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Seevögel als Ressourcenspender – kostbar und umsonst
Der Einsatz von Dünger war vor 200 Jahren in Europa noch kaum bekannt. Dies änderte sich, als der preussische Geograf Alexander von Humboldt auf etwas stiess, das die Inkas seit Jahrhunderten auf ihre Felder streuten – die Exkremente von Vögeln. Als ihr volles, natürliches Potenzial für die Ertragssteigerung in der Landwirtschaft erkannt wurde, traten diese winzigen schwarzen Kügelchen, die als „Guano“ bekannt sind, ihren Siegeszug um die Welt an. Händler verdienten damit ein Vermögen. Guano kostet nichts. Denn die Vögel, die es jeden Tag produzieren, verlangen nichts dafür. Und leisten dabei erst noch einen unschätzbaren Beitrag zur Gesundheit unseres Planeten.
Wie also gelangte diese natürliche Ressource, die reich an Stickstoff und Phosphor ist, von den Küsten Perus in die Regale unseres örtlichen Gartencenters und schuf dabei eine USD 1,1 Milliarden schwere Industrie?
Was Guano ist
Guano gilt als hocheffizienter Energielieferant für Pflanzen und besteht aus Stickstoff, Phosphat und Kalium – drei für das Pflanzenwachstum wichtigen Nährstoffen. Das feinkörnige Gemenge stammt aus den Exkrementen von Seevögeln und wird hauptsächlich auf Inseln vor den Küsten Perus, Niederkaliforniens und Afrikas gesammelt, die allesamt stark von Seevögeln wie Kormoranen, Pelikanen und Guanotölpeln besiedelt sind.
Guano wird grösstenteils1 von Hand gewonnen. Mit dem Verzicht auf den Einsatz schwerer Maschinen, will man verhindern, dass die Vögel erschrecken. Verunreinigungen werden anschliessend aus dem Kot herausgefiltert
Frühe Anfänge
Schon lange vor von Humboldts Ankunft in Peru nutzten die Inkas2 diesen natürlichen Dünger, und im 17. Jahrhundert war Guano nahezu unendlich verfügbar – bis der Geograf seine Entdeckung der Welt kundtat.
Als er eines Tages die Docks in Lima entlangging, brachte ihn der ammoniakreiche Guano zum Niesen. Von Humboldt erkannte das Potenzial von Guano als Düngemittel und brachte Proben davon nach Europa, wo sich auch Chemiker bald von seiner Wirksamkeit überzeugen konnten. Damals bereitete den Bauern aufgrund der begrenzten Anbauflächen die Ernährung einer wachsenden Bevölkerung Sorge. Die extreme Wirksamkeit von Guano liess die Menschen sogar daran zweifeln, ob das Land in der Lage sein würde, ein solches Wachstum der Ernte zu verkraften.
Derweil stellten auch die Landwirte in den USA fest, dass die Erträge in die Höhe schnellten, was zu einer landesweit rasant wachsenden Nachfrage nach Guano führte. Die peruanische Regierung, die das wirtschaftliche Potenzial erkannte, begann die Preise in die Höhe zu treiben. Als die Nachfrage explodierte, begannen skrupellose Händler, Guano mit Erden, Steinen und Sägemehl zu strecken, sodass sich die Käufer gezwungen sahen, Chemiker beizuziehen, um die Reinheit der Lieferungen sicherzustellen.
Auf den Boom folgte der Niedergang. Im 20. Jahrhundert wurden neue chemische Düngemittel entwickelt, die Stickstoff aus der Luft aufnehmen konnten, einfacher zu beschaffen waren und auch nicht den strengen Geruch von Guano hatten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Anlagen, in denen die US-Regierung während des Kriegs Stickstoff für Bomben produzieren liess, für die Herstellung von Ammoniak für Düngemittel umgenutzt. Schon bald gewannen die synthetischen Düngemittel die Oberhand und verdrängten den natürlichen Guano vom Markt, was sich spürbar auf die peruanische Wirtschaft auswirkte.
Situation heute
Heute wird der Kot3 von Seevögeln weiterhin für seine natürlichen Eigenschaften geschätzt, besonders für Frucht- und Blütenpflanzen. Und auch wenn die Guano-Industrie ihre führende Stellung im Weltmarkt eingebüsst hat, wird ihr Wert immer noch auf rund USD 1,1 Milliarden geschätzt.
Auf diese Zahl kam eine im Fachjournal Trends in Ecology and Evolution veröffentlichte Studie, in der der Wert von Guano mittels Einschätzung des ökologischen Nutzens dieser Ressource ermittelt wurde. Während der primäre Wert des jährlich produzierten Guanos knapp USD 500 Millionen beträgt, liegt der sekundäre wirtschaftliche Nutzen bei rund USD 650 Millionen, wenn man die von Seevögeln an die Korallenriffe abgegebenen Nährstoffe berücksichtigt.
Die Zahl von USD 1,1 Milliarden wird dem wahren Wert noch immer nicht gerecht. Denn Guano macht den Einsatz chemischer Düngemittel überflüssig, die oftmals aus Erdölnebenprodukten gewonnen werden. Alleine schon der Herstellungsprozess an sich ist kohlenstoffintensiv. Guano hingegen ist eine frei verfügbare natürliche Ressource, die nicht nur die Umwelt schont, sondern auch ökologisch schädliche Produkte ersetzt. Denn der übermässige Einsatz chemischer Düngemittel stellt heute ein grosses Problem dar: Gerade einmal 17% des in Düngemitteln enthaltenen Stickstoffs findet den Weg in unsere Lebensmittel, der Rest gelangt in Boden und Wasser. Diese Verschmutzung durch Düngemittel in Gewässern führt zu einer massiven Zunahme von Algen, die den im Wasser gelösten Sauerstoff verbrauchen und andere Arten wortwörtlich ersticken – und dies bisweilen in Zonen, die sich über Kilometer erstrecken.
„Die Produktion von Guano ist eine Ökosystemleistung, welche die Seevögel kostenlos erbringen für uns. Ich kann einfach auf eine Insel gehen, Guano sammeln und ihn am Markt als Dünger verkaufen“, sagt Marcus Cianciaruso, Professor für Ökologie an der Universität Goiás in Brasilien.
Für die Erreichung des Klimaziels von Netto-Null-Emissionen bis 2050 spielen Ressourcen wie Guano eine Schlüsselrolle. Dieses natürliche Nebenprodukt gibt nicht nur einen hervorragenden Dünger ab, sondern macht auch Mittel überflüssig, die den Planeten noch mehr belasten würden.
Bedrohte Artenvielfalt
Wie viele andere Lebewesen sind auch Seevögel wie Möwen und Pelikane vom Aussterben bedroht – und die breite Öffentlichkeit nimmt davon kaum Notiz. Indem sie den wirtschaftlichen Wert von Guano mit einer konkreten Zahl – USD 1,1 Milliarden – beziffern, wollen Umweltschützer auf die Bedeutung und wichtige ökologische Funktion dieser Tiere aufmerksam machen.
In der Antarktis sorgen Pinguine für die Hälfte der Stickstoff- und Phosphorablagerungen. Wissenschaftler befürchten jedoch, dass durch die zunehmende Eisschmelze, eine der Folgen des Klimawandels, der Lebensraum und damit das Fortbestehen dieser Vögel bedroht ist.
Den Planeten schützen
Der Übergang zu einem ökologisch verträglichen Wirtschaftsmodell bedeutet, das Potenzial natürlicher Ressourcen wie Guano zu überdenken. So erfüllt Guano nicht nur eine Funktion, sondern viele. Er ist ein idealer Dünger für Pflanzen. Und er trägt zum Erhalt der Korallenriffe bei. Guano ist eine der zahllosen Komponenten im komplexen Getriebe des Naturkapitals, das letztlich alles – den Boden, das Wasser und die Luft unseres Planeten – umfasst.
Deshalb sind wir heute gefordert, die Vögel, die Guano produzieren, zu schützen. Klimawandel, Meeresverschmutzung und Überfischung haben dazu geführt, dass viele Seevögel heute vom Aussterben bedroht sind. Derweil weisen Wissenschaftler darauf hin, dass gesunde Vogelpopulationen ein Indikator für die Gesundheit unseres Ökosystems sind. Nimmt deren Zahl ab, so leidet auch unser Planet und letztendlich unsere Wirtschaft.
Gegenwärtig entnehmen wir der Erde jedes Jahr rund 100 Milliarden Tonnen an natürlichen Ressourcen, während wir im selben Zeitraum etwa 70 Milliarden Tonnen Abfall produzieren – mehr als die Hälfte davon in Form von Emissionen und nicht rückverfolgten Formen von Abfall und Verschmutzung.
Weitermachen wie bisher ist keine Option. Wir müssen zwingend den Übergang zu einer Wirtschaftsform anstreben, die kreislauforientiert, effizient, integrativ und sauber ist. Wir bezeichnen dieses nachhaltige Modell mit Zukunft als die CLIC™-Wirtschaft (Circular, Lean, Inclusive, Clean). Diese sich nicht auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sondern auf deren Erhaltung und Regeneration. Dazu gehört auch der Schutz der Vögel, die den Dünger für das Land, das uns ernährt, produzieren.
1 https://en.wikipedia.org/wiki/Guano
2 https://www.atlasobscura.com/articles/when-the-western-world-ran-on-guano
3 https://www.planetnatural.com/product-category/organic-gardening/organic-fertilizers/seabird-bat-guano/
Wichtige Hinweise.
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