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Hoffnungsvoller Frühling – UK dürfte einer Rezession entgehen
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Das Vereinigte Königreich kann eine Rezession im Jahr 2023 wohl knapp vermeiden, und die Inflation dürfte bis zum Jahresende stark zurückgehen.
- Der Frühjahrshaushalt enthielt einige wachstumsfördernde Massnahmen. Doch es muss noch mehr getan werden, um den Arbeitsmarktproblemen, der niedrigen Produktivität und Investitionstätigkeit sowie dem sinkenden Lebensstandard entgegenzuwirken.
- Den Höhepunkt des Zinszyklus der Bank of England sehen wir aktuell bei 4,5% im Mai.
- Wir sehen dieses Jahr Abwärtsrisiken für das Pfund Sterling. In den Kundenportfolios halten wir ein ausgewogenes Engagement in Aktien, einschliesslich britischer Aktien.
Trotz der jüngst hohen Inflation scheinen die Zinsen im Vereinigten Königreich den Höchststand fast erreicht zu haben. Die Wirtschaft des Landes sollte dieses Jahr eine Rezession vermeiden können. Die Politikerinnen und Politiker stehen vor grossen Herausforderungen: Es geht darum, den Lebensstandard zu erhöhen, die Produktivität zu steigern und die Menschen zurück auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Aussichten haben sich in den letzten Monaten jedoch verbessert.
Die wirtschaftlichen Aussichten für das Vereinigte Königreich hellen sich auf. Am 22. März erklärte der Gouverneur der Bank of England (BoE), Andrew Bailey, er sei hinsichtlich der Aussichten „optimistischer“. Und dies, obwohl die Notenbank die Zinsen auf 4,25% und damit auf den höchsten Stand seit 14 Jahren angehoben hatte. Mitte März zeigten die aktualisierten Prognosen des unabhängigen Office for Budget Responsibility (OBR), dass das britische Wachstum dieses Jahr um nur 0,2% schrumpfen dürfte (unsere Schätzung: 0%), statt den im November erwarteten -1,4%. Damit käme es nicht zu einer „technischen“ Rezession, definiert als Wachstumsrückgang in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Das OBR erwartet nun, dass die Inflation bis zum Jahresende auf 2,9% sinkt. Es geht zudem davon aus, dass Schatzkanzler Jeremy Hunt seine eigene finanzpolitische „Regel“ einhalten wird, wenn auch nur knapp: Die Nettoverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) soll über einen Zeitraum von fünf Jahren reduziert werden.
Das „Mini-Budget“ vom September 2022 erwies sich sowohl politisch als auch für das Vertrauen der Märkte in das Vereinigte Königreich als katastrophal. Es führte zu einem Kurssturz des Pfund Sterling und der Staatsanleihen. Dagegen wurde der Haushaltsplan des Schatzkanzlers vom 15. März 2023 – die jährliche Übersicht über die Wirtschaftsstrategie – ruhig aufgenommen. Ein Grossteil der guten Nachrichten zu Wachstum und Teuerung beruhte auf Faktoren, die sich der Kontrolle des Vereinigten Königreichs entziehen. Dazu gehört insbesondere ein starker Rückgang der Energiepreise. Niedrigere Öl- und Gaspreise senken die Kosten für die staatlichen Beiträge an die Energierechnungen der Haushalte. Die in den letzten Monaten gesunkenen Anleiherenditen haben wiederum die Zinsausgaben des Finanzministeriums verringert. Die höheren langfristigen Wachstumsprognosen des OBR (1,8% im Jahr 2024, 2,5% im Jahr 2025) gründen auf einer Verbesserung des Arbeitskräfteangebots, die hauptsächlich einer höheren Nettozuwanderung geschuldet ist.
Wachstumsfreundliche Massnahmen
Dank der positiveren Wachstums- und Inflationseinschätzung konnte der Schatzkanzler Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen ankündigen, die das Wachstum fördern sollen. Um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen, wird unter anderem die staatlich finanzierte Kinderbetreuung von 30 Stunden pro Woche für Dreijährige nun auf jüngere Kinder ausgeweitet. Laut dem OBR könnten so 75’000 zusätzliche Personen einer bezahlten Arbeit nachgehen. Es wurde auch mehr Wert darauf gelegt, Rentner und Sozialleistungsbezieher in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Zu den Plänen für eine Ankurbelung der Investitionen gehören neue Freibeträge für grosse Unternehmen, um Investitionsausgaben von der Steuer abzusetzen. Zudem wurden die jährlichen Freibeträge für Einzahlungen in eine Vorsorgeeinrichtung angehoben. Die lebenslange Obergrenze für den Betrag, der eingezahlt werden kann, bevor zusätzliche Steuern anfallen, wurde abgeschafft. Die Regierung hofft, dass dank dieser Massnahmen ältere Arbeitnehmende länger berufstätig sind, vor allem im Gesundheitswesen. Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Förderung von Technologien, die auf künstlicher Intelligenz beruhen, sollen das Wachstum unterstützen.
Stabilität oder Stagnation?
Viele der Haushaltsmassnahmen sind jedoch nur vorübergehende oder partielle Lösungen für einige sehr dringende Probleme. Der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen allein ist nicht der Grund für die hohe Zahl der Nichterwerbstätigen im Vereinigten Königreich. Seit der Pandemie sind rund 600’000 Arbeitskräfte „verloren“ gegangen, und 2,5 Millionen Menschen sind aufgrund von Langzeiterkrankungen nicht berufstätig. Der Haushalt enthielt jedoch kaum neue Massnahmen zur Unterstützung des Gesundheitssystems. Lange Wartezeiten für Behandlungen und Kürzungen bei der psychischen Gesundheitsversorgung könnten die Bemühungen in Bezug auf die Genesung und die Rückkehr an den Arbeitsmarkt zunichtemachen.
Zwar ist es auch dringend erforderlich, das chronische Investitionsdefizit im öffentlichen und privaten Sektor zu bekämpfen. Doch die neuen Freibeträge für Investitionen sind nur für drei Jahre vorgesehen. Die Unternehmen dürften daher Investitionsvorhaben lediglich vorziehen, statt die Investitionen dauerhaft zu erhöhen. Um die wirtschaftliche Produktivität zu steigern, sind langfristige Engagements nötig, wie etwa die Massnahmen im US Inflation Reduction Act oder im Grünen Deal der EU. Ein im Februar veröffentlichter Bericht einer einflussreichen Gruppe von Akademikern, Politikberatern und früheren Politikern hatte Vorschläge für mutigere Investitionen in Wissenschaft und Technologie sowie Reformen der Pensionspläne enthalten. Ziel der Vorschläge wäre, die sehr geringen Investitionen in börsennotierte und private Unternehmen im Vereinigten Königreich zu erhöhen.
Dass für die Zeit nach 2023 eine begrenzte Erholung erwartet wird, offenbart den Mangel an Dynamik in der britischen Wirtschaft. Auch dauert die Krise der Lebenshaltungskosten fort, die zugleich die Ursache für viele anhaltende Lohnstreitigkeiten im Vereinigten Königreich ist. Laut OBR sollen die inflationsbereinigten Haushaltseinkommen dieses und nächstes Jahr um 6% sinken, und der Lebensstandard wird sich nicht vor 2027 auf das Vorpandemie-Niveau erholen. Zugleich soll die Steuerbelastung im Verhältnis zum BIP auf einen Höchststand nach dem Zweiten Weltkrieg steigen.
Möglicher Zinshöchststand im Mai
Allerdings scheint sich die schwierige Lage 2023 etwas zu verbessern, was dem Verbrauchervertrauen und der Marktstimmung zugutekommt. Die Einzelhandelsumsätze sind im Februar erneut gestiegen, und eine wichtige Umfrage zum Verbrauchervertrauen hat sich im März verbessert, auch wenn sie weiterhin im negativen Bereich liegt. Preiserhöhungen sind für die Verbraucherinnen und Verbraucher sicherlich ein Thema. Zwar ist die Verbraucherpreisinflation im Februar überraschend auf 10,4% im Jahresvergleich gestiegen, doch wird erwartet, dass sie in den kommenden Monaten schnell nachlässt. Dabei wirken sich staatliche Energiekostenzuschüsse positiv aus. Dies wäre eine gute Nachricht für die Bank of England, die nach den jüngsten Bankenzusammenbrüchen auch die Finanzstabilität besonders im Blick hat. Je nach Entwicklung des Preisdrucks könnte unserer Meinung nach eine weitere Anhebung um 25 Basispunkte auf 4,5% im Mai den Höhepunkt im Zinszyklus darstellen.
Auf politischer Ebene gelang es dem britischen Premierminister Rishi Sunak, die Beziehungen zur Europäischen Union zu verbessern. Das Vereinigte Königreich und die EU erzielten eine Einigung zur Beilegung des Handelsstreits über Nordirland nach dem Brexit, die allerdings auf den Widerstand der nordirischen Democratic Unionist Party stösst. Sunaks jüngst erfolgter Besuch bei Präsident Emmanuel Macron markierte das erste bilaterale Gipfeltreffen zwischen den Staatsoberhäuptern beider Länder seit fünf Jahren. Dabei einigten sich die beiden auf ein neues Abkommen über den Umgang mit Sans-Papiers, die den Ärmelkanal überqueren.
Angesichts der positiveren Aussichten für Politik und Wachstum hat das Pfund Sterling im vergangenen Monat sowohl gegenüber dem US-Dollar als auch dem Euro zugelegt. Auf Sicht von zwölf Monaten erwarten wir aber eine Abschwächung. Denn die Realrenditen verbessern sich andernorts, und die Währung entwickelte sich in Phasen mit finanziellem Stress in der Vergangenheit unterdurchschnittlich. Im Laufe der kommenden zwölf Monate rechnen wir mit einem Kursanstieg von EURGBP in Richtung 0,92. Die Rendite zehnjähriger britischer Staatsanleihen liegt derzeit bei etwa 3,36% – ein Rückgang gegenüber dem Hoch von 4,47% nach dem Mini-Budget im Herbst. Der britische FTSE 100 Index scheint zwar attraktiv bewertet, doch die Sorgen um die Gesundheit des Finanzsektors könnten die Aktienmärkte im Allgemeinen – und den bankenlastigen Index des Vereinigten Königreichs im Besonderen – vorerst weiter belasten. Deshalb behalten wir unsere insgesamt neutrale Haltung gegenüber Aktien und einen ausgewogenen Risikoansatz in den Kundenportfolios bei.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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