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Märkte an einem wichtigen Scheidepunkt
Die ersten fünf Monate des Jahres waren für die Anleger eine Herausforderung. Nach dem konstruktiven Marktumfeld des Jahres 2021 markiert das Jahr 2022 eine deutliche Trendwende: Sowohl die Aktien- als auch die Anleihemärkte haben den schlechtesten Jahresanfang seit mindestens 30 Jahren verzeichnet. Es stellen sich daher folgende Fragen: Was hat sich geändert, und was geschieht nun?
Zu Beginn des Jahres gingen wir davon aus, dass sich das aussergewöhnlich hohe Wachstum etwas verlangsamen werde. Wir nahmen an, dass der Inflationsschub vor allem auf zumeist vorübergehende Angebotsengpässe nach der Pandemie bei einer sehr starken Nachfrage zurückzuführen sei. Insgesamt stand dies im Einklang mit dem Beginn der geldpolitischen Normalisierung, insbesondere in den USA, wo der Markt laut Konsens drei Zinserhöhungen durch das Federal Reserve Board im Jahr 2022 einpreiste. Die Unternehmen wiesen hohe Gewinne aus, und die Gewinnspannen waren trotz der Produktionsschwierigkeiten solide.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine und Chinas anhaltende Null-Covid-Politik dürften etwas mit dem Stimmungsumschwung zu tun haben, denn beides schürt Sorgen über ein langsameres Wachstum und eine anhaltende Inflation. Die US-Notenbank wiederum hat ihre Absicht deutlich gemacht, die Inflation einzudämmen, nachdem die Vollbeschäftigung erreicht worden ist. Infolgedessen hat sie einen entschieden restriktiven Kurs eingeschlagen: Sie hat die Zinsen bisher um 150 Basispunkte angehoben. Wir erwarten jetzt in diesem Zyklus einen Zinshöchststand bei rund 3,6%. Andere Zentralbanken folgen diesem Beispiel. Die Zinsen spiegelten dieses neue Szenario schnell wider: Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen und entsprechender deutscher Bundesanleihen stiegen um über 160 Basispunkte.
Der starke Zinsanstieg wirkte sich auf eine Reihe von Vermögenswerten aus, wobei hauptsächlich wachstumsstarke und hoch bewertete Aktien betroffen waren. Die Renditedifferenzen (Credit Spreads) weiteten sich ebenfalls aus, wenn auch nicht massiv, doch aufgrund ihrer Zinsabhängigkeit bescherten Unternehmensanleihen den Anlegern immer noch erhebliche Verluste. Der US-Dollar war einer der wenigen Nutzniesser der Marktbewegungen und legte gegenüber den meisten anderen Währungen stark zu.
Unserer Ansicht nach befinden sich die Märkte an einem wichtigen Scheidepunkt. Die ursprünglich treibende Kraft für die negativen Renditen – die Straffung der Finanzierungsbedingungen (höhere Zinssätze) – scheint eher in den Hintergrund zu treten. Doch die Sorgen haben sich von der Inflation auf das Wachstum, das steigende Rezessionsrisiko und die Möglichkeit deutlich nachlassender Unternehmensgewinne verlagert.
In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass die Weltwirtschaft trotz der Wachstumsverlangsamung in diesem Jahr einer Rezession entgehen wird. 2023 könnte jedoch eine milde Rezession zu verzeichnen sein. Wir erwarten, dass die Unternehmensmargen hoch bleiben – auch wenn sie ihren Höchststand bereits erreicht haben – und das Gewinnwachstum anhaltend positiv ist, wobei die unserer Meinung nach zu optimistischen Konsensprognosen verfehlt werden dürften.
Derweil hat sich die Stimmung an den Märkten ins Negative gedreht, auch wenn die Anleger das Risiko in ihren Portfolios erst mit einer gewissen Verzögerung abbauen. Unseres Erachtens bedarf es eindeutiger Anzeichen dafür, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht hat und nachlässt – auch bei den „Kern“-Messgrössen für Dienstleistungen –, bevor sich die Risikobereitschaft deutlich und nachhaltig erholt.
Vor diesem Hintergrund ist unsere Portfoliopositionierung weitgehend ausgewogen und spiegelt einen vorsichtigeren Ansatz wider. Wir empfehlen eine Mischung aus wachstumsorientierten und zinssensitiven Vermögenswerten. Wertorientierte und defensive Aktien gehören zu den ersteren, während Investment-Grade-Unternehmensanleihen zunehmend zu den letzteren gehören. Ergänzend verwenden wir verschiedene Portfoliodiversifikatoren und konzentrieren uns innerhalb der Anlageklassen auf Relative-Value-Chancen.
Bei den Aktien geben die globalen Indizes seit den neuen Höchstständen Anfang 2022 nach. Die Bewertungen haben sich nach unten angepasst, um die höheren Kapitalkosten widerzuspiegeln. Dies erklärt einen Teil der Entwicklung, ebenso wie die zunehmende Sorge um die Verfassung der Verbraucher vor dem Hintergrund einer hohen und anhaltenden Inflation. Unterdessen sind die Gewinne im 1. Quartal weiter markant gestiegen, doch die Anleger haben verfehlte Gewinnerwartungen oder enttäuschende Prognosen stark abgestraft. Gewinnenttäuschungen auf breiter Front oder ein Anstieg der Realzinsen stellen Risiken für die Aussichten dar.
Substanzaktien und der britische Markt waren gegen die jüngsten Rückgänge besser abgeschirmt. Beide Segmente könnten auch in Zukunft gut unterstützt bleiben, da sie unter anderem von den höheren Rohstoffpreisen profitieren. Wir halten an unseren Engagements in diesem Bereich sowie in ausgewählten defensiven Titeln, insbesondere in den Sektoren Gesundheitswesen und Versorger, fest. Unser Engagement in Small-Cap-Titeln sowie in europäischen Aktien und Schwellenländeraktien ausserhalb Chinas haben wir reduziert. Während Schwellenländeraktien im Vergleich zu anderen Regionen weiterhin attraktiv bewertet sind, haben sich die Aussichten für die Region eingetrübt. Grund dafür sind ein stärkerer US-Dollar, eine hohe Inflation und restriktivere Finanzierungsbedingungen, die das Wachstum und die Unternehmensgewinne belasten dürften. Unterdessen entwickelten sich chinesische Aktien im letzten Jahr schlechter als andere Schwellenländeraktien, wodurch sich die Bewertungslücke deutlich verringert hat. Wir sind der Meinung, dass sich dieser Trend umkehren könnte, wenn das Covid-Management der chinesischen Behörden stärkere Anzeichen von Erfolg zeigt oder politische Anreize die Kreditverknappung umkehren und die Wachstums- und Gewinnaussichten verbessern. China gehört zu den wenigen Schwellenländern, welche die Zinsen senken statt erhöhen, und bei den derzeitigen Niveaus könnte für chinesische Aktien Aufwärtspotenzial bestehen.
Nachdem wir zu Beginn des Jahres gegenüber Anleihen bewusst zurückhaltend waren, sind wir aufgrund des raschen und deutlichen Zinsanstiegs und der Ausweitung der Credit Spreads von Unternehmensanleihen allmählich zu einer konstruktiveren Haltung gegenüber dieser Anlageklasse übergegangen. Die Anleihemärkte preisen nun einen Grossteil der bevorstehenden US-Zinserhöhungen ein. Eine ähnliche Dynamik ist in Europa zu beobachten. Hier weisen deutsche Bundesanleihen mit Laufzeiten von zwei oder mehr Jahren trotz der unverändert negativen Leitzinsen der EZB inzwischen positive Renditen auf (während die Rendite für Laufzeiten von bis zu 20 Jahren im Dezember 2021 noch bei null oder darunter lag).
Die Credit Spreads haben sich aufgrund der unsichereren Aussichten ausgeweitet, sodass die Gesamtrenditen für globale Investment-Grade-Unternehmensanleihen so hoch sind wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Wir haben begonnen, unsere seit Langem bestehende Untergewichtung in diesem Segment zu reduzieren, da sich das Risiko-Ertrags-Profil verbessert. Wir bevorzugen vorerst Investment-Grade-Anleihen gegenüber Hochzinsanleihen, da erstere resistenter gegenüber einer möglichen Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten und gegenüber Unternehmensinsolvenzen sind.
In den Schwellenländern bleiben wir insgesamt eher neutral eingestellt. Wir sehen aber ausgewählte Chancen in brasilianischen Staatsanleihen, wo sich der Zinszyklus in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, die Renditen attraktiv scheinen und die Währung aufgrund der starken Rohstoffpreise von positiven Terms of Trade profitiert. Unsere weniger negative Einschätzung erstreckt sich nicht auf alle Segmente. Wir haben unsere seit Längerem bestehende Präferenz für chinesische Staatsanleihen aufgegeben, wo wir nun leicht untergewichtet sind. Hier präsentiert sich das Zinsgefälle gegenüber den entsprechenden US-Staatsanleihen nicht mehr zugunsten von China, und die Aussichten für den Renminbi sind angesichts des nach wie vor starken Wachstumsdrucks eher gemischt.
Bei den Währungen haben radikale geldpolitische Veränderungen und die allgemeine Unsicherheit den US-Dollar auf ein 20-Jahres-Hoch getrieben: Er hat gegenüber den meisten Währungen auf breiter Front an Wert gewonnen, und zwar schneller, als wir erwartet haben. Das Tempo der Kursgewinne könnte sich nun abschwächen. Doch wir halten an einer starken Präferenz des US-Dollar fest, die unser Thema der sich verknappenden globalen Liquidität und des sich abschwächenden globalen Wachstums, aber auch einen wahrscheinlich länger andauernden Russland-Ukraine-Konflikt widerspiegelt. Eine gewisse Long-Position im US-Dollar kann den Portfolios ein Polster verschaffen. Während der Renminbi (RMB) im 1. Quartal äusserst stabil war, ist das Währungspaar USDRMB seitdem stark gestiegen, ohne dass die chinesischen Behörden viel dagegen unternommen hätten. Wir bleiben hier und bei den Schwellenländerwährungen allgemein vorsichtig eingestellt.
Rohstoffe haben sich in diesem Jahr besonders gut entwickelt und sind ein wichtiger Bereich für Aktivitäten in den Portfolios. Wir halten an unserer Untergewichtung von Gold fest. Gold unterlag durch die gestiegene Inflation und die Marktunsicherheit einerseits sowie die Normalisierung der Realzinsen und den starken Dollar andererseits gemischten Impulsen. Angesichts der Lieferstörungen bei einer Reihe von Rohstoffen (von denen viele mit dem Russland-Ukraine-Konflikt zusammenhängen) und der anhaltend starken Nachfrage halten wir es weiterhin für sinnvoll, zwecks Diversifizierung einen breiten Korb von Rohstoffen zu halten.
Aus ähnlichen Gründen erachten wir Makro-Strategien bei Hedge Funds im aktuellen Kontext als attraktiv. Diese Strategien konnten in der Vergangenheit von steigenden Zinsen, einer höheren Marktvolatilität und einer allgemein stärkeren Differenzierung der Renditen von Vermögenswerten profitieren. Sie weisen eine geringe Korrelation zu anderen Anlageklassen auf – was unseres Erachtens den Portfolios auch im weiteren Verlauf des Zyklus zugutekommen wird.
Insgesamt bleibt unsere Anlagepositionierung weitgehend ausgewogen – mit einer Untergewichtung von Anleihen, einer neutralen Position in Aktien – mit Optionsstrategien auf wichtige Indizes zur Absicherung der Portfolios gegen Abwärtsrisiken – und übergewichteten Engagements in Immobilien, dem US-Dollar sowie einem breiten Korb von Rohstoffen zur Portfoliodiversifizierung.
Bitte klicken Sie auf das PDF oben rechts auf dieser Webseite, um unseren gesamten Ausblick für das zweite Halbjahr zu lesen – einschliesslich Einschätzungen nach Anlageklasse und makroökonomischer Prognosen.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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