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Nachhaltige Zukunft: die Natur als Inspiration für Architekten
Biomimikry – oder Bionik – kann die Auswirkungen eines Bauwerks auf die Umwelt verringern und dazu beitragen, baubedingte ökologische Schäden umzukehren.
„Wer sich bei seinen neuen Werken an den Gesetzen der Natur orientiert, arbeitet mit dem Schöpfer zusammen“, so der katalanische Architekt Antoni Gaudí. Aber können sich Gebäude wie beispielsweise Bäume verhalten? Könnte die Natur selbst die Antworten zur Bekämpfung des Klimawandels liefern? Können wir Gebäude entwerfen, die nicht nur Netto-Null-Emissionen erreichen, sondern sogar positive Umweltauswirkungen haben?
Gebäude sind für knapp 40% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.1 Als Ursachen sind der Kohlenstoff in den Baumaterialien sowie die Emissionen aus dem Bau und dem laufenden Betrieb wie Heizung und Beleuchtung zu nennen. Beton und Zement gehören zu den grössten Verursachern und tragen zusammen 8% zum weltweiten CO2-Fussabdruck bei. Auch wenn Städte nur etwa 4% der weltweiten Landfläche ausmachen, verbrauchen ihre Einwohner grosse Mengen an Energie, Wasser und Ressourcen. Und sie stossen Treibhausgase in erheblichem Umfang aus. Gleichzeitig stehen Städte aber für die effizienteste Lebensweise, die wir Menschen kennen – mehr als stadtnahe Gebiete und ländliche Siedlungen. Da die Urbanisierung schnell voranschreitet, ist die richtige Vorgehensweise entscheidend.
Architekten, Wissenschaftler und Designer sehen sich mit den Herausforderungen der CO2-Bilanz unserer bebauten Umwelt und der stetig fortschreitende Erderwärmung konfrontiert. Sich der Natur zuzuwenden, um neue Wege zur Verringerung der Umweltauswirkungen von Gebäuden zu finden, ist daher eine gute Option.
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Termiten als Vorbild
Mick Pearce, einer der führenden, auf Nachhaltigkeit setzenden Architekten befasst sich mit der Frage, wie das Eastgate Development in Simbabwe am besten belüftet werden könnte; das Eastgate ist ein weitläufiges Einkaufszentrum und Bürogebäude in der Hauptstadt Harare. Er fand eine ungewöhnliche Inspirationsquelle: Termiten2. Sie bauen hoch aufragende Hügel mit einem komplexen System aus Löchern und Tunneln. So sorgen sie für eine selbstregulierende „passive Belüftung“: Die Löcher ermöglichen einen internen Luftstrom und eine natürliche Konvektion, die tagsüber Wärme speichert und nachts wieder abgibt. Die Insekten wissen offensichtlich, was sie tun. Eastgate verbraucht 90% weniger Energie als Gebäude herkömmlicher Bauweise.
Der britische Architekt Michael Pawlyn verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Sein Team ist für die äusserst erfolgreichen Biokuppeln des Eden-Projekts in Grossbritannien verantwortlich. Zudem ist er Gründer von Exploration Architecture,3 einem weltweit führenden Planungsbüro im Bereich biomimetischer Architektur. „Betrachtet man auch die komplexen Zusammenhänge, erkennt man: Wir müssen lernen, alles, was wir als Menschen tun, in das Gefüge des Lebens zu integrieren, das uns unterstützt“, so Michael Pawlyn.
Seit Langem schon lassen sich die Menschen bei der ästhetischen und praktischen Gestaltung von der Natur inspirieren. Das sogenannte biomimetische Design hingegen imitiert die Ökosysteme, Prozesse und Organismen der Natur – mit dem ausdrücklichen Ziel, nachhaltige Lösungen für menschliche Probleme zu finden. Im Bausektor verfolgt die Biomimikry zwei Ziele: die Auswirkungen eines Gebäudes auf die lokale Umwelt zu verringern oder sogar Strukturen zu schaffen, die ökologische Schäden rückgängig machen. Gebäude werden damit zu einer Erweiterung des Ökosystems.
Biomimikry bedeutet Ressourceneffizienz
Michael Pawlyn zufolge können bestimmte biomimetische Anwendungen konkrete biologische Funktionen in Lösungen übersetzen. Diese funktionieren für den Menschen häufig „viel ressourceneffizienter als herkömmliche Vorgehensweisen“. Sein Hintergrund in Design und Biologie führt ihn zu der Überzeugung, dass ein Umdenken im Bereich Materialverbrauch und Kreislaufwirtschaft möglich ist – sowohl in der Industrie als auch im Bauwesen. Wir müssen nur von den Anpassungen in der Natur lernen.
Der Ansatz ist relativ neu. Dennoch führte er bereits zu deutlich nachhaltigeren Gebäuden. Die von Seifenblasen, Pollenkörnern und Libellenflügeln inspirierte Struktur der Humid-Tropics-Biokuppel des Eden-Projekts in Cornwall ist leichter als die Luft, die sie enthält. Das ermöglicht einen deutlich verringerten Stahlverbrauch und verbessert zugleich den Einfall von Sonnenlicht. Der Erfolg in Simbabwe mit der von Termiten inspirierten Gebäudebelüftung wurde im australischen Melbourne mit dem „Council House 2“ kopiert. Das Singapore Arts Centre wiederum liess sich von der Struktur der Durian-Frucht inspirieren: So konnte der Energieverbrauch um 30% und der Bedarf an künstlicher Beleuchtung um 55% gesenkt werden.
Die Natur bietet auch Lösungen für nachhaltige Baumaterialien. Das US-amerikanische Unternehmen BioMason baut Biozement an, für den Korallenriffe Pate stehen: Der Zement bindet bei der Herstellung Kohlenstoff, anstatt ihn freizusetzen. Erneuerbare Dämmstoffe wie Hanf oder Wolle haben eine höhere Wärmekapazität als Mineralwolle und bieten eine bessere Isolierung gegen unerwünschte Wärme. Daneben können sie ihre Dämmeigenschaften beibehalten, während sie gleichzeitig Feuchtigkeit absorbieren: Somit sind sie ideal für feuchte Umgebungen. In Kombination mit der Einführung erneuerbarer Energiequellen und der Installation elektrischer Wärmepumpen werden branchenweit grosse Fortschritte bei den Bemühungen um kohlenstoffneutrale Häuser erzielt.
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Doch dies könnte nicht ausreichen. Befürworter der regenerativen Architektur argumentieren, dass die Welt mehr braucht als Nachhaltigkeit, Netto-Null und Kohlenstoffneutralität. Erforderlich ist ein netto-positives Design, das die Biodiversität aktiv fördert.
Regenerative Architektur
Michael Pawlyn kam diese Erkenntnis wie eine Inspiration, als er den Bewertungsbericht 2018 des Weltklimarats der Vereinten Nationen las. „Ich kam zum Schluss, dass 30 Jahre nachhaltiges Design uns nicht annähernd dorthin gebracht haben, wo wir heute stehen müssten“, sagt er. „Wir müssen zu einem neuen Paradigma regenerativer Gestaltung übergehen.“
Die städtische Bevölkerung wächst immer weiter – eine zunehmende Herausforderung. Laut Angaben der UN werden im Jahr 2050 68% der Weltbevölkerung in Städten leben.4 Fachleute schätzen, dass der Bedarf an Wohnraum so hoch ist, dass man in den nächsten 40 Jahren jeden Monat eine Fläche der Grösse von New York City bebauen müsste.
Michael Pawlyn war überzeugt, dass neue Gebäudeflächen ökologisch regenerativ sein müssen. So wurde er Mitautor des Buches Flourish: Design Paradigms For Our Planetary Emergency. Daneben forderte er Architekten auf der ganzen Welt auf, den Klimanotstand auszurufen. Mehr als 7’700 Unternehmen aus 28 Ländern unterzeichneten seine Forderung.5
Farid Mohamed, Ingenieur bei der US-amerikanischen Beratungsfirma Biomimicry 3.8, erklärt, wie regenerative Architektur funktionieren könnte: „Würde man beispielsweise eine Fabrik neben einem Wald errichten, sollte dieses städtische Umfeld die gleiche Leistung erbringen wie der Wald daneben. Es müsste in der Lage sein, Ökosystemfunktionen wie Regenwassermanagement, Nährstoffkreislauf, Luftfilterung und Wohlbefinden für Gemeinschaften zu übernehmen.“
Rachel Armstrong, Professorin für Regenerative Architektur an der Katholischen Universität Leuven in Belgien und Pionierin der „lebendigen Architektur“, geht noch einen Schritt weiter: „Um mehr als Netto-Null zu erreichen, müssen wir darüber nachdenken, wie die Gebäude Energie und Ressourcen transformieren und für ihre Bewohner wertvoller machen. Das einzige System, das dies bewerkstelligen kann, ist keine Maschine: Es ist das Leben selbst. Können wir Grundsätze aus der natürlichen Umwelt für unsere Gebäude übernehmen und so deren Umweltauswirkungen verändern?“
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In der Natur gibt es unzählige, oft komplexe Wege, um dies zu erreichen. Im Grunde aber ist das Prinzip ganz einfach: Nichts wird verschwendet. Ein toter Baum ist Nahrung für einen anderen. Die Überreste eines Tieres sind Nahrungsquelle für andere Tiere. Und so weiter. Ein regeneratives Haus würde etwa das Abwasser nicht in die Kanalisation leiten, sondern als wichtige Ressource nutzen: Biogas zur Energiegewinnung oder Kompost für den Boden.
Wichtig ist, dass jedes gut funktionierende Ökosystem auf Dichte und Effizienz beruht. Natur, Tiere und Mikroorganismen teilen die Ressourcen und geben diese weiter – in einem eng miteinander vernetzten System. Dies gilt auch für klimapositive Gebäude. Ausufernde städtische Gebiete mit unzureichend genutzten Flächen sind zu ressourcenineffizient – selbst wenn sie optimal gestaltet sind. Die Versorgung von Gemeinschaften und Umwelt mit kreislauforientierten Dienstleistungen erfordert eine gut gesteuerte Dichte.
Noch ein weiter Weg
Die Welt ist jedoch noch weit von kohlenstoffneutralem Bauen – als Standard – entfernt; ganz zu schweigen von der Gestaltung von Gebäuden in symbiotischer Harmonie mit ihrer Umgebung. Biomimicry 3.8 wurde von der Biologin Janine Benyus mitgegründet. Sie prägte den Begriff „Biomimikry“ bereits 1997 in ihrem Buch Biomimicry: Innovation Inspired By Nature. Warum also ist Biomimikry noch nicht weiter verbreitet?
Gründe sind „die Zeit und aktuelle Anreize“, so Farid Mohamed, Mitarbeiter des Beratungsunternehmens. Die Bauprozesse sind fest verankert: Zement wird seit dem viktorianischen Zeitalter meist auf dieselbe Weise hergestellt. Erste Veränderungen sind aber bereits erkennbar; sie wurden durch Netto-Null-Ziele und Vorschriften angestossen. Biomimicry 3.8 erlebte in den letzten Jahren einen „exponentiellen Anstieg“ an Unternehmen, die Unterstützung bei der Umgestaltung ihrer Gebäude suchen.
Nach wie vor bestehen jedoch erhebliche systembedingte Hürden. „Ein grosses Hindernis ist, ehrlich gesagt, der Kapitalismus“, so Rachel Armstrong. „Bei der Entwicklung von Technologien haben wir es geschafft. Betrachtet man aber den Massenkonsum und die Massenproduktion, passt dieses Modell der Schaffung von Ressourcen und Lebensraum nicht zum Kapitalismus. Die Aufwertung von Abfallströmen ist zum Beispiel gut für die Gemeinschaften. Nicht aber für die grossen Konzerne.“
Staatliche Interventionen sind erforderlich; abschreckende sowie positive Massnahmen, um die Beweggründe im Bauwesen zu ändern. Zudem müssen Gemeinschaften entsprechend unterstützt und gestärkt werden. Auch Investoren stellen bereits ihren grossen Einfluss auf die Praktiken des Immobiliensektors unter Beweis. Der wirkliche Wandel erfolgt nach ihren Angaben jedoch erst dann, wenn es keine andere Wahl mehr gibt.
„Kommt es erst einmal zu Stromausfällen, Engpässen bei der Energieversorgung und Lebensmittelknappheit, sind städtenahe Landwirtschaft sowie abfallbasierte Systeme eine Frage des Überlebens. Sie können zur Erholung nach einer grossen Überschwemmung oder Naturkatastrophe beitragen“, so Rachel Armstrong. „Wenn der Klimanotstand sich sehr real anfühlt und die Menschen wirklich über Resilienz nachdenken, wird sich etwas ändern.“
Die Natur hält auch dafür Lösungen bereit. Farid Mohamed und sein Kollege Nick Heier von Biomimicry 3.8 glauben, dass regenerative Architektur eine widerstandsfähigere Umwelt schafft, die natürlichen Herausforderungen standhalten kann. Nach einem Forschungsaufenthalt in Costa Rica zur Erkundung der Mangrovensysteme erklärt Nick Heier: „Mangroven gehören zu den besten Ökosystemingenieuren, die es gibt. Sie zählen zu den besten Strukturen zum Schutz vor Naturkatastrophen. Zudem sind sie das effizienteste Ökosystem für Kohlenstoffbindung“.
„Ich denke, wir stehen am Anfang einer sehr interessanten Lernkurve“, so das Fazit von Rachel Armstrong „Leider geht sie mit der Weltuntergangsstimmung des Klimawandels einher.“
1 https://www.forbes.com/sites/davidcarlin/2022/04/05/40-of-emissions-come-from-real-estate-heres-how-the-sector-can-decarbonize; Embodied Carbon - World Green Building Council (worldgbc.org)
2 Passively Cooled Building Inspired by Termite Mounds — Innovation — AskNature; What Termites Can Teach Us About Cooling Our Buildings - The New York Times (nytimes.com)
3 Michael Pawlyn - Leader in Innovative Building Design (a-speakers.com)
4 68% of the world population projected to live in urban areas by 2050, says UN | UN DESA | United Nations Department of Economic and Social Affairs
5 About Us | UK Architects Declare Climate and Biodiversity Emergency
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