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Wie kann der Fernverkehr seine CO2-Bilanz verbessern?
Wenn es um Bemühungen zur Kontrolle der CO2-Emissionen im Transportwesen geht, reicht ein Blick auf Autos alleine nicht aus. Unter den Verkehrsträgern sind sie zwar die grössten Klimasünder – rund 50% des globalen CO2-Ausstoss gehen auf Personenwagen zurück. Doch auch der Langstreckenverkehr trägt wesentlich zum globalen CO2-Ausstoss bei: Die Luftfahrt mit 12%, die Lkws mit 29% und der Schiffsverkehr mit 11%.
Die Ziele sind klar formuliert. Im Rahmen der Bemühungen zur Verringerung der CO2-Emissionen setzte sich das Pariser Abkommens von 2015 zum Ziel, die Emissionen des Verkehrs bis 2050 zu halbieren. Dieses Ziel umzusetzen ist nicht einfach – nehmen die durch den Transport verursachten Emissionen weiter zu. In der Luftfahrt ist der Treibstoffverbrauch pro Passagierkilometer seit 1990 zwar um die Hälfte zurückgegangen, die absoluten Emissionen jedoch sind seit 2005 um 70% gestiegen. Ändert sich nichts am globalen CO2-Ausstoss, wird das Netto-Null-Klimaziel bis 2050 verfehlt. Netto-Null ist das Schlagwort der Klimadebatte und bedeutet, dass alle durch Menschen verursachten Emissionen eingespart oder im gleichen Umfang wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen und die Klimabilanz der Erde somit netto beträgt.
Wie beim Strassentransport besteht die Herausforderung darin, diese Ziele zu erreichen, ohne die Versorgungsketten zu unterbrechen. Denn die Versorgungsketten sind für die Weltwirtschaft lebenswichtige Arterien. Dämmen wir die Emissionen nicht massiv ein, werden sie sich im Fernverkehr und Schwerlasttransport bis 2050 fast verdoppeln.
Was „massiv“ bedeutet, ist eine Frage der Definition. Bedeutet dies für die einen Länder ein striktes Regelwerk zur Eindämmung der Emissionen, mag dies für ein anderes Land nur eine schwache Massnahme darstellen. Doch ein Neustart in Richtung einer vermehrten Nutzung erneuerbarer Energien im Fernverkehr erfordert staatliche Rahmenbedingungen, technologische Innovation und das Bewusstsein von Anlegern und Konsumenten.
Auf Technologie setzen
Die Kompensation von Treibhausgas-Emissionen ist so beliebt wie nie: Im Langstreckentransport tätige Unternehmen kompensieren ihre Emissionen durch Aufforstung oder andere Massnahmen. Dieses Vorgehen wird zunehmend bestenfalls als Notlösung angesehen. Stattdessen scheint die Verwendung von Treibstoffen, die weniger CO2 verursachen, ein offensichtliches Ziel für die Forschung zu sein.
Die Schifffahrtsindustrie setzt vermehrt auf Flüssiggas (LNG), Wasserstoff und Ammoniak als Alternativen zu erdölbasiertem Treibstoff. LNG verringert die CO2-Emissionen um bis zu 30%1, der Ausstoss von Methan jedoch (mehr als 30 Mal stärkeres Treibhausgas als CO2) ist problematisch. MAN Energy Solutions arbeitet an einem reinen Ammoniak-Motor. Er soll solide Prototypen liefern, wie Ammoniak in Zukunft als Treibstoff genutzt werden kann. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ammoniak reduziert den CO2-Ausstoss um bis zu 90%2. Doch der Herstellungsprozess von ist CO2-intensiv. Erste Reaktionen sind in der Schifffahrtsindustrie zu beobachten: Equinor erneuert seine Flotte und testet alternative Treibstoffe wie Flüssiggas und Ammoniak.
Wasserstoff-Brennstoffzellen gewinnen rasch an Zugkraft und produzieren als Abgas ausschliesslich Wasserdampf. Eine Herausforderung stellt noch die Speicherung von Wasserstoff dar, da er extrem brennbar ist und die Kosten hoch sind. Denn flüssiger Wasserstoff nimmt viermal so viel3 Volumen ein wie Kerosin, was den Platz für Passagiere und Fracht verringert. Ferner erforscht die Industrie weitere Möglichkeiten der Nutzung von Wasserstoff: Synfuels (synthetische Treibstoffe), die unter Verwendung von CO2-Emissionen aus der Luft und Wasserstoff hergestellt werden, sind hierbei vielversprechende Alternativen.
Pilotprojekte bringen die Schifffahrt auf Biosprit-Kurs. Die Reederei Maersk beispielsweise will bis 2050 CO2-neutral sein. Im Rahmen dieser Bemühungen testete sie auf einem ihrer grössten Schiffe zwischen Rotterdam und Shanghai eine Kraftstoffmischung, die 20% Biotreibstoff enthält. Alleine diese eine Fahrt von 25’000 Meilen soll 1’500 Tonnen an CO2-Emissionen einsparen. Das entspricht den Treibhausgasen von fast 1’200 Autos in einem Jahr. Das Energieunternehmen Neste setzt mit MY Renewable Jet Fuel auf nachhaltigen Flugzeugtreibstoff. Der Kraftstoff wird aus Altspeiseöl hergestellt und reduziert die CO2-Emissionen im Vergleich zu fossilem Kerosin über den gesamten Lebenszyklus um bis zu 80%. Diese Alternative ist ein Fortschritt, selbst wenn geringe Produktionsmengen eine Einschränkung darstellen könnten. Mit dem weltweiten Ausbau der Produktion will das Unternehmen bis 2022 über eine Million Tonnen des Flugkraftstoffs bereitstellen.
Wenn auch alternative synthetische Treibstoffe derzeit kostenintensiv sind, so prognostiziert das US-Forschungsunternehmen McKinsey, dass eine Veränderung zum Besseren bereits mit grösseren Produktionsmengen und staatlichen Auflagen gelingen könnte. Entscheidend ist, dass die Biotreibstoffe aus nachhaltigen Quellen stammen, da nicht ausreichend Land zur Verfügung steht, um die Klimaziele zur CO2-Reduktion und Kompensation aller Branchen zu erreichen.
Fluggesellschaften verbessern ihre Green Scores (Umweltpunkte) mit einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie. Diese basiert auf einem Massnahmenmix aus Treibstoff-Effizienz, Verfahrensoptimierung in der Luft und am Boden sowie technologischen Innovationen. So wird beispielsweise die Menge an zusätzlich an Bord mitgeführtem Treibstoff reduziert und leichteres Material bei der Herstellung der Flugzeuge eingesetzt. Die Forschung zu Langstreckenflugzeugen in grosser Höhe (High Altitude Long Endurance, HALE) bringt Erkenntnisse für die Luftfahrt. Denn durch Flügel mit langen und schmalen Spannweiten lässt sich die Energieeffizienz am Flugzeug steigern und den Treibstoffverbrauch senken.
Impact der Konsumenten auf die Diskussion
Während die Technologie praktisch startklar ist, rücken Bewegungen wie Fridays for Future, unter dessen Namen weltweit Tausende Schüler für einen effektiveren Klimaschutz protestieren, und flygskam (Schwedisch für Flugscham) die Rolle des Verbrauchers ins Rampenlicht. Dieser soll die Branche zu besseren Standards und konkreten Handlungen bewegen.
Die Einstellung der Konsumenten zum Fliegen spielt eine Rolle. Immer mehr Menschen entscheiden sich für nachhaltigeres Reisen. Sie reisen mit der Bahn, fliegen weniger oft und entscheiden sich für Urlaubsreisen im eigenen Land oder an Orte, die auf der Strasse oder Schiene erreichbar sind. Über 50% der 5’300 Flugpassagiere, die McKinsey vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie befragte, gaben an, sie seien „wirklich besorgt“ über den Klimawandel. Das allein reicht allerdings nicht aus, um einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Konsumenten können zwar mit ihrem Portemonnaie abstimmen, doch möglicherweise ist diese Basis noch nicht gross genug, um in naher Zukunft eine signifikante Wirkung zu erzielen.
Staatliche Regelungen geben den Rahmen vor
Die Verbraucher allein mögen die Branche nicht dazu bringen, ihre Gewohnheiten zu ändern. In diesem Fall können staatliche Regelungen und Anreize dazu beitragen, das Richtige zu tun und die entsprechenden Kosten zu glätten. In Norwegen müssen beispielsweise 0,5% des in diesem Jahr verwendeten Treibstoffs nachhaltig sein. Bis 2030 steigt der Wert auf 30%4. Bis 2040 sollen alle Kurzstreckenflüge des Landes vollständig elektrisch betrieben werden. Kanada wiederum hat eine Steuer auf Treibstoff bei Inlandflügen eingeführt – auf der Grundlage der Menge an CO2-Emissionen, die jeder Inlandflug verursacht.
Auch die Europäische Kommission will den Luftverkehr durch die Einführung alternativer Treibstoffe nachhaltiger machen. Mit ReFuelEU Aviation lancierte die Legislative der EU eine Initiative zur Förderung von Angebot und Nachfrage nach Flugkraftstoffen.
Ferner bestehen Kooperationen zwischen Branche und Regierungen: Getting to Zero etwa zielt darauf ab, bis 2030 ein Handelsschiff mit Netto-Null-Emissionen loszuschicken. Reedereien und Treibstoffunternehmen wie Maersk und Shell sowie Finanzdienstleister (Citigroup) und Regierungen unterstützen die Initiative.
Der Bedarf an weiteren Innovation besteht zweifellos. Der Luftfahrtindustrie wurde ein kleiner Aufschub gewährt, als das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) angepasst wurde, um die Daten für 2020 aus der Datenbasis auszuschliessen. Die Branche muss indes die Netto-CO2-Emissionen ab 2021 weiterhin stabilisieren. Reedereien sind noch nicht in das EU-Emissionshandelssystem (ETS) eingebunden, das Fabriken, Kraftwerke und Fluggesellschaften verpflichtet, ihre CO2-Emissionen zu bezahlen. Die EU plant jedoch, die Schifffahrt per 2021 in das System aufzunehmen. Ausserdem zielt ein Vorschlag darauf ab, verbindliche Ziele für Reedereien einzuführen, um den durchschnittlichen jährlichen CO2-Ausstoss aller in Betrieb befindlichen Schiffe bis 2030 um mindestens 40% gegenüber 2018 zu reduzieren.
Was die Zukunft bringt
Über den Langstreckentransport kann die Luftfahrt noch auf andere Weise eine Rolle beim Aufbau einer grünen Zukunft spielen. Unternehmen wie Lilium, Volocopter und Uber Air versuchen, stark frequentierte Verkehrsknotenpunkte und Strassen zu entlasten. Ermöglicht wird dies mit elektrisch angetriebenen Kleinflugzeugen. Das deutsche Start-up Lilium entwickelt ein vollelektrisches Luftfahrzeug in Autogrösse, das senkrecht starten und landen soll. Das Unternehmen geht davon aus, dass Konsumenten das Flugzeug wie ein Taxi nutzen werden, um von einer Stadt zur anderen zu reisen. Das Flugzeug kann bis zu einer Stunde fliegen. Auf den Grundsatz eines vollelektrischen Lufttaxis setzt auch Volocopter.
Die COVID-19-Pandemie schränkt seit Jahresbeginn weltweit den Luftverkehr ein. So fiel die weltweite Nachfrage nach Frachttransporten um 15,2%.5 In der Schifffahrt sank sie im April 2020 sogar um 20% gegenüber dem Vorjahr. Auch der Rückgang der Flugpassagiere trifft die Luftfahrt hart. Gleichzeitig bietet die Pandemie die Gelegenheit, die Diskussion über die Senkung der CO2-Emissionen beim Fernverkehr zu reaktivieren und innovieren.
Um den Weg in Richtung einer kreislauforientierten, effizienten, integrativen und sauberen CLIC-Wirtschaft zu ebnen, braucht es die Entwicklung eines neuen Paradigmas für unser Transportsystem. Technologische Innovation war schon immer einer der Haupttreiber. Darüber hinaus dürften Regulierungen für ein nachhaltiges Wachstum in Zukunft beitragen, das auf dem Grundsatz der Netto-Null-Wirtschaft basiert.
1 https://www.equinor.com/en/magazine/greening-our-shipping.html
2 https://www.ammoniaenergy.org/articles/man-ammonia-engine-update/
3 https://www.mckinsey.com/industries/travel-logistics-and-transport-infrastructure/our-insights/how-airlines-can-chart-a-path-to-zero-carbon-flying
4 https://www.mckinsey.com/industries/travel-logistics-and-transport-infrastructure/our-insights/how-airlines-can-chart-a-path-to-zero-carbon-flying
5 https://am.lombardodier.com/files/live/sites/am/files/news/AM_news/2020/February/Adapting%20to%20the%20inevitability%20of%20climate%20change/White%20paper%20(synthesis)_Investing%20in%20the%20Climate%20Transition%20a%20Synthesis_Retail_EN.pdf
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