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Lula gewinnt Präsidentschaftswahl in Brasilien und sieht sich einem gespaltenen Kongress gegenüber
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Der ehemalige Präsident Lula gewinnt die brasilianischen Wahlen knapp. In einem gespaltenen Kongress wird er auf die Unterstützung der Mitte angewiesen sein, was seinen Handlungsspielraum in der Fiskalpolitik einschränkt
- In der Zwischenzeit wird das Land den Haushalt für 2023 aushandeln. Es gilt die Ausgabenobergrenze zu berücksichtigen und die Sozialleistungen aufrechtzuerhalten
- Eine sich verlangsamende brasilianische Wirtschaft dürfte 2023 mit Disinflation und höherer Verschuldung konfrontiert sein. Wir erwarten, dass die Notenbank ab dem zweiten Quartal 2023 die Zinsen senkt
- Wir sind in lateinamerikanischen Hartwährungsanleihen neutral positioniert und bevorzugen Unternehmens- gegenüber Staatspapieren. USDBRL dürfte unseres Erachtens in den nächsten drei Monaten in einer Spanne von 5.10 bis 5.40 notieren.
Luiz Inácio Lula da Silva hat die Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewonnen. Er versprach staatliche Investitionen, Steuerreformen und die Bekämpfung des Hungers mit einem Programm, das von Allianzen in einem gespaltenen Kongress abhängt. Das oberste Wahlgericht Brasiliens bestätigte Lulas Sieg, der mit 50,9% knapper ausfiel als in den Umfragen erwartet.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Publikation hat der bisherige rechte Präsident Jair Bolsonaro die Niederlage noch nicht eingestanden. Während seines Wahlkampfs hatte er die Integrität des elektronischen Wahlsystems Brasiliens sowie des Gerichts infrage gestellt. Die politischen Institutionen des Landes und die internationale Gemeinschaft anerkennen das Wahlergebnis, doch kann das Risiko politischer Unruhen nicht ausgeschlossen werden. Die Marktteilnehmer verfolgen Bolsonaros Reaktion genau.
In den kommenden Wochen wird Lula die Minister für seine dritte Präsidentschaft ernennen. Anlegerinnen und Anleger werden diese Ernennungen sowie die Verhandlungen mit anderen Parteien zur Bildung einer Arbeitsmehrheit im Kongress vor der Amtseinführung am 1. Januar 2023 genau beobachten. Lula hat bereits angekündigt, dass er Geraldo Alckmin zum Vizepräsidenten berufen wird. Alckmin ist ein ehemaliger Gouverneur von São Paulo, der als wirtschafts- und marktfreundlich gilt. Aus den Wahlen der Abgeordnetenkammer und des Senats vom 2. Oktober ging ein noch stärker gespaltener, rechtsgerichteter Kongress mit mehr Sitzen für Bolsonaros Verbündete hervor. Dies wird es Lula erschweren, seine Agenda durchzusetzen. Lula wird auf die Unterstützung des einflussreichen Mitte-Blocks angewiesen sein, um ein Amtsenthebungsverfahren abzuwehren und Gesetze zu verabschieden. Eine Verfassungsänderung wird im neuen Kongress für Lula und seine Verbündeten noch schwerer durchzusetzen sein. Sie würde die Unterstützung einiger rechter Parteien erfordern, die Bolsonaro gewählt haben.
Noch bevor die neue Regierung eingesetzt wird, müssen die bestehende Regierung unter Bolsonaro und der Kongress zusammenarbeiten. Sie müssen die in der Verfassung festgelegte Ausgabenobergrenze des Landes erneut anpassen, damit weiterhin Sozialleistungen im Wert von BRL 600 (USD 113) pro Monat für jeden Haushalt bereitgestellt werden können. Die Verlängerung dieser als „Auxilio Brasil“ bezeichneten Zahlungen wird im Kongress breit unterstützt. Lulas Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores oder „PT“) könnte jedoch Übergangslösungen anstreben, etwa die Verschiebung des endgültigen Haushalts für 2023. Ohne die Massnahmen würden die Sozialleistungen auf BRL 400 zurückgehen, was Lula zu Beginn seiner neuen Amtszeit in eine schwierige politische Lage bringen würde.
Lula, der bis 2010 während zwei Amtszeiten als Präsident diente, hat die Ausgabenobergrenze kritisiert. Die Obergrenze wird von Anlegern weithin als wirtschaftlich beruhigend angesehen, da sie den fiskalpolitischen Handlungsspielraum der Regierung in einer Krise einschränkt. Lula hat sich nicht dazu geäussert, wie seine Politik finanziert werden soll. Er erwägt möglicherweise, als Alternative zur Obergrenze einen Haushaltsüberschuss anzustreben. Ob der Kongress eine solche Verfassungsänderung unterstützt, bleibt offen.
Disinflation und Unabhängigkeit der BCB
Trotz eines sehr hohen Leitzinses von 13,75% seit August, der real etwa 6% beträgt, dürfte Brasilien 2022 das zweite Jahr in Folge ein Wachstum von über 2% verzeichnen. Zu verdanken ist dies dem weltweiten Rohstoffboom und einem soliden, durch Sozialleistungen gestützten Verbrauch. 2023 wird die Situation eine andere sein. Da die negativen Auswirkungen der hohen Realzinsen auf die Wirtschaft durchschlagen und die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen nachlässt, dürfte die Wachstumsrate Brasiliens 2023 unter 1% fallen.
Die erwartete Konjunkturabschwächung wird zu einer erheblichen Disinflation im Land beitragen. Die Verbraucherpreisinflation hat sich von 12,1% im April auf 7,2% im September abgeschwächt, was vor allem auf die sinkende Inflation des Treibstoffpreises zurückzuführen ist. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend 2023 fortsetzt und die Inflation im Bereich des Ziels der Banco Central do Brasil (BCB) von 3%, plus/minus 1,5%, liegt. In diesem Fall wird Brasilien eines der wenigen Schwellenländer sein, die ihr Inflationsziel erreichen.
Wir sehen nur begrenzten Spielraum für einen geldpolitischen Fehltritt. Strengere gesetzliche Bestimmungen für die Unabhängigkeit der BCB bedeuten, dass Lula in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit keine neuen Direktoren ernennen kann. Entsprechend kann der derzeitige Notenbankpräsident Campos Neto bis 2024 das Inflationsziel der BCB frei verteidigen. Und auch dann werden der limitierte wirtschaftliche Handlungsspielraum und die schwache Position im Kongress Lula bei den Ernennungen Grenzen setzen. Wir bleiben daher vorsichtig, was das Tempo betrifft, mit dem die BCB nächstes Jahr den Leitzins namens Selic senken wird. Eine schrittweise Verringerung ab dem zweiten Quartal 2023 entspräche dem Marktkonsens, insbesondere wenn der Kongress der weiteren Auszahlung des Auxilio Brasil zustimmt.
Fokus auf fiskalpolitischen Risiken
Die Marktteilnehmer beobachten insbesondere die fiskalpolitischen Risiken. Nach der Verankerung einer strengen Ausgabenobergrenze in der Verfassung im Jahr 2016 hat der brasilianische Kongress seit der Covid-Pandemie kontinuierlich mehr Flexibilität eingeführt. Die Bruttostaatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist trotz der Anpassungen weiter gesunken. Dies ist den Rohstoffexporten des Landes zu verdanken, welche die Einnahmen der lokalen Regierungen ansteigen liessen.
Lula hat versprochen, sich des Wohnungsbaus anzunehmen, die öffentliche Infrastruktur zu verbessern und die Steuern zu reformieren. Er hat zudem angekündigt, den Hunger in einem Land zu bekämpfen, in dem nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als ein Viertel der Bevölkerung nicht genug zu essen hat. Da die Ausgaben nach der Wahl steigen dürften und die Rohstoffeinnahmen sinken, könnte der Haushaltsüberschuss allmählich schwinden. Entsprechend dürfte unseres Erachtens die öffentliche Verschuldung, die sich 2020 auf fast 99% des BIP belief, 2022 die Talsohle erreichen, bevor sie ab 2023 allmählich steigt. Der Internationale Währungsfonds (International Monetary Fund, IMF) teilt diese Prognose und rechnet für die kommenden Jahre mit einem erneuten Anstieg der Schuldenquote. Die Mitte-Parteien im Kongress dürften Lulas Fiskalpolitik Grenzen setzen, sodass er keine umfassenden Änderungen an der Ausgabenobergrenze oder dem Steuersystem vornehmen kann.
Auf der Suche nach politischer Klarheit
Aufgrund der kurzfristigen politischen Unsicherheit und der mittelfristigen Erosion der Haushaltsdisziplin nehmen wir gegenüber brasilianischen Anlagen eine neutrale Haltung ein. Wir gingen Ende Februar ein Engagement in brasilianischen Schuldtiteln in Lokalwährung ein. Gründe dafür waren der fortgeschrittene geldpolitische Zyklus des Landes, höhere Rohstoffpreise, geringere geopolitische Risiken und eine unterbewertete Währung. Im Vorfeld der Wahlen nahmen wir jedoch Gewinne aus unserem Engagement mit, indem wir brasilianische Staatsanleihen verkauften.
Wir halten eine neutrale Position in Schwellenländeranleihen in Hartwährung im Allgemeinen und auch in Lateinamerika, wo wir Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen bevorzugen. Brasilien ist nach wie vor politisch gespalten, und es besteht weniger Spielraum für radikale Anpassungen der Staatsausgaben. Vor diesem Hintergrund warten wir ab, ob sich die Aussichten für brasilianische Staatsanleihen verbessern. Dies hängt weitgehend von der Entwicklung der Rohstoffpreise ab.
Der brasilianische Real profitiert weiterhin von den anhaltend gesunden Aussenbilanzen, den immer noch attraktiven Bewertungen und der soliden wirtschaftlichen Dynamik. Die chinesische Nachfrage nach brasilianischen Rohstoffen bleibt jedoch entscheidend. Wir gehen weiterhin davon aus, dass sich der Dollar-Real-Wechselkurs in den nächsten drei Monaten in einer Spanne von 5.10 bis 5.40 bewegt.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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