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Das Klimatisierungsparadoxon: Wie Kühlung zur Erderwärmung beiträgt
„Die erhöhte Nachfrage nach Klimaanlagen ist der wichtigste blinde Fleck in der aktuellen Energiedebatte.“ – Fatih Birol, Executive Director, Internationale Energieagentur
Heute sind schätzungsweise 1,9 Mrd. Klimageräte in Betrieb1. Das bedeutet, dass beinahe jeder vierte Mensch auf unserem Planeten ein solches Gerät besitzt. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) machen Elektroventilatoren und Klimageräte aktuell 10% des gesamten jährlichen Stromverbrauchs weltweit aus2, und diese Zahl dürfte weiter steigen.
Weltwelt ist ein Anstieg der Temperaturen und in den Entwicklungsländern eine Zunahme des Wohlstands zu erkennen. Daher geht die IEA davon aus, dass sich der Energiebedarf für die Gebäudekühlung zwischen 2018 und 2050 verdreifachen wird. Dies entspricht zehn neuen Klimageräten pro Sekunde, die bis Mitte des Jahrhunderts ans Stromnetz angeschlossen werden.
Wenn wir diese Entwicklung nicht eindämmen, wird alleine die Klimatisierung bis 2030 für einen jährlichen Anstieg der CO2-Emissionen um schätzungsweise 1,5 Mrd. Tonnen verantwortlich sein. Dies entspricht mehr als dem Dreifachen der Emissionen Grossbritanniens oder Brasiliens.
In diesem Sommer erleben wir Rekordtemperaturen – sowohl an Land3 als auch in den Meeren4. Die Hitze kurbelt die Nachfrage nach Klimaanlagen, Ventilatoren und Kühlgeräten weiter an. Dieser neue Wunsch nach kühler Luft ist ein Paradoxon, denn Kühlung erzeugt Wärme. Untersuchungen zufolge erhöht sich die Strassentemperatur in den Städten durch Klimaanlagen lokal um bis zu 1 Grad Celsius5. Der weltweite Klimaanlagen-Boom mit seinen hohen Treibhausgasemissionen treibt den Klimawandel voran, denn Klimaanlagen werden häufig mit Strom aus fossilen Brennstoffen betrieben. Wenn wir diese Entwicklung nicht eindämmen, wird alleine die Klimatisierung bis 2030 für einen jährlichen Anstieg der CO2-Emissionen um schätzungsweise 1,5 Mrd. Tonnen verantwortlich sein. Dies entspricht mehr als dem Dreifachen der Emissionen Grossbritanniens oder Brasiliens.6
Die Tropen als treibende Kraft
Bis 2050 werden vermutlich zwei Drittel aller Haushalte über mindestens ein Klimagerät verfügen. Diese Zunahme ist auf der ganzen Welt zu beobachten. Laut Radhika Khosla, ausserordentliche Professorin an der Smith School of Enterprise and the Environment, „wird der grösste absolute Anstieg an Kühlsystemen rund um den Äquator stattfinden“.7
Eine Kombination aus vier Schlüsselfaktoren treibt diese Entwicklung voran.
1) In den kommenden Jahrzehnten werden die tropischen Regionen Afrikas, Südamerikas, Süd- und Ostasiens sowie Teile des Nahen Ostens die stärkste Klimaerwärmung erleben.8
2) Der Wohlstand vieler Bevölkerungsgruppen in diesen Regionen wächst. Laut IEA „nehmen der Besitz und die Nutzung von Klimaanlagen in ... heissen und feuchten Ländern rasch zu, da die Einkommen steigen, der Zugang zu Elektrizität sich verbessert und die Menschen allgemein wohlhabender werden. Klimatisierung wird also für immer mehr Menschen erschwinglich.“9
3) Die Bevölkerung wächst in heissen, feuchten Regionen am schnellsten10, wodurch das Potenzial des Marktes für Klimaanlagen weiter zunimmt.
4) Bis 2050 dürfte der Anteil der Weltbevölkerung, der in Städten lebt, von heute 56%11 auf 68%12 steigen. Dieser Anstieg wird in Afrika und Asien am deutlichsten sein. Aufgrund der weltweit zunehmenden Urbanisierung wird der „Wärmeinseleffekt“13 in den Städten den Klimatisierungsbedarf noch erhöhen.
In den Schwellenländern stellen die Anschaffungskosten für Klimaanlagen ein weiteres Problem in puncto Nachhaltigkeit dar. Die meisten Menschen dürften alte, energieineffiziente, gebrauchte Klimageräte oder neue, weniger effiziente Geräte kaufen. In Indien etwa entscheiden sich 37% der Käufer für ein Produkt mit mittlerer Effizienz; nur 20% können sich die effizientesten, aber teureren Geräte mit 5-Sterne-Bewertung leisten.14
Die Zunahme der Klimatisierung stellt die Regierungen vor ein weiteres Problem. Laut Untersuchungen der Universität Birmingham können die Stromnetze in vielen Entwicklungsländern „die täglichen Spitzenlasten nicht bewältigen, die grösstenteils von Klimaanlagen verursacht werden.“ Daher nutzen viele gewerbliche Kunden häufig Dieselgeneratoren, um ihre Klimaanlagen zu betreiben, wenn der Strom ausfällt. Diese Generatoren sind jedoch besonders umweltbelastend.15
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Die Natur hält die Lösung bereit
Eine Lösung sieht vor, zunächst den Kühlbedarf zu verringern. Das Eastgate Centre in Simbabwe wurde von der Bauweise von Termitenhügeln inspiriert. Damit liess sich der Bedarf an aktiver Lüftung und Kühlung reduzieren und der Energieverbrauch um 90% senken. Andere einfache Lösungen sind etwa das Anbringen von Innen- und Aussenjalousien an Fenstern. Schätzungen des US-Energieministeriums zufolge können Markisen an den Fenstern die sonnenbedingte Wärmeentwicklung in Innenräumen um bis zu 77% senken.16
Natürliche Kühlung kann auch von oben kommen. In den USA stellte man fest, dass sich die Temperatur der Dächer um bis zu 30 Grad Celsius17 verringern lässt, wenn man sie weiss streicht. In China wurden in einem breit angelegten Versuch „grüne Dächer“ geschaffen – durch Begrünung der Dächer mit Pflanzen. Dadurch sank nicht nur der Kühlbedarf im Gebäudeinnern; auch die durchschnittliche Oberflächentemperatur in der gesamten Projektzone konnte um 0,91 Grad Celsius gesenkt werden.18
In den Städten können wir alleine durch das Pflanzen von Bäumen den Wärmeinseleffekt reduzieren. Eine in Europa durchgeführte Studie ergab, dass die Baumbedeckung die Oberflächentemperatur in Städten im Sommer um bis zu 12 Grad Celsius reduziert19. In den USA zeigten Untersuchungen, dass die Temperaturen am Boden durch eine Baumbedeckung von 40% um fast 6 Grad Celsius sanken.
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Technologie und Politik
Im Zuge der Elektrifizierung der Wirtschaft decken wir einen Grossteil unseres steigenden Strombedarfs durch erneuerbare Energien. Da wir Klimaanlagen genau dann brauchen, wenn es am sonnigsten bzw. heissesten ist, stellen Solaranlagen die naheliegendste Lösung für eine kohlenstofffreie Stromerzeugung dar. Die Nächte erwärmen sich jedoch schneller als die Tage,20 sodass der Kühlbedarf nach Sonnenuntergang zunimmt.
In Gebieten, in denen Windkraftanlagen nicht umsetzbar sind, könnten Innovationen im Bereich der Fernkälte zum Tragen kommen. Dabei wird während des Tages Wasser mittels erneuerbarer Energie gekühlt und nachts in die Fussbodenkühlsysteme der Gebäude geleitet.
Doch auch die Politik steht in der Verantwortung: Sie muss die Hersteller auffordern, die direkten Emissionen zu senken, die durch Kühlmittel in Klimaanlagen freigesetzt werden. Im Jahr 2019 trat die in Kigali beschlossene Änderung des Montrealer Protokolls in Kraft. Diese sieht den Ausstieg aus Fluorkohlenwasserstoffen (HFKW) – einem klimaschädlichen Treibhausgas – in Kälte- und Klimaanlagen vor.21
Internationale Vorgaben für Energieeffizienzstandards von Klimaanlagen sind weniger gut abgestimmt. Die meisten Industrienationen haben strenge Mindeststandards eingeführt. In vielen Entwicklungsländern sind die Effizienzvorschriften jedoch unzureichend umgesetzt oder fehlen ganz. Diese Lücke wollen die „Model Regulation Guidelines for Air Conditioners“ der Vereinten Nationen schliessen. Sie geben den Regierungen Leitlinien für die Erstellung freiwilliger oder regulatorischer Rahmenbedingungen an die Hand. Schätzungen zufolge könnte die Umsetzung dieser Leitlinien die CO2-Emissionen allein in Afrika um 28 Mio. Tonnen senken22 – damit liesse sich die Leistung von 20 grossen Kraftwerken einsparen. Mit steigender Nachfrage nach Klimatisierung dürften die weltweiten Forderungen nach effizienteren Kühllösungen ebenfalls zunehmen.
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Mehr als nur Luxus
Für Unternehmen sowie Anlegerinnen und Anleger stellt diese Entwicklung eine Chance dar. Unternehmen wie Carrier und Daikin gehören zu den Weltmarktführern bei Lüftungs-, Klimatisierungs- und Kühlsystemen. Sie stellen sich dem Übergang zu einem nachhaltigeren Gebäudebetrieb und können sowohl von der steigenden Nachfrage nach Klimatisierungslösungen profitieren als auch von den Bemühungen um eine höhere Energieeffizienz. Chancen bieten neben den herkömmlichen Einnahmequellen der Herstellung und Wartung von Produkten auch die neuen digitalen Smart-Home-Lösungen auf Abonnementbasis, die Energieverschwendung verhindern sollen. Staatliche Massnahmen dienen dabei als eine Art Katalysator: Der „Inflation Reduction Act“ in den USA will beispielsweise mit Steuergutschriften dazu motivieren, die Energieeffizienz von Wohngebäuden zu verbessern. Carrier wiederum will seinen Umsatz mit höheren Verkaufszahlen seiner effizientesten Klimageräte steigern.
Die Debatte um den Klimawandel dreht sich grösstenteils um die Gefahr für Leben und Gesundheit: Die hitzebezogenen Todesfälle sind seit 2020 jährlich gestiegen23. Steigende Temperaturen bedrohen aber auch Produktivität und Wirtschaftswachstum. Schätzungen der Denkfabrik The Atlantic Council zufolge belaufen sich die hitzebedingten Kosten für die US-Wirtschaft auf USD 100 Mrd. jährlich. Werden keine Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ergriffen, könnte sich diese Zahl bis 2050 verfünffachen.
In vielen Schwellenländern könnten Klimaanlagen den Unterschied zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Misserfolg bedeuten. Lee Kuan Yew, erster Premierminister von Singapur, erklärte: „Klimaanlagen ... haben die Zivilisation verändert, haben sie doch die Entwicklung in den Tropen erst möglich gemacht. Meine erste Massnahme als Premierminister war, Klimaanlagen in den Gebäuden zu installieren, in denen Beamte arbeiteten. Nur so war ein effizienter öffentlicher Dienst überhaupt möglich.“24
Die Verfügbarkeit der Klimatisierung wird für jedes der 17 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung immer wichtiger.25 Angesichts der wachsenden Gefahr der Erderwärmung könnten wirtschaftliche Entwicklung, Gesundheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt schon bald davon abhängen, dass wir einen kühlen Kopf bewahren.
1 Chart: Air Conditioning Biggest Factor in Growing Electricity Demand | Statista
2 The Future of Cooling – Analysis - IEA
3 New record daily global average temperature reached in July 2024 | Copernicus
4 Record temperature streak continues in June (wmo.int)
5 Anthropogenic heating of the urban environment due to air conditioning - Salamanca - 2014 - Journal of Geophysical Research: Atmospheres - Wiley Online Library
6 doing-cold-smarter-report.pdf (birmingham.ac.uk)
7 Dr Radhika Khosla interview with BBC Newsnight | Oxford Energy
8 The Future of Cooling (windows.net)
9 The Future of Cooling (windows.net)
10 The Future of Cooling (windows.net)
11 68% of the world population projected to live in urban areas by 2050, says UN | UN DESA | United Nations Department of Economic and Social Affairs
12 Urban Development Overview (worldbank.org)
13 Reduce Urban Heat Island Effect | US EPA
14 How energy demand for cooling in India’s cities is changing | World Economic Forum (weforum.org)
15 doing-cold-smarter-report.pdf (birmingham.ac.uk)
16 Energy Efficient Window Coverings | Department of Energy
17 Cool Roofs Might Be Enough to Save Cities from Climate Overheating - Scientific American
18 Quantitative study on the cooling effect of green roofs in a high-density urban Area—A case study of Xiamen, China - ScienceDirect
19 The role of urban trees in reducing land surface temperatures in European cities | Nature Communications
20 Nights warming faster than days across much of the planet -- ScienceDaily
21 Climate change: Is air conditioning bad for the environment? | World Economic Forum (weforum.org)
22 New guidelines for air conditioners and refrigerators set to tackle climate change (unep.org)
23 World’s largest study of global climate related mortality links 5 million deaths a year to abnormal temperatures - Medicine, Nursing and Health Sciences (monash.edu)
24 NPQ (digitalnpq.org
25 Climate change: Is air conditioning bad for the environment? | World Economic Forum (weforum.org)
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