rethink everything

    Pharmaökologie

    RE-Davos_LOcom-Articles_cure_slogan.jpg

    RE-Wave3_AuthorsWeb-Max.png

    Dr Maximilian Martin

    Global Head of Philanthropy

    Wir erleben gerade das Holozän-Aussterben, das sechste Massenaussterben in der Erdgeschichte. Aber diesmal wurde es allem Anschein nach hauptsächlich von uns Menschen ausgelöst1.

    Die Ozeane, die 99 % der Biosphäre der Erde ausmachen2, sind zwar viel stabiler als die Landmasse. Heute wissen wir aber, dass die menschlichen Aktivitäten auch unter dem Wasser ihre Spuren hinterlassen. Weniger bekannt sind die verheerenden Auswirkungen dieser Entwicklung auf unsere Möglichkeiten, Krankheiten vorzubeugen, zu behandeln und zu heilen – alles, von Unpässlichkeiten bis zu den verheerendsten Krankheiten unserer Zeit.

    Weniger bekannt sind die verheerenden Auswirkungen dieser Entwicklung auf unsere Möglichkeiten, Krankheiten vorzubeugen, zu behandeln und zu heilen – alles, von Unpässlichkeiten bis zu den verheerendsten Krankheiten unserer Zeit.

    Das Leben in unseren Ozeanen ist von vielen Seiten bedroht. Die Überfischung ist weit verbreitet – von den 600 Meeresfischbeständen, die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen beobachtet werden, sind 52 % davon vollständig befischt und 17 % überfischt3. Kunststoffe sind zu einer Pandemie geworden: Derzeit treiben mindestens 5,25 Milliarden Plastikteile mit einem Gewicht von mehr als 265‘000 Tonnen auf den Meeren4. Die Ozeane selbst erwärmen sich immer stärker, stiegen die Temperaturen in allen vier grossen Ozeanbecken in den drei letzten Jahrzehnten doch stetig nach oben5. Da so vielfältige Probleme zu lösen sind, fällt es schwer, die Meeresökologie als ein homogenes Fachgebiet zu betrachten.

    Wenn wir verstehen wollen, welche Folgen diese Herausforderungen auf das Leben unter Wasser und darüber hinaus haben, sollten wir uns auf ein Ökosystem der Ozeane konzentrieren: die Korallenriffe mit ihrer beeindruckenden Artenvielfalt. Da sie sich nahe an der Wasseroberfläche befinden, leiden sie besonders stark unter der ökologischen Belastung durch den Menschen. Ihr Erhalt hat überraschende und weitreichende Folgen für die Förderung der Weltgesundheit.

    Da sie sich nahe an der Wasseroberfläche befinden, leiden sie besonders stark unter der ökologischen Belastung durch den Menschen.

    Die Korallen

    Nehmen wir an, die pflanzenfressenden Fische in einem Riff sind überfischt. Wenn es nicht mehr genug Fische gibt, um die Meerespflanzen zu fressen, nehmen die Algen eines Tages überhand. In diesem Fall ist das Riff einer „Phasenverschiebung“ ausgesetzt, d.h. die langsam wachsenden Korallen werden durch Seetang oder fleischige Algen verdrängt6.

    Bestimmte Fischfangtechniken sind an sich zerstörerisch. Es werden Grundschleppnetze7 eingesetzt, Fische mit Zyanid8 betäubt, ja sogar Dynamit wird eingesetzt, um Explosionen9 auszulösen. Niemanden verwundert es, dass diese Methoden massive Schäden an den Korallenriffen verursachen.

    Kürzlich veröffentlichten wir einen Artikel über die Verschmutzung durch Mikrofasern, in dem wir über die Gefahren dieser winzigen Kunststoffteile für das Leben in den Meeren berichteten. Auch Korallen bleiben nicht von ihnen verschont. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 verwechseln Korallen Mikrofasern oft mit Beute. Diese Mikrofasern landen dann, eingewickelt in Gewebe, im Verdauungstrakt, was der Gesundheit der Korallen schaden könnte10.

    Die vielleicht grösste Zerstörung richtet jedoch die Korallenbleiche an. Wenn Korallenpolypen unter Stress geraten, weil das Wasser, in dem sie leben, zu lange zu warm ist, stossen sie die in ihrem Gewebe lebenden Algen ab und werden dadurch weiss. Diese Algen versorgen jedoch die Korallen mit rund 90 % ihrer Energie. Wenn die Temperatur zu hoch bleibt, verhungern die Korallen. Der Klimawandel verursacht ein immer schnelleres Ausbleichen der Korallenriffe, zuweilen als Folge globaler Ereignisse. Von der Bleiche der Jahre 2015–16 beispielsweise waren 75 % der weltweiten Riffe betroffen. Fast 25 % der Korallen des australischen Great Barrier Reef starben ab[9].

    Dies sind nur einige der Probleme, die unsere Korallenriffe bedrohen. Da sie zu den Ökosystemen mit der grössten Artenvielfalt auf unserer Erde gehören, sind die natürlichen Kosten ihrer Zerstörung klar. Weniger offensichtlich ist, dass die Zerstörung der Korallenriffe auch die Zukunft der Medizin bedroht.

    Weniger offensichtlich ist, dass die Zerstörung der Korallenriffe auch die Zukunft der Medizin bedroht.

    Die Medizin der Meere

    Es gibt eine häufig anzutreffende falsche Vorstellung, wonach „Medizin“ den synthetischen Ansatz in der Heilung von Krankheiten darstellt, während die „alternative Medizin“ einen natürlichen Weg geht. Abgesehen davon, dass diese Begriffe technisch falsch verwendet werden, ist auch die Aussage irreführend. Beispielsweise waren von den Krebsmedikamenten, die von der US-Aufsichtsbehörde (Food and Drug Administration) von 1940 bis 2014 zugelassen wurden, nur 25 % völlig synthetisch hergestellt, während 49 % rein natürliche Produkte waren oder aus natürlichen Produkten gewonnen wurden[10].

    Aus naheliegenden Gründen stammen die meisten der heute eingesetzten Medikamente, die natürlichen Ursprungs sind, von Landspezies. Doch mehr als 80 % der Flora und Fauna leben in den Ozeanen[11]. Die naheliegende Schlussfolgerung ist: In den Meeren liegt eine pharmazeutische Goldmine, die darauf wartet, ausgebeutet zu werden.

    Die naheliegende Schlussfolgerung ist: In den Meeren liegt eine pharmazeutische Goldmine, die darauf wartet, ausgebeutet zu werden.

    RE-CURE_ArticleLOcom.jpg

    Selbstverständlich haben wir damit schon begonnen. Korallenriffe, die Regenwälder der Meere, haben sich bereits als unglaublich reichhaltiger Arzneischrank erwiesen. Nehmen wir beispielsweise Cryptotethya crypta, ein grosser Schwamm, der auf den Riffen im Flachwasser der Karibik zu finden ist. In den Sechzigerjahren entdeckten Wissenschaftler in dem Schwamm eine Chemikalie14, die allgemein als Vidarabin bekannt ist. Vidaribin selbst wird heute als Medikament zur Behandlung von Herpes simplex, Windpocken und Gürtelroseviren15 eingesetzt. Mit ein wenig Tüftelei machten Wissenschaftler daraus AZT16, ein Medikament, das zur Prävention und Behandlung von HIV und AIDS dient17. Diese Spezies enthält ausserdem Chemikalien, aus denen Wissenschaftlicher Ara-C synthetisierten, den ersten Wirkstoff gegen Krebs, der aus einem Meerestier gewonnen und für den klinischen Einsatz verwendet wurde. Damit therapiert man heute standardmässig Leukämie und Lymphome18. Für einen Schwamm ist das beeindruckend.

    Dieser pharmazeutische Schatz stammt von einer einzigen Spezies, die in einem der artenreichsten Ökosysteme der Erde lebt. Das pharmazeutische Potenzial der Korallenriffe ist immer noch weitgehend unerschlossen. Wenn wir die Riffe nicht schützen, werden wir dieses Potenzial auch nie erschliessen.

    Das pharmazeutische Potenzial der Korallenriffe ist immer noch weitgehend unerschlossen. Wenn wir die Riffe nicht schützen, werden wir dieses Potenzial auch nie erschliessen.

    Das Blatt wendet sich

    Wenn der Klimawandel wie erwartet voranschreitet, dürfte einer Studie der Universität Washington zufolge die Temperatur bis 2100 weltweit bestenfalls um 2 °C steigen und sich der Anstieg mit 90 prozentiger Wahrscheinlichkeit auf 2 °C bis 4,9 °C belaufen. Am wahrscheinlichsten halten die Forscher eine weltweite Temperaturerhöhung von 3,2 °C bis Ende des Jahrhunderts19. Laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change führt das Szenario mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 74 cm20. Zusammen mit den höheren Meerestemperaturen dürfte diese Entwicklung dramatische Auswirkungen auf das Leben in den Meeren haben.

    Neben der Politik besteht der nächste Schritt zum Schutz unserer Ozeane in Investitionen in Unternehmen, die sich zum Klimaschutz und zu einem effizienten Ressourceneinsatz bekennen. Der Green-Bond-Markt erreichte 2017 erstmals ein Emissionsvolumen von über 100 Milliarden USD und bewies damit, dass die Kapitalmärkte eine wichtige Rolle bei den Bemühungen zur Bekämpfung der Erderwärmung spielen können.

    Neben der Politik besteht der nächste Schritt zum Schutz unserer Ozeane in Investitionen in Unternehmen, die sich zum Klimaschutz und zu einem effizienten Ressourceneinsatz bekennen.

    Der logische nächste Schritt besteht darin, mit wirtschaftlichen Anreizen die Branchen, die schon immer die Ozeane verschmutzt haben, anzuregen, sich von der Wegwerfwirtschaft ab- und der Kreislaufwirtschaft zuzuwenden, die Abfall, Emissionen und Energieverschwendung minimiert. Auch der Ruf der Verschmutzer würde sich dadurch deutlich verbessern. Heute findet beispielsweise die Umweltbelastung durch Mikrofasern in der Konfektionsindustrie mehr Beachtung als jemals zuvor. Wir müssen auch neue Wege für Unternehmen finden, deren Tätigkeit sich unmittelbar auf unsere Ozeane auswirken.

    Heute findet beispielsweise die Umweltbelastung durch Mikrofasern in der Konfektionsindustrie mehr Beachtung als jemals zuvor. Wir müssen auch neue Wege für Unternehmen finden, deren Tätigkeit sich unmittelbar auf unsere Ozeane auswirken.

    Die toxischen Emissionen aus der Arzneimittelherstellung sind so hoch, dass sie selbst die Meere verschmutzen.21 Da man mit einem Anstieg der weltweiten Gesundheitsausgaben zwischen 2014 und 2040 von 9,2 Milliarden USD auf 24,3 Milliarden USD rechnet, dürften Pharmakonzerne immer stärker im Rampenlicht stehen.22 Wenn die Wirtschaft auf breiter Front eine Wende um 360 Grad vollzieht oder ein „Cradle-to-Cradle“-Geschäftsmodell einführt, werden jene Branchen, die den pharmazeutischen Schatz der Ozeane bergen wollen, wohl immer genauer beobachtet. Es gibt überzeugende Argumente dafür, nicht in Unternehmen zu investieren, die sich umweltfeindlich verhalten und paradoxerweise ein möglicherweise strategisches Glied in ihrer Wertschöpfungskette verschmutzen. Stattdessen sollte das Kapital in nachhaltige Pharmaunternehmen fliessen, die ihre Wirkstoffe aus den Ozeanen gewinnen und einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Arzneimittelschränke der Zukunft leisten.

    Stattdessen sollte das Kapital in nachhaltige Pharmaunternehmen fliessen, die ihre Wirkstoffe aus den Ozeanen gewinnen und einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Arzneimittelschränke der Zukunft leisten.

    Die Kapitalmärkte und die Einführung eines „pharmökologischen“ Anlageansatzes können eine entscheidende Rolle beim Schutz unserer Ozeane spielen. Der Schlüssel zur Heilung der schlimmsten Krankheiten liegt vielleicht in den Meeren. Unsere Chancen, diese Heilkräfte zu entdecken, verringert sich mit jeder Spezies, die ausstirbt. Angesichts der Flut wissenschaftlicher Erkenntnisse dürfen wir nicht länger untätig bleiben.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von Lombard Odier (Europe) S.A., einem in Luxemburg durch die Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF) zugelassenen und von dieser regulierten Kreditinstitut, herausgegeben. Diese Mitteilung wurde von jeder ihrer Zweigniederlassungen, die in den am Ende dieser Seite angegebenen Gebieten tätig sind (nachstehend "Lombard Odier"), zur Veröffentlichung genehmigt.

    Entdecken Sie mehr.

    Sprechen wir.
    teilen.
    Newsletter.