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    KI, Geopolitik, Klimawandel: Das Gesamtbild betrachten, während sich die tektonischen Platten verschieben

    Die Welt ist heute lauter als je zuvor. Unser durch ständige digitale Erreichbarkeit und zunehmende Vernetzung geprägtes Leben wird begleitet von einer Kakofonie unablässiger Nachrichten, Meinungen, Prognosen, Werbebotschaften und politischer Erklärungen. Neue und etablierte Medien konkurrieren um Publikum und Werbebudgets. Dadurch sind wir einem wachsenden Chor von Megafonen ausgesetzt, die sich gegenseitig zu übertönen versuchen.

    Die Welt verändert sich zudem schneller als je zuvor. Drei tektonische Platten sind in Bewegung und schaffen ein neues Umfeld für Anlegerinnen und Anleger. Die erste ist die Technologie: Künstliche Intelligenz (KI) führt heute Aufgaben aus, die wir noch vor zwei Jahren für unmöglich gehalten hätten. Es dauerte mehr als 60 Jahre, bis KI den Turing-Test bestand.1 Doch seit der Einführung von ChatGPT im November 2022 sorgte sie innerhalb von nur 18 Monaten in ganzen Branchen für massive Umbrüche. Viele fragen sich: Ist KI nun Freund oder Feind?

    Die zweite ist die Politik: 2024 ist das grösste Wahljahr der Geschichte. In mehr als 60 Ländern sind die Menschen zum Urnengang aufgerufen – und damit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Vielerorts ist der Populismus auf dem Vormarsch und drängt die politische Mitte in den Hintergrund. In den USA, der wirtschaftlich und militärisch führenden Nation der Welt, bringt das Schreckgespenst einer zweiten Amtszeit von Ex-Präsident Trump viel Unsicherheit mit sich.

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    Die dritte ist der Klimawandel, der sich nach wie vor beschleunigt. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.2 Trotz jahrzehntelanger internationaler Bemühungen um die Senkung der Treibhausgasemissionen sind sie immer noch höher als je zuvor.3

    Nur wer gelassen und in aller Ruhe das Gesamtbild betrachtet, kann die grundlegenden Systemveränderungen erkennen und die wesentlichen Erkenntnisse vom Hintergrundrauschen trennen

    Anlegerinnen und Anleger könnten sich angesichts der Beschleunigung der Entwicklungen leicht zu dem Gefühl verleiten lassen, schneller handeln zu müssen. Der rasche Wandel des makroökonomischen Umfelds kann zu übereilten Entscheidungen führen. Wir bei Lombard Odier verfolgen einen anderen Ansatz. Aus mehr als 225 Jahren Erfahrung haben wir gelernt, dass man höchstens Schritt halten kann, wenn man versucht, mit dem raschen Wandel der Welt gleichzuziehen. Nur wer gelassen und in aller Ruhe das Gesamtbild betrachtet, kann die grundlegenden Systemveränderungen erkennen und die wesentlichen Erkenntnisse vom Hintergrundrauschen trennen. Nur so gewinnt man ausreichend Klarheit, um sich an die Spitze zu setzen.

    KI – Effizienz, Präzision, Produktivität

    Für Anlegerinnen und Anleger ist es schwierig, sich inmitten des Hypes um KI zurechtzufinden. In den USA wird der S&P 500 durch die Aktien der sogenannten „Glorreichen Sieben“ dominiert, die durch den Rummel um KI Auftrieb erhalten haben. 2023 entfielen mehr als 30% des gesamten Indexwerts und die Hälfte der jährlichen Gewinne auf Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Tesla und NVIDIA.

    Ebenso lautstark ertönen die Unkenrufe. 2013 ermittelte eine viel beachtete Studie, dass bis zu 47% der Arbeitsplätze in den USA in hohem Masse von der Computerautomatisierung bedroht sind.4 Im letzten Jahr warnte Goldman Sachs in einem Bericht, dass KI weltweit mehr als 300 Millionen Vollzeitstellen ersetzen könnte.5

    Wir sind überzeugt, dass KI ein Freund und kein Feind sein wird. Statt Menschen zu ersetzen, wird sie ihnen zu mehr Effizienz, Präzision und Produktivität verhelfen

    Unseres Erachtens müssen sowohl der Hype als auch die Prophezeiung einer Arbeitsmarkt-Apokalypse mit einem gewissen Abstand betrachtet werden, um das Gesamtbild zu erkennen. In den vergangenen 150 Jahren sorgten zahlreiche technologische Fortschritte für Umbrüche in einzelnen Sektoren oder sogar in unserer gesamten Wirtschaft. Doch jeder Umbruch ging mit Produktivitätssteigerungen einher, und langfristig wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen, als Stellen verloren gingen.6

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    Wir sind überzeugt, dass KI ein Freund und kein Feind sein wird. Statt Menschen zu ersetzen, wird sie ihnen zu mehr Effizienz, Präzision und Produktivität verhelfen. Im Gesundheitswesen wird KI beispielsweise eingesetzt, um die Genauigkeit und die Geschwindigkeit bei der Auswertung von Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren zu verbessern.7 Die Technologie verkürzt die Entwicklungszeiten von Medikamenten um bis zu 90%.8 In der Softwareentwicklung konnten die Arbeitszeiten bereits um mehr als die Hälfte verkürzt werden, während im Kundenservice Produktivitätssteigerungen von bis zu 45% erzielt wurden.9 Gleichzeitig verbesserte sich das Kundenerlebnis.10

    Nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Grand View Research wird der weltweite KI-Markt – einschliesslich Software, Hardware und Dienstleistungen – bis 2030 einen Wert von USD 1,8 Bio. erreichen. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 36,6%.11 Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen PwC schätzt, dass KI bis 2030 einen Beitrag von USD 15,7 Bio. zur Weltwirtschaft leisten könnte.12

    „Slowbalisierung“, Fragmentierung und Reindustrialisierung

    In der Folge der Finanzkrise im Jahr 2008 verlangsamte sich die weltweite Integration des Handels, die die 1990er- und frühen 2000er-Jahre geprägt hatte. Nach den beispiellosen Lieferkettenstörungen aufgrund der Covid-19-Pandemie und den weltweiten Folgen der russischen Invasion in der Ukraine wurde aus der „Slowbalisierung“ eine Fragmentierung.

    Der Wettbewerb zwischen den Grossmächten der Welt führt nicht zu einem Rückgang der Anlagechancen, sondern sorgt lediglich dafür, dass sich die Schwerpunkte verlagern

    Die Globalisierung führte zu einem grösseren Handelsaufkommen als je zuvor. Viele fürchten deshalb, dass Handel und Investitionen in einer multipolaren, weniger integrierten Welt zurückgehen werden. Wir bei Lombard Odier sehen das anders. Der Wettbewerb zwischen den Grossmächten der Welt führt nicht zu einem Rückgang der Anlagechancen, sondern er sorgt lediglich dafür, dass sich die Schwerpunkte verlagern. Grund dafür sind die Bestrebungen westlicher Unternehmen, die Versorgung mit Energie und Rohstoffen sicherzustellen und die verarbeitenden Industrien im Inland wieder aufzubauen.

    Nach Angaben von Capgemini haben 47% der Grossunternehmen in den USA und Europa bereits in die Rückverlagerung ihrer Produktion investiert. Weitere 25% entwickeln aktuell entsprechende Strategien. Insgesamt planen die Unternehmen allein in den nächsten drei Jahren Investitionen in Höhe von USD 3,4 Bio. in die Reindustrialisierung.13

    Vielerorts wird dieser Trend von den Regierungen unterstützt. Die USA beispielsweise verabschiedeten 2022 den CHIPS and Science Act. Dieser soll die nationale Sicherheit durch den Wiederaufbau der Halbleiterfertigungskapazität im Inland stärken. Er führte bereits zur Vergabe von direkten Bundesmitteln und -darlehen in Höhe von USD 55 Mrd. Darüber hinaus mobilisierte das Gesetz USD 400 Mrd. an privaten Investitionen. Insgesamt wurden dadurch mehr als 100’000 Arbeitsplätze geschaffen.14 Auch die Europäische Kommission kündigte vor Kurzem die Bereitstellung von Mitteln in Höhe von EUR 3,3 Mrd. zur Förderung der Batterieherstellung in Europa an. Damit soll die Abhängigkeit der EU von China reduziert werden.15

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    Unaufhaltsame Dynamik nachhaltiger Anlagen

    Der Gesamtvermögenswert von Fonds, die bei ihren Anlageentscheidungen Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen, ist seit 2006 fast um das Hundertfache gestiegen.16 In den zehn Jahren bis 2020 übertrafen 60% dieser Fonds ihre konventionellen Pendants.17 Dennoch sind nachhaltige Anlagen – die neben überdurchschnittlicher Performance auch den Übergang zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft anstreben – nicht unumstritten.

    Einige Stimmen behaupten, nachhaltige Anlagen seien auf dem Rückzug. Unseres Erachtens ist die langfristige Notwendigkeit nachhaltiger Anlagen jedoch noch nie so offensichtlich gewesen wie heute

    Die hohe Inflation und die hohen Zinsen der letzten Jahre haben die Rentabilität einiger Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien geschmälert. Darüber hinaus sieht sich der Sektor mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert. Nachhaltiges Anlegen wird ausserdem zunehmend durch politische Entwicklungen beeinflusst. In Europa beispielsweise mussten grüne und liberale Parteien zuletzt bei den Wahlen zum EU-Parlament Verluste hinnehmen. Rechte Parteien hingegen erzielten Gewinne mit dem Versprechen, nachhaltige Politik zurückzudrängen.

    Einige Stimmen behaupten, nachhaltige Anlagen seien auf dem Rückzug. Unseres Erachtens ist die langfristige Notwendigkeit nachhaltiger Anlagen jedoch noch nie so offensichtlich gewesen wie heute. Besonders deutlich macht sich dies in den Ernährungssystemen der Welt bemerkbar. Rekordtemperaturen und veränderte Niederschlagsmuster schmälern bereits die Ernteerträge, sodass weltweit eine jährliche Nahrungsmittelinflation von über 3% droht.18 Unterdessen eröffnen sich durch den Übergang zu einer sauberen Stromerzeugung und -nutzung in unseren Energiesystemen auch neue Anlagemöglichkeiten im Nachhaltigkeitsbereich. Hauptantriebsfaktoren dafür sind nicht Subventionen oder politische Massnahmen, sondern vielmehr Innovation und Marktkräfte. Zuletzt verlangsamte sich der Absatz von Elektrofahrzeugen, und ein Überangebot von Solarmodulen brachte die Hersteller der Branche in Bedrängnis. Diese Entwicklungen sind aber nur zwei Beispiele für die natürlichen Zyklen, die neue Technologien durchlaufen, während sie sich auf dem Massenmarkt etablieren.

    Erneuerbare Energien sind mittlerweile die günstigste Form der Stromerzeugung.19 Zugleich sind elektrifizierte Endverbraucheranwendungen wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen bis zu fünfmal effizienter als ihre mit fossilen Brennstoffen betriebenen Vorgänger.20 Die Weltwirtschaft befindet sich daher unserer Ansicht nach bereits auf einem unumkehrbaren Weg, der weg von Öl und Gas und hin zu einer kohlenstofffreien Elektrifizierung führt.

    Wir sind überzeugt, dass der immer schnellere Wandel der Welt kein Grund zum Schwarzsehen ist, sondern neue Chancen eröffnet

     Unsere Ansatz: Umdenken

    Unsere Stärke über mehr als zwei Jahrhunderte und mehr als 40 Finanzkrisen hinweg gründet auf unserer Bereitschaft, von konventionellem Denken abzuweichen. Dadurch können wir unseren Kundinnen und Kunden stets neue Anlageperspektiven bieten. Dieser Ansatz – den wir „rethink everything®“ nennen – ist auch im aktuellen Umfeld von grundlegender Bedeutung: Er ermöglicht es uns, Abstand von Lärm, immer schnelleren Hypes und Schwarzmalerei zu nehmen und stattdessen das Gesamtbild zu betrachten.

    So haben wir ein tiefgreifendes Verständnis der tektonischen Verschiebungen gewonnen, die mit KI, der geopolitischen Neuordnung und dem Klimawandel einhergehen. Darauf baut unser „rethink investments“-Ansatz auf, der sechs High-Conviction-Anlagethemen beinhaltet. Mit diesen Themen wollen wir das Portfoliorisiko mindern und die neu entstehenden Wachstumsmöglichkeiten nutzen.

    Demografischer Wandel und Langlebigkeitsrevolution, technologische Durchbrüche, Ausbau der Infrastruktur und Übergang zu einer naturverträglichen und klimaneutralen Wirtschaft: All diese Entwicklungen bieten Anlegerinnen und Anlegern eine einmalige Gelegenheit zum langfristigen Vermögensaufbau. Gleichzeitig können sie damit zur Lösung der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit beitragen. Wir sind überzeugt, dass der aktuelle schnelle Wandel der Welt kein Grund zum Schwarzsehen ist, sondern neue Chancen eröffnet.

    20 Quellen
    Quellen anzeigen.
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    1 Turing-Test – Wikipedia
    2 NASA Analysis Confirms 2023 as Warmest Year on Record - NASA
    3 Greenhouse gas emissions - Our World in Data
    4 /Users/michaelosborne/Documents/Research/future_of_employment_paper/original/.texpadtmp/future_of_employment_original.dvi (svdcdn.com)
    5 AI could replace equivalent of 300 million jobs - report - BBC News
    6 Technology and jobs: A systematic literature review - ScienceDirect; Five lessons from history on AI, automation, and employment | McKinsey
    7 https://www.nature.com/articles/d42473-022-00035-y.pdf
    8 How AI could revolutionize drug discovery | McKinsey
    9 Economic potential of generative AI | McKinsey
    10 Economic potential of generative AI | McKinsey
    11 Artificial Intelligence Market To Reach $1,811.75Bn By 2030 (grandviewresearch.com)
    12 PwC's Global Artificial Intelligence Study | PwC
    13 Large European and US organizations are planning to invest $3.4 trillion over the next three years for reindustrialization - Capgemini
    14 FACT SHEET: Two Years after the CHIPS and Science Act, Biden-Harris Administration Celebrates Historic Achievements in Bringing Semiconductor Supply Chains Home, Creating Jobs, Supporting Innovation, and Protecting National Security | The White House; The Chips Act has been surprisingly successful so far (ft.com)
    15 EC to back battery manufacturing with EUR 3bn (renewablesnow.com)
    16 ESG ETF assets 2023 | Statista
    17 Majority of ESG funds outperform wider market over 10 years (ft.com)
    18 Climate change is pushing up food prices — and worrying central banks (ft.com)
    19 Renewables Competitiveness Accelerates, Despite Cost Inflation (irena.org)
    20 Electrifying transportation reduces emissions AND saves massive amounts of energy » Yale Climate Connections; How a heat pump works – The Future of Heat Pumps – Analysis - IEA
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