investment insights
Grosse Wiedereröffnung Chinas
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Die Wiedereröffnung Chinas wird sich beschleunigen, da das Land auf die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit einer Lockerung der Covid-Massnahmen reagiert
- Eine höhere Immunität durch Impfungen der chinesischen Bevölkerung, vor allem älterer Menschen, ist eine Priorität
- Unsere Schätzung für das BIP-Wachstum im Jahr 2023 ist mit 4% relativ konservativ. Die Behörden setzen ihre fiskal- und geldpolitische Unterstützung fort, und wir erwarten für 2023 zusätzliche Massnahmen im Umfang von 3% des BIP
- Wir sind der Meinung, dass Portfolios in chinesischen Vermögenswerten positioniert bleiben sollen, wenn sich das Land wieder öffnet. Wir behalten unsere Übergewichtung von chinesischen Aktien und von in USD abgesicherten chinesischen Staatsanleihen bei, während wir im Yuan untergewichtet bleiben.
In China steht 2023 die Wiedereröffnung der Wirtschaft an. Die jüngsten Strassenproteste dürften die Lockerung der Covid-Beschränkungen im Land beschleunigen. Die Wiedereröffnung wird von Unbeständigkeit geprägt sein. Zugleich werden geld- und fiskalpolitische Anreize das Wachstum unterstützen, bis sich die Wirtschaftstätigkeit in der zweiten Hälfte 2023 und bis ins Jahr 2024 hinein erholen kann.
Eine Verlängerung der strengen chinesischen Null-Covid-Beschränkungen ist politisch nicht mehr vertretbar. Die Strassenproteste vom 24. November zeigten die Ungeduld der Bevölkerung deutlich. Bei einem Brand in einem Wohnblock in der Stadt Urumqi verhinderten versiegelte Türen – diese sind Bestandteil der Quarantäneprotokolle der Stadt – die Flucht der Opfer. Die darauffolgende Empörung hat sich nach Peking und Schanghai ausgebreitet. Zum Teil hielten Demonstranten leere Blätter hoch, um ihren Widerstand gegen die Regierung zum Ausdruck zu bringen, und forderten sogar unverhohlen einen Wechsel an der Spitze.
Am besorgniserregendsten für die Führung des Landes ist, dass Frustration und Wut über die Covid-Beschränkungen offenbar weit verbreitet sind. Sie scheinen sich quer durch die Gesellschaft zu ziehen, von Studenten und Arbeitern bis zu Migranten und Rentnern. Es bleibt unklar, wie sich die Proteste entwickeln werden, doch ein offenes Hinterfragen der Führung der Kommunistischen Partei Chinas dürfte nicht ignoriert werden. Die Behörden scheinen den Zeitplan für die Wiedereröffnung zu beschleunigen. Viele Städte in Guangdong, einer der grössten und wohlhabendsten Provinzen Chinas und neben Hongkong gelegen, haben angekündigt, die Covid-Beschränkungen trotz steigender Infektionen weiter zu lockern. Vizepremierministerin Sun Chunlan, die seit Beginn der Pandemie für Chinas strenge Kontrollen steht, äusserte sich am 30. November vor Gesundheitsexperten. Sie erklärte, dass die weniger tödliche Omicron-Variante, mehr Impfungen und ein besseres Gesundheitsmanagement dem Land den Eintritt in eine neue Phase im Kampf gegen das Virus ermöglichen werden. Sun Chunlan verzichtete in ihrer Rede auf die Verwendung von „Null Covid“ und forderte mehr Impfungen für ältere Menschen. Ausserdem wird über Änderungen der Protokolle für Massentests und häusliche Quarantäne berichtet. Die chinesische Führung scheint folglich entschlossen zu sein, das Land im Jahr 2023 wieder zu öffnen.
Zuerst die Grossstädte
Rückschläge werden nicht zu vermeiden sein. Nur 68% der chinesischen Bevölkerung über 60 Jahre sind mit drei Dosen der vor Ort entwickelten Wirkstoffe geimpft worden (siehe Grafik 1). Diese Impfstoffe sind weniger wirksam als jene, die im Westen entwickelt worden sind. Je näher die Grippesaison in der nördlichen Hemisphäre rückt, desto dringender wird der Bedarf. Zwar werden die Kampagnen für Auffrischungsimpfungen intensiviert, doch werden die Verzögerungen bei der Verbreitung von Impfstoffen das Wachstum belasten. Zugleich müssen sich Behörden und Verbraucher auf höhere Infektionsraten einstellen.
Aus diesem Grund sind unsere Erwartungen für das reale Wachstum des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) konservativ. Das BIP dürfte 2022 um 2,5% wachsen und dann in der zweiten Jahreshälfte 2023 auf 4% für das Gesamtjahr anziehen. Da die Regierung voraussichtlich viele Test-, Rückverfolgungs- und Isolierungsprotokolle abschaffen wird, ist mit einer anfänglichen Dämpfung der Aktivität zu rechnen. In vielen Nachbarländern Chinas schrumpfte der private Verbrauch zu Beginn der Wiedereröffnung, als die Infektionen in die Höhe schnellten. Die Erfahrungen in China könnten sogar noch dramatischer werden, da die Immunität der Bevölkerung dort wahrscheinlich geringer ist. Aber sobald die Wiedereröffnung greift, dürfte sich das Wachstum beschleunigen.
China muss in seiner 1,4-Milliarden-Bevölkerung eine Immunität aufbauen, nachdem die Zahl der Infektionen drei Jahre lang niedrig war und die Impfungen nur langsam vorankamen. Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation hat das Land weniger als 10 Millionen Fälle und 30’388 Covid-Tote zu verzeichnen. Die grössten Gefahren für die Wiedereröffnung Chinas sind ein weiterer landesweiter Lockdown oder ein sprunghafter Anstieg der Covid-Todesfälle. Ersterer hätte zum Ziel, den Druck auf das Gesundheitssystem zu begrenzen, letzterer würde die Ängste der Bevölkerung verschlimmern. Die Lockerung der Massnahmen in der Provinz Guangdong und die jüngsten Erklärungen der Regierung signalisieren unseres Erachtens, dass die chinesische Führung versuchen wird, beide Extreme zu vermeiden. Dazu dürfte sie grosse Stadtgebiete mit einem besseren Gesundheitssystem schneller wieder öffnen lassen.
Ein Blick über 2023 hinaus
Die Wiedereröffnung wird ein unbeständiger Prozess sein und eine aggressivere makroökonomische Unterstützung erfordern, bevor sich die Aussichten für die zweite Hälfte 2023 und für 2024 verbessern. Die geldpolitischen und regulatorischen Änderungen, die wir im Vorfeld des Parteitags im Oktober erwartet haben, werden bereits intensiviert. Die chinesische Notenbank (People’s Bank of China, PBoC) setzt ihre geldpolitische Lockerung fort. Dazu gehören eine weitere Senkung des Mindestreservesatzes per 5. Dezember, um die Liquidität im Geschäftsbankensystem zu erhöhen, und das Direktkreditprogramm „Pledged Supplementary Lending“ (siehe Grafik 2).
Chinas Fiskalpolitik bleibt ebenfalls akkommodierend. Die Behörden haben dazu verschiedene Massnahmen eingeführt: Rückerstattungen von Unternehmens- und Mehrwertsteuern auf lokaler Ebene, eine Reihe von Gebührensenkungen von Strom bis Telekommunikation sowie Infrastrukturausgaben. Die Massnahmen belaufen sich auf etwa 3% des BIP im Jahr 2022. Angesichts des Drucks auf die Wirtschaft rechnen wir mit einer Unterstützung im Wert von weiteren 3% des BIP im Jahr 2023, mit starken Impulsen in den nächsten sechs Monaten.
Zudem ändert sich die Haltung der Regierung zum Immobiliensektor. Die Regulierungsbehörden lassen Bauträger nach jahrelangen Restriktionen auf Onshore-Kapital zugreifen. Der neue Rahmen erleichtert Bankdarlehen, die Ausgabe von Anleihen und die Eigenkapitalfinanzierung für besser geführte Bauunternehmen. Dies dürfte die Solvenzängste dieser Baufirmen verringern und die Befürchtungen von Hauskäufern hinsichtlich der Fertigstellung von Wohnungen zerstreuen. Da die Regierung bereits die Hypothekenzinsen und die Anforderungen für Anzahlungen gelockert hat, sollte sich die Nachfrage nach Wohnraum erholen. Entsprechend erwarten wir, dass die Belastung der Wirtschaft durch den Immobiliensektor 2023 abnehmen wird.
Immer noch unkorreliert, immer noch Potenzial
Die Herausforderungen für die chinesische Wirtschaft – ein pandemiebedingt schwaches Wachstum und die Probleme am Immobilienmarkt – sind bekannt. Seit Mai 2022 haben wir eine übergewichtete Position in chinesischen Aktien beibehalten. Chinesische Aktien schnitten zunächst gut ab, bevor sie zwischen Juli und Oktober Einbussen erlitten. Attraktive Bewertungen bieten Potenzial für eine starke Rally, und aufgrund der jüngst besseren Entwicklung sind wir in Bezug auf den Ausblick für chinesische Aktien zuversichtlicher. Zudem weist der Markt weiterhin eine geringe Korrelation mit anderen globalen Aktien auf. Vorerst halten wir auch an der Übergewichtung chinesischer Staatsanleihen, die in US-Dollar abgesichert sind, fest.
Im bisherigen Jahresverlauf hat der Dollar gegenüber dem Yuan um fast 9% zugelegt. Zwar könnte die chinesische Währung kurzfristig durch einen schwächeren US-Dollar etwas gestützt werden. Jedoch würden mögliche Mittelzuflüsse durch die sich verschlechternde Zahlungsbilanz des Landes mehr als ausgeglichen. Chinas Überschuss im Warenhandel und sein geringes Defizit im Dienstleistungssektor, die dank der Null-Covid-Strategie entstanden sind, werden sich mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft umkehren. Unsere Portfolios bleiben in der chinesischen Währung untergewichtet.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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