Die Building Bridges 2024 – das fünfte Jahrestreffen klimaschutzorientierter Politiker, NGOs und führender Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzwelt in Genf – begann mit einer dringenden Warnung. In seiner Rede anlässlich der Eröffnung des Gipfels erklärte Professor Johan Rockström, stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung: „Wir sind nicht nur Zeugen einer Klimakrise, wir gefährden jetzt auch die Stabilität der lebenserhaltenden Systeme unseres Planeten. Aufgrund extremer Wetterereignisse – Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen, Stürme und Brände – war das Jahr 2023 das teuerste Jahr in der modernen Menschheitsgeschichte. Die weltweiten Kosten beliefen sich auf über USD 200 Mrd.1“
Doch trotz der eindringlichen Warnung gab es auch gute Nachrichten. Er sagte, der Übergang zu einer nachhaltigen Welt biete die Möglichkeit, neue wirtschaftliche Werte zu schaffen. Damit stiess er ein zentrales Thema der viertägigen Konferenz an.
„Die Marschrichtung ist klar“, sagte er. „Bei diesem Übergang geht es nicht um Opfer. Es geht darum, eine sicherere, fortschrittlichere und wettbewerbsfähigere Gesellschaft zu schaffen. Wer in Zukunft auf dem Markt erfolgreich sein will, muss in Bereichen wie CO2-Neutralität, Biodiversität und Management der Wasserressourcen eine Vorreiterrolle einnehmen.“
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Neue Brücken bauen … und bestehende erhalten
Denis Pittet, geschäftsführender Teilhaber von Lombard Odier, der in seiner Funktion als Präsident des Genfer Finanzplatzes teilnahm, ging näher auf diesen Punkt ein. „Die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit bei Finanzentscheidungen kann drei Ziele erfüllen: finanzielle Leistung, Wertausrichtung und positiver Wandel“, sagte er. „Um die globale Erwärmung zu halbieren, sind Investitionen von rund USD 3,2 Bio. pro Jahr erforderlich.2 Finanzierungen dieser Grössenordnung sind ohne die Mobilisierung privaten Kapitals nicht möglich.“
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Um diese Mobilisierung zu beschleunigen, seien laut Nik Gowing, Gastgeber des Gipfels und Gründer von Thinking The Unthinkable, Veranstaltungen wie Building Bridges entscheidend. Sie würden die Ambitionen im Bereich der nachhaltigen Finanzierung bewahren und Verbindungen branchen- und sektorübergreifend erweitern. Zudem würden sie Brücken zwischen der Finanzwelt und jenen Bereichen bauen, in denen Investitionen am dringendsten nötig sind.
Allerdings genüge es nicht, neue Brücken zu bauen. Wichtig sei auch, bestehende Partnerschaften zu erhalten und ihre aktive Nutzung sicherzustellen, um den Übergang voranzutreiben. Patrick Odier, Vorsitzender von Building Bridges, stimmte zu: „Konzentrieren wir uns auch auf die Erhaltung der Brücken, die wir bereits gebaut haben, und stellen wir sicher, dass das Streben nach dem Besten unser Leitprinzip bleibt.“
Um die globale Erwärmung zu halbieren, sind Investitionen von rund USD 3,2 Bio. pro Jahr erforderlich. Finanzierungen dieser Grössenordnung sind ohne die Mobilisierung privaten Kapitals nicht möglich
Wirtschaftliche Argumente für die Kreislaufwirtschaft
Bei einer Podiumsdiskussion zur Förderung des Wachstums einer Kreislaufwirtschaft griff Felix Philipp, Head of Circular Economy Research bei Lombard Odier Investment Managers, Professor Rockströms Thema der Wertschöpfung auf.
„Der Übergang wird eine Herausforderung“, sagte er. „Er birgt aber auch eine enorme Chance für jene, die die Führung übernehmen. Unternehmen […] ermöglicht er, […] Wettbewerbsvorteile auszubauen und rasch wechselnde Wertschöpfungspools zu adressieren. Anlegerinnen und Anlegern eröffnet sich eine Fülle neuer Investitionsmöglichkeiten – von neuen Hochleistungsmaterialien bis hin zu fortschrittlichem Supply Chain Management.“
Julia Binder, Professorin für nachhaltige Innovation und Unternehmenstransformation an der IMD Business School, pflichtete diesem Standpunkt bei und sagte im Rahmen des gleichen Panels: „Wir haben die Kreislaufwirtschaft in den Bereich der Nachhaltigkeit eingeordnet – das ist falsch. Wir müssen wirtschaftliche Argumente identifizieren. Für die Unternehmen, die mit der Kreislaufwirtschaft erfolgreich sind, ist dies ein Mittel zur Steigerung der Rentabilität und des Wachstums. Wir sollten das nicht einfach so tun, sondern um unser Geschäft zukunftssicher zu machen und spannende neue Märkte zu erschliessen.“
Der Übergang wird eine Herausforderung. Er birgt aber auch eine enorme Chance für jene, die die Führung übernehmen
Landwirtschaft – von der CO2-Quelle zur Kohlenstoffsenke
Michael Urban, Chief Sustainability Strategist bei Lombard Odier, ging auf dieses Thema mit Blick auf die Natur und die Wiederherstellung natürlicher Landschaften näher ein. In einer Grundsatzrede forderte er das Publikum auf, darüber nachzudenken: „Was wäre, wenn es profitabler sein könnte, die Natur zu regenerieren, als sie zu zerstören?“
Der Sektor Forstwirtschaft, Landnutzung und Landwirtschaft (FLAG) sei für 90% der Entwaldung und ein Drittel aller vom Menschen verursachten Emissionen verantwortlich, erklärte er.3 Die Umstellung von industriellen Monokulturen auf eine regenerative Landwirtschaft könnte dieses Paradigma auf den Kopf stellen und den Sektor von einem Nettoemittenten zu einer Nettokohlenstoffsenke machen.
Er fügte jedoch hinzu, dass die Umweltvorteile allein nicht ausreichten, um langfristige Veränderungen herbeizuführen. „Es muss auf ein überzeugendes Investitionsangebot hinauslaufen. Wir sind der festen Überzeugung, dass es geschäftliche Argumente für diese neue Art der Produktion von Agrarerzeugnissen gibt. Wir können die Erfolgsrechnung eines vollständig integrierten Konsumgütermodells deutlich verbessern, den Cashflow im Upstream-Bereich erhöhen und bessere Renditen für Unternehmen und ihre Anlegerinnen und Anleger erzielen.“
Was wäre, wenn es profitabler sein könnte, die Natur zu regenerieren, als sie zu zerstören?
Die „Naturfinanzierungslücke“ schliessen
Diese Fokussierung auf die Natur entwickelte sich zu einem weiteren zentralen Thema der Konferenz. Bei einer Podiumsdiskussion zur Frage, wie sich Biodiversitätsfragen in Portfolios integrieren lassen, erfuhren die Teilnehmer, dass jedes Jahr USD 208 Mrd. in die Natur investiert werden.4 Dieser Betrag müsse sich jedoch bis 2030 verfünffachen, um die Finanzierungslücke im Naturschutz zu schliessen und die Ziele des Globalen Biodiversitätsrahmens zu erreichen.5
Laut Jessica Smith, Nature Lead der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, sei die gute Nachricht, dass sich die Unternehmens- und Finanzwelt zunehmend des Themas Natur bewusst wird. Während an der COP14 in Ägypten nur ein einziges Mitglied des Finanzökosystems teilnahm, waren es bei der jüngsten COP16 in Cali, Kolumbien, 5’000 Personen.6
Lauren Ferstandig, Geschäftsführerin von NatureVest, The Nature Conservancy, teilte diese Meinung und sagte: „Wir stellen insbesondere in den letzten drei Jahren ein wachsendes Interesse fest. Wir schwimmen auf der Erfolgswelle des ‚Green Impact Investing‘.“
Den Prozess durch Regulierung beschleunigen
Um aus dieser Welle eine Flut zu machen, komme laut vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz der Finanzregulierung und den Berichtspflichten der Unternehmen eine grosse Bedeutung zu. Ebba Lepage, Head of Corporate Sustainability bei Lombard Odier, erklärte, dass die heutigen Berichtsrahmen noch in den Kinderschuhen steckten. Dies ist mit Schwierigkeiten verbunden, doch denjenigen, die bereit sind, die Führung zu übernehmen, bietet es auch die Chance, die regulatorische Zukunft zu gestalten.
Sie sagte, die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) sei nun das wichtigste neue Rahmenwerk. Die CSRD verpflichtet börsennotierte und grosse Unternehmen, ein breites Spektrum nichtfinanzieller Angaben zu machen.
Der kollaborative Ansatz, für den der Building Bridges Summit steht, ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Sie erklärte, der Mangel an Klarheit in der CSRD führe dazu, dass Experten von Banken, die man normalerweise als Rivalen betrachten könnte, zusammenarbeiten. Sie würden gemeinsam versuchen, die neuen Vorschriften umzusetzen und auf weitere politische Unterstützung zu drängen. „Unserer Ansicht nach muss noch viel Arbeit durch Diskussionen erledigt werden“, sagte sie. „Wir gehören zur ersten Generation, die an Lösungen für alles arbeitet.“
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Der ganzheitliche Ansatz – Integration eines „gerechten Übergangs“
Bei der Konferenz ging es auch um die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes für den Übergang zur Nachhaltigkeit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfuhren, dass neben dem Klimawandel auch die Natur eine zentrale Säule des Wandels sei. Und dies müsse auch für die soziale Gerechtigkeit gelten.
Im Abschlusspanel der Konferenz sagte Karen Hitschke, CEO von Building Bridges: „Klima, Natur und die soziale Frage sind eins. Wir müssen diese Dinge miteinander verknüpfen. Aus rein pragmatischer Sicht müssen wir in den globalen Süden investieren. Denn dort liegen viele der für den Übergang notwendigen Bodenschätze sowie die grössten Kohlenstoffsenken und Quellen der Artenvielfalt. Investieren wir dort nicht, wird uns der Übergang nicht gelingen.“
Michael Urban wiederholte diesen Aufruf. Er erklärte, dass die Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft viele Zwischenhändler ausschalte. Dies ermögliche, den Wert auf die Landwirte und Produzenten selbst umzuverteilen, von denen viele im globalen Süden leben. Dies, sagte er, würde „den sozial integrativen Aspekt des naturbasierten Geschäftsmodells freisetzen.“
Die Transformation hat begonnen. Was auch immer jetzt passiert, es wird nicht aufzuhalten sein
Ein unaufhaltsamer Übergang
In den USA hat der ehemalige Präsident Donald Trump die Wahl erneut gewonnen, und die jüngsten Wahlen in der EU brachten Widerstand gegen Teile der Nachhaltigkeitspolitik zum Ausdruck. Die Konferenzdebatte stand daher auch im Zeichen der Sorge, ob das aktuelle volatile geopolitische Umfeld nachhaltige Investitionen untergraben könnte.
Zum Abschluss der Konferenz zog Felix Wertli, Umweltbotschafter der Schweiz und Leiter der Abteilung Internationales im Bundesamt für Umwelt, ein positives Fazit. Kurz vor der Konferenz war er von den stockenden Verhandlungen über ein globales Kunststoffabkommen in Südkorea zurückgekehrt, und die COP29 vom November war ihm noch frisch im Gedächtnis. Er stellte fest, dass man bei den jüngsten internationalen Nachhaltigkeitsverhandlungen weniger Fortschritte erzielt habe als von manchen Beobachtern erhofft. Allerdings sei es – und das ist entscheidend – zu keinem Rückzieher bei der wegweisenden COP28-Vereinbarung zum schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gekommen.
Er hat den Finger fest am Puls der globalen Politik und gab einen Ausblick auf das, was Anlegerinnen und Anleger von der COP30 im nächsten Jahr im brasilianischen Belém erwarten können. „Einige Länder haben aufgrund des wirtschaftlichen Umfelds Probleme, Investitionen anzuziehen“, sagte er. „Ich erwarte diesbezüglich grosse Erfolge bei der COP30. Wir werden eine Entscheidung darüber sehen, wie wir ein Umfeld für Investitionen schaffen. Die Transformation hat begonnen. Was auch immer jetzt passiert, es wird nicht aufzuhalten sein."
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