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Von heissem Sand bis flüssige Luft – fünf Speicherlösungen im Frühstadium, die als Basis für eine elektrifizierte Wirtschaft dienen könnten
Nachdem fossile Brennstoffe jahrhundertelang der wichtigste Energieträger waren, müssen sie diesen Spitzenplatz wohl bald aufgeben.
Jeremy Oppenheim, Partner bei Systemiq, dem Unternehmen für Systemveränderungen, erklärt: „Erdöl ist am Zenit angelangt. In den nächsten 20 bis 30 Jahren wird eine Neuverkabelung der Wirtschaft auf der Basis von sauberen Elektronen und Elektrifizierung stattfinden. Das wird alles verändern.“
Diese Neuverkabelung ist bereits in vollem Gange. Von 2010 bis 2020 ist der gemeinsame Anteil von Solar- und Windenergie an der weltweiten Stromerzeugung von 1,7% auf 9,3%1 gestiegen. Damit wurden die Branchenerwartungen bei Weitem übertroffen. Da regenerativer Strom fossile Brennstoffe nun preislich übertrifft, dürfte sich dieses schnelle Wachstum fortsetzen.
Aus diesen eindrucksvollen Daten ist jedoch nicht ersichtlich, wie diese Energie über einen längeren Zeitraum gespeichert werden kann. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen kann die regenerative Stromerzeugung nicht nach Belieben an- und abgeschaltet werden. Damit erneuerbare Energien den fossilen Brennstoffen erfolgreich den Rang ablaufen können, müssen wir Wege finden, die an stürmischen und sonnigen Tagen gewonnene Überschussenergie zu speichern. An windstillen oder bewölkten Tagen kann sie dann wieder ins Netz eingespeist werden.
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Rascher Ausbau erforderlich
Seit 2010 haben sich Elektrofahrzeuge vom Nischen- zum Mainstream-Produkt entwickelt. Gleichzeitig sind die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien um 90% gesunken2. Dieser starke Rückgang ermöglicht nun die Masseneinführung von Batterien im Stromnetz3. Zwar gelten Lithium-Ionen-Batterien weithin als die beste Lösung für die Kurzzeitspeicherung von Energie, d.h. weniger als vier Stunden kontinuierliche Entladung. Doch die Suche nach der besten und kostengünstigsten Speicherung von Strom über mehrere Tage, Wochen oder Monate löst nach wie vor leidenschaftliche Debatten aus. Denn Langzeitspeicher spielen bei der Minimierung der systemischen Kosten für die Umstellung auf erneuerbare Energien eine wesentliche Rolle: Sie stellen die Rentabilität erneuerbarer Energieprojekte sicher4.
Die derzeit mit Abstand am häufigsten verwendete Langzeitspeichertechnologie ist das Pumpspeicherkraftwerk (PSW), das 99% der grossen Speichersysteme ausmacht. In PSW wird überschüssige Energie dazu verwendet, Wasser in ein höher gelegenes Reservoir zu pumpen. Wenn Strom benötigt wird, wird das Wasser über hydroelektrische Turbinen wieder abgelassen. PSW unterliegen jedoch Einschränkungen: Im städtischen Raum sind sie nur schwer realisierbar; zudem sind sie in kleinem Massstab nicht wirtschaftlich5 und können in Gebieten mit flacher Topografie nicht eingesetzt werden.
Damit die Stromspeicherung mit dem Wachstum der erneuerbaren Energieerzeugung Schritt halten kann, ist ein rascher Ausbau neuer Langzeitspeichermethoden erforderlich. Im Folgenden betrachten wir fünf Technologien im Frühstadium. Diese könnten eines Tages als Basis für eine neue Wirtschaft dienen, die von nahezu unbegrenzt verfügbaren, kohlenstofffreien erneuerbaren Energien angetrieben wird.
1. Grüner Wasserstoff
Grüner Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Energien durch Elektrolyse von Wasser erzeugt wird, dürfte bei der Dekarbonisierung der Schwerindustrie schon bald eine zentrale Rolle spielen. Bis vor Kurzem war die Verbrennung fossiler Brennstoffe die einzige Möglichkeit, die für viele Fertigungsprozesse erforderlichen hohen Temperaturen zu erreichen. Mit seiner hohen Energiedichte und seiner Emissionsfreiheit stellt grüner Wasserstoff nun eine kohlenstofffreie Alternative dar.
Zudem besteht die Hoffnung, dass Wasserstoff als Langzeitenergiespeicher auch ausserhalb der Schwerindustrie Verwendung findet. Wasserstoff weist im Vergleich zu chemischen Batterien eine deutlich höhere gewichtsbezogene Energiedichte auf. Darüber hinaus kann er von Gebieten mit hoher Kapazität für erneuerbare Energie an Orte transportiert werden, an denen die Infrastruktur für erneuerbare Energie entweder nicht rentabel oder noch nicht weit genug entwickelt ist. Dort kann der aus erneuerbaren Energiequellen erzeugte Wasserstoff für den Antrieb von Turbinen verwendet oder mithilfe von Wasserstoff-Brennstoffzellen direkt in Strom umgewandelt werden.
Im Januar dieses Jahres gab der norwegische Staatskonzern Equinor Pläne für den Bau einer Wasserstoffpipeline von Norwegen nach Deutschland bekannt. Die Pipeline wird bei der Inbetriebnahme zunächst sogenannten „blauen“ Wasserstoff transportieren; das ist Wasserstoff, der unter technologischer Verwendung zur Kohlenstoffabscheidung aus Erdgas gewonnen wird. Später wird das Unternehmen auf „grünen“ Wasserstoff umstellen, der mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert wird.
Grüner Wasserstoff hat den Vorteil, dass er Energie über einen nahezu unbegrenzten Zeitraum speichern kann. Mit einem „Round-trip“-Wirkungsgrad – dem Verhältnis zwischen entnommener und zugeführter Energie – von nur 30% handelt es sich jedoch um die am wenigsten effiziente aller tragfähigen Lösungen6.
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2. (Sehr) heisser Sand
Auf den ersten Blick sieht das städtische Schwimmbad im finnischen Kankaanpää aus wie jedes andere öffentliche Schwimmbad. Es ist jedoch weltweit einzigartig, denn es wird mit einer neuen kommerziellen Energiespeicherlösung beheizt: mit heissem Sand.
Die neuartige Technologie des finnischen Start-ups Polar Night Energy nutzt überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen, um Sand auf über 500 Grad Celsius zu erhitzen. Das ist mit jeder Art von Sand möglich: „Der Schmutz der anderen könnte unser Wärmespeichermedium sein“, so das Unternehmen. Der Sand wird in grossen, thermisch isolierten Silos gelagert und kann die Wärme monatelang speichern. Wenn Strom benötigt wird, wird Luft durch Rohre geleitet, die durch die Silos laufen. Mithilfe dieser heissen Luft kann dann Wasser für Fernwärmesysteme erhitzt oder Dampf für den Turbinenbetrieb erzeugt werden.
Ein erheblicher Vorteil des Systems liegt in seiner Flexibilität. Die Silos können in ihrer Grösse an die Nutzerbedürfnisse angepasst und an fast allen Standorten über- oder unterirdisch errichtet werden. Die Unternehmensgründer gehen davon aus, dass ein Silo mit einem Durchmesser von 40 Metern und einer Höhe von 25 Metern ausreicht, um die Versorgung von 35'000 Menschen mit erneuerbarer Energie auszugleichen.
Polar Night führt derzeit Gespräche für grössere Anlagen in ganz Finnland und möchte 2024 international expandieren. Dabei könnte die Technologie auf den Prüfstand kommen, da sie mit Sand auf das weltweit am stärksten abgebaute Material setzt. Zur Versorgung der Bauindustrie und der Industrie für digitale Kommunikation werden aus Wüsten, Flussbetten und Stränden jährlich bis zu 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies entnommen – häufig in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen. Zuweilen arbeitet diese Branche nicht nachhaltig, schadet der Umwelt und zerstört die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung. Um eine Beteiligung an derartiger Geschäftspraxis zu vermeiden, verwendet Polar Night nach eigenen Angaben bevorzugt Sand, der für das Bauwesen ungeeignet ist.
3. Schwerkraftspeicher
Das schottische Unternehmen Gravitricity will mit seiner unternehmenseigenen Technologie GraviStore die Schwerkraft nutzen. Gravistore nutzt erneuerbare Energie, um in Schächten stillgelegter Bergwerke oder speziell errichteten Türmen über Winden Gewichte nach oben zu ziehen. Diese Gewichte wiegen bis zu 12'000 Tonnen – so viel wie 60 Boeings des Typs 747. Wird Strom benötigt, werden die Gewichte wieder herabgelassen und treiben dabei Turbinen an. Das Unternehmen verspricht eine lange Lebensdauer von bis zu 50 Jahren, ohne Einbussen der Speicherkapazität. Die Kosten für die Langzeitspeicherung liegen dabei weit unter den Kosten zentraler Lithium-Ionen-Batterien.
Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt in Edinburgh hat Gravitricity nun ein Memorandum of Understanding mit dem tschechischen Staatsunternehmen DIAMO unterzeichnet. Ziel ist es, das stillgelegte Kohlebergwerk Darkov zur ersten grossen, nicht hydroelektrischen Schwerkraftbatterie Europas umzubauen. Nach der Inbetriebnahme wird das Bergwerk Darkov genug Energie speichern, um 16'000 Haushalte beliefern zu können.
Das Unternehmen plant jedoch noch viel weiter: Weltweit wurden 14'000 stillgelegte Bergwerksschächte identifiziert, die rasch in schwerkraftbasierte Energiespeicher umgewandelt werden könnten. Viele davon würden die Einführung erneuerbarer Energien in Schwellen- und Entwicklungsländern unterstützen. Zudem arbeitet das Unternehmen am ersten System mit mehreren Gewichten, das eine mindestens zwölfmal höhere Speicherkapazität als bei dem Projekt in Darkov hätte.
4. Flüssige Luft
Ende 2022 kündigte das britische Unternehmen Highview Power Pläne zum Bau der weltweit ersten Flüssigluft-Energiespeicheranlage (Liquid Air Energy Storage, LAES) im industriellen Massstab an7. Bereits die Demonstrationsanlage in der Nähe von Manchester war ein Erfolg. Die neue Anlage soll nun bis Ende 2024 fertiggestellt werden. Sie wird genug Energie speichern, um 600'000 Haushalte eine Stunde lang mit Strom zu versorgen.
Bei der LAES-Technologie wird Luft mithilfe erneuerbarer Energien auf -196 Grad Celsius heruntergekühlt und auf diese Weise verflüssigt. Die Demonstrationsanlage Highview nutzt hierzu die Energie von nahegelegenen Windrädern. Diese Energie wird nachts erzeugt, wenn die Nachfrage gering ist. Wird Energie benötigt, wird die flüssige Luft wieder etwa auf Umgebungstemperatur gebracht. Beim Übergang der Luft in den gasförmigen Aggregatzustand entsteht hoher Druck, mit dem Turbinen angetrieben werden, die Strom erzeugen – ohne Verbrennung und ohne Schadstoffemissionen.
Ein Manko der LAES-Technologie ist ihr relativ geringer Wirkungsgrad mit einem Energieoutput von gerade einmal 50% der Energie, die für die Verflüssigung der Luft nötig ist. Dafür unterliegt sie keinerlei geografischen Beschränkungen, ist einfach skalierbar, verfügt über eine hohe Energiedichte und Speicherkapazität. Zudem verwendet sie Standardkomponenten. Damit gilt sie mehr und mehr als ernst zu nehmende Lösung für den weltweiten Energiespeicherbedarf.
5. Eine landesweite Batterie
Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen und heimischen Solaranlagen könnten sich kleine Heimspeicher zu landesweit verteilten Batterien entwickeln, die den Druck auf die zentrale Speicherung reduzieren. Neuesten Forschungserkenntnissen zufolge könnten bereits bis 2030 allein die Batterien von Elektrofahrzeugen den kurzfristigen Speicherbedarf des Stromnetzes decken8.
Die neuste Generation von Batterien mit Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) lädt Elektrofahrzeuge mithilfe einer Smart-Grid-Software automatisch. So stellt man sicher, dass das Laden zu Randzeiten stattfindet, wenn der Strom am günstigsten ist. Das System verkauft den Strom in Zeiten hoher Nachfrage dann wieder ans Netz. Damit stellt es für die Besitzerinnen und Besitzer von Elektrofahrzeugen eine Einnahmequelle dar und stärkt gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit des Stromnetzes. Einer Analyse der Universität Warwick zufolge erhöht sich sogar die Lebensdauer der Batterie von Elektrofahrzeugen9.
Ein kürzlich durchgeführtes V2G-Pilotprojekt der britischen Energieregulierungsbehörde ergab, dass die Teilnehmenden mit dem Verkauf von Strom jährlich bis zu GBP 725 verdienten, wenn ihre Fahrzeuge bei Nichtgebrauch einfach am Ladegerät angeschlossen blieben. Schätzungen zufolge könnte die britische Regierung durch die landesweite Einführung von V2G Einsparungen bei der Stromerzeugung und den Speicherkosten in Höhe von GBP 3,5 Mrd. pro Jahr erzielen10.
Die elektrifizierte Wirtschaft
Der Aufstieg der erneuerbaren Energieerzeugung ist kein vorübergehender Trend. Mancherorts ersetzen erneuerbare Energien bereits heute fossile Brennstoffe. In Grossbritannien beispielsweise erzeugten erneuerbare Energien im Jahr 2020 erstmals mehr Strom als fossile Brennstoffe, und 2022 stammten über 25% des britischen Stroms allein aus der Windkraft.
Mit der fortgesetzten Elektrifizierung der Wirtschaft wird auch der Speicherbedarf steigen. Nach unseren Schätzungen müssen bis 2050 70% der Wirtschaft elektrifiziert werden, um das Pariser Temperaturziel zu erreichen. Zudem dürfte man allein in den kommenden sieben Jahren Investitionen in Höhe von USD 24,5 Bio. Aufwenden – für die Beschleunigung dieses Übergangs.
Ein Teil davon wird in die Verkabelung fliessen, denn rund 140 Millionen Kilometer neue Kabel sind erforderlich; das entspricht der Entfernung von der Erde bis zum Mars. Ein weiterer Teil wird für den Ausbau der Batterie-Netzspeicher um das 30-Fache nötig sein. Über eine Milliarde benzin- und dieselbetriebene Fahrzeuge will man damit elektrifizieren. Und ein Teil der Investitionen wird in überraschendere Lösungen fliessen – wie geschildert beispielsweise in die Erhitzung von Sandsilos, in das Anheben von Gewichten in stillgelegten Bergwerksschächten oder in die Verflüssigung von Luft.
1 Renewable Energy - Our World in Data
2 Race to Net Zero: The Pressures of the Battery Boom in Five Charts | BloombergNEF (bnef.com)
3 The-Breakthrough-Effect.pdf (Systemiq.earth)
4 Energy storage important to creating affordable, reliable, deeply decarbonized electricity systems | MIT News | Massachusetts Institute of Technology
5 Is energy storage via pumped hydro systems is possible on a very small scale? -- ScienceDaily
6 Energy storage technologies and real life applications – A state of the art review - ScienceDirec
7 Highview Power plans to raise £400m to build LAES plant in UK - World Construction Network
8 Electric vehicle batteries alone could satisfy short-term grid storage demand by as early as 2030 | Nature Communications
9 V2G found to improve the lifetime of electric vehicle batteries - Current News (current-news.co.uk)
10 Case study (UK): Electric vehicle-to-grid (V2G) charging | Ofgem
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