaft durch Zinsanhebungen abzukühlen. Die BoE reagierte vergangene Woche, indem sie den britischen Leitzins um 50 Basispunkte (Bp.) auf 2,25% anhob – die siebte Straffung in Folge seit Dezember 2021. Die Notenbank kündigte ausserdem an, dass sie am 3. Oktober mit dem Verkauf von Anleihen beginnen werde. Sie will ihren Bestand an britischen Staatsanleihen (Gilts) in den kommenden zwölf Monaten um GBP 80 Mrd. auf GBP 758 Mrd. verkleinern. Die Rendite zehnjähriger Gilts ist 2022 gestiegen – dies vor dem Hintergrund anziehender Zinsen, die mit 3,83% den höchsten Stand seit 2008 erreicht haben.
Will die Regierung Truss die Ausgaben durch Kreditaufnahme statt durch höhere Steuereinnahmen finanzieren, muss die BoE die Zinsen in einem Umfeld historisch hoher Inflation weiter und schneller anheben. Und sollte das von der Regierung erwartete Wirtschaftswachstum ausbleiben, müssten die Ausgaben gekürzt werden. Sowohl aus menschlicher als auch aus politischer Sicht ist es für eine Regierung leicht, eine Senkung der Energiepreise gegenüber Verbrauchern und Unternehmen zu rechtfertigen. Eine Steuersenkung in einer überhitzten Wirtschaft mit einer Rekordbeschäftigung scheint jedoch fragwürdiger.
Kein anderer europäischer Staat hat bisher eine solche unbefristete Garantie für Gaspreise oder Steuersenkungen angeboten. Die EU wird an ihren Sitzungen im Oktober über die Energiepreise sowie Subventionen für einkommensschwache Haushalte diskutieren. Bislang scheinen die europäischen Regierungen eher schrittweise und gezielte Subventionen zu bevorzugen, die auf eine Senkung des Verbrauchs abzielen und durch Steuern auf ausserordentlichen Gewinnen von Energieunternehmen finanziert werden.
Glaubwürdigkeit der Fiskalpolitik
Es wurde viel über das Risiko gesprochen, das die staatlichen Ausgaben für die fiskalische Gesundheit des Vereinigten Königreichs darstellen. Wir halten die Logik hinter der Deckelung der Energiepreise für vertretbar, doch in Verbindung mit Steuersenkungen haben die Anlegerinnen und Anleger die Fiskalpolitik schlecht aufgenommen. Vor der Pandemie wären solche Staatsausgaben wahrscheinlich undenkbar gewesen. Es sei daran erinnert, dass die Begrenzung der Energiepreise 4% oder 5% des britischen BIP ausmacht. Dies ist deutlich weniger als die Gesamtkosten für die Pandemiemassnahmen des Landes, die sich auf 15% bis 20% des BIP beliefen.
Die letzte Woche bekannt gegebenen Steuersenkungen entsprechen jedoch weiteren 0,5% des BIP. Die Regierung könnte laut eigenen Angaben vor dem im November anstehenden Jahreshaushalt weitere Massnahmen ankündigen.
Zu erwähnen ist, dass die Regierung jetzt Kredite nicht zu den gleichen Kosten aufnehmen kann wie während der Pandemie. Damals notierten die Zinsen noch auf dem tiefsten Stand seit Jahrzehnten. Die Ausgaben erhöhen die Verschuldung des öffentlichen Sektors im Vereinigten Königreich. Das britische Debt Management Office hat letzte Woche berechnet, dass das Land zusätzliche GBP 72,4 Mrd. aufnehmen muss, bei einem Gesamtbetrag für 2022 von GBP 234,1 Mrd.
Die Anleger reagierten schnell auf dieses Budget. Der FTSE 100 Index, der sich 2022 in Lokalwährung besser entwickelt hat als die globalen Aktienmärkte, gab Ende letzter Woche im Einklang mit anderen europäischen Indizes um 2% nach. Noch bezeichnender ist, dass die Rendite zehnjähriger Gilts um 50 Bp. stieg und das Pfund Sterling auf USD 1.04 fiel, den tiefsten Stand gegenüber dem Dollar seit mindestens fünf Jahrzehnten. EURGBP kletterte über 0.90 und damit über die Spanne von 0.83 bis 0.87, in welcher sich der Wechselkurs 2022 mehrheitlich bewegte. Wir schätzten das Pfund aufgrund des hohen Leistungsbilanzdefizits vorsichtig ein. Die Märkte reagierten nervös auf die Pläne der Regierung zur Finanzierung des Defizits. Die Währung dürfte bei einer Spanne von 0.87 bis 0.95 für EURGBP volatil bleiben. Angesichts eines auf breiter Front stärkeren US-Dollar könnte das Pfund die Parität testen.
Das Vereinigte Königreich ist besonders auf festverzinsliche Finanzierung angewiesen. Demnach wären Massnahmen zur Verbesserung der fiskalischen Glaubwürdigkeit oder eine schnellere Straffung der Geldpolitik durch die BoE an der nächsten Sitzung am 3. November erforderlich, um die Märkte zu stabilisieren.
Im Dezember 2020 gingen wir eine Übergewichtung britischer Aktien in unseren Portfolios ein, um das Engagement in Substanzaktien auszubauen. Angesichts des makroökonomischen Gegenwinds, mit dem die britische Wirtschaft konfrontiert ist, nahmen wir vor zwei Wochen die Gewinne mit. Mit dem Erlös erhöhten wir unser Engagement in Schweizer Aktien.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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