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    Politische Verschiebungen in Europa, Szenarien für Frankreich und Folgen für die Märkte

    Politische Verschiebungen in Europa, Szenarien für Frankreich und Folgen für die Märkte
    Dr. Nannette Hechler-Fayd’herbe - Head of Investment Strategy, Sustainability and Research, CIO EMEA

    Dr. Nannette Hechler-Fayd’herbe

    Head of Investment Strategy, Sustainability and Research, CIO EMEA
    Bill Papadakis - Macro Strategist

    Bill Papadakis

    Macro Strategist

    Samy Chaar, Chefökonom und CIO Switzerland, und Luca Bindelli, Head of Investment Strategy, haben ebenfalls zu dieser Publikation beigetragen.


    Kernpunkte:

    • Bei den Wahlen für das Europäische Parlament blieb der Status quo von Mitte-rechts erhalten, doch zeichnen sich stärkere Verschiebungen in Frankreich und Deutschland ab.
    • Die politische Unsicherheit in Frankreich nach der Ankündigung von vorgezogenen Parlamentswahlen führte zu höheren Staatsanleihenrenditen und einer Schwäche am Aktienmarkt.
    • Wir untersuchen drei Szenarien. Eine Mehrheitsregierung unter Führung der Rechts- oder Linkskoalition würde die Risiken für Frankreichs finanzpolitische Perspektiven erhöhen. Doch am wahrscheinlichsten ist eine Pattsituation im Parlament, was etwas grössere Unsicherheit, aber wenig politische Veränderung bedeuten dürfte.
    • Aufgrund der Interventionsmechanismen der EZB ist die Eurozone nicht mit denselben existenziellen Bedrohungen konfrontiert wie während der Staatsschuldenkrise vor zwölf Jahren.

    Bei den Wahlen für das Europäische Parlament diesen Monat blieb der Status quo von Mitte-rechts erhalten. Doch in Frankreich könnte es zu stärkeren politischen Verschiebungen kommen, während die deutsche Regierung noch schwächer ist als zuvor. Wir analysieren politische Szenarien für Frankreich, ihre Auswirkungen auf die Märkte und die Sekundäreffekte für europäische Vermögenswerte.

    Bei den Wahlen vom 7. bis zum 9. Juni wurde die Mitte-rechts-Mehrheit im Europäischen Parlament insgesamt bestätigt. Auf den ersten Blick vermittelt dies das Bild politischer Kontinuität auf EU-Ebene. Aufgrund einer Mitte-Mehrheit von etwas mehr als 400 der insgesamt 720 Sitze im Parlament scheint eine Wiederwahl Ursula von der Leyens für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission immer sicherer. Allerdings sind tiefgreifende politische Verschiebungen auf nationaler Ebene in den EU-Kernstaaten nun eine realistische Möglichkeit. In Frankreich beschloss Präsident Emmanuel Macron nach dem Sieg von Marine Le Pens Rassemblement national (RN) bei den Europawahlen, die Nationalversammlung aufzulösen; bald finden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die Märkte reagierten umgehend: Die Renditen zehnjähriger französischer Staatsanleihen (Obligations assimilables du Trésor, OAT) stiegen von weniger als 3% auf gut 3,30%, sodass sich die Differenz (Spread) zu deutschen Bundesanleihen auf 78 Basispunkte ausweitete. Der französische Index CAC 40 hat im Monatsverlauf 9% nachgegeben und notiert gegenüber Jahresbeginn praktisch unverändert. Der deutsche DAX wiederum hat im Monatsverlauf 4% verloren, liegt aber immer noch mehr als 7% über dem Stand von Anfang Jahr.

     

    Patt im Parlament und Cohabitation bis zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich

    Im Gegensatz zum Verhältniswahlsystem bei den europäischen Parlamentswahlen kennt Frankreich für die Wahl der Nationalversammlung ein Verfahren mit zwei Durchgängen. Dieses ist für Parteien eine grosse Hürde, wenn es darum geht, eine funktionierende Mehrheit zu bilden. In jedem der 577 französischen Wahlkreise kommt es zu einer Stichwahl zwischen dem ersten und dem zweiten Kandidaten sowie jedem weiteren Kandidaten, für den mehr als 12,5% der eingetragenen Wähler gestimmt haben; es sei denn, ein Kandidat erhält mehr als die Hälfte aller Stimmen im ersten Wahlgang. In unserem Basisszenario erwarten wir daher, dass es zu einer Pattsituation im Parlament kommt. Dies würde bedeuten, dass bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Macron im April 2027 keine Partei 289 Sitze bzw. die absolute Mehrheit hält.

    Angesichts des starken Abschneidens des RN auf europäischer Ebene ist es denkbar, dass die Partei eine relative Mehrheit erringt. Das würde eine Cohabitation bedeuten – das heisst Präsident Macron von der Renaissance-Partei müsste mit einer vom RN geführten Regierung zusammenarbeiten. Wirtschaftspolitisch würde sich ein solches Szenario nicht wesentlich von anderen Szenarien mit einer Minderheitsregierung unterscheiden. In einem Parlament, in dem keine Fraktion die absolute Mehrheit hält, wären Gesetze nur schwer zu verabschieden, unabhängig davon, wer die Regierung führt. Frankreich hat in der Vergangenheit mehrere Phasen der Cohabitation erlebt: zum Beispiel mit Präsident François Mitterrand und Premierminister Jacques Chirac Ende der 1980-Jahre oder mit dem damaligen Präsidenten Chirac und Premierminister Lionel Jospin um die Jahrtausendwende. Eine neue Cohabitation dürfte als eine der schwierigeren in die Geschichte eingehen, mit potenziellen Protesten und Störaktionen der gegnerischen Kräfte in ganz Frankreich.

    Eine neue Cohabitation dürfte als eine der schwierigeren in die Geschichte eingehen, mit potenziellen Protesten und Störaktionen der gegnerischen Kräfte in ganz Frankreich

    Anders sähe es aus, wenn eine Fraktion die absolute Mehrheit im französischen Parlament erringen würde. Wir sehen eine Wahrscheinlichkeit von etwa 15% bis 20%, dass das Rassemblement national dies erreichen könnte; die Wahrscheinlichkeit, dass Frankreichs linke Parteien einen so hohen Stimmenanteil auf sich vereinen, schätzen wir auf weniger als 10%. Wir gehen nicht davon aus, dass Präsident Macrons Renaissance-Partei genügend Unterstützung erhält, um eine absolute Mehrheit zu erlangen.

    Die nachstehende Tabelle zeigt drei Szenarien und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik und die Beziehungen zur EU sowie ihre makroökonomischen und finanzmarktbezogenen Folgen.

     

    Parlamentswahlen in Frankreich (30. Juni und 7. Juli): Szenarien
     

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    Politische Bedrohung für das makroökonomische Bild

    Die jüngsten gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen sind weitgehend konstruktiv. Der weltweite Disinflationstrend bietet den Notenbanken, insbesondere der Europäischen Zentralbank (EZB), die Möglichkeit, erste Schritte in Richtung einer geldpolitischen Lockerung vorzunehmen. An politischen und geopolitischen Risiken, die den Ausblick bedrohen, fehlt es nicht. Während das Augenmerk derzeit auf den bevorstehenden Wahlen in Frankreich liegt, folgen am 4. Juli die Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich, deren Ergebnisse und Auswirkungen klar scheinen. Für den Rest der Welt von grösserer Bedeutung ist die US-Präsidentschaftswahl im November. Wenn die Wahlen in Frankreich zu einer Cohabitation mit einem Parlament ohne Mehrheit führen, bleibt unser Basisszenario für die Eurozone intakt. In diesem Fall dürften sich französische Aktien nach dem zweiten Wahlgang erholen und einen potenziellen Einstiegspunkt für Anlegerinnen und Anleger bieten. Sollte hingegen ein neues Parlament mit einer Mehrheit zustande kommen, wird der Wirtschaftsausblick für die Eurozone unserer Meinung nach mit grösserer Unsicherheit behaftet sein. Dies würde die grössten Risiken für andere europäische Vermögenswerte wie Staatsanleihen der Eurozone und den Euro bedeuten. Vor allem im Falle einer linken Mehrheitsregierung in Frankreich würden wir mit einem weiteren Ausverkauf französischer Aktien rechnen.

    Zu betonen ist, dass die wirtschaftliche und finanzielle Architektur des Euroraums heute ganz anders aussieht als während der Staatsschuldenkrise 2012

    Zu betonen ist, dass die wirtschaftliche und finanzielle Architektur des Euroraums heute ganz anders aussieht als während der Staatsschuldenkrise 2012. Durch Programme der EZB wie das Transmissionsschutzinstrument (TPI) ist das Potenzial für ungeordnete Ausverkäufe an den Anleihenmärkten begrenzt. Zugleich besteht ein klarer Anreiz für die Regierungen, den Haushaltsrahmen der EU einzuhalten. Voraussetzung für die Aktivierung von TPI-Interventionen durch die EZB ist die Bereitschaft einer Regierung, die EU-Haushaltsvorschriften zu befolgen. Die Stunde der Wahrheit für eine neue französische Regierung könnte daher kommen, wenn eine Ausweitung der Anleihenspreads ein pragmatischeres Vorgehen in Haushaltsfragen erfordert.

     

    Fragiles Deutschland

    Die Ergebnisse der Europawahlen in diesem Monat haben auch Folgen für die Regierungsparteien der deutschen Ampelkoalition. Die Resultate weisen darauf hin, dass eine Mehrheit der Deutschen mit der Regierung unzufrieden ist. Die SPD (Sozialdemokratische Partei) verzeichnete mit nur 13,9% der Stimmen ihr schlechtestes Resultat. Die Grünen fielen auf einen Anteil von 11,9% und verloren neun Sitze im Europäischen Parlament. Die liberale FDP (Freie Demokratische Partei) schliesslich kam auf 5,2% der Stimmen. Am meisten Aufmerksamkeit erregt und die politische Mitte am stärksten beunruhigt hat die Tatsache, dass die AfD (Alternative für Deutschland) mit 15,9% den zweitgrössten Stimmenanteil erreichte.

    Die unmittelbaren Auswirkungen in Deutschland sind weniger deutlich als in Frankreich: Bundeskanzler Olaf Scholz hat vorgezogene Neuwahlen abgelehnt. Ein Misstrauensvotum gegen die Regierung scheint nicht möglich, da dafür ein anderer Kandidat nötig wäre, der eine Mehrheit im Bundestag erlangen könnte. Aber das Ergebnis schadet einer ohnehin schon schlecht funktionierenden Drei-Parteien-Koalition zusätzlich. Die seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse andauernde Haushaltskrise hat sich durch die Uneinigkeit zwischen den drei Regierungsparteien verschärft, und der Weg zu einem möglichen Kompromiss bleibt unklar.

    Diese Entwicklungen werfen auch wichtige Fragen zur Zukunft der deutschen Politik nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr auf

    Diese Entwicklungen werfen auch wichtige Fragen zur Zukunft der deutschen Politik nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr auf. Die Mitte-rechts-Parteien CDU/CSU (Christlich-Demokratische Union/Christlich-Soziale Union) führen die aktuellen Meinungsumfragen an, würden aber keine absolute Mehrheit erlangen. Der Aufstieg der AfD in den Umfragen sowie ihr Abschneiden bei den Wahlen für das Europäische Parlament bedeuten, dass die Partei eine wichtigere Rolle in der europäischen Politik spielen wird. Die Partei könnte weiter profitieren, wenn Frankreichs RN näher an die Macht rückt, ähnlich wie die Fratelli d’Italia im Jahr 2022.


     

    1 Ein Programm zum Ankauf von Anleihen, das eine finanzielle Fragmentierung zwischen den Mitgliedern der Eurozone verhindern soll.
    2 Ein Artikel in der deutschen Verfassung, der besagt, dass die Haushalte von Bund und Ländern „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ sind, also nur ausgegeben wird, was an Steuern eingenommen wird.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende.

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