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    Schädlingsbekämpfung: So nutzt die regenerative Landwirtschaft die Kraft des Marienkäfers

    1478 hatten die Berner Bauern es satt. Eine Käferplage verursachte schwere Schäden in ihren Feldern. Nachdem alle Versuche, die Käfer zu beseitigen, fehlgeschlagen waren, richteten sie schliesslich eine Beschwerde an den Bischof von Lausanne. Dieser stellte die Käfer vor Gericht und befand sie für schuldig. Daraufhin wurden sie exkommuniziert.

    Das Gerichtsverfahren war damals nichts Ungewöhnliches. Im Mittelalter wurden Insekten und andere Schädlinge regelmässig von kirchlichen Gerichten verurteilt. Eine Käferplage, die ganze Ernten vernichtete, konnte eine Frage von Leben und Tod sein. So war es kein Wunder, dass die verzweifelten Bauern bei höheren Mächten Hilfe suchten.

    Vielleicht hätten die Berner Bauern aber auch in ihrer unmittelbaren Umgebung Hilfe gefunden. Aktuelle Studien zu Techniken der regenerativen Landwirtschaft haben gezeigt, dass eine der besten Abwehrmassnahmen gegen Insekten andere Insekten sind. So kann ein einzelner Marienkäfer während seiner Lebenszeit 5’000 Blattläuse vertilgen. Marienkäfer sind nicht wählerisch und fressen viele der grössten Schädlinge der Landwirtschaft.

    Marienkäfer sind damit ein natürliches Pestizid. Doch wie die meisten Insektenarten sind auch die heimischen Marienkäfer bedroht.1 Häufig fallen sie unbeabsichtigt unserem eskalierenden Kampf gegen Schädlinge zum Opfer.

    Marienkäfer sind damit ein natürliches Pestizid. Doch wie die meisten Insektenarten sind auch die heimischen Marienkäfer bedroht

     

    Das Zeitalter der Agrochemikalien

    In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele für erfolgreiche Ansätze zur Schädlingsbekämpfung. Schon 2500 v.Chr. setzten die Sumerer Schwefel ein, um Insekten abzutöten. Im 19. Jahrhundert verfolgten die Viktorianer in Grossbritannien einen pragmatischen Ansatz zum Schutz ihrer Apfelbäume gegen Blattläuse und Vögel: Sie bestrichen die Bäume mit Arsen. Ihr Rat lautete: „Waschen Sie die Äpfel hinterher gut ab.“

    In jüngerer Zeit begann die Suche nach weniger toxischen Alternativen. Seit den 1950er-Jahren stützen sich moderne Landwirtschaftsverfahren der Monokultur auf sorgfältig formulierte Agrochemikalien: Dünger, Insektizide, Bakterizide, Fungizide und Herbizide. Indirekt bestimmen diese Chemikalien sogar, was wir essen: So stammen die meisten Sojabohnen und Maiskolben heute von gentechnisch veränderten Pflanzen, die gegen Unkrautvernichtungsmittel resistent sind.2

    Diese Innovationen haben zu einer ausserordentlichen Steigerung der Pflanzenproduktion geführt. Zwischen 1960 und dem Beginn des neuen Jahrtausends haben sich die Getreideerträge mehr als verdoppelt, was häufig als „grüne Revolution“ bezeichnet wird. Die Anbauflächen sind dabei im gleichen Zeitraum mehr oder weniger unverändert geblieben.3 Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird heute jedes Jahr mehr als ein drittel Kilogramm Pestizide für jeden Menschen auf der Erde versprüht.4

     

    Ist die Schädlingsbekämpfung ausser Kontrolle geraten?

    Die Schädlinge – so hat sich herausgestellt – nehmen diese chemische Kriegsführung nicht einfach so hin. Mit der Zeit entwickeln sie eine Toleranz gegenüber bestimmten Produkten. Im Gegenzug greifen die Landwirte zu immer giftigeren Pestizidformulierungen, die weitreichende negative Auswirkungen auf die Umwelt haben können. So sind beispielsweise Neonicotinoide für Bienen bis zu 10’000-mal tödlicher als frühere Insektizide.5 In der EU und in Grossbritannien ist diese Gruppe von Insektiziden weitgehend verboten, aber anderswo wird sie noch angewandt. Im Grunde genommen spielen wir auf unserem Planeten „Hau-den-Maulwurf“, nur dass die Maulwürfe und die Hämmer immer grösser werden.

    Für die Umwelt kann dieser eskalierende Kampf gegen Schädlinge fatale Folgen haben. Untersuchungen in Deutschland haben ergeben, dass die Gesamtzahl der fliegenden Insekten wie Marienkäfer und Wespen zwischen 1990 und 2017 um 80% zurückgegangen ist.6 Der Rückgang ist wohl weitgehend darauf zurückzuführen, dass sie unbeabsichtigt Pestiziden ausgesetzt wurden.7 Für Vögel hat der Rückgang der Insektenzahlen katastrophale Auswirkungen: In ganz Europa ist die Vogelpopulation in den letzten 40 Jahren um mehr als 500 Millionen geschrumpft.8

    Die Auswirkungen von Pestiziden sind auch unter der Erdoberfläche zu spüren. Noch heute leiden Regenwürmer und andere wirbellose Tierarten unter ihrem jahrelangen Einsatz

     

    Pestizide reichern sich auch längerfristig in der Umwelt an. In der kanadischen Provinz New Brunswick wurde DDT, der mittlerweile verbotene Vorläufer moderner Insektizide, in hohen Konzentrationen gefunden. In einigen Seen wurde es noch 50 Jahre, nachdem es zuletzt in Wäldern eingesetzt wurde, nachgewiesen. Obwohl inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen war, verursachte das DDT nach Meinung der Forschenden noch immer schädliche Algenblüten und reduzierte die Fischbestände.9

    Die Auswirkungen von Pestiziden sind auch unter der Erdoberfläche zu spüren. Noch heute leiden Regenwürmer und andere wirbellose Tierarten unter ihrem jahrelangen Einsatz. Regenwürmer sind für die Gesundheit des Bodens unerlässlich, doch Fungizide und Insektizide können ihr Wachstum hemmen und ihre Fortpflanzung beeinträchtigen.10

    Lesen Sie auch: Der Boden ist ein Superheld – und die Grundlage für unsere Ernährung

     

    Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts

    In den frühen 2000er-Jahren stiess Alvaro Nietro, ein Gemüsebauer in Zentralmexiko, auf eine natürliche Lösung. Aufgrund von Vorschriften für die Lebensmittelproduktion war er gezwungen, Mausefallen in seinem Feld aufzustellen. Nietro entdeckte, dass die Mäuse nicht an seinen Pflanzen interessiert waren: Vielmehr wollten sie das Wasser, das er zur Bewässerung seiner Pflanzen umgeleitet hatte. Deshalb beschloss er, ausserhalb der Felder kleine Teiche anzulegen. „Wenn sie Wasser wollen, warum geben wir es ihnen dann nicht?“, argumentierte er. Die Mäuse kamen nicht mehr in die Felder, und die Fallen blieben leer.

    Es war eine einfache Lösung, aber Nietro zufolge „änderte sich dadurch alles“. Bald kamen Eulen und Adler, um die Mäuse zu fressen. Inspiriert durch die wiederauflebende Natur pflanzte Nietro 10’000 heimische Bäume in Gebieten, die nicht aktiv bewirtschaftet wurden. In diesen „wilden Biokorridoren“ fanden Fledermäuse, Eichhörnchen, Rehe und sogar ein Puma eine neue Heimat.

    Der Einsatz von Pestiziden war nun beinahe vollkommen überflüssig. Die Tierwelt in den Biokorridoren kontrollierte die Schädlinge auf natürliche Weise; dies sparte Geld und Arbeit. „Wenn man der Natur erst einmal hilft, das Gleichgewicht wiederherzustellen, kommt alles wieder ins Gleichgewicht, auch die Wirtschaft“, erklärt Nietro. „Ich sage allen Landwirten: Mach es aus Liebe oder mach es wegen des Geldes, aber mach es.“11

    Der wirtschaftliche Wert natürlicher Pestizide

    In Grossbritannien verfolgt Ian Tolhurst, der auf regenerative Landwirtschaft setzt, einen ähnlichen Ansatz. Tolhurst hat seine Pflanzen noch nie mit Pestiziden besprüht. Dennoch ist der Ertrag seines Landwirtschaftsbetriebs ebenso hoch wie bei konventionellen Anbautechniken. Auf Ackerland, das einst so geschädigt war, dass es als ungeeignet für die Landwirtschaft galt, sät Tolhurst Wildblumen und lässt Heckenränder stehen. Auf diese Weise will er Raubinsekten anlocken, die als natürliche Pestizide dienen. Wenn es reichlich Blattläuse gibt, so Tolhurst, „sitzt auf jedem Blatt ein Marienkäfer“.12

    Forschende in China haben den Wert dieser wichtigen Ökosystemleistung beziffert. Nach ihren Schätzungen ist jeder einzelne Marienkäfer für die Baumwollbauern im Land fast USD 0,01 wert. Gäbe es auf allen Baumwollfarmen doppelt so viele Marienkäfer, würde sich der Gewinn der Bauern um USD 300 Mio. erhöhen.13

    Der Einsatz natürlicher Pestizide war in der Landschaft früher eher eine Randerscheinung. Heute wird er zunehmend zur Normalität

    Verstärkter Einsatz nachhaltiger Methoden

    Der Einsatz natürlicher Pestizide war in der Landschaft früher eher eine Randerscheinung. Heute wird er zunehmend zur Normalität. Mehrere grosse Hersteller, so etwa der internationale Lebensmittelriese Nestlé, haben sich verpflichtet, die Natur bei der Nahrungsmittelproduktion an die erste Stelle zu setzen. Sie versprechen, ihre Inhaltsstoffe bei regenerativen Landwirtschaftsbetrieben zu beziehen, die natürliche Alternativen zu Agrochemikalien fördern. Die EU hat sich verpflichtet, den Einsatz chemischer Pestizide bis 2030 um 50% zu senken. Im Zuge dessen dürften Landwirtschaftsbetriebe EU-weit auf regenerativere Techniken umstellen.14 Im Rahmen des „Green Deal“ der EU müssen nationale Agrarsubventionen umgelenkt werden, um naturverträgliche landwirtschaftliche Verfahren zu fördern.

    Vieles davon kann einfach durch die Einschränkung des Verbrauchs von Pestiziden erreicht werden. Ein Bericht der Europäischen Kommission hielt fest, dass der Einsatz von Pestiziden um 40% reduziert werden könnte, ohne dass sich dies wesentlich auf die Produktivität auswirkt. Durch Techniken der regenerativen Landwirtschaft wie das Säen von Wildblumen und die Umstellung von Monokulturen auf Mischkulturen könnten die natürliche Schädlingsbekämpfung verbessert und die Ernten gesteigert werden.15

    …könnten schon bald Roboter zur Stärkung der nachhaltigen Landwirtschaft beitragen…

     

    Diese Bemühungen können durch Technologie unterstützt werden. Untersuchungen zufolge, die auf der „European Conference on Precision Agriculture“16 vorgestellt wurden, könnten schon bald Roboter zur Stärkung der nachhaltigen Landwirtschaft beitragen. Sie übernehmen das manuelle Jäten und Säen in arbeitsintensiven Betrieben, in denen Streifen mit verschiedenen Kulturen nebeneinander angepflanzt werden, um die Erträge zu steigern.

    Andere Präzisionstechnologien werden eingesetzt, um den Einsatz von Pestiziden zu optimieren. So setzt das kalifornische Unternehmen Trimble beispielsweise Sensoren ein, um sicherzustellen, dass Herbizide nicht wahllos, sondern nur auf Unkraut gesprüht werden. Auch Drohnen werden bereits zur Unterstützung eingesetzt. Sie ermöglichen zum Beispiel eine präzise Bilderfassung von Problembereichen. Dadurch können Schädlingsbefälle frühzeitig erkannt und der Einsatz von Pestiziden optimiert oder sogar der Transport von natürlichen Schädlingsbekämpfern ermöglicht werden. Im australischen Queensland beispielsweise setzen kommerzielle Unternehmen Drohnen ein, um Raubmilben auf Erdbeerkulturen zu verteilen.17

     

    Investitionen in Biodiversität – das Klimaargument

    Mit der Erderwärmung wird die Bedrohung durch Schädlinge voraussichtlich noch zunehmen. Ihre geografische Reichweite dürfte sich auf zuvor eher kältere Regionen ausdehnen. Zudem werden sie den Winter in grösserer Zahl überleben.18 Dass es für diese wachsende Bedrohung eine allgemeingültige Lösung geben wird, ist unwahrscheinlich. Chemische Pestizide, deren wahlloser Einsatz inzwischen wie geschildert durch Präzisionstechnologien reduziert wird, werden nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Zwar wird der weltweite Pestizidmarkt konventionellen Schätzungen zufolge bis 2025 einen Wert von USD 71 Mrd. erreichen.19 Es liegen jedoch eindeutige Indizien dafür vor, dass der Einsatz von Pestiziden auf einem Plateau angelangt ist und bereits ab 2024 rückläufig sein könnte.20

    Gleichzeitig werden die Vorschriften immer strenger, und das Bewusstsein der Verbraucher für die Auswirkungen von Agrochemikalien wächst stetig. Diese Entwicklungen werden Landwirte und Nahrungsmittelproduzenten dazu bewegen, Lösungen zu finden, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und im Einklang mit der Natur zu arbeiten. Hier werden auch Anlegerinnen und Anleger neue Möglichkeiten finden, in die Natur zu investieren.

    Marienkäfer sind mehr als nur potenzielle Pestizide: Sie sind lebenswichtige Akteure in komplexen Netzwerken, die u.a. die Fähigkeit zur Aufnahme von CO2 sicherstellen

     

    Naturverträgliches Ackerland wird künftig – im Gegensatz zu traditionellem, industriell bewirtschaftetem Ackerland – für Landwirte mit einer Prämie verbunden sein. Dies gilt sowohl für die erzeugten „regenerativen“ Rohstoffe als auch für die Rolle in der Erbringung lebenswichtiger Ökosystemleistungen: etwa der Kohlenstoffbindung und der Förderung von Biodiversität bei Pflanzen, Insekten, Vögeln und Säugetieren. Zur Förderung dieser Entwicklung könnten die aktuell bestehenden CO2-Märkte bald durch „Biodiversitätsmärkte“ nachgebildet werden. Dabei fungieren Biodiversitätsguthaben als wirtschaftliches Instrument zur Finanzierung von Projekten zur Wiederherstellung der Natur.21

    Biodiversität ist wichtig für die Bekämpfung des Klimawandels. Marienkäfer und deren Schädlinge vertilgenden Artgenossen sind weit mehr als nur potenzielle Pestizide: Sie sind lebenswichtige Akteure in unendlich komplexen Netzwerken, welche die Gesundheit von Ökosystemen und deren Fähigkeit zur Aufnahme von Kohlenstoff sicherstellen.22 Anlegerinnen und Anlegern bieten Investitionen in naturbasierte Sachwerte die Chance, langfristige Renditen zu erzielen; hierbei handelt es sich um Investitionen in physische ökologische Systeme, die regenerative Landschaften bilden können. Zudem fördern und beschleunigen sie die Wiederherstellung der Natur in einem gewaltigen Ausmass.

    Gemäss dem Biologen Enric Sala sind „Investitionen in die Biodiversität ... von wesentlicher Bedeutung für die Zukunft der Menschheit. Natürliche Ökosysteme sind sowohl unser Sparkonto als auch unsere Lebensversicherung. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Naturkapitalportfolio gut diversifiziert ist.“ 24


     

    Indirect Effect of Pesticides on Insects and Other Arthropods - PMC (nih.gov); An assessment of acute insecticide toxicity loading (AITL) of chemical pesticides used on agricultural land in the United States | PLOS ONE
    https://www.fishersci.com/us/en/scientific-products/publications/lab-reporter/2016/issue-4/the-evolution-chemical-pesticides.html
    Yields vs. Land Use: How the Green Revolution enabled us to feed a growing population - Our World in Data
    Pesticides use, pesticides trade and pesticides indicators (fao.org)
    European Union Bans Neonicotinoid Insecticide to Protect Bees--Here's Why (nationalgeographic.com)
    More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas | PLOS ONE
    Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany | Scientific Reports
    Over half a billion birds lost due to pesticides and fertilizers | Weltwirtschaftsforum (weforum.org)
    Decades After DDT Was Banned, It Still Impacts Canadian Lakes | Smart News| Smithsonian Magazine
    10 Pesticides make the life of earthworms miserable | ScienceDaily; World of earthworms with pesticides and insecticides - PMC (nih.gov)
    11 https://resiliencefoodstories.com/story/do-it-for-love-or-do-it-for-money-but-do-it/
    12 Regenesis, George Monbiot
    13 Uncovering the economic value of natural enemies and true costs of chemical insecticides to cotton farmers in China - IOPscience
    14 Green Deal: Halving pesticide use by 2030 | EIP-AGRI (europa.eu)
    15 European Commission JRC Science for Policy Report: Scientific evidence showing the impacts of nature restoration actions on food productivity
    16 14th European Conference on Precision Agriculture | Bologna (ecpa2023.it)
    17 Drones: Innovative Technology for Use in Precision Pest Management | Journal of Economic Entomology | Oxford Academic (oup.com)
    18 The Impact of Climate Change on Agricultural Insect Pests - PMC (nih.gov)
    19 Environmental and Health Impacts of Pesticides and Fertilizers and Ways of Minimizing Them | UNEP - UN Environment Programme
    20 Quelle von Lombard Odier
    21 How biodiversity credits can deliver benefits for nature | Weltwirtschaftsforum (weforum.org)
    22 Biodiversity - our strongest natural defense against climate change | Vereinte Nationen
    23 The Nature of Nature

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