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    Anleger als Hüter unseres (und ihres eigenen) Lebensstandards

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    Robert Peston

    politischer Redakteur für ITV Nachrichten

    Viel zu lange war es für die meisten professionellen Anleger unerheblich, ob die Geschäftstätigkeit der Unternehmen, in die sie investierten, umwelt- oder gesundheitsschädigend war oder unseren Lebensstandard beeinträchtigte. Für diese sogenannten „externen Effekte“ war der Staat zuständig. Dem Anleger oblag es nur zu beurteilen, ob sich die Investition in eine Aktie gemessen an den jeweils bevorzugten oder gerade im Trend liegenden Finanzkennzahlen lohnte oder nicht. Doch mit Aufkommen populistischer Strömungen und der damit verbundenen Alles-oder-Nichts-Sicht des ökonomischen Liberalismus muss ein umsichtiger Anleger Stellung beziehen. Weder die guten Seiten noch die schädlichen Auswüchse unternehmerischen Verhaltens lassen sich heute noch länger ignorieren. Nachhaltiges Investieren heisst, die Macht des Kapitals zur Förderung einer nachhaltigen Gesellschaft zu nutzen.

    Gleich zu Beginn muss ich ein Geständnis ablegen...

    Ich darf mich mit einem Abschluss einer Elite-Universität im interdisziplinären Studiengang Philosophie, politische Wissenschaften und Ökonomie brüsten und sollte – so wurde uns damals eingetrichtert – somit die intellektuelle Fähigkeit haben, um eines Tages Premierminister zu werden. Doch es sollte noch 20 Jahre dauern, bis ich einigermassen begriff, was sich hinter dem Konzept der „externen Effekte“ verbarg und weshalb deren Bewältigung eine zentrale Aufgabe unserer marktbasierten Demokratie sein muss. Hierbei handelt es sich meines Erachtens um das wichtigste Konzept der öffentlichen Ordnung und Wirtschaft.

    Gleichzeitig ist es eines der am meisten unterschätzten und am wenigsten bekannten ökonomischen Prinzipien. Es besagt, dass alle guten und schlechten Eigenschaften von Produkten oder Dienstleistungen, die nicht im Preis reflektiert werden, Auswirkungen haben, die weit über die Produzenten und Kunden hinausgehen.


    Weshalb externe Effekte nicht vernachlässigt werden dürfen

    Ein klassisches Beispiel für unsere Zeit ist wohl die Klimaerwärmung und die damit zusammenhängende Verödungs- oder Überschwemmungsgefahr in Ländern weit abseits der wohlhabenden industrialisierten Länder, deren Transportindustrie sowie Fabriken und Kraftwerke hohe CO2-Emissionen verursachen.

    RE2018-W4_Earth-Infographic_03.jpg (Print)

    Ein anderes Beispiel ist die zunehmende Fettleibigkeit in den reichen Ländern, die potenziell eine unzumutbare Belastung unserer Gesundheitssysteme darstellt. Viele Menschen bezweifeln heute, dass der Preis für einen Schokoriegel oder Softdrink angesichts unseres Kohlenhydrat-Overkills noch angemessen ist.

    Daher liegt die Zuckersteuer auch voll im Trend. Auch wenn sie problematisch ist, da sie Ungleichheit zementiert. Denn wie bei Öko-Steuern und höheren Kohlenstoffpreisen, mit denen die Energieunternehmen zu einer nachhaltigeren Energieproduktion gezwungen werden sollen, trifft sie die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten am härtesten.


    Ethik und erfolgreiches Investieren sind die zwei Seiten derselben Medaille

    All dies wirft für die Anleger eine Frage mit weit reichenden Implikationen auf: Sollen sie die externen Effekte gänzlich aussen vor lassen und ausschliesslich auf Grundlage eines Discounted-Cashflow-Verfahrens in ein Unternehmen investieren? Als ich in den 1990er-Jahren für die Zeitschrift Financial Times (FT) berichtete, war dies nicht nur die vorherrschende Meinung, sondern die meisten Marktbeobachter gingen noch weiter und vertraten die Ansicht, dass alles andere den Kapitalismus untergraben würde. Es waren damals andere Zeiten.

    Die Alternative wäre, dass Anleger nach ihrem Bauchgefühl investieren. Das heisst, sie folgen ihrer Intuition hinsichtlich der Massnahmen oder Steuern und Abgaben, welche eine Regierung zur Beeinflussung externer Effekte dereinst einführen könnte, um eine Marktkrise zu beenden. Oder sollen sie weiter gehen und mittels Fundamentalanalyse die guten und schlechten Auswirkungen spezifischer Unternehmensaktivitäten auf die Gesellschaft evaluieren?

    Sich diese Frage zu stellen, heisst auch, sich zu fragen, ob sich ethisch korrektes Verhalten und die Erzielung einer überdurchschnittlichen Rendite ausschliessen.

    Ich bin der Meinung, es besteht – angesichts der augenfälligsten externen Effekte unserer Zeit – eine falsche Dichotomie zwischen Profit und nachhaltigen Investments, welche Tätigkeiten mit positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft mit einem Aufschlag und Tätigkeiten mit negativer Auswirkung mit einem Abschlag versieht.

    Es besteht eine falsche Dichotomie zwischen Profit und nachhaltigen Investments, welche Tätigkeiten mit positiven Auswirkundegen auf die Gesellschaft mit einem Aufschlag und Tätigkeiten mit negativer Auswirkung mit einem Abschlag versieht.

    Als es mir wie Schuppen von den Augen fiel

    Wenn ich sagen müsste, wann genau mich diese Erkenntnis traf (auch wenn ich es damals noch nicht genau so sah), würde ich sagen: am 14. September 2008, kurz nach 22.00 Uhr, also am Sonntagabend, bevor Lehman Konkurs anmeldete. Ich war gerade live in den BBC-Nachrichten zu sehen und erzählte 6 Millionen Zuschauern, dass eine der weltweit grössten Investmentbanken kurz vor dem Konkurs stand. Dabei hatte ich nur einen Gedanken: Wir werden alle dafür bezahlen – was in mir Angst und Wut auslöste.

    Lehman war Symbol für eine Bankenblase, die einer ganzen Generation von Bankern und Tradern zu Reichtum verhalf, bis sie 2008 platzte und eine ganze Generation von Bürgern der Mittel- und Arbeiterklasse in Armut stürzte.

    Lehman war Symbol für eine Bankenblase, die einer ganzen Generation von Bankern und Tradern zu Reichtum verhalf, bis sie 2008 platzte und eine ganze Generation von Bürgern der Mittel- und Arbeiterklasse in Armut stürzte.

    RE2018-W4_Earth-Infographic_01.jpg (Print)

    Damals vermutete ich, dass es auf den Strassen zu Ausschreitungen und Massenprotesten kommen würde. Die gab es auch vereinzelt. Doch der wahre Protest der Menschen, die einfache Antworten auf schwierige Fragen suchten, vollzog sich an der Urne.


    Wie Lehman den Populismus salonfähig machte

    Es gibt eine lineare Verbindung zwischen der Verbreitung von Innovationen wie synthetischen CDOs1 (also forderungsbesicherte Wertpapiere,die nicht, wie Greenspan es formulierte, ein Beweis für die perfekten Märkte waren, sondern Risiken verschleierten und einige Banker auf Kosten der Steuerzahler bereicherten) und den Voten für Brexit und Trump.

    Es geht nicht darum, ob Brexit und Trump ärmeren Menschen tatsächlich mehr Chancen eröffnen. Es geht darum, dass eine Gruppe von Menschen, von denen Theresa May sagte, sie käme „gerade so über die Runden“, um sie dann éveiller prompt zu ignorieren, sich zurecht vernachlässigt fühlt. Während 30 Jahren wurden die Finanzmärkte liberalisiert, die Globalisierung und der weltweite Unternehmenssteuerwettlauf unerbittlich vorangetrieben, sodass sich eine winzige Elite an der Spitze der Gesellschaft bereichern konnte und es mehreren hundert Millionen Menschen in Asien etwas besser ging. Derweil mussten grosse Teile der Mittel- und Arbeiterschicht in den Industrieländern mit unsicheren, niedrig bezahlten Jobs in Callcentern Vorlieb nehmen oder als freischaffende Digital Gigs leben.

    Indem man die globale Wirtschaft, die von einer Elite für eine Elite betrieben wurde, an den Finanzmärkten ausrichtete, kreierte man – um es überspitzt zu formulieren – sozusagen die Mutter aller externen Effekte. Mit dieser Entwicklung nahm man der weissen Arbeiterklasse in den reichen Ländern die Hoffnung auf ein besseres Leben.

    Etwas Mitleid für die Hedge Funds

    Die perfide Ironie an der ganzen Geschichte ist, dass manche Hedge Funds und Short Seller2 um die Fehlbewertung der Risiken und die daraus entstehende Immobilienblase, die letztlich so viel Leid verursachten, wussten.

    Als die Anleihen und Aktienkurse der Banken, welche die Bewohner aus ihren Häusern vertrieben hatten, weil sie die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, kollabierten und die Hedge Funds mit ihren aus moralischer Sicht nicht zu beanstandenden Leerverkäufen begannen, wurde ihnen dies (zu Unrecht) als schamlose Profitgier zulasten der notleidenden Bevölkerung angelastet.

    Und damit geriet die gesamte Finanzbranche in Verruf.


    Nachhaltiges Investieren ist kein Luxus

    Deshalb sind Anleger schlecht beraten, wenn sie nachhaltiges – oder nur schon ethisches – Investieren immer noch als Luxus für Leute abtun, die mehr Geld als Verstand besitzen.

    In den drei Jahrzehnten seit 1980 – der Beginn der Thatcher-Reagan-Ära –, in denen man sich zu stark auf die Pricing-Kompetenz der Märkte verliess und sich immer erst dann mit externen Effekten auseinandersetzte, als es zu spät war, haben sich die Probleme angehäuft: steigender Meeresspiegel, bedrohte Biodiversität, die Lebenserwartung schmälernde Fettleibigkeit, Luftverschmutzung und die längste Periode mit stagnierendem Lebensstandard in den mittleren und niedrigen Einkommensschichten seit dem frühen 19. Jahrhundert.

    Dagegen haben Schurken mit fadenscheinigen Lösungen zu diesen lebenswichtigen Fragen Hochkonjunktur. Vor diesem Hintergrund täte unsere Generation gut daran, Errungenschaften wie die liberale Demokratie, den Rechtsstaat und unseren Lebensstil nicht als gegeben hinzunehmen.

    Wenn diejenigen, die das Kapital von Millionen Menschen verwalten und investieren, ihr Finanz-Know-how nicht dazu nutzen, den von ihnen eruierten ökologischen und gesellschaftlichen Missständen entgegenzuwirken, könnte es geschehen, dass ihr eigenes Ökosystem, die finanzmarktorientierte Wirtschaft, demontiert wird – zugrunde gerichtet von einer neuen Generation von Demagogen, denen diese Errungenschaften keinen Cent wert sind.

    Biografie

    Robert Peston ist politischer Redakteur für ITV, Moderator der Politsendung «Peston», Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Speakers for Schools und Vorsitzender der britischen Wohltätigkeitsgesellschaft Hospice UK. Er ist Autor von vier Büchern: «How Do We Fix This Mess», «Who Runs Britain?», «Brown’s Britain» und zuletzt «WTF?». Sein neuster Titel erklärt die Ursachen und Folgen der Zurückweisung von etablierten Politikern und Mainstream-Politik in vielen wohlhabenden Ländern – und wie sich ein angeschlagenes Grossbritannien reparieren lässt. Er war bis Ende 2015 für zehn Jahre Wirtschaftsredakteur der BBC. Davor war er als Lokalredakteur für den «Sunday Telegraph», als politischer Redakteur für die «Financial Times », als Kolumnist für den «New Statesman» und die «Sunday Times» und in verschiedenen Rollen für den «Independent» tätig. Peston hat als Journalist über dreissig Auszeichnungen erhalten und wurde von der Royal Television Society als «Journalist des Jahres» ausgezeichnet. Er bloggt unter itv.com/robertpeston und ist auf Facebook unter Facebook.com/pestonITV und auf Twitter unter @peston zu finden.

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