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    Die Inflation bleibt für die Notenbanken ein flexibles Ziel

    Die Inflation bleibt für die Notenbanken ein flexibles Ziel
    Samy Chaar - Chefökonom und CIO Schweiz

    Samy Chaar

    Chefökonom und CIO Schweiz
    Homin Lee - Senior Macro Strategist

    Homin Lee

    Senior Macro Strategist

    Kernpunkte

    • Bis vor Kurzem blieb die Inflation stets hinter den Zielen der Notenbanken zurück. Dann schoss sie dramatisch darüber hinaus, als die Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs spürbar wurden.
    • Der Inflationsdruck, der u.a. eine Folge veränderter Lieferketten sowie von Arbeitskräfte- und Rohstoffmangel ist, sollte durch disinflationäre Faktoren wie die Demografie und Fortschritte bei der KI ausgeglichen werden. Die Notenbanken werden die Inflationsziele erst anheben, wenn die Öffentlichkeit ein etwas höheres Niveau akzeptiert.
    • Der Straffungszyklus nähert sich dem Ende, wird sich aber 2023 nicht umkehren: Die Zinsen in den USA und der Eurozone erreichen bald ihren Höhepunkt, und die Teuerung liegt immer noch über den Zielen der Fed und der EZB. Die Notenbanken müssen das hohe Zinsniveau aufrechterhalten, damit der Zinserhöhungszyklus seine Wirkung entfalten kann.
    • Da sich die Zinsen in den USA und Europa dem Höchststand nähern und sich das Wachstum verlangsamt, bevorzugen wir bei Festverzinslichen Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmenspapiere.

    Nachdem die Inflationsziele der Notenbanken jahrzehntelang unterschritten wurden, sind die Preise in den letzten 18 Monaten vier- bis fünfmal schneller gestiegen. Wir erwarten, dass die Notenbanken implizit eine etwas höhere Inflation akzeptieren und ihre Ziele möglicherweise erst in den kommenden Jahren explizit anpassen.

    Im Sinne stabiler Volkswirtschaften haben die Notenbanken in den Industrieländern ein festes Inflationsziel von 2% auf Jahresbasis festgelegt. Angestrebt wird ein Gleichgewicht, das Potenzial für Wirtschaftswachstum lässt, ohne die Verbraucher von Ausgaben und die Unternehmen von Investitionen abzuhalten oder den Wert der Lagerbestände zu mindern. Ausserdem bleibt den Notenbankern so Spielraum, damit die Realzinsen auf null oder darunter fallen können.

    Steigen die Preise zu stark, sei es aufgrund höherer Produktionskosten oder einer grösseren Nachfrage, geht das zulasten von Kaufkraft, Kapitalinvestitionen und Hypothekenzahlern. Wie seit der Pandemie zu sehen war, entsteht dadurch ein Teufelskreis: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwarten verständlicherweise, dass ihre Löhne mit den Preisen Schritt halten. Ist das der Fall, können nur veränderte Erwartungen in Verbindung mit höheren Kreditkosten das Schema durchbrechen und die Inflation abschwächen. Japan hingegen hat jahrzehntelang unter einer extrem niedrigen Inflation gelitten. Nun scheinen höhere Preise akzeptiert zu werden, wobei unter dem neuen Notenbankgouverneur die ultralockere Geldpolitik noch nicht gestrafft worden ist.

    Das Inflationsziel ist erst seit drei Jahrzehnten Bestandteil der geldpolitischen Instrumente

    Das Inflationsziel ist erst seit drei Jahrzehnten Bestandteil der geldpolitischen Instrumente. Damals legten die Notenbanker Italiens, Griechenlands und Portugals individuelle Inflationsziele auf jährlicher Basis fest. Hintergrund waren Bemühungen, die öffentlichen Erwartungen zu steuern und zu zeigen, dass die Notenbanken die hohe Inflation der frühen 1980er-Jahre bekämpften. Das erste langfristige Inflationsziel geht auf einen Prozess zurück, der 1988 bei der Reserve Bank of New Zealand begann und im März 1990 zu einem „Policy Targets Agreement“ führte. Darin wurde zunächst eine Spanne von 0% bis 2% und später ein Band von 0% bis 3% angestrebt. Fast alle wichtigen Notenbanken, wie etwa die US-amerikanische Fed, die Bank of England, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan, legten seither eigene Ziele fest.

     

    Leitlinien

    Selbst wenn die Notenbanken Ziele vorgaben, waren diese weder zwingend explizit noch wurden sie strikt eingehalten. Im Falle der Fed sträubte sich Alan Greenspan gegen die Idee einer expliziten Verpflichtung. Dies ganz im Sinne seiner Bemerkung aus dem Jahr 1987 vor dem Senat, er habe „gelernt, mit grosser Inkohärenz zu murmeln“, seit er Notenbanker sei. Unter Greenspans Nachfolger Ben Bernanke änderte sich die Kommunikationspolitik, und die Fed wandelte 2012 ein implizites Ziel in ein explizites 2%-Ziel um. Die US-Inflation blieb dann stets unter diesem Ziel. Erst Anfang 2021, als die gesundheitspolitischen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie gelockert wurden, überstieg die Inflation das Ziel und kletterte auf den höchsten Stand seit den frühen 1980er-Jahren.

    Allerdings war der Begriff „Inflationsziel“ immer eine Fehlbezeichnung. Die Wirksamkeit der Geldpolitik beruht auf einer klaren Kommunikation und der „Verankerung“ von Erwartungen. Aber wie bei allen guten Absichten oder Neujahrsvorsätzen gilt: Nur weil eine Notenbank ein Inflationsziel festgelegt hat, können Anlegerinnen und Anleger daraus nicht automatisch ableiten, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickelt. Im August 2020 ging die Fed zu einem „flexiblen durchschnittlichen Inflationsziel“ von 2% „im Laufe der Zeit“ über. Nach einer ähnlichen Logik änderte die EZB ein Jahr später, als die Inflation stieg, ihr Ziel auf „symmetrische“ 2%. Das bedeutet, „dass die Inflation weder über noch unter der Zielvorgabe liegen soll“.

    Der Begriff „Inflationsziel“ war immer eine Fehlbezeichnung

    Ausbalancieren?

    Im derzeitigen Umfeld fällt es nicht schwer, eine Liste langfristiger Inflationsfaktoren zu erstellen: steigende Produktionskosten und Verdoppelung der Lieferketten, Arbeitskräftemangel, knappere Ressourcen und Investitionen in die Nachhaltigkeitswende. Andererseits tragen technologische Fortschritte wie künstliche Intelligenz (KI) und Robotik sowie eine alternde Bevölkerung mit höheren Ersparnissen zur Disinflation bei. Es ist unklar, ob diese langfristigen Disinflationsfaktoren ausreichen, um eine stärkere Preisvolatilität in den kommenden fünf bis zehn Jahren zu verhindern.

    Um ausgehend von den Spitzenwerten des letzten Jahres eine Inflationsrate von 2% zu erreichen, müssten die Notenbanker die Zinsen auf ein für Kreditnehmer, Hauseigentümer und Wähler unangenehmes Niveau anheben. Das Wirtschaftswachstum müsste so stark gebremst werden, dass eine tiefe Rezession resultieren würde. Mögliche Massnahmen haben weitreichende soziale und politische Folgen – es geht um einen Kompromiss zwischen einer Inflation, welche die Kaufkraft schmälert, und höheren Zinsen, welche die Kreditaufnahme verteuern. Der soziale Schaden hat sich in vielen Volkswirtschaften in bedeutenden Protesten und Arbeitsstreiks offenbart.

    Entsprechende Bedenken sind zum Teil der Grund dafür, dass die Zinsen 2023 ihren Höchststand erreichen dürften. Mehr als ein Jahr nach der ersten Zinserhöhung dürfte die Fed die Zinsen am 3. Mai unseres Erachtens um weitere 25 Basispunkte anheben. Möglicherweise – je nach den Spannungen im Bankensystem – folgt im Juni ein weiterer Schritt. Damit würden die Zinsen auf etwa 5,5% steigen – unserer Meinung nach der Höhepunkt in diesem Zinszyklus. Wir erwarten für den Rest des Jahres 2023 ein schwächeres US-Wirtschaftswachstum mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,9% für das Gesamtjahr. Das Wachstum wird fast ausschliesslich von den Dienstleistungen und den Verbraucherausgaben getragen, die vom immer noch starken Arbeitsmarkt abhängig sind. Die zinssensitiven zyklischen Sektoren wie verarbeitendes Gewerbe, Handel, Investitionen, Darlehen an den Privatsektor, Geldversorgung und der Immobiliensektor machen jedoch alle einen schwachen Eindruck. Eine leichte Rezession in den USA ist daher der wahrscheinliche Preis für ein akzeptableres Inflationsniveau. Die Risiken eines stärkeren Konjunkturrückgangs sind gering. Die EZB verfolgt einen ähnlichen Weg, allerdings mit einer Verzögerung von mindestens sechs Monaten. Wir rechnen damit, dass das BIP der Eurozone 2023 0,7% erreicht und die Zinsen von derzeit 3% auf 3,5% steigen.

    Eine leichte Rezession in den USA ist der wahrscheinliche Preis für ein akzeptableres Inflationsniveau

    Eine akzeptable Spanne?

    Die Inflation in den USA und in der Eurozone wird weiterhin über der Zielvorgabe liegen. Die Fed prognostiziert eine Verbraucherpreisinflation von 3,3% auf Jahresbasis bis Ende 2023 und einen Rückgang auf 2,5% im Jahr 2024. Nach dem 2022 verzeichneten Vierzig-Jahres-Hoch dürfte eine Inflation von 3% Ende 2023 politisch akzeptabel sein. Der ehemalige Fed-Vorsitzende Paul Volcker schied 1987 aus dem Amt, nachdem er die Inflation in den USA innerhalb von acht Jahren unter Kontrolle gebracht hatte. Damals lag die Inflation bei 4% auf Jahresbasis.

    Sobald die US-Zinsen ihren Höchststand erreicht haben, wird es rasch zu einer Debatte darüber kommen, wie schnell die amerikanische Wirtschaft wieder auf ein „neutrales“ Niveau zurückkehren kann. Angesichts der zeitlich verzögerten Auswirkungen auf die Realwirtschaft gehen wir davon aus, dass die Zinsen nach Erreichen des Höchststands bis 2024 unverändert bleiben. Wenn ein neuer Schock, der eine sofortige Reaktion erfordert, ausbleibt, dürfte die Fed Anfang 2024 die Zinsen allmählich auf ein Niveau senken, das näher bei 2,5% oder 3% liegt.

    Wir erwarten, dass nach Jahrzehnten niedriger Zinsen und der Unterschreitung der Inflationsziele die neue „Normalität“ eine höhere Teuerung sein wird. Im Laufe der Zeit wird die Inflation in den USA sehr viel wahrscheinlicher bei etwa 2,5% bis 3% liegen. In der Tat gehen Umfragen zufolge viele Verbraucher davon aus, dass die Inflation langfristig auf ungefähr dieses Niveau sinkt. Unserer Ansicht nach werden die Notenbanken diese Spanne implizit akzeptieren. Eine explizite Anhebung der Inflationsziele dürften sie erst viele Jahre später erwägen, und auch erst dann, wenn das höhere Niveau in den öffentlichen Erwartungen „verankert“ ist. Dies könnte sogar in den durchschnittlichen Inflationszielen der Fed berücksichtigt sein.

    Eine explizite Anhebung der Inflationsziele dürften die Notenbanken erst erwägen, wenn das höhere Niveau in den öffentlichen Erwartungen „verankert“ ist

    Das weltweite Wachstum verlangsamt sich unter dem Druck der restriktiven Geldpolitik. Während sich der Straffungszyklus auf die Gesamtwirtschaft auswirkt, werden sich die zinssensitiven Sektoren wie das verarbeitende Gewerbe, private Investitionen und der Wohnungsbau weiter abschwächen. Die Kreditbedingungen haben sich nach den Bankturbulenzen im März bereits verschärft. Allerdings erwarten wir keine schwerwiegenden finanziellen Spannungen, da die Behörden wachsam bleiben.

    Wir beobachten die Inflations- und Wachstumsrisiken weiterhin genau. Da die Inflationsbekämpfung noch im Gange ist, halten wir an einem vorsichtigen Anlageansatz für die Portfolios unserer Kundinnen und Kunden fest. Bei Aktien kann die hohe, aber rückläufige Inflation das nominale Ertragswachstum vorerst stützen. Der Druck auf die Bewertungskennzahlen ist durch hohe, aber stabile Zinsen geringer. Die Gewinnmargen hingegen sind bereits geschrumpft. Sie können weiter zurückgehen, wenn sich die Wirtschaftstätigkeit verlangsamt. Das Ausmass des Abschwungs wird für die Rentabilität der Unternehmen zentral sein. Da sich die US-Zinsen ihrem Höchststand nähern, haben wir unser Engagement in Festverzinslichen erhöht: Die Argumente für erstklassige Anleihen, einschliesslich US-Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmenspapieren, nehmen angesichts der Disinflation und des schwächeren Wachstums zu.

    Eine akzeptable Spanne?

    Die Inflation in den USA und in der Eurozone wird weiterhin über der Zielvorgabe liegen. Die Fed prognostiziert eine Verbraucherpreisinflation von 3,3% auf Jahresbasis bis Ende 2023 und einen Rückgang auf 2,5% im Jahr 2024. Nach dem 2022 verzeichneten Vierzig-Jahres-Hoch dürfte eine Inflation von 3% Ende 2023 politisch akzeptabel sein. Der ehemalige Fed-Vorsitzende Paul Volcker schied 1987 aus dem Amt, nachdem er die Inflation in den USA innerhalb von acht Jahren unter Kontrolle gebracht hatte. Damals lag die Inflation bei 4% auf Jahresbasis.

    Sobald die US-Zinsen ihren Höchststand erreicht haben, wird es rasch zu einer Debatte darüber kommen, wie schnell die amerikanische Wirtschaft wieder auf ein „neutrales“ Niveau zurückkehren kann. Angesichts der zeitlich verzögerten Auswirkungen auf die Realwirtschaft gehen wir davon aus, dass die Zinsen nach Erreichen des Höchststands bis 2024 unverändert bleiben. Wenn ein neuer Schock, der eine sofortige Reaktion erfordert, ausbleibt, dürfte die Fed Anfang 2024 die Zinsen allmählich auf ein Niveau senken, das näher bei 2,5% oder 3% liegt.

    Wir erwarten, dass nach Jahrzehnten niedriger Zinsen und der Unterschreitung der Inflationsziele die neue „Normalität“ eine höhere Teuerung sein wird. Im Laufe der Zeit wird die Inflation in den USA sehr viel wahrscheinlicher bei etwa 2,5% bis 3% liegen. In der Tat gehen Umfragen zufolge viele Verbraucher davon aus, dass die Inflation langfristig auf ungefähr dieses Niveau sinkt. Unserer Ansicht nach werden die Notenbanken diese Spanne implizit akzeptieren. Eine explizite Anhebung der Inflationsziele dürften sie erst viele Jahre später erwägen, und auch erst dann, wenn das höhere Niveau in den öffentlichen Erwartungen „verankert“ ist. Dies könnte sogar in den durchschnittlichen Inflationszielen der Fed berücksichtigt sein.

    Eine explizite Anhebung der Inflationsziele dürften die Notenbanken erst erwägen, wenn das höhere Niveau in den öffentlichen Erwartungen „verankert“ ist

    Das weltweite Wachstum verlangsamt sich unter dem Druck der restriktiven Geldpolitik. Während sich der Straffungszyklus auf die Gesamtwirtschaft auswirkt, werden sich die zinssensitiven Sektoren wie das verarbeitende Gewerbe, private Investitionen und der Wohnungsbau weiter abschwächen. Die Kreditbedingungen haben sich nach den Bankturbulenzen im März bereits verschärft. Allerdings erwarten wir keine schwerwiegenden finanziellen Spannungen, da die Behörden wachsam bleiben.

    Wir beobachten die Inflations- und Wachstumsrisiken weiterhin genau. Da die Inflationsbekämpfung noch im Gange ist, halten wir an einem vorsichtigen Anlageansatz für die Portfolios unserer Kundinnen und Kunden fest. Bei Aktien kann die hohe, aber rückläufige Inflation das nominale Ertragswachstum vorerst stützen. Der Druck auf die Bewertungskennzahlen ist durch hohe, aber stabile Zinsen geringer. Die Gewinnmargen hingegen sind bereits geschrumpft. Sie können weiter zurückgehen, wenn sich die Wirtschaftstätigkeit verlangsamt. Das Ausmass des Abschwungs wird für die Rentabilität der Unternehmen zentral sein. Da sich die US-Zinsen ihrem Höchststand nähern, haben wir unser Engagement in Festverzinslichen erhöht: Die Argumente für erstklassige Anleihen, einschliesslich US-Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmenspapieren, nehmen angesichts der Disinflation und des schwächeren Wachstums zu.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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