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Ameisen – ein Milliardenvolk aus kleinen Helfern unterstützt milliardenschwere Industrien
Ameisen pflegen und schützen eines der produktivsten Wirtschafts- und Ökosysteme unseres Planeten: den Wald. Und das Tag für Tag.
Vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Eine oftmals zutreffende Redewendung, besonders, wenn wir unsere Wälder als Naturkapital – den Bestand an natürlich vorkommenden Ressourcen der Erde – betrachten. Bäume erbringen zahlreiche der grundlegenden Ökosystemleistungen, auf denen unsere Lebensweise beruht: Sie nehmen Kohlenstoffdioxid auf, filtern Schadstoffe aus der Luft und leisten durch Verdunstung einen wichtigen Beitrag zum Wasserkreislauf. Wälder sind aber nicht nur überlebenswichtige Ökosysteme, sie sind nicht zuletzt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Doch auch die Bäume selbst sind während ihres gesamten Lebenszyklus, vom Samen bis zum Baumstumpf, von einer verborgenen Arbeitskraft abhängig: den Ameisen.
Wächter des Waldes
Alles beginnt mit einem Haufen Erde. Ein Ameisenhaufen besteht aus Mineralerde, die Tausende von Arbeiterameisen beim Bau ihrer unterirdischen Kolonien an die Erdoberfläche befördern. Tatsächlich gehören Ameisen zu den grössten Produzenten von nährstoffreicher Erde, die Bäume brauchen. Ameisen produzieren Humus bis zu zehnmal schneller als Regenwürmer: bis zu rund 33’000 kg pro Hektar und Jahr. Das entspricht in tausend Jahren knapp 10 Zentimeter neuer Erde1.
Ameisen zählen auch zu den Hauptverteilern von Nährstoffen in den Wäldern und spielen damit eine elementare Rolle für die Waldgesundheit. Forscher fanden heraus, dass Ameisen im tropischen Tieflandregenwald von Sabah in Malaysia durch den Transport von Futter zum Nest für 52% der Nährstoffverteilung verantwortlich waren2. Dies entspricht dem grössten Beitrag einer einzelnen Tierart. Insbesondere steckt Boden, der von Ameisen bearbeitet wurde, voller nährstoffreichem Dünger, der sich hervorragend als Kompost eignet. Ein Baumsetzling, der in dieser Erde heranwächst, hat einen Wachstumsvorsprung, der über das gesamte Baumleben hinweg erhalten bleibt.
Wenn die Bäume grösser werden, dienen viele Ameisen auch als Baumschützer, indem sie Jagd auf pflanzenfressende Insekten machen, die sonst die Bäume befallen würden. In tropischen Wäldern kann der Mutualismus zwischen Bäumen und Ameisen sogar noch weiter gehen. Hier fallen Bäume oft Insekten zum Opfer, die sich von ihrem Saft ernähren. Vor allem junge Bäume können dadurch sogar absterben. Als Reaktion darauf nutzen viele Bäume Ameisen als ihre Wächter. So haben sich beispielsweise in Mittelamerika Büffelhorn-Akazien entwickelt, die in hohlen Dornen zucker- und proteinreiche Nahrung absondern – ein idealer Unterschlupf für Ameisen. Als Gegenleistung schützen die Ameisen den Baum aktiv gegen pflanzenfressende Insekten und beschneiden sogar Kletterpflanzen, die an ihm emporranken.
Doch auch mit der Unterstützung von Ameisen hat jeder Baum einmal sein Lebensende erreicht. Und dann sind die Ameisen ebenfalls zur Stelle und helfen dabei, die Nährstoffe des Baums wieder der Erde zuzuführen, damit sie der nächsten Generation von Bäumen zugutekommen.
Der wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Beitrag von Ameisen
Ohne Ameisen könnten unsere Wälder nicht überleben. Gleiches gilt für die milliardenschweren Industrien, die auf die Artenvielfalt in den Wäldern als Ressource für die Produktion etwa von Biokunststoffen, Biochemikalien, Bioenergie oder natürlich gewonnenen Arzneimittelwirkstoffen angewiesen sind – vom Holz ganz zu schweigen. Mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung unserer Wälder und einem Stopp der Abholzung könnte die Bedeutung der Wälder für unsere Gesellschaft weiter gestärkt werden, nämlich dann, wenn wir stark umweltschädliche durch naturbasierte Materialien ersetzen und zu einer Bio-Kreislaufwirtschaft übergehen.
Ameisen leisten mit ihrer Waldpflege aber nicht nur einen wirtschaftlichen Beitrag. Dem Gesundheitssystem entstehen durch die Luftverschmutzung jährlich Kosten in Höhe von USD 3,4 Billionen – und es sind die Ameisen3, die im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlage für die saubere Luft schaffen, die unsere Böden und Bäume liefern. Zudem unterstützen sie die Fähigkeit der Wälder, als lebendiger Kohlenstoffspeicher zu fungieren: Zwischen 2001 und 2019 absorbierten die Wälder unseres Planeten netto jährlich 7,6 Milliarden Tonnen CO2 – mehr als das 1,5-Fache der jährlichen Emissionen der USA4. Mit anderen Worten: Bäume – und damit auch Ameisen – sind eines unserer wertvollsten Güter auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen.
Schrumpfende Wälder
Unser derzeitiges WILD-Wirtschaftsmodell – Wasteful (unwirtschaftlich), Idle (ineffizient), Lopsided (ungleich), Dirty (verschmutzt) – setzt einen Grossteil unseres Naturkapitals aufs Spiel. Und trotz der unermüdlichen Anstrengungen der Ameisen sind davon auch viele Wälder weltweit betroffen.
Vor allem aufgrund wirtschaftlich motivierter Veränderungen der Landnutzung sind die Waldflächen zwischen 1990 und 2018 weltweit um 3,8% geschrumpft5. Besonders akut ist das Problem in Ländern mit niedrigen und mittleren durchschnittlichen Einkommen (LMICs – Low-to-Middle-Income Countries). Hier ist der Waldbestand zwischen 1995 und 2014 um 4% zurückgegangen6.
Neben dem offensichtlichen Verlust von Bäumen hat die Entwaldung erhebliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt, die für den Wert unseres Naturkapitals – der Bestandswert unserer natürlichen Ressourcen und die von ihnen unterstützten Ökosystemleistungen –, so entscheidend ist. So führt beispielsweise die Abholzung der Wälder am Amazonas zur Fragmentierung und Zerstörung der Lebensräume vieler Arten, darunter auch der von Grosskatzen und anderen grossen Säugetieren von hohem Erhaltungswert. Viele dieser Arten sind auf „primäre“, langfristig gewachsene Waldbestände angewiesen. Säugetiere können zwar auch Sekundärwälder vollständig besiedeln, dieser Prozess kann jedoch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern7. Ein solcher Verlust ist aus ökologischer und wirtschaftlicher Sicht unermesslich.
Für eine Wirtschaft, die mit den Ameisen arbeitet und nicht gegen sie
Glücklicherweise hat Europa bewiesen, dass die Situation nicht unumkehrbar ist. Im Jahr 500 war West- und Mitteleuropa zu rund 80% mit Wald bedeckt. Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft sank diese Fläche bis 1350 auf 50%. Allein in Deutschland ging der Waldanteil von 70% im Jahr 900 auf 25% im Jahr 1900 zurück. Diese landwirtschaftliche Expansion, wie sie in Brasilien gerade die Wälder dezimiert, erfuhr jedoch im Europa des 20. Jahrhunderts eine Trendwende – eine Entwicklung, die sich seither weiter beschleunigt hat. Zwischen 1995 und 2015 entstanden hier neue Waldgebiete mit einer Fläche, die grösser ist als Belgien, Dänemark, die Niederlande und die Schweiz zusammen8.
Die wirtschaftliche Entwicklung hat die Geschichte Europas entscheidend mitgeprägt. Aber längst nicht alle Weltregionen haben sich so gut entwickeln können. Im Gegensatz zu einem Land wie Schweden, dessen Waldfläche sich im vergangenen Jahrhundert verdoppelt hat9, bemühen sich LMICs wie beispielsweise Brasilien, grosse Teile ihrer Bevölkerung aus der Armut zu befreien. Die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung solcher Länder würde es mehr Menschen ermöglichen, ihre von der Abholzung abhängige Tätigkeit aufzugeben. Gleichzeitig könnten alternative Ansätze für die Flächennutzung gefördert werden, die präziser und weniger destruktiv sind als die traditionelle Brandrodung10.
Die LMICs in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen ist ein Punkt. Ein weltweit stärkerer Fokus auf eine nachhaltige Forstwirtschaft würde zudem die Erholung der Wälder in einkommensstarken Ländern beschleunigen und gleichzeitig die Abholzung in den LMICs verlangsamen. Dadurch würden die Erholungsleistungen der Wälder sichergestellt werden, lange bevor die Abholzung in den LMICs das europäische Niveau des 19. Jahrhunderts erreicht hat.
Da die Zerstörung unserer Wälder auch unseren Ameisenpopulationen schadet, würde ein Rodungsstopp und eine verstärkte Wiederaufforstung den Ameisen ebenfalls die Chance geben, sich zu erholen, sowohl zahlenmässig als auch im Hinblick auf die Artenvielfalt. Damit wäre auch der Weg frei für eine breite Anwendung nachhaltiger Forstwirtschaftspraktiken, welche die Artenvielfalt von Ameisen und anderer wichtiger Waldbewohner fördern. Da Ameisen in verschiedenen Regionen unterschiedlich empfindlich auf Störfaktoren und Arten des Forstmanagements reagieren, kommen je nach Region auch andere Praktiken zur Anwendung. So führen beispielsweise in tropischen Wäldern Störfaktoren oder früheres Forstmanagement normalerweise zu einem Rückgang der Vielfalt von Ameisenvölkern. In gemässigten Regionen dagegen kann die Forstwirtschaft förderlich für Ameisen sein, wenn sie zu einer weniger dichten Waldstruktur mit einem geringeren Überschirmungsgrad und einem wärmeren Waldklima führt11.
Um sowohl unsere Wälder als auch die für deren Wohlergehen wichtigen Ameisen zu schützen, müssen wir den Übergang von unserem heutigen WILD-Wirtschaftsmodell zu einer Zukunft beschleunigen, die auf einem kreislauforientierten, effizienten, integrativen und sauberen Modell basiert. Wir von Lombard Odier nennen es das CLIC™-Wirtschaftsmodell (Circular, Lean, Inclusive, Clean). Die CLIC™-Wirtschaft würde mit den Ameisen arbeiten anstatt gegen sie, indem es eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft schafft. Ein solches Wirtschaftsmodell würde mithilfe technischer Innovationen dafür sorgen, dass wir unser Naturkapital, einschliesslich unserer Wälder, so nutzen, dass das von LMICs wie Brasilien benötigte wirtschaftliche Wachstum gewährleistet ist, ohne unsere wertvollen natürlichen Ressourcen auszubeuten.
Um den Übergang zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu fördern, die unsere Wälder und ihre wertvollen Ressourcen schützt, hat Lombard Odier die „Natural Capital“-Strategie lanciert, mit der Anleger Unternehmen unterstützen können, deren Geschäftsmodelle die Regenerationskraft der Natur nutzen. Lombard Odier ist überzeugt, dass dieser Wandel unvermeidlich ist, was wiederum bedeutet, dass diese Unternehmen die langfristig stärksten Renditen für unsere Kunden bieten.
Ameisen sind unerlässlich für die Erhaltung unserer Wälder, eine der wertvollsten Quellen der Artenvielfalt und eine überaus wichtige natürliche Ressource auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen. Höchste Zeit also, mit den Ameisen zu arbeiten anstatt gegen sie.
1 Ellison, A. M. (2014) Ants and Trees: A Lifelong Relationship, American Forests.
2 Griffiths, H. M. et al. (2018) ‘Ants are the major agents of resource removal from tropical rainforests’, Journal of Animal Ecology, John Wiley & Sons, Ltd, vol. 87, no. 1, pp. 293–300. DOI: 10.1111/1365-2656.12728.
3 OECD (2014). The Cost of Air Pollution: Health Impacts of Road Transport, Paris, OECD Publishing.
4 Harris, N. L. et al. (2021) ‘Global maps of twenty-first century forest carbon fluxes’, Nature Climate Change, vol. 11, no. 3, pp. 234–240. DOI: 10.1038/s41558-020-00976-6. (This equates to 17.6% of annual carbon emissions based on Lombard Odier calculation.)
5 Food and Agriculture Organization of the United Nations (2021) ‘FAOSTAT Statistical Database’, FAOSTAT.
6 World Bank. (2018). The Changing Wealth of Nations 2018: Building a Sustainable Future.
7 Shellenberger, M. (2020) Apocalypse Never, London, HarperCollins.
8 Food and Agriculture Organization of the United Nations (2021) ‘FAOSTAT Statistical Database’, FAOSTAT. Cited in Shellenberger, M. (2020) Apocalypse Never, London, HarperCollins.
9 Gray, A. (2018) ‘Sweden’s forests have doubled in size over the last 100 years’, World Economic Forum.
10 Andelaet al. (2017) ‘A human-driven decline in global burned area’, Science, vol. 356, no. 6345, p. 1356. DOI: 1126/science.aal4108
11 Grevé, M. E. et al. (2018) ‘Effect of forest management on temperate ant communities’, Ecosphere, John Wiley & Sons, Ltd, vol. 9, no. 6, p. e02303. DOI: 10.1002/ecs2.2303
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