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Ist eine nachhaltige Elektronikbranche möglich?
Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist Technik ein unentbehrlicher Begleiter in unserem Leben geworden. Immer mehr Geräte stehen uns im Alltag zu Diensten. Doch sie alle – von Smartwatches über schnurlose Kopfhörer bis zu virtuellen Assistenten und Tablets – haben eine begrenzte Lebensdauer. Und wenn man sie einmal weggeworfen hat, vermodern sie in Elektronikfriedhöfen, kontaminieren den Boden oder verstauben in Schubladen. All die Rohstoffe, die man für die Herstellung abgebaut, transportiert und verarbeitet hat – die seltenen Mineralien, Kunststoffe, Chemikalien –, sind verloren. Und die gesamte Energie, die für die Produktion benötigt wurde, entschwindet in die sich immer stärker erwärmende Atmosphäre.
Einem Bericht der UN-Initiative Global E-waste Monitor aus dem Jahr 2020 zufolge wurden 2019 53,6 Mio. Tonnen an Elektroschrott weggeworfen. Das entspricht dem Gewicht von 4’500 Eiffeltürmen und übertrifft sogar das Gewicht sämtlicher jemals gebauten Verkehrsflugzeuge. Und das ist lediglich der Elektroschrott von einem Jahr. In diesem Berg von Waschmaschinen, Fernsehern und Toastern steckten Rohstoffe im Wert von USD 57 Mrd. – mehr als das Bruttoinlandsprodukt vieler Länder. Nur 17,4% dieser Materialien wurden wiederverwertet. Der Grossteil wurde verbrannt oder landete auf Deponien.
Derweil hat die Nachfrage ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Jedes Jahr werden rund 1,43 Mrd. Telefone verkauft. Die E-Commerce-Verkäufe steigen weltweit weiter an. In der Folge wurde Elektroschrott zu einer der am schnellsten wachsenden Abfallarten weltweit. Halten die aktuellen Trends an, wird nach Prognosen der Vereinten Nationen der jährlich anfallende Elektroschrott bis 2030 auf 74,7 Mio. Tonnen steigen. Der Bericht forderte einen weltweiten Neustart und eine neue, in der Kreislaufwirtschaft von Wiederverwendung und Wiederverwertung verwurzelte Vision für Elektroschrott. Aber ist eine nachhaltige Elektronikbranche überhaupt möglich?
Konzeptionell kreislauforientiert
Viele Unternehmen, von Start-ups in den Kinderschuhen bis zu etablierten Technologiegiganten, haben sich über diese Frage den Kopf zerbrochen. Und zur Koordination ihrer Bemühungen sind etliche Organisationen entstanden.
Die 2021 gegründete Circular Electronics Partnership (CEP) soll Expertinnen und Experten, Unternehmensführende sowie globale Organisationen zusammenbringen, damit sie gemeinsam Lösungen für eine „kreislauforientierte“ Elektronikbranche konzipieren. Zusammen mit 40 Unternehmen erstellte die CEP einen Fahrplan, der die grössten Nachhaltigkeitsbarrieren der Branche festhält – und die Wege zu einer Kreislaufwirtschaft.
„Mit diesen 40 Barrieren sind alle Unternehmen konfrontiert, und weil sie so breitgefächert sind, können wir sie nur gemeinsam überwinden“, sagt Carolien Van Brunschot, die Geschäftsführerin der CEP. „Sie können eine Kreislaufwirtschaft nicht allein aufbauen. Es ist ein grösseres System, und deshalb müssen Sie mit den anderen Unternehmen Ihrer Branche zusammenarbeiten.“
Wiederverwertung wird oft als Antwort auf den Elektroschrott angeführt, doch der Wandel muss viel früher in der Wertkette beginnen. Zunächst – und das ist der erste Schritt der CEP – muss das Produkt kreislauforientiert konzipiert werden, sodass Wiederverwendung und Wiederaufarbeitung zur Gewohnheit werden. „Im Prinzip geht es darum, Dinge so lange wie möglich im Kreislauf zu halten und zu verwenden“, so Brunschot. „Rezykliert wird nur das, was nicht wiederverwendet oder wiederaufbereitet werden kann. Niedrige Recyclingsraten sind kein Problem der Wiederverwertung, sondern eines der gesamten Wertkette.“
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Das Recht auf Reparatur
In den letzten Jahren kam eine Kampagne für das Recht der Konsumentinnen und Konsumenten in Gang, elektronische Geräte reparieren zu lassen, statt sie wegwerfen zu müssen. Die Regierungen nehmen allmählich davon Notiz. So schlug die EU-Kommission im vergangenen Jahr auf der Basis von Vorschriften für die Reparierbarkeit von Kühlschränken, Fernsehern und dergleichen ein Smartphone-Reparaturgesetz vor. Dieses schriebe langlebigere Batterien, eine bessere Energieeffizienz und die Verfügbarkeit von mindestens 15 Komponenten vor, um für mindestens fünf Jahre nach der Markteinführung eines Geräts dessen Reparatur zu ermöglichen. Ausserdem werden ab 2025 Etikettangaben zur Reparierbarkeit verlangt, sodass die Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf ihres nächsten Telefons oder Tablets berücksichtigen können, wie leicht es zu reparieren ist.
Auch in den USA mehren sich die Forderungen nach Reparierbarkeit, und einige US-Staaten sind der Initiative der EU gefolgt. So starteten Apple, Samsung und weitere Produzenten mit dem Angebot von Anleitungen und Reparaturkits.
Diese Abkehr von der „eingebauten Veralterung“ erfordert auch eine Änderung des Konsumentenverhaltens; die sogenannte Upgrade-Kultur ist mit einer Kreislaufwirtschaft unvereinbar. „Das müssen die Konsumentinnen und Konsumenten ebenfalls verinnerlichen”, argumentiert Brunschot. „Es ist wirklich eine allgemeine gesellschaftliche Einstellung, Dinge so lange wie möglich zu verwenden. Und wenn Sie ein Gerät nicht mehr verwenden können, dann nehmen Sie es auseinander und schauen, wofür Sie es sonst gebrauchen könnten! Es geht darum, das, was Sie haben, zu etwas Wertvollem zu machen – und nicht das, was Sie kaufen können.“
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Telefonangebote fair gestalten
Die Idee der Reparierbarkeit bildet das Rückgrat von Fairphone, einem auf faire und wiederverwertete Materialien fokussierten, sozialen Smartphone-Unternehmen aus den Niederlanden. „Wenn Sie die Umweltbelastung anpacken wollen, müssen Sie sich auf die Langlebigkeit konzentrieren, denn der grösste Teil der mit einem Smartphone verbundenen Belastung entfällt auf die Produktionsphase“, erklärt Thea Kleinmagd, eine Spezialistin für innovative Materialkreisläufe bei Fairphone. Schätzungen zufolge entstehen 75% der von einem Telefon ausgehenden Umweltbelastung bei der Produktion.
Das neueste Modell der Firma, Fairphone 4, ist modular: Es besteht aus acht Modulen, welche Kundinnen und Kunden mithilfe von auf der Website angebotenen Anleitungen und Ersatzteilen leicht reparieren können. „Reparieren hat einen sehr kleinen CO2-Fussabdruck“, sagt Kleinmagd. „Mit einem intelligenten Design, bei dem Sie Module mit sehr geringer Belastung austauschen können und das grosse Modul, den Kern, behalten, sparen Sie Ressourcen. Denn Sie können dann das Telefon länger verwenden, und es wird nicht einer Wiederverwertung zugeführt, bei der viel Material verloren geht.“
Doch irgendwann wird jedes Gerät irreparabel – dann kommen Innovationen bei der Verwertung ins Spiel, um möglichst viele Bestandteile zu retten. Der Roboter Daisy von Apple kann 200 Telefone pro Stunde zerlegen. Roboter Dave gewinnt Seltene-Erden-Magnete, Wolfram und Stahl zurück, und seine Maschine TAZ entnimmt Magnete aus Audiomodulen. Im Jahr 2021 wurden 20% der in den Produkten von Apple enthaltenen Materialien wiederverwertet; das Ziel sind 100%.
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Schulen, schulen, schulen
Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) der Vereinten Nationen berät Regierungen zu deren nationaler Politik in Sachen Elektroschrott. Dies beinhaltet Wiederverwertungsbenchmarks oder laufende Bemühungen zur internationalen Standardisierung von Netzteilen. „Compliance und Durchsetzung sind entscheidend“, sagt Cosmas Zavszava, der Direktor der ITU. „Es ist kontinuierliche Arbeit. Wir müssen schulen, schulen, schulen.“
Einige erste Anzeichen sind vielversprechend. Seit 2014 stieg die Zahl der Länder, die eine nationale Politik, Gesetzgebung oder Regulierung zum Elektroschrott eingeführt haben, von 61 auf 78. Einem Bericht der ITU zufolge nimmt diese Zahl weiter zu. Im Jahr 2021 umfasste der globale Markt für die Wiederverwertung von Elektroschrott bereits USD 3,6 Mrd. Transparency Market Research-Daten prognostizieren aktuell, dass dieser Markt mit einer durchschnittlichen Jahreswachstumsrate von 7,6% bis 2030 auf USD 7,3 Mrd. wächst.
„Das wird nicht über Nacht passieren“, stellt Brunschot klar. „Wir werden nicht eines Tages aufwachen und sagen: ‘Oh, die Kreislaufwirtschaft ist da.’ Es ist ein allmählicher Wandel. Aber er ist im Gange.“
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