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    Bestäuber: oft vergessen, doch für die Natur unverzichtbar

    Für einige Kolibriarten stellt die in Mittelamerika beheimatete Helikonienart „Red Twister“ eine unwiderstehliche Verlockung dar. Mit ihrem ungewöhnlich geformten Schnabel gelangen die kleinen Vögel leicht an den Nektar in den langen, sanft gebogenen Blüten. Kosten können ihn jedoch nur zwei von mehr als 350 Kolibriarten: der Grüne Schattenkolibri und der Violettdegenflügel.

    Ohne diese Arten, die als Bestäuber fungieren, würde die Helikonie um ihr Überleben kämpfen – ebenso wie der gesamte mittelamerikanische Bergwald. Die Helikonie ist eine Pflanzenart, die in der Natur eine Schlüsselfunktion einnimmt, also eine Art «Grundpfeiler» darstellt. Sie bietet einer Vielzahl von Tierarten Nahrung und Schutz. Die Kolibris sichern das Überleben der Helikonie und diese wiederum das Überleben eines ganzen Ökosystems.1

    Andere Beziehungen zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern sind weniger exklusiv, aber ebenso wichtig. Mehr als 500 Pflanzenarten sind zur Bestäubung ihrer Blüten auf Fledermäuse angewiesen.2 Andere begnügen sich mit Wespen, Spinnen, Schmetterlingen, Mäusen oder sogar Eidechsen.3 Zusammen tragen diese Bestäuber mit ihrer kostenlosen Leistung zur Erhaltung und zum Aufbau von gesunden Ökosystemen bei. Für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft ist ihre Leistung daher unerlässlich.

    Doch auf der ganzen Welt sind Bestäuber durch den Klimawandel, den Verlust von Lebensräumen und den übermässigen Einsatz von Pestiziden bedroht – ihre Populationen gehen zurück.4 Im Mittelpunkt von Kampagnen, die auf diese Gefahr hinweisen, stehen häufig Bienen, die bei der Bestäubung von Nahrungspflanzen eine wesentliche Rolle spielen. Doch an der Bestäubung sind nicht nur Bienen beteiligt. Angesichts des Biodiversitätsverlusts5 sind auch viele andere Bestäuber gefährdet, die einen erheblichen Beitrag zu unserer Wirtschaft leisten.

    Doch auf der ganzen Welt sind Bestäuber durch den Klimawandel, den Verlust von Lebensräumen und den übermässigen Einsatz von Pestiziden bedroht – ihre Populationen gehen zurück

     

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    Antrieb der Natur

    Die Bestäubung ist der Antrieb, der dafür sorgt, dass unsere Ökosysteme gedeihen. Die meisten Blütenpflanzen und Obstbäume bringen erst dann Samen hervor, wenn sie mit Pollen einer anderen Pflanze der gleichen Art bestäubt wurden. Durch die Übertragung von Pollen – von Pflanze zu Pflanze – tragen Vögel, Säugetiere und Insekten zu deren Fortpflanzung bei.

    Kolibris zählen mit ihrer besonderen Schwebetechnik beim Flug und ihren hochentwickelten Schnäbeln zu den am besten angepassten Bestäubern der Welt. Ein einziger Kolibri kann auf der Suche nach Nektar täglich Tausende von Pflanzen anfliegen. Dabei nimmt er jedes Mal unbeabsichtigt auch Pollen mit. In ganz Amerika profitieren über 7’000 Pflanzenarten von den Bestäubungsleistungen der Kolibris6 – darunter Obstbäume, Korallenbäume sowie wilde Mangos, Bananen und Avocados.

    Ein einziger Bestäuber kann eine weitreichende Wirkung entfalten. Die winzige Feigenwespe zum Beispiel sorgt als Bestäubungsspezialistin möglicherweise für mehr Leben auf unserem Planeten als jeder andere Bestäuber. Sie hat sich so angepasst, dass sie nur Feigenbäume bestäubt. Und diese wiederum sind inzwischen ausschliesslich auf die Wespe angewiesen. Wie die Helikonie können wir die Feigenbäume als Grundpfeiler der Natur betrachten, denn sie nehmen eine Schlüsselfunktion ein. Sie werden deshalb häufig in Projekten zur Wiederaufforstung von Tropenwäldern eingesetzt und bieten mehr Vogel- und Säugetierarten Nahrung als jeder andere Baum; ganz gemäss den Worten des Ökologen Mike Shanahan: „Von den Flügeln dieser winzigen Feigenwespen hängt das Schicksal hunderter Vogel- und Säugetierarten und vielleicht sogar ganzer Regenwälder ab.“7

    Die winzige Feigenwespe zum Beispiel sorgt als Bestäubungsspezialistin möglicherweise für mehr Leben auf unserem Planeten als jeder andere Bestäuber

     

    Bedrohte Ernährungssysteme

    Bestäuber sind auch für das Schicksal unserer Ernährungssysteme ausschlaggebend. Drei Viertel der Pflanzen, die wir wegen ihrer Früchte oder Samen anbauen, sind auf Bestäubung angewiesen. Insekten bieten durch Bestäubung jedes Jahr Ökosystemleistungen im Wert von USD 577 Mrd.8 Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) leistet die Bestäubung damit „den grössten landwirtschaftlichen Beitrag zu den Erträgen weltweit – deutlich mehr als jede andere Bewirtschaftungsmethode in der Landwirtschaft“.9

    Dieser lebenswichtige Beitrag ist nun jedoch bedroht, denn die Zahl der bestäubenden Insekten geht rapide zurück.10 Ein Drittel der Populationen der Bienen-, Schmetterlings- und Schwebfliegenarten sind rückläufig – aufgrund einer Schätzung der EU-Initiative „Ein neuer Deal für Bestäuber“.11

    In Dänemark wurde dieser Rückgang mit einer sehr einfachen Methode gemessen: dem sogenannten „Splatometer“-Test. Dabei wurden die auf Windschutzscheiben zerquetschten Insekten über einen Zeitraum von 20 Jahren gezählt. Die Studie ergab, dass die Gesamtzahl der Insekten zwischen 1997 und 2017 um 80% gefallen war.12

    Drei Viertel der Pflanzen, die wir wegen ihrer Früchte oder Samen anbauen, sind auf Bestäubung angewiesen

    Eine naturverträgliche Lösung

    Viele Landwirte setzen inzwischen auf kommerziell bewirtschaftete Bienenstöcke, um den Rückgang der Bestäuber auszugleichen. Damit zahlen sie für eine Dienstleistung, die einst von der Natur kostenlos erbracht wurde. Die Honigbienen leisten in der Tat einen wertvollen Beitrag zur Steigerung der Ernteerträge. Doch Forschende warnen, dass die wachsende Zahl der Bienen den Druck auf wilde, heimische Bestäuber noch weiter erhöht.13 Andere Landwirte verfolgen einen ganzheitlicheren Ansatz. Mount Elgon Orchards in Kenia ist ein jahrhundertealter Landwirtschaftsbetrieb, der Rosen und Avocados anbaut und mehr als 1’500 Arbeitskräfte beschäftigt. Besitzer Bob Anderson ist entschlossen, den ökologischen Fussabdruck seiner Produktion zu verringern. Zu diesem Zweck hat er Hunderte von Hektar mit heimischen Bäumen renaturiert: Statt Avocados als Monokultur getrennt anzubauen, wachsen die Früchte nun inmitten der Wälder.

    Das Ergebnis dieses Vorgehens ist mehr als eindrucksvoll: Inzwischen hat die kostenlose Bestäubungsleistung der Natur wieder begonnen. „Die Vorteile für die Avocados waren sehr schnell erkennbar“, erinnert sich Anderson. „Die meisten Landwirtschaftsbetriebe in Kenia setzten Bienen zur Bestäubung ein. Wir wissen jetzt, dass wir kaum Bienen brauchen, weil Bestäuber wie Schwebfliegen die gleiche Arbeit leisten. Bei uns erfolgt sie zu 98% durch natürliche Bestäuber wie Schmetterlinge, Motten, Schwebfliegen, stachellose Bienen, Wespen und vielen weiteren.“14

    Kakaopflanzen werden hauptsächlich durch winzige Mücken bestäubt, die kaum grösser als ein Staubkorn sind

     

    Ähnliche Erfahrungen haben Kakaoplantagen in Ghana gemacht. Kakaopflanzen werden hauptsächlich durch winzige Mücken bestäubt, die kaum grösser als ein Staubkorn sind. Die Mücken gedeihen in den schattigen, feuchten Umgebungen von Tropenwäldern, in denen auch Kakaopflanzen wachsen. Mit dem Wachstum der Kakaoindustrie in Westafrika wurden die Böden jedoch durch Entwaldung geschädigt. Auf den Kakaoplantagen fehlte damit der natürliche Schatten, in dem sich die Bestäuber wohlfühlen.15

    Seit 2019 pflanzten 140’000 Kakaobauern mit Unterstützung der Regierung Ghanas wieder schattenspendende Bäume auf ihren Plantagen. Dank dieser Initiative wurden spektakuläre Ergebnisse erzielt: Durch die Wiederherstellung eines natürlichen Ökosystems, das die Böden gut nährt, Wasser speichert und Bestäubern einen gesunden Lebensraum bietet, stiegen die Ernteerträge um 50%.16

    Die grösste Neubewertung des nächsten Jahrhunderts

    Für Anleger ist der Erfolg in Ghana ein eindeutiges Beispiel für die „Naturprämie“. Nicht nur die Ernteerträge sind höher. Der nach dem Prinzip der Agroforstwirtschaft angebaute Kakao wird zudem mit einem Aufschlag an Kunden verkauft, die sich verpflichtet haben, in ihrer Lieferkette keine Entwaldung zuzulassen. Infolge der Wiederaufforstung erhalten dieselben Landwirtschaftsbetriebe nun auch Zahlungen von der Forest Carbon Partnership Facility (FCPF) der Weltbank. Dabei handelt es sich um CO2-Gutschriften für die Umwandlung geschädigter Landschaften in Netto-Kohlenstoffsenken.

    Die Nachfrage nach naturverträglichen, „regenerativen“ Rohstoffen – produziert im Einklang mit der Natur statt auf ihre Kosten – dürfte zur grössten Neubewertung des nächsten Jahrhunderts führen

    Auch Regierungen erkennen zunehmend, dass sich Investitionen in die Natur auszahlen. Die Biodiversitätsstrategie für 2030, ein Bestandteil des „Green Deal“ der EU, will den Einsatz von Pestiziden um 50% senken. Zudem sieht die Strategie vor, bei der Vergabe nationaler Agrarsubventionen naturverträgliche landwirtschaftliche Verfahren stärker zu berücksichtigen und EUR 20 Mrd. für die Finanzierung von Investitionen in die Natur freizugeben.17 In den USA wird im Rahmen des „Inflation Reduction Act“ ein ähnlicher Betrag für die regenerative Landwirtschaft bereitgestellt. Ziel dieser Massnahmen ist, die Bodengesundheit zu verbessern und die Zahl der Bestäuber wieder zu erhöhen.18

    Weltweit verlagern Regierungen den Schwerpunkt ihrer Finanzierung auf naturbasierte Projekte. Unternehmen aus allen Branchen verpflichten sich, für naturverträgliche Lieferketten zu sorgen. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten, in die Natur zu investieren.

    Wir bei Lombard Odier halten die Natur für den aktuell am stärksten unterbewerteten Vermögenswert der Welt. Die Nachfrage nach naturverträglichen, „regenerativen“ Rohstoffen – produziert im Einklang mit der Natur statt auf ihre Kosten – dürfte zur grössten Neubewertung des nächsten Jahrhunderts führen. Damit werden wir den Rückgang der Bestäuber umkehren und sorgen dafür, dass der Antrieb der Natur wieder auf Hochtouren läuft.


     

    Pollinator recognition by a keystone tropical plant | PNAS
    The evolution of bat pollination: a phylogenetic perspective - PMC (nih.gov)
    Lizards, mice, bats and other vertebrates are important pollinators too – The Ecological Society of America
    Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers - ScienceDirect; Pollinators: first global risk index for species declines and effects on humanity (cam.ac.uk)
    Biodiversity loss poses a fundamental risk to the global economy | Weltwirtschaftsforum (weforum.org)
    6 https://www.audubon.org/content/how-create-hummingbird-friendly-yard
    7 Gods, Wasps and Stranglers: The Secret History and Redemptive Future of Fig Trees, Mike Shanahan
    Overview of Bee Pollination and Its Economic Value for Crop Production – PMC (nih.gov)
    Why bees matter (fao.org)
    10 Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany | Scientific Reports
    11 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM:2023:35:FIN&qid=1674555285177
    12 Parallel declines in abundance of insects and insectivorous birds in Denmark over 22 years - Møller - 2019 - Ecology and Evolution – Wiley Online Library
    13 Think of honeybees as ‘livestock’ not wildlife, argue experts | University of Cambridge
    14 Sustainable avocados from Africa Kenya – Resilience Food Stories
    15 Challenges in Cocoa Pollination: The Case of Côte d’Ivoire | IntechOpen; Flies are saving your chocolate cravings | Natural History Museum (nhm.ac.uk)
    16 Climate Stories | Ghana Carbon Credits (worldbank.org)
    17 Green Deal: Halving pesticide use by 2030 | EIP-AGRI (europa.eu); Biodiversity financing - Environment - European Commission (europa.eu)
    18 How to Maximize IRA’s Investments in Farmers and Agriculture (nrdc.org)

    Wichtige Hinweise.

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