investment insights
Öl und mehr – die Golfstaaten auf dem Weg zu neuen Horizonten
Kernpunkte:
- Das Wachstum der Golfstaaten dürfte 2023 zum Stillstand kommen und sich 2024 leicht erholen. Aufgrund von Reformfortschritten, stabilen Solvenzkennzahlen und eines starken demografischen Profils bleibt unser Ausblick für die Region positiv.
- Der jüngste Aufwärtstrend der Ölpreise geht einher mit Haushaltsdaten und Aussenbilanzen, die trotz der jüngsten Produktionskürzungen robust sind. Die Dollarpegs der Region scheinen gut abgestützt.
- Die Diversifizierung weg von der Produktion von Kohlenwasserstoffen ist für den Ausblick der Region entscheidend. Die „Visionen“, welche die Staaten entwickelt haben, werden koordinierte Investitionen ausserhalb des Öl- und Gassektors beschleunigen.
- Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas schürt Sorgen über den Ausblick der Region. Unseres Erachtens sind die GCC-Länder bestrebt, eine regionale Eskalation zu vermeiden und das derzeitige Ölproduktionsniveau beizubehalten.
Die Bedeutung der Golfstaaten wird durch die steigenden Ölpreise einmal mehr unterstrichen. Ins Zentrum rücken diese Länder auch als Austragungsort der Klimakonferenz COP28 und aufgrund der Einladung an die zwei grössten Golfstaaten, der BRICS-Gruppe beizutreten. Was werden die kommenden Monate für die Region bringen – und was bedeutet der näher rückende Höhepunkt der Ölnachfrage für sie?
Die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) – Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Kuwait, Bahrain, Oman und Katar – wachsen wirtschaftlich über sich hinaus: Auf die Golfstaaten entfallen weniger als 1% der Weltbevölkerung, aber etwa 2% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) und über 10% bzw. 20% der Gas- und Ölproduktion. Wegen der Beschränkungen des Handels mit Kohlenwasserstoffen aus Russland sind die GCC-Länder als alternative Lieferanten auf den Energiemärkten wichtiger geworden. Zudem stärken Anlässe wie die Fussballweltmeisterschaft, die Dubai Expo und die COP28 ihre Funktion als internationale Drehscheiben. Die GCC-Länder bemühen sich, trotz einer Entkopplung der geopolitischen Blöcke unter Führung der USA und Chinas strategisch flexibel zu bleiben. Diesen Sommer wurden Saudi-Arabien und die VAE eingeladen, den BRICS-Staaten beizutreten – einer geopolitischen Gruppe, der einige der grössten und wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt, darunter China, angehören.
Deutliche, aber vorübergehende Abschwächung im Jahr 2023
Das aktive Eingreifen der GCC-Länder auf dem Ölmarkt zeigt, welche Bedeutung sie der strategischen Flexibilität beimessen. Da Öl und Gas die Hauptstützen dieser Volkswirtschaften sind und das russische Angebot reduziert wurde, erzielten viele GCC-Länder 2022 ein fulminantes Wachstum: Das reale BIP stieg in Saudi-Arabien um 8,7% und in Kuwait um 8,2%. Da sich das globale Wachstum 2023 verlangsamt hat, haben die Organisation der Erdöl exportierenden Länder und wichtige Nichtmitglieder (OPEC+), darunter fünf GCC-Staaten, die Ölproduktion verringert. Saudi-Arabien hat die Produktion zusätzlich gedrosselt. Deshalb und aufgrund der deutlichen Zinserhöhungen erwarten wir, dass das Wachstum über die sechs GCC-Volkswirtschaften hinweg im Jahr 2023 auf 0,2%1 zurückgeht. Dabei dürfte eine stärkere Entwicklung in den VAE und Katar die Schwäche in Saudi-Arabien und Kuwait weitgehend ausgleichen. Im Jahr 2024 dürften die Ölförderkürzungen in einigen GCC-Ländern allmählich rückgängig gemacht werden und schliesslich Zinssenkungen erfolgen. Daher rechnen wir für 2024 mit einer leichten Wachstumsbelebung.
Unserer Ansicht nach hat die Konjunkturverlangsamung nur begrenzte Auswirkungen auf den mittelfristigen Ausblick der GCC-Länder. Durch die verlängerten Produktionskürzungen ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die Rohölpreise in den kommenden Monaten bei rund USD 90 pro Barrel verharren. Das wäre das Niveau, das für ausgeglichene Staatsfinanzen in der gesamten Region erforderlich ist. Dieses Niveau – der „fiskalische Break-even-Preis“ – ist im Allgemeinen höher als das Level, das für eine ausgeglichene Leistungsbilanz der Länder erforderlich ist. Daher werden die GCC-Länder in der Lage sein, entweder Zwillingsüberschüsse aufrechtzuerhalten (VAE, Katar) oder die Haushaltsdefizite zu begrenzen, die sich aus der Konjunkturabschwächung ergeben (Saudi-Arabien, Kuwait).
Visionen, Giga-Projekte und stetige Reformen
Die Agenda für die wirtschaftliche Transformation der einzelnen Länder wird in den kommenden Jahren die wichtigste politische Triebkraft in den GCC-Staaten sein. Alle sechs Länder haben langfristige Wirtschaftspläne, sogenannte Visionen, angekündigt – mit spezifischen Zielen für die wirtschaftliche Diversifizierung, die Entwicklung des Humankapitals und die Ökologisierung der Energieversorgung. Das politische Engagement für diese Pläne scheint solide, da die Region mit dem globalen Wandel hin zu Elektrofahrzeugen und sauberer Energie konfrontiert ist. Der erwartete Höhepunkt der Ölnachfrage – „Peak Oil Demand“ genannt – in den nächsten fünf bis zehn Jahren ist eine grosse Herausforderung für die GCC-Staaten. Denn in diesen Ländern entfallen 30% bis 50% des BIP auf den Kohlenwasserstoff-Sektor. Entsprechend wird der Finanzierung und Förderung von Projekten im Rahmen der „Visionen“ Vorrang eingeräumt. Die Sensibilität der Region gegenüber dem Ölpreis dürfte in den kommenden Jahren besonders hoch sein.
Die Investitionen in diese Projekte dürften in solidem Tempo zunehmen. In Saudi-Arabien haben sich die Investitionen in den Bereichen Tourismus und Unterhaltung bereits beschleunigt. Die Investitionen in noch grössere „Giga-Projekte“ wie NEOM, eine riesige nachhaltige Stadt in der Wüste, und den King Salman International Airport stehen erst am Anfang. In den VAE sind die Investitionen des öffentlichen Sektors in den letzten zwei Jahren sprunghaft angestiegen. Das Land ist in der Region führend bei Investitionen in die Solarenergie. Die anderen GCC-Länder werden sich an ihren grösseren Nachbarn orientieren, wobei der Umfang der öffentlichen Investitionen unterschiedlich sein wird.
Wie effizient diese Projekte realisiert werden, hängt stark von Fiskalreformen sowie von Reformen des Energiesektors und der Arbeitsmarktstrukturen ab. Auch wenn noch viel zu tun ist, sind seit ein paar Jahren konkrete Verbesserungen sichtbar. Die fiskalische Abhängigkeit vom Ölsektor hat sich durch die Einführung von Mehrwert- und Körperschaftssteuern verringert (z.B. in Saudi-Arabien). Die Obergrenzen für die Einzelhandelspreise von Kraftstoffen werden allmählich angepasst, um die Lücke zu den Marktpreisen zu verringern. Zudem wächst die Stromerzeugung aus Solar- und Windkraftanlagen seit 2015 um 61% pro Jahr. In Saudi-Arabien, den VAE und Katar ist die Erwerbsquote der Frauen stark gestiegen. Ein anhaltender Aufwärtstrend der Erwerbsquote würde die langfristigen Aussichten für diese Länder aufhellen, zumal sie die besten demografischen Profile unter den Schwellenländern aufweisen.
Gründe, die für den strategischen Status quo sprechen
Der tragische Konflikt zwischen Israel und der Hamas schürt Sorgen über den Ausblick der Region. Doch es besteht weiterhin Grund zur Annahme, dass sich die GCC-Länder letztlich für den strategischen Status quo entscheiden werden. Ihre langfristigen Entwicklungspläne setzen voraus, dass ein neuer geopolitischer Flächenbrand in der Region vermieden wird. Ein Anstieg der Ölpreise könnte der Ölindustrie der Region schaden, indem er die globalen Elektrifizierungstrends zusätzlich beschleunigt. Doch aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Konflikts und seines Ausmasses muss die Situation genau beobachtet werden.
Dollarpegs scheinen weiterhin gut abgestützt
Die Inflation in der Region ist nach raschen Zinserhöhungen gegenüber den Hochs von 2022 zurückgegangen. Durch den Dollarpeg – die Währungsanbindung an den US-Dollar (oder einen Währungskorb einschliesslich des US-Dollar in Kuwait) – sind die geldpolitischen Entscheidungen der GCC-Staaten an jene der US-Notenbank gekoppelt. Diesmal stimmten die Trends in den Volkswirtschaften der USA und der GCC-Länder weitgehend überein. Dadurch stellten die jüngsten Zinsanhebungen eine angemessene Reaktion auf die Wachstums- und Inflationsdynamik in den GCC-Staaten dar. Dennoch könnten die Währungsbehörden der Region am Geldmarkt intervenieren, um zeitweilige Liquiditätsengpässe zu begrenzen, wie es die Notenbank Saudi-Arabiens 2022 tat. In den VAE werden die Behörden bereit sein, anstelle der Geldpolitik die Regulierung des Immobiliensektors anzupassen. Dies um die Abwärtsrisiken für die Immobilienpreise in Dubai einzudämmen, welche die negativen Folgen steigender Zinsen zu spüren bekommen dürften. Spezifisch in Dubai reagieren staatsnahe Einheiten tendenziell anfällig auf starke Schwankungen im Immobiliensektor.
Trotz der jüngsten Initiativen für eine stärkere finanzielle Verflechtung der Region mit China und anderen Schwellenländern halten die GCC-Staaten weiterhin bedeutende USD-Reserven, um die Dollarpegs zu verteidigen. Auch wenn die internationalen Reserven der Länder in den letzten Jahren geschrumpft sind, übersteigen sie das Niveau vieler anderer Regionen nach wie vor. Wir sehen kaum unmittelbare Risiken für eine Anpassung der Währungsanbindung, insbesondere da unseres Erachtens die US-Zinsen nun den Höhepunkt erreicht haben.
1 Gewichtet nach Kaufkraftparität.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
teilen.