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Zehn Anlageüberzeugungen für das zweite Halbjahr 2022
Lombard Odier Private Bank
Vor sechs Monaten befand sich die Weltwirtschaft in einer Phase der Erholung nach der Pandemie – mit hohen Ersparnissen der Verbraucher, einer massiven Nachfrage und dem Fokus auf eine „Normalisierung“ der Fiskal- und Geldpolitik. Dann brachte das Jahr 2022 unerwartete Schocks – wie den Krieg in der Ukraine, die hartnäckige Inflation, Chinas Covid-Lockdowns, politische Volatilität und soziale Instabilität –, die den Aufschwung behinderten und neue Herausforderungen mit sich brachten.
Als Reaktion darauf haben die Notenbanken den schärfsten Zinserhöhungszyklus seit fast drei Jahrzehnten eingeleitet. Damit steigt das Risiko, dass das globale Wachstum schneller abgewürgt wird, als die Inflation gedämpft werden kann. Wir gehen davon aus, dass sich die Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2022 abschwächen wird, wenn die geldpolitischen Massnahmen greifen, Engpässe abgebaut werden und sich die Rohstoffversorgung verbessert. Dieser Prozess dürfte sich in einem Rückgang des globalen Wachstums um 1% im Jahr 2022 niederschlagen.
Die Federal Reserve (Fed) hat keine andere Wahl, als die Inflation mit höheren Kreditkosten zu bekämpfen. Es wird immer schwieriger, ein Gleichgewicht zu finden, um die Wirtschaft zu bremsen, ohne die Nachfrage zu zerstören. Wenn die Zinsen steigen, sich das Wachstum abschwächt und das Verbrauchervertrauen abnimmt, wird der Spielraum für geldpolitische Fehler kleiner. Eine kurzzeitige Rezession im Jahr 2023 ist wahrscheinlich. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA dürfte 2022 um 2,9% wachsen, während der Leitzins 3,5% erreichen dürfte. In der Eurozone dürften die Zinserhöhungen weniger deutlich ausfallen als erwartet. Wir prognostizieren einen Zinshöchststand der Europäischen Zentralbank (EZB) von etwa 1,25% Anfang 2023 und ein BIP-Wachstum von 2,5% im Jahr 2022. Chinas Lieferketten, die für die Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung sind, erholen sich nach den Lockdowns. Die Null-Covid-Politik wird vorerst weitergeführt. Selbst wenn die Wirtschaft rasch wieder in Schwung kommt, wird das Wachstum 2022 eher bei 4% als bei den von der Regierung angestrebten 5,5% liegen
Die Folgen des Ukrainekriegs werden noch jahrelang zu spüren sein. Der anhaltende Druck auf die Energieversorgung und die Unterbrechungen dürften dazu führen, dass der Preis für Rohöl der Sorte Brent für den Rest des Jahres 2022 um USD 120 pro Barrel verharrt.
Der Ausblick für viele Schwellenländer ist besonders schwierig. Zusätzlich zu dem Druck, der auf den reicheren Ländern lastet, kämpfen die Schwellenländer mit einer extremen Inflation der Lebensmittel- und Rohstoffpreise, einem stärkeren US-Dollar und höheren Kreditkosten sowie einem schwächeren Welthandel und einer geringeren chinesischen Nachfrage. Schlimmer noch, die Verknappung von Grundnahrungsmitteln birgt die Gefahr von grossen Hungersnöten und sozialen Unruhen mit möglicherweise tiefgreifenden Folgen weltweit.
In unserem Ausblick für 2022 nahmen wir den Grossteil der wichtigsten Anlagethemen, die unseren Investmentpositionen zugrunde liegen, vorweg, wobei sich neun von zehn als richtig erwiesen. Allerdings sahen wir den Einmarsch Russlands in der Ukraine und seine Auswirkungen, insbesondere auf die Aktienmärkte, nicht vorher.
Angesichts des zurzeit herausfordernden Umfelds setzen wir in allen Anlageklassen auf Qualität. Wir bevorzugen Investments, die von der Erwirtschaftung anhaltend hoher Cashflows und Erträge profitieren, kombiniert mit vernünftig bewerteten Chancen im Bereich strukturelles Wachstum sowie Instrumenten zum Schutz der Portfoliorenditen.
1. Ausrichtung auf Qualität in den Portfolios beibehalten
Im derzeitigen komplexen Umfeld konzentrieren wir uns in allen Anlageklassen auf Qualität. Da die Kapitalkosten steigen, bevorzugen wir Investments, die von starker Cashflow-Generierung und geringer Verschuldung profitieren, kombiniert mit vernünftig bewerteten Chancen im Bereich strukturelles Wachstum sowie Instrumenten zum Schutz der Portfoliorenditen.
2. Aufwärtsdruck auf Credit Spreads, Investment Grade bevorzugen
Wir sind mit einem vorsichtigen Ausblick für Festverzinsliche in das Jahr 2022 gestartet. Dieser Ausblick ist vor dem Hintergrund steigender Zinsen und der Ausweitung der Renditedifferenzen (Credit Spreads) allmählich konstruktiver geworden. Wir setzen weiterhin auf Unternehmensanleihen von hoher Qualität. Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Staatspapiere scheinen in verschiedenen Szenarien zunehmend attraktiv. Die Renditen für globale Investment-Grade-Unternehmensanleihen notieren auf dem höchsten Stand seit über einem Jahrzehnt, und wir haben in diesem Segment Positionen aufgebaut. Mit dem zunehmenden Rezessionsrisiko steigt auch das Risiko von Zahlungsausfällen bei den am höchsten verschuldeten Unternehmen. Die Anlegerinnen und Anleger sollten bei hochverzinslichen Unternehmensanleihen vorerst vorsichtig bleiben. In den Schwellenländern bleiben wir weitgehend neutral. Wir halten eine Untergewichtung chinesischer Staatsanleihen, deren Renditevorteil gegenüber US-Staatsanleihen sich umgekehrt hat, und eine Übergewichtung brasilianischer Staatspapiere, die weiterhin attraktive Renditen bieten dürften.
3. Auch bei Aktien auf Substanz und Qualität setzen
Die weltweiten Aktienbewertungen sind im Einklang mit den höheren Kapitalkosten gesunken, während die Gewinne weiterhin stark zugelegt haben. Jede Gewinnenttäuschung oder höhere Realzinsen bedrohen den Ausblick. Einige der Elemente, auf die wir bei Aktien achten, sind Rentabilität, starke Cashflow-Generierung, niedrige Verschuldung und geringer Liquiditätsbedarf sowie hohe und stabile Margen. Wir bevorzugen Substanzwerte in Energie, Finanzdienstleistungen, Industrie, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie Bergbau und die defensiven Sektoren Gesundheitswesen und Versorger. Wir haben unsere Engagements in kleinkapitalisierten Unternehmen (Small Caps), Europa und den Schwellenländern ausserhalb Chinas reduziert. Die höhere Inflation und die strengeren Finanzierungsbedingungen sowie der starke Dollar belasten die Gewinnerwartungen und das Wachstum in den Schwellenländern. Substanzwerte und der britische Markt sind nach wie vor besser abgeschirmt und könnten von hohen Rohstoffpreisen profitieren. Es ist wichtig, innerhalb der Technologietitel zu differenzieren und Unternehmen zu bevorzugen, die besser in der Lage sind, höhere Kosten an die Kunden weiterzugeben, sowie über einen starken Cashflow und vorhersehbare Gewinne verfügen.
4. Asymmetrische Portfolioprofile aufbauen
Optionsstrategien wie Put-Spreads auf US-amerikanische und europäische Aktienindizes können einem Portfolio einen gewissen Schutz vor weiteren Rückgängen bieten. Wir halten es für sinnvoll, gegenüber den Aktienmärkten neutral zu bleiben. Wenn es den Notenbanken gelingt, die Geldpolitik zu straffen, ohne eine Rezession auszulösen, dürften sich die Märkte angesichts der bereits erfolgten Neubewertung von hier aus allmählich erholen. Hingegen sind im Falle einer Rezession weitere Verluste nicht auszuschliessen. Wir wollen die Portfolios vor den Folgen eines solchen Szenarios schützen. Unsere Absicherungslösungen haben sich bisher als wertvolle Portfolioergänzung erwiesen. Wir werden sie je nach Marktlage weiter ausbauen.
5. Chinesische Aktien gegenüber breiteren Engagements in Schwellenländern bevorzugen
Chinesische Aktien bieten einen seltenen Lichtblick an den Märkten. Zu Beginn des Jahres haben sie sich schlechter entwickelt als andere Schwellenländer, und die Bewertungen fielen. Jetzt hat sich die Lage verbessert. Die chinesische Zentralbank senkt die Zinsen, das harte Durchgreifen der Regulierungsbehörden („Crackdown“) scheint nachzulassen, die durch Covid verursachten Störungen verringern sich, die Verschuldungssituation am Immobilienmarkt verbessert sich, und die Regierung bemüht sich um eine Stabilisierung der Wirtschaft vor ihrem Kongress im späteren Jahresverlauf. Mitte Mai haben wir eine 2%-Allokation in Schwellenländeraktien zugunsten chinesischer Aktien verkauft.
6. In einen diversifizierten Korb von Rohstoffen investieren
Als Instrument gegen die Auswirkungen einer hohen Inflation in den Portfolios bevorzugen wir weiterhin ein Engagement in einem diversifizierten Rohstoffkorb. Anders als in den letzten 20 Jahren sind die Rohstoffmärkte heute angebotsorientier. Das bedeutet, dass die Preise selbst bei einer nachlassenden Nachfrage gestützt bleiben könnten. Aufgrund des Ukrainekriegs ist es zu Versorgungsstörungen gekommen, und die Preise zahlreicher Rohstoffe sind stark gestiegen. Besonders gut gefallen uns Industriemetalle. Diese profitieren weiterhin von den Investitionen der Regierungen in die Entwicklung von Infrastrukturprojekten und der Dekarbonisierung von Energiequellen in der Wirtschaft – ein mehrjähriger Trend. Auch die sich wieder öffnende chinesische Wirtschaft dürfte die Nachfrage taktisch unterstützen. Wir bleiben bei einer Untergewichtung von Gold, das dem Einfluss der höheren Inflation, der Marktunsicherheit, steigender Zinsen und der Dollarstärke unterliegt.
7. Die Stärke des US-Dollar dürfte sich fortsetzen
Die US-Währung dürfte in der zweiten Jahreshälfte 2022 angesichts steigender Zinsen stark bleiben. Die herrschende Unsicherheit und die Tatsache, dass die Märkte eine restriktivere Geldpolitik einpreisen, dürften den Dollar unterstützen. Historisch gesehen hat sich der Dollar als Absicherung gegen Stagflationsrisiken erwiesen. Ein Long-Dollar-Engagement sollte den Portfolios einen Puffer bieten. Wir gehen davon aus, dass der Euro-Dollar-Kurs im Zuge einer knapperen Liquidität und eines weltweit nachlassenden Wachstums gegen Ende 2022 1.02 erreichen wird.
8. Volatilität bleibt – taktische, aktive Strategien sind weiterhin von entscheidender Bedeutung
Strengere Finanzierungsbedingungen, politische Instabilität und das Risiko eines geldpolitischen Fehltritts bedeuten, dass die Volatilität an den Märkten anhalten wird. Überzeugungen sollten durch aktives Management zum Ausdruck gebracht werden. Es ist ein breites Spektrum an Anlageinstrumenten erforderlich, um die Performancerisiken in Portfolios einzudämmen, darunter alternative Anlagen wie Hedge Funds sowie konvexe Kreditstrategien und ein Fokus auf Nachhaltigkeit. Diese Strategien können von öffentlichen Märkten dekorrelierte Performancequellen bieten. Wie immer bleibt taktische Disziplin wesentlich, da die Vermögensallokationen schnell angepasst werden müssen, um sich rasant entwickelnde Marktbedingungen und Chancen zu berücksichtigen.
9. Europäische Direktimmobilien als Inflationspuffer
Direktinvestitionen in europäischen Wohnimmobilien sind ein weiteres Instrument, um in Portfolios die Volatilität zu verringern und die Auswirkungen der Inflation zu dämpfen. Darüber hinaus kann ein Engagement in dieser Anlageklasse einen regelmässigen Ertragsstrom liefern. Insbesondere der Logistiksektor, in dem das Angebot knapp ist, bietet attraktive Renditen.
10. Nachhaltigkeit wird weiterhin Portfoliochancen eröffnen
Die meisten auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmen, die längerfristige technische Lösungen und Gewinnwachstum bieten, haben unter den gestiegenen Kapitalkosten gelitten. Die Energiewende verlangsamt sich aufgrund des Ukrainekriegs nicht, sondern beschleunigt sich. Die europäischen Regierungen werden in alternative Energiequellen investieren. Daher erwarten wir, dass Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien positive Ergebnisse erzielen werden. Die aktuelle Volatilität bietet die Chance, Portfolios so zu positionieren, dass sie in den kommenden Jahren von der Dekarbonisierung profitieren. Nachhaltigkeit bleibt die grösste Anlagechance unserer Generation.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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