rethink sustainability
Führt der Lockdown zu besserer Luftqualität in Städten?
Im Chaos des Lockdown gab es einen bemerkenswerten Lichtblick für die Bewohner von Delhi. Als sie am Morgen die Fenster öffneten, war die Sicht klar1 und nicht wie sonst durch die Luftverschmutzung getrübt. Dieses Erlebnis hatten Menschen in Metropolen auf der ganzen Welt, von Bangkok bis Bogota. Denn der starke Rückgang des Strassenverkehrs und der Mobilität führte zu einem vorübergehenden Rückgang der Schadstoffe in der Luft.
Die sauberere Luft zeigte vielen Grossstadtbewohnern, wie es sein könnte. Ob der klarere Himmel nach der Lockerung der Lockdowns anhält, ist ungewiss. Städte leiden seit langem am meisten unter der Luftverschmutzung. Ein Blick auf die Luftqualität in der ganzen Welt verdeutlicht die Schadstoffdichte in den am stärksten bevölkerten Regionen.2 Die jüngsten Statistiken deuten darauf hin, dass Mailand in Europa, Merida in Nordamerika und Sydney in Australasien am stärksten betroffen sind.
Obwohl die Lockdown-Massnahmen kurzfristig zu geringeren Emissionen und weniger Umweltverschmutzung geführt haben, sind die Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre nicht zurückgegangen3. Die Luftverschmutzung steht angesichts der Pandemie wieder im Mittelpunkt, da eine Verbindung zwischen der Verbreitung von COVID-19 und der Umweltverschmutzung hergestellt wird.
Nicht nur die Luftverschmutzung hält an, auch die Bemühungen der Städte, sie in den Griff zu bekommen. Der Erfolg der Massnahmen ist unterschiedlich. Wie können Städte voneinander lernen? Was kann London, wo die Luftqualität mässig ist, Kumanovo in Mazedonien lehren, wo die Luftqualität sehr schlecht ist? Eine Änderung würde den ärmsten Mitgliedern der Gesellschaft in diesen Ländern sofort einen Nutzen bringen.4
Nachstehend schauen wir uns an, wie Städte im Lauf der Zeit ihre Richtlinien zur Luftqualität entwickelt haben, was andere daraus lernen und wie Anleger davon profitieren können.
London
In den 1950er-Jahren war der Smog in England so dicht, dass weidende Kühe angeblich daran erstickt sind. In London standen Busse und Taxis regelmässig still, was die Pendler zwang, die U-Bahn zu nehmen. Tausende starben an Atemwegserkrankungen5. Erst 1956 änderte der Clean Air Act die Lage: Das Gesetz begrenzte die Kohleverbrennung und richtete rund um die Stadt Bereiche mit sauberer Luft ein – die erste umfassende Massnahme von vielen, um die Luftqualität zu verbessern. Ende der 1960er-Jahre wurde Werken, die Kohle und Gas verbrannten, vorgeschrieben, hohe Schornsteine zu bauen. Einige Jahre später wurde die Zusammensetzung von Fahrzeugtreibstoffen reguliert. Die allmählich getroffenen Massnahmen im Kampf gegen die Luftverschmutzung in London haben dazu geführt, dass heute alle neuen Doppeldeckerbusse Hybrid-, Elektro- oder Wasserstoffantriebe haben. Und alle neu zugelassenen Taxis müssen bis zu einer bestimmten Reichweite emissionsfrei sein.
Nächstes Jahr wird die sogenannte Ultra Low Emissions Zone (ULEZ) auf den Grossteil des Stadtgebiets ausgedehnt. Das bedeutetet, dass Fahrzeuge, die den strengen Anforderungen nicht entsprechen, mindestens GBP 12.50 – und Lastwagen, Busse und sonstige schwere Fahrzeuge GBP 100 – werden zahlen müssen, um einen Tag in dieser Zone zu fahren. Diese Massnahme dürfte das Interesse der Anleger wecken, denn der Gebrauchtwagenmarkt für Dieselautos schrumpft und die Nachfrage nach E-Fahrzeugen steigt.
Beijing
Die chinesische Hauptstadt litt jahrelang unter Smog, bis 2014 ein Bericht das Problem ins Zentrum der Öffentlichkeit rückte. Einer Studie der Shanghai Academy of Social Sciences zufolge war Beijing damals nahezu „unbewohnbar für Menschen“6. Der Grund lag auf der Hand. Pendler verwendeten industrielle Atemschutzmasken, weil der Russ der verbrannten Kohle und andere Emissionen vor allem im Winter das Atmen in der Stadt erschwerten. Ein Trend, von dem auch viele andere chinesische Städte zu dieser Zeit betroffen waren. In nur vier Jahren gelang Beijing jedoch Bemerkenswertes: Einem Bericht der Vereinten Nationen gemäss sank die Feinstaubbelastung um 35%.
Zu verdanken war diese Entwicklung sehr strengen Emissionsvorschriften und fortschrittlicheren Überwachungssystemen bei gleichzeitig höheren Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel. 2018 wurden neue Umweltschutzvorschriften erlassen, mit denen die Schwerindustrie unter Druck gesetzt wurde, Standorte zu schliessen oder deren Tätigkeit einzuschränken7. Die Stadt hat das Problem zwar noch nicht aus der Welt geschafft, denn die Luftverschmutzung hält an. Doch die Massnahmen der Stadtregierung gelten als Meilenstein auf dem Weg zu einer Lösung.
Mexico City
1992 bezeichneten die Vereinten Nationen Mexico City, Ende des 20. Jahrhunderts für seine schlechte Luftqualität berüchtigt, als die am stärksten verschmutzte Stadt der Welt. Im Grunde versuchte man schon damals, das Problem mit einer Fahrbeschränkung für Autos anzugehen. Im Rahmen der Massnahme „Heute fährst du nicht“ trugen die Fahrzeuge farbige Plaketten, die anzeigten, an welchem Tag der Woche ein Fahrzeug nicht fahren durfte. Der Verkehr konnte so um 20% gesenkt werden. Strengere Emissionsvorschriften und der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel folgten. 1995 wurde das ProAire-Programm zur Verbesserung der Luftqualität lanciert. Es ist mittlerweile in der letzten Phase und enthält Massnahmen, die den Energiekonsum in allen Sektoren reduzieren und effizientere, sauberere Energie fördern sollen. Doch wie auch andere Städte feststellen mussten, dürfte der Erfolg auf sich warten lassen.
Letztes Jahr erreichte die Luftbelastung in der Hauptstadt ein Niveau, das der Gesundheit schaden kann. Zudem wurde der Umweltnotstand ausgerufen, nachdem Waldbrände die Lage verschärft hatten8.
Delhi
Die bessere Luft nach dem Lockdown dürfte für die Bewohner der indischen Stadt eine Wohltat gewesen sein. Doch Massnahmen zur Verbesserung der Luftqualität wurden schon zuvor getroffen. 2018 lag die Luftverschmutzung in Delhi 20 Mal höher als der von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Grenzwert. Wie andere Städte verlangt Delhi unter anderem, dass Fahrzeuge auf sauberere Treibstoffe umstellen. Der Einsatz von Industrietreibstoffen wurde verboten, Kraftwerke wurden geschlossen, umweltbelastende Fahrzeuge aus dem Stadtzentrum verbannt und Strassen nach Osten und Westen geöffnet, um den Verkehr zu reduzieren. Messungen belegen den Erfolg des bisherigen Massnahmeplans: In den drei Jahren bis 2018 gingen die PM2,5-Feinststaubteilchen, die schlimmsten Schadstoffe, um 25% zurück9. Die Luft jedoch ist noch lange nicht sauber genug. Behörden zufolge ist die Luftqualität im letzten Jahr „unerträglich“ geworden. Nun gibt es Empfehlungen, die Pandemie und die daraus resultierende sauberere Luft zum Anlass für Massnahmen zu nehmen, um durch die Umstellung auf eine grünere Wirtschaft die Feinstaubbelastung in Indien zu reduzieren. Empfehlungen, die das Interesse der Anleger wecken dürften10.
Von anderen lernen
Weltweit ist die Luftqualität sehr unterschiedlich. Ebenso sind die Städte in der Entwicklung von Lösungen gegen die Luftverschmutzung ungleich weit. Doch die Pandemie scheint in vielen Städten auch positive Auswirkungen zu haben: Die Luft wurde erkennbar sauberer. Doch diese positive Konsequenz der globalen Pandemie ist von kurzer Dauer. Die Frage ist nun, ob Städte die Gelegenheit ergreifen, um auf eine nachhaltig bessere Luftqualität hinzuarbeiten.
1 https://www.theguardian.com/environment/2020/apr/11/positively-alpine-disbelief-air-pollution-falls-lockdown-coronavirus
2 https://waqi.info/
3 https://www.unenvironment.org/news-and-stories/press-release/united-science-report-climate-change-has-not-stopped-covid19
4 https://www.theguardian.com/environment/2020/sep/07/cutting-air-pollution-in-europe-cities-would-improve-health-of-poor-says-watchdog
5 https://www.bbc.co.uk/news/uk-england-london-20269309
6 https://www.scmp.com/news/china/article/1426587/pollution-makes-beijing-almost-uninhabitable-human-beings
7 https://www.bbc.co.uk/news/world-asia-china-42513531
8 https://www.bbc.co.uk/news/world-latin-america-48279972
9 https://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-49729291
10 https://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-52313972
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