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Der Boden ist ein Superheld – und die Grundlage für unsere Ernährung
Eine einzige Handvoll Boden enthält mehr Organismen, als es Menschen auf der Erde gibt. Unter unseren Füssen leben Milliarden von Bakterien, unzählige Pilzarten und eine Vielzahl weiterer Mikroorganismen in einem komplexen und empfindlichen Gefüge. Vergrössert man den Kartenausschnitt, werden die Dimensionen dieses Gefüges deutlich: Wachstumsfördernde Bakterien besiedeln die Wurzeln, und kilometerlange Pilznetzwerke dienen als Datenautobahnen; hierüber kommunizieren die Pflanzen, und sie transportieren Ressourcen. Überirdisch profitieren die Bäume und Pflanzen von der Reichhaltigkeit des Bodens, während unterirdisch die grössten Organismen der Erde das Ökosystem Boden aufbauen – und gegengleich vom ihm aufgebaut werden.
Gesunde Böden speichern Kohlenstoff, filtern Wasser, verhindern Überschwemmungen und schützen vor Dürren. Zudem versorgen sie die Pflanzen, die uns ernähren. Und sie enthalten sogar Antibiotika, die gegen einige der problematischsten Infektionen wirken1. Dennoch weiss man so wenig über diese verborgene Welt, dass die meisten ihrer Bewohner noch nicht einmal benannt sind. Angesichts dieser zentralen Rolle, die Böden in der Existenz der Menschheit spielen, ist das ein erstaunlich blinder Fleck.
Seit Jahrtausenden profitieren wir von dieser uns wohlgesinnten Unterwelt. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben wir sie zunehmend als selbstverständlich betrachtet. In Europa haben sich die Erträge mehrerer Grundnahrungsmittel seit 1960 verdreifacht2 – jedoch auf Kosten des Bodens. Landwirtschaftliche Monokulturen, ständiges Pflügen und Wenden und der wahllose Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden haben die Böden eines Grossteils ihrer wertvollen Bestandteile beraubt. Einigen Schätzungen zufolge ist bereits mehr als die Hälfte der Ackerböden weltweit degradiert. Denn ohne die unzähligen Lebewesen, die seine Struktur erhalten, zerfällt der Boden rasch. Degradierte Böden können kein Wasser mehr aufnehmen und sich auch nicht mehr selbst erhalten. Damit sind sie in Gefahr, von Wasser und Wind abgetragen zu werden. Zudem benötigen sie immer mehr chemische Hilfsmittel, um das Pflanzenwachstum zu fördern. Um ein nachhaltiges Ernährungssystem zu schaffen, müssen wir die Gesundheit unserer Böden wiederherstellen.
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In Symbiose mit dem Boden
Anfang der 1980er Jahre startete der Schweizer Landwirt Ernst Götsch einen Versuch, der sich als bahnbrechendes Experiment erweisen sollte. Auf einem degradierten Stück Land im brasilianischen Amazonasgebiet machte sich Götsch an die Wiederherstellung eines produktiven Ökosystems. Er nutzte dabei ein Landwirtschaftssystem, das inzwischen als "syntropische Landwirtschaft" bekannt ist. Götsch verzichtete auf jegliche externen Hilfsmittel, sondern nutzte natürliche Prozesse, um Kohlenstoff zu binden und Nährstoffe freizusetzen. Mit grossem Erfolg: Weite, einst unfruchtbare Gebiete wurden in eine produktive und sich selbst erhaltende Waldfarm umgewandelt.
Die Agroforstwirtschaft ist ein zentrales Element seines Erfolgs. Durch das Pflanzen von "Düngerbäumen" auf seinem Ackerland und in der direkten Umgebung hat Götsch die Stabilität, die Fruchtbarkeit und die Wasserrückhaltefähigkeit des Bodens verbessert. Auch an anderen Orten hat sich die Agroforstwirtschaft bewährt: Mehrere afrikanische Ländern konnten die Maiserträge durch das Pflanzen von Bäumen als natürliche Düngemittel um bis zu 100%3 steigern. Derweil beobachtete man in Kolumbien, dass Vieh, das in Agroforstsystemen weiden kann, mehr und qualitativ höherwertige Milch4 produziert als Vieh in konventionellen Milchviehbetrieben.
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In Grossbritannien hat Ian Tolhurst mit seinem eigenen bio-veganen Hof ähnliche Erfolge erreicht. Auf Land, das einst so schlecht war, dass es als unfruchtbar galt, erzielt er ähnliche Ernteerträge wie die der industriellen Agrarbetriebe; und das, obwohl er ohne tierische Erzeugnisse und chemische Hilfsmittel auskommt. Wo Götsch die Feldfrüchte zwischen seinen Bäumen anbaut, lässt Tolhurst zwischen seinen Kulturen "Unkraut" wachsen, sodass die Böden selten brachliegen. Das steigert die Wasserrückhaltefähigkeit, bringt Nährstoffe nach oben und erhöht die Artenvielfalt des Bodens. Zudem lässt er überall auf seinem Hof Wildblumen und andere Pflanzen stehen. Damit bietet er räuberischen Insekten ein Zuhause – die wiederum Blattläuse und andere Pflanzenschädlinge in Schach halten. Tolhursts Ackerland ist während des jahrzehntelangen Anbaus immer fruchtbarer geworden, obwohl niemals Düngemittel, Pestizide oder Unkrautvernichtungsmittel zum Einsatz kommen.
In Zentralmexiko stellt Alvaro Nieto unter Beweis, dass konventionelle Betriebe Schritt für Schritt auf ein regeneratives Modell umstellen können. Durch die Begünstigung natürlicher Lebensräume auf seinem Hof in der direkten Umgebung und durch die Förderung der Vegetation abseits der Kulturpflanzen beendete Nieto den Einsatz von Pestiziden mit der Zeit. So reduzierte er den Bedarf an Düngemitteln drastisch. Dank seiner Bemühungen hat sich der Anteil an organischem Material in seinen Böden – ein Mass für die Gesundheit und Fruchtbarkeit des Bodens – vervierfacht.
Für die regenerative Landwirtschaft gibt es keine Universalmethode, wohl aber eine gemeinsame Philosophie, die darin besteht, mit der Natur zu arbeiten anstatt gegen sie. Nieto ist von diesem Ansatz überzeugt und glaubt, dass sein Erfolg auch woanders Schule machen kann: "Wir können nachhaltig werden. Wir können Hand in Hand mit der Natur arbeiten. Wenn man der Natur erst einmal hilft, das Gleichgewicht wieder herzustellen, wird alles wieder ins Gleichgewicht gebracht, auch wirtschaftlich gesehen. Mach es aus Liebe, mach es wegen des Geldes, aber mach es."
Aus weniger mehr machen
Im Einklang mit der Natur zu arbeiten bedeutet nicht, auf Technologie zu verzichten. Die Präzisionslandwirtschaft dient als Ergänzung eines landwirtschaftlichen Ansatzes, bei dem die Natur an erster Stelle steht. Mithilfe ihrer modernen und innovativen Methoden können die Landwirte ihre Erträge steigern und gleichzeitig den Wasserverbrauch, den Einsatz von chemischen Hilfsmitteln und sogar den Kraftstoffverbrauch der Landwirtschaftsmaschinen reduzieren.
Diese "nachhaltige Intensivierung" wird durch eine Reihe moderner Lösungen ermöglicht: von Hardware wie Drohnen, Sensoren und autonome oder halbautonome Traktoren bis hin zu Software, die das Wachstum der Pflanzen überwacht und vorhersagt. Das kalifornische Unternehmen Trimble Inc beispielsweise bietet eine satellitenbasierte Technologie zur Fernsteuerung von Landwirtschaftsmaschinen sowie Systeme für die Durchfluss- und Ausbringungssteuerung an. Der Konzept-Traktor der Kubota Corporation dagegen bietet einen Blick in die Zukunft: anhand des Wetters, der Bodenbeschaffenheit und des Wachstumsmusters der Pflanzen soll er den Materialeinsatz optimieren und die Fahrleistung des Traktors minimieren, ohne dass ein menschlicher Bediener erforderlich ist.
Viele Produkte der Präzisionslandwirtschaft sind für die industrielle Landwirtschaft gedacht, doch mit sinkenden Technologie- und EDV-Kosten werden auch immer mehr Lösungen für kleinere Betriebe verfügbar sein. Das Weltwirtschaftsforum geht davon aus, dass die Präzisionslandwirtschaft mit zunehmender Verbreitung dieser Lösungen für zusätzliche Ernteerträge von 200 Millionen Tonnen sorgen und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen des Sektors um bis zu 40% senken wird5.
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Die Präzisionslandwirtschaft verspricht zwar, die chemische Belastung des Bodens zu reduzieren. Doch die Agrarindustrie ist gleichzeitig auch auf der Suche nach chemischen Hilfsmitteln, die von vornherein sauberer sind, um sowohl die Schädigung des Bodens als auch die Emissionen der Branche zu verringern. Der norwegische Yara-Konzern ist einer der grössten Düngemittelhersteller der Welt und versorgt jährlich viele Millionen Landwirte. Aktuell vollzieht die Gesellschaft den Übergang zu einer nachhaltigen Produktion und fährt die Herstellung von biologischen Düngemitteln hoch, die besser für die Bodengesundheit sind. Und sie baut eine Anlage für erneuerbaren Wasserstoff, die ab 2023 grünes Ammoniak für die Herstellung kohlenstoffneutraler Düngemittel liefern wird. Industrieverbände schätzen, dass sich der Marktwert im Bereich Biodünger bis 2030 auf USD 16 Mrd. verdoppeln wird. Gleichzeitig rechnet man bis 2040 mit einer Verfünffachung der Nachfrage nach grünem Ammoniak auf fast 70 Millionen Tonnen.
Alt und Neu verbinden
Für den Aufbau eines nachhaltigen globalen Ernährungssystems ist es erforderlich, aus weniger mehr zu machen: Wir müssen genug Lebensmittel produzieren, um eine Bevölkerung zu ernähren, die bis 2050 auf schätzungsweise 10 Milliarden Menschen anwachsen wird. Währenddessen müssen wir gleichzeitig die bereits angerichteten Schäden rückgängig machen. Genau dazu haben sich 115 Länder verpflichtet – und versprochen, bis 2030 20% der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Natur zurückzugeben6.
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Fortschritte in der Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und -verteilung werden dies möglich machen. Doch hierzu wird Kapital benötigt. Für Anlegerinnen und Anleger stellt dies eine disruptive Chance dar, deren Wert wir bis 2030 auf jährlich USD 1,5 Bio. schätzen. Die Umstellung ist in vollem Gange. Einige innovative Produkte wie pflanzliche Fleisch- oder Milchalternativen verändern bereits jetzt die Lebensmittelindustrie. Hier können die Anlegerinnen und Anleger vom raschen Anstieg der Nachfrage profitieren und den Ausbau der Produktion und Vermarktung erleichtern. Weitere Transformationen des Ernährungssystems sind weniger öffentlichkeitswirksam, bieten aber ähnliche Chancen: beispielsweise Softwaredienstleistungen für die Präzisionslandwirtschaft und Lösungen für eine effizientere Lebensmittelverteilung. Nachhaltige Finanzierungen vom Erzeuger bis hin zum Konsumenten treiben die Veränderungen voran, die für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Reduzierung des Verbrauchs von Land, Wasser und chemischen Hilfsmitteln erforderlich sind.
Wenn wir neue Technologien mit uraltem Wissen verbinden, können wir wieder lernen, im Einklang mit unserem Erdboden zu leben – indem wir ihn als symbiotisches System behandeln, mit dem wir zusammenarbeiten, und nicht als Ressource, aus der wir Wert herauspressen können. Doch die Zeit ist knapp. Eine 3'500 Jahre alte Sanskrit-Weisheit besagt: "Von dieser Handvoll Erde hängt unser Überleben ab." Wir täten gut daran, diese Worte zu beherzigen.
1 Powerful Antibiotics Found in Dirt – NIH Director's Blog
2 Crop Yields - Our World in Data
3 ‘Fertilizer’ Trees Provide Boost to African Crop Yields, Study Says - Yale E360
4 Quantity and quality of milk with intensive silvopastorals | Livestock CONtext (contextoganadero.com)
5 Weltwirtschaftsforum (weforum.org)
6 (UNEP, 2021)
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