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Beurteilung der Wirtschaftsaussichten für das Vereinigte Königreich
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Das Wachstum der britischen Wirtschaft bleibt hinter jenem anderer Länder zurück. 2023 dürfte die britische Wirtschaft schrumpfen, da Inflation, Streiks sowie hohe Energie- und Hypothekenkosten ihren Tribut fordern.
- Die Regierung plant, die Steuern insgesamt auf den höchsten Stand seit acht Jahrzehnten zu erhöhen, die Schulden zu senken und die Inflation zu halbieren. Das nächste Budget ist für den 15. März geplant.
- Wir gehen davon aus, dass der Leitzins der Bank of England den Höchststand bei 4,25% erreicht und die Inflation 2023 im Durchschnitt 5% beträgt.
- Wir haben kürzlich unser globales Engagement in Finanzaktien erhöht – letztere sind im FTSE 100 stark vertreten. Das Pfund Sterling dürfte schwach bleiben: Auf Sicht von zwölf Monaten erwarten wir, dass EURGBP bei rund 0.92 notiert und GBPUSD in einer Spanne von 1.22 bis 1.25.
Wird die Rezession im Vereinigten Königreich kurz und heftig ausfallen? In vielen Bereichen – Produktivität, Infrastruktur, Unternehmensinvestitionen, Gesundheitswesen und Handel – liegt die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs hinter anderen Ländern zurück. Die Regierung ist bestrebt, das Vertrauen in die Haushaltsdisziplin des Landes wiederherzustellen. Zugleich haben steigende Lebenshaltungskosten und der Druck auf die Infrastruktur zu den grössten Streiks seit den 1980er-Jahren geführt. Wir beleuchten die Herausforderungen für das Vereinigte Königreich.
Unter den G-7-Ländern ist die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs als einzige immer noch kleiner als vor der Pandemie. Sie ist zudem die einzige grosse Volkswirtschaft, für die der Internationale Währungsfonds (IMF) im Jahr 2023 eine Schrumpfung erwartet und die sich auch 2024 unterdurchschnittlich entwickeln dürfte (siehe Tabelle). Die Bank of England (BoE) hat am 2. Februar erklärt, dass sie für das Jahr 2023 einen Rückgang der britischen Wirtschaft von 0,5% erwarte. Das ist eine Verbesserung im Vergleich zu vor drei Monaten. Auch wir gehen davon aus, dass die britische Wirtschaft 2023 leicht schrumpft, und zwar um 0,2%, bevor sie sich 2024 etwas erholen dürfte.
Auch andere fortgeschrittene Volkswirtschaften haben – in unterschiedlicher Weise – mit Inflation, Arbeitskräftemangel und einem Energieschock zu kämpfen. Das Vereinigte Königreich ist jedoch von all diesen Faktoren betroffen, und sie werden durch den inländischen Inflationsdruck noch verstärkt. Hinzu kommt die Entscheidung, die Europäische Union zu verlassen und damit auf den Zugang zum EU-Binnenmarkt für Handel, Dienstleistungen und Arbeit zu verzichten. Solche strukturellen Schwierigkeiten sind nicht leicht zu bewältigen – weder im Zeitrahmen der BoE für die Bekämpfung der Inflation durch höhere Zinsen noch in der laufenden Legislaturperiode, die im Januar 2025 endet.
Das Vereinigte Königreich leidet unter einer Krise der Lebenshaltungskosten aufgrund höherer Hypotheken-, Lebensmittel- und Energierechnungen. Premierminister Rishi Sunak, seit drei Monaten im Amt, hat versprochen, die Inflation zu halbieren, die Wirtschaft auszubauen und die Schulden des Landes zu reduzieren. Er hat schwierige Aufgaben vor sich. Schatzkanzler Jeremy Hunt hat die Steuersenkungen seines Vorgängers rückgängig gemacht. Er plant nun, die Gesamtsteuerlast auf 37,1% des Bruttoinlandprodukts (BIP) anzuheben. Dies entspricht laut dem Office for Budget Responsibility dem höchsten Stand seit fast acht Jahrzehnten. Einzelheiten soll der neue Haushaltsplan enthalten, der für den 15. März 2023 vorgesehen ist.
Letzte Woche erhöhte die BoE den Leitzins um 0,5% auf 4%, womit die Kreditkosten im Vereinigten Königreich auf den höchsten Stand seit 15 Jahren kletterten. Die Äusserungen von BoE-Gouverneur Andrew Bailey deuten darauf hin, dass der Zinserhöhungszyklus nahezu abgeschlossen ist. Die nächste Anhebung könnte 25 Basispunkte (Bp.) betragen, während das Risiko einer tiefen Rezession abnimmt. Wir erwarten, dass die Zinsen auf 4,25% steigen und den grössten Teil des Jahres 2023 auf diesem Niveau bleiben, wobei die Inflation im Jahresdurchschnitt 5% beträgt. Die sinkenden Energiepreise haben am meisten zum Rückgang der Inflation beigetragen. Während die niedrigeren Energiepreise die Kosten für die finanzielle Unterstützung der Haushalte durch die Regierung reduzieren, werden die Verbraucher weiterhin historisch hohe Heizkosten zahlen.
Arbeitskräftemangel und Streiks
Die höheren Lebenshaltungskosten haben zu Unruhen und Streiks geführt. Letztere sind inzwischen so häufig, dass die BBC einen Kalender veröffentlicht und darin aufführt, welche Branchen wo von Streiks betroffen sind. Postangestellte, Feuerwehrleute, Lehrpersonen, Beamte und erstmals auch Ärzte und Pflegepersonal legen die Arbeit nieder. Die Löhne im Privatsektor des Vereinigten Königreichs steigen zwar, halten aber nicht mit der Inflation Schritt. Der öffentliche Sektor fordert Erhöhungen, die über die Inflation hinausgehen. Die Streikenden weisen auch auf fehlende staatliche Investitionen in die Infrastruktur hin. Dies hat die Anforderungen an die Dienste, die bereits unter Personalmangel und unzureichenden Ressourcen leiden, noch erhöht. Das seit 2008 nachlassende Produktivitätswachstum im Vereinigten Königreich verschärft die Situation zusätzlich.
Das Land sieht sich mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert, die durch den Brexit noch verstärkt werden. Laut einer Studie vom letzten Monat verzeichnete das Vereinigte Königreich zwischen 2019 und September 2022 einen Nettoverlust von 460’000 Arbeitnehmenden aus der EU, während die Zahl der Nicht-EU-Arbeitnehmenden um 130'000 stieg. Entsprechend resultiert netto ein Mangel von 330’000 Arbeitskräften.
Die Beschäftigungsquote, so BoE-Gouverneur Andrew Bailey letzte Woche, habe sich nicht erholt, und hier falle das Vereinigte Königreich aus dem Rahmen (siehe Grafik 1). Ein Grund für den Arbeitskräftemangel im Vereinigten Königreich sind nach wie vor Langzeitkrankheiten. Nach Angaben des Office for National Statistics (ONS) waren im November 2022 mehr als 2,5 Millionen Menschen im Land nicht erwerbstätig, weil sie „langzeitkrank“ sind (siehe Grafik 2). Im Vergleich dazu waren es Anfang 2019 2 Millionen Menschen.
Gesundheitssystem unter Druck
Die Situation könnte den aktuellen Zustand des National Health Service (NHS) widerspiegeln. Das Gesundheitssystem des Vereinigten Königreichs bleibt in der Rangliste der „behandelbaren Todesfälle“ hinter seinen nächsten Nachbarn zurück. Das ONS weist auf die Auswirkungen von Covid, die alternde Bevölkerung und längere Wartelisten hin. Die Zeit bis zur Behandlung ist in England von sieben Wochen im April 2019 auf fast 14 Wochen im August 2022 gestiegen.
Das Budget des NHS stagniert seit 2010. Es konnte folglich nicht mit der Inflation und dem Bedarf an langfristigen Investitionen Schritt halten. Im Januar präsentierte Rishi Sunak einen Plan für den NHS. Der Plan sieht unter anderem vor, die Reaktionszeiten der Ambulanzen zu verbessern, die Wartezeiten für Behandlungen zu verkürzen und eine Notfallversorgung am selben Tag einzuführen. Zudem soll es „virtuelle“ Krankenhausbetten in Form von Online-Gesundheitsüberwachung zu Hause geben, um die Zahl der Einweisungen zu verringern. Die Regierung hat sich zu einem jährlichen Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben um 2% verpflichtet. Der Plan geht aber nicht direkt auf die mehr als 133’000 freien Stellen im NHS in den drei Monaten bis September 2022 ein.
Folgen des Brexits
Der Brexit verkompliziert die Situation zusätzlich. Letzte Woche war der dritte Jahrestag seit dem Inkrafttreten der ersten Brexit-Vereinbarungen des Vereinigten Königreichs. Die BoE schätzt, dass der Handel des Vereinigten Königreichs seit Januar 2021 um 14% zurückgegangen ist und dass die Unternehmensinvestitionen 8% niedriger sind als 2019. Einige Auswirkungen des Brexits werden noch folgen, darunter die vollständigen Zollkontrollen im Vereinigten Königreich ab 2024.
Laut Meinungsumfragen findet eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler nun, dass es falsch war, aus der EU auszutreten. Dennoch will keine der beiden grössten politischen Parteien des Vereinigten Königreichs die hitzige nationale Debatte über dieses Thema wieder aufnehmen. Kurzfristig handelt das Vereinigte Königreich mit der EU neue Handelsvereinbarungen über den Status Nordirlands aus, das über die Republik Irland einen bevorzugten Zugang zum Binnenmarkt geniesst. Der Preis dafür sind Zollkomplikationen mit dem Rest des Vereinigten Königreichs.
Globaler Index
Die Renditen britischer Staatsanleihen (Gilts) liegen weiterhin über jenen deutscher und französischer Staatsanleihen. Die Rendite zehnjähriger Gilts betrug vergangene Woche 3,1% und war damit 100 Bp. bzw. 50 Bp. höher als die ihrer deutschen und französischen Pendants.
Aus Sicht internationaler Anlegerinnen und Anleger ist der britische FTSE 100 Index nach wie vor stark von Unternehmen abhängig, die einen Grossteil der Einnahmen an den globalen Märkten erzielen. Politische Unruhen haben das Rating dieser im Vereinigten Königreich börsennotierten Unternehmen belastet. Die Bewertungen des Index gehören trotz einer starken relativen Performance im Jahr 2022 weiterhin zu den attraktivsten der Welt. Dem Index kamen 2022 ein schwaches Pfund Sterling und ein grosses Sektorengagement in Rohstoffen und defensiven Titeln zugute. So übertraf er letztes Jahr globale Aktien in Lokalwährung um 25% und währungsbereinigt um 13%.
Bis September 2022 bevorzugten wir britische Aktien – dies aufgrund der Erwartung einer besseren relativen Performance. Als jedoch die wirtschaftlichen Herausforderungen zunahmen und Abflüsse von Anlagefonds aus dem Land verzeichnet wurden, reduzierten wir unsere Position. Kürzlich erhöhten wir unser Engagement in Finanzaktien – letztere sind im FTSE stark vertreten.
Im derzeitigen Umfeld und angesichts der vielen langfristigen strukturellen Herausforderungen erwarten wir, dass das Pfund Sterling schwach bleibt. Wir gehen davon aus, dass der Euro-Pfund-Kurs in den nächsten zwölf Monaten in Richtung 0.92 steigt, während der Pfund-Dollar-Kurs in diesem Zeitraum in einer Spanne von 1.22 bis 1.25 notieren dürfte. Wir sind der Meinung, dass der faire Wert des Euro-Pfund-Kurses angesichts des rückläufigen Anteils des Vereinigten Königreichs am Welthandel nach wie vor höher liegt.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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