rethink sustainability
Warum es ohne Fortschritt keine Nachhaltigkeit gibt
„Das englische Wort ‚[s]ustain‘ ist ein zweideutiges Wort. Es kann bedeuten, jemanden mit dem Nötigen zu versorgen. Es kann aber auch bedeuten, Veränderungen zu verhindern – was fast das Gegenteil ist, denn die Unterdrückung von Veränderungen ist selten das, was Menschen benötigen." David Deutsch
Die Auswirkungen unserer unwirtschaftlichen, ineffizienten, ungleichen und verschmutzten WILD-Wirtschaft (Wasteful, Idle, Lopsided, Dirty) sind überall zu beobachten: von Mikroplastik und Luftverschmutzung bis hin zum Verlust an Biodiversität und zum Klimawandel. Glücklicherweise sind sich die meisten von uns einig, dass wir, um diese Probleme zu lösen, zu einer kreislauforientierten, effizienten, integrativen und sauberen CLICTM-Wirtschaft übergehen müssen (Circular, Lean, Inclusive, Clean). Wo wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind, ist bei der Vorstellung darüber, wie die Gesellschaft aussehen sollte, wenn dieser Wandel abgeschlossen ist.
Viele von uns glauben, dass wir das Streben nach wirtschaftlichem Wachstum, das Ursache unserer Probleme ist und nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden kann, verringern oder gar beenden müssen. Andere wiederum sind der Meinung, dass es das Wirtschaftswachstum ist, das uns ermöglicht, Probleme zu lösen und eine wohlhabende, stabile Gesellschaft dauerhaft zu fördern.
Diese unterschiedlichen Ansichten spiegeln die beiden Bedeutungen von „sustain“ – aufrechterhalten – wider, die im Eröffnungszitat erwähnt sind und aus dem bahnbrechenden Buch The Beginning of Infinity des Physikers David Deutsch1 stammt. Sollten wir – im Sinne der Unterdrückung von Veränderungen – die Lösungen, die anfänglich die CLICTM-Wirtschaft ausmachen werden, auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten, um zu verhindern, dass in Zukunft neue Probleme entstehen? Oder ist der Wandel das Einzige, was uns stetig voranbringt in dem Sinne, dass diese Veränderungen uns mit dem Nötigen versorgen, um uns auf unbegrenzte Zeit aufrechtzuerhalten?
Das bedeutet insbesondere, dass jede Gesellschaft, die sich Veränderungen verweigert …, früher oder später scheitern wird.
Eine der zentralen Erkenntnisse von Deutsch ist, dass unvorhergesehene und unvorhersehbare Probleme nicht zu vermeiden sind, weil Probleme aufgrund von Wissenslücken entstehen und unser Wissen stets unvollständig sein wird. Die einzige Möglichkeit, Probleme zu lösen, besteht also darin, neues Wissen zu schaffen. Das bedeutet insbesondere, dass jede Gesellschaft, die sich Veränderungen verweigert (was Deutsch als statische Gesellschaft beschreibt), früher oder später scheitern wird.
Nehmen wir als Beispiel die statische Gesellschaft, die über Jahrhunderte auf der Osterinsel existierte, bis sie, bevor die ersten Europäer 1772 dort ankamen, plötzlich kollabierte. Deutsch zufolge hatten die Osterinsulaner eine vergleichsweise statische Lebensweise, indem sie beispielsweise Holz aus den ursprünglich ausgedehnten Waldgebieten der Insel für den Bau von Unterkünften, Fischerbooten und Fischernetzen nutzten. Letztlich dezimierten die Osterinsulaner die nützlichste Baumart auf ihrer Insel, was zu zahlreichen Sekundäreffekten wie der Erosion des Bodens führte. Als statische Gesellschaft waren die Osterinsulaner kulturell gesehen schlecht gerüstet, um das für die Lösung ihrer Probleme benötigte Wissen zu schaffen. Stattdessen hielten sie über Jahrhunderte hinweg an den immer gleichen Lösungen fest, indem sie noch mehr maoi, die berühmten Statuen auf der Osterinsel, errichteten. Da sie ihre Anstrengungen auf die Schaffung von Ahnendenkmälern konzentrierten, anstatt sich mit innovativen Lösungen von ihren Problemen zu befreien, benötigten sie mehr Strassen, um diese Statuen zu transportieren – zu deren Bau wiederum Bäume benötigt wurden.
Die Hauptursache für den Kollaps der Gesellschaft auf der Osterinsel war entsprechend nicht der Mangel an wesentlichen Ressourcen oder die Zerstörung der Umwelt. Es war ihre Kultur – eine Kultur, die Veränderungen unterdrückte und die Menschen dadurch daran hinderte, das Wissen zu erlangen, das sie benötigten, um ihre Probleme zu lösen und sie vor einer Katastrophe zu bewahren.
Deutsch unterscheidet zwischen statischen Gesellschaften und dynamischen Gesellschaften wie der unseren. Statt Veränderungen zu unterdrücken, nehmen dynamische Gesellschaften sie durch bestimmte Verhaltensmuster (Meme) an, welche die Schaffung von Wissen erleichtern. Hierzu gehören beispielsweise wissenschaftliche Methoden, der offene Diskurs, der Wettbewerb auf dem Markt und verantwortungsvolle Investitionen. Dies ermöglicht es dynamischen Gesellschaften, ihre Probleme zu lösen, bevor es zur Katastrophe kommt. So wird Nachhaltigkeit im wertvolleren Sinne erreicht – indem den Menschen das, was sie benötigen, unbegrenzt zur Verfügung steht.
Dazu gehören auch die Lösungen, welche das als WILD-Wirtschaft bekannte System ausmachen. Obwohl viele davon der Grund für grosse Probleme unserer Zeit sind, waren sie bereits in der Vergangenheit notwendige Lösungen für Probleme. Zu diesen zahlreichen Herausforderungen gehörte die Versorgung einer wachsenden Bevölkerung (die wiederum ein durch vorherige Lösungen verursachtes Problem war), ohne die menschliche Arbeit zu monopolisieren. Zu den Lösungen zählten die Verbrennung fossiler Brennstoffe für die Stromerzeugung und die Erfindung von Kunststoffen, welche die Massenproduktion innovativer und kostengünstiger Produkte ermöglichten. Kunststoffe waren zudem eine Lösung für das Problem einer stark steigenden Nachfrage nach Naturprodukten, wie Schildpatt und Elfenbein, die dazu führte, dass die entsprechenden Tierarten fast ausgerottet wurden.
Natürlich waren diese Lösungen nicht nachhaltig in dem Sinne, dass sie angesichts der Probleme, die sich unweigerlich aus unseren Wissenslücken ergeben würden, nicht auf unbegrenzte Zeit weiterverfolgt werden konnten. Wir wussten nicht, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe den Klimawandel auslösen und die Langlebigkeit von Kunststoffen zu Umweltverschmutzung führen würde. Wir wussten nicht, wie sich im grossen Stil Energie produzieren lässt, ohne fossile Brennstoffe zu verbrennen, und wir wissen nach wie vor nicht, wie wir viele der von uns benötigten Produkte herstellen können, die ohne Kunststoff auskommen und die Umwelt schonen.
Glücklicherweise ist unsere moderne Gesellschaft im Gegensatz zu derjenigen der Osterinsulaner nicht statisch und dazu verurteilt, diese WILD-Lösungen aufrechtzuerhalten, bis die von ihnen verursachten Probleme zu irreversiblen Katastrophen werden. Dank Forschern, Unternehmen und Investoren kann unsere dynamische Gesellschaft das Wissen schaffen (und tut dies auch), das wir benötigen, um diejenigen Lösungen zu finden, die die CLICTM-Wirtschaft ausmachen. Dazu zählen unter anderem neue Arten der Produktion, des Recyclings und der Entsorgung von Kunststoffen, um deren Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern, und der Ersatz fossiler Brennstoffe durch kohlenstoffarme Alternativen. Letzteres wird auch die Umweltauswirkungen von Glas und Papier reduzieren, die weniger schädlich wären als Kunststoffe, sofern bei ihrer Herstellung weniger CO2-Emissionen anfallen würden. Ein Papiersack müsste 43 Mal wiederverwendet werden, um die Umwelt weniger zu belasten als ein Plastiksack, während Glasflaschen derzeit 200–400% mehr CO2-Emissionen produzieren als Kunststoffflaschen.2
Von den zahlreichen profunden Einsichten, die Deutsch in seinem bemerkenswerten Buch darlegt, ist die vielleicht wichtigste (abgesehen von der Unvermeidbarkeit von Problemen), dass „alles, was durch die Naturgesetze nicht verboten ist, erreichbar ist, wenn man nur über das richtige Wissen verfügt“ (Deutsch, S. 56). Zusammengenommen bedeuten diese Einsichten, dass das Einzige, was im doppelten Sinne des Wortes unbegrenzt nachhaltig ist, der Fortschritt ist – das Kennzeichen einer dynamischen Gesellschaft. So kann uns selbst eine statische CLICTM-Wirtschaft nicht auf ewig versorgen. Im Gegensatz zu einer dynamischen CLICTM-Wirtschaft: Diese unterstützt und – im Idealfall – beschleunigt die Schaffung des Wissens, das wir benötigen, um neuartige CLICTM-Lösungen umzusetzen, bevor aus Problemen Katastrophen werden. In der Tat ist unsere Gesellschaft bis dato nicht dynamisch genug. Wäre dies der Fall, so hätten wir die Probleme der WILD-Wirtschaft schon gelöst, lange bevor derart viel Schaden entstehen konnte.
Die globale Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Doch die zusätzliche Dynamik, die unserer bereits dynamischen Gesellschaft aufgezwungen wurde und den Übergang zu einer CLICTM-Wirtschaft beschleunigen könnte, ist die positive Seite der Krise und eine Chance, die wir nutzen sollten. Obschon der Klimawandel und globale Pandemien sehr unterschiedliche Probleme sind, teilen sie doch einige Risikofaktoren, darunter die Luftverschmutzung und die Eingriffe des Menschen in natürliche Lebensräume. Aus diesem Grund wird es für unterschiedliche Probleme teilweise die gleichen Lösungen geben.
Krisen mögen zwar als Treiber für Innovation stehen, doch sind einige Krisen inspirierender als andere. Während wir noch um eine hinlänglich dynamische Antwort auf das „langsame“ Problem des Klimawandels rangen, löste das „rasche“ Problem von COVID-19 weitaus mehr aus. Praktisch über Nacht stellten ganze Gesellschaften auf neue Arten des Lebens und Arbeitens um. Dieser radikale Wandel repräsentierte eine Beschleunigung vieler bestehender Trends. Und die damit verbundenen Lösungen, etwa das Arbeiten im Home-Office und die verringerte Nutzung von Transportmitteln, führten zu einem markanten (wenn auch nur vorübergehenden) Rückgang der Treibhausgasemissionen im Vorjahresvergleich.3 Während wir uns weiter darum bemühen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, dürften wir im Rahmen der „neuen Normalität“ viele der umgesetzten Lösungen beibehalten. Da sich die Konjunkturpakete auf Möglichkeiten zum „Wiederaufbau für eine bessere Zukunft“ konzentrieren, könnte sich das Jahr 2020 noch als entscheidender Moment beim Übergang zu einer CLICTM-Wirtschaft erweisen.
Ob wir diese neu gewonnene Dynamik beibehalten, um den dringend notwendigen Fortschritt hin zu einer CLICTM-Wirtschaft und darüber hinaus voranzutreiben, bleibt abzuwarten. Letztlich müssen wir uns nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft anpassen. Dazu bedarf es einer engagierten Gemeinschaft von Unternehmen und Wissenschaftlern, die durch verantwortungsvolle Investoren getragen werden. Anstatt sich dem Fortschritt zu entziehen, sollten wir ihn als einzig möglichen Weg eine bessere, nachhaltigere Zukunft denken.
1Deutsch, D. (2014) The Beginning of Infinity, London, Allen Lane.
2 Shellenberger, M. (2020) Apoclypse Never, London, HarperCollins.
3 Le Quéré, C., Jackson, R.B., Jones, M.W. et al. (2020) ‘Temporary reduction in daily global CO2 emissions during the COVID-19 forced confinement’, Nature Climate Change, 10, 647–653. Available here.
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