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Durchzogene Aussichten für die resiliente britische Wirtschaft
Kernpunkte
- Wir erwarten für das Vereinigte Königreich ein leicht positives Wirtschaftswachstum und keine Rezession im Jahr 2023. Die Inflation bleibt jedoch hoch, und die Kernpreise steigen weiter, was zusätzliche Zinserhöhungen rechtfertigt.
- Die geldpolitische Straffung der BoE wirkt sich noch nicht in vollem Umfang auf die Wirtschaft aus. Wir erwarten vorerst, dass die Zinsen von 4,5% auf einen Höchststand bei rund 5,5% steigen, und rechnen frühestens Mitte 2024 mit einer Lockerung.
- Viele Hypotheken im Vereinigten Königreich reflektieren die höheren Kreditkosten noch nicht. Wir erwarten eine Rückkehr zu höheren variablen Zinsen in den nächsten Monaten.
- Wir stufen britische Aktien und das britische Pfund weiterhin neutral ein. In den nächsten drei Monaten dürfte das EURGBP-Währungspaar in einer Spanne von 0,8450 bis 0,8650 und das GBPUSD-Währungspaar bei rund 1,25 bis 1,30 notieren.
Die britische Wirtschaft beweist Resilienz. Ihre Wachstumsaussichten haben sich dank der niedrigeren Energiekosten, der besser vorhersehbaren Fiskalpolitik und der verbesserten Beziehungen zu den Handelspartnern in der Europäischen Union aufgehellt. Das Land hat aber mit einer hartnäckig hohen Inflation zu kämpfen, die zu weiter steigenden Löhnen führt. Dies macht es unwahrscheinlich, dass die Bank of England (BoE) ihren Zinserhöhungszyklus bereits beendet hat oder vor Mitte 2024 mit Zinssenkungen beginnt.
Die Erwartungen an die Wachstumsaussichten des Vereinigten Königreichs haben sich in den letzten Monaten erholt. Erst im Januar 2023 hatte der Internationale Währungsfonds (IMF) eine Schrumpfung der britischen Wirtschaft um 0,6% in diesem Jahr prognostiziert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde sich damit im Vereinigten Königreich schlechter entwickeln als in allen anderen Industrieländern. Wir erwarten indes, dass das Land einer Rezession entgeht und ein leicht positives annualisiertes BIP-Wachstum erzielt. Der IMF korrigierte seine Wachstumsprognose für das Gesamtjahr im Mai auf 0,4%. Dies ist zwar immer noch der schwächste Wert aller grossen Volkswirtschaften, bedeutet aber eine bemerkenswerte Wende.
Allerdings stieg die Kerninflation ohne Energie- und Lebensmittelpreise weiter von 6,2% im März auf 6,8% im April. Der BoE ist es also noch nicht gelungen, die Preise zu stabilisieren. Im selben Zeitraum sank die Gesamtinflationsrate von 10,1% auf 8,7%, dies unter anderem aufgrund des Rückgangs der Energiepreise um 80% seit dem 1. Dezember 2022. Die Lebensmittelpreise waren im März 2023 nach Angaben des Office for National Statistics (ONS) indes 19% höher als ein Jahr zuvor – der stärkste Anstieg seit über 40 Jahren. Am 13. Juni warnte BoE-Gouverneur Andrew Bailey angesichts der Daten für April, der Rückgang der Inflation lasse viel länger auf sich warten, „als wir angenommen hatten“. Im Mai hatte Andrew Bailey erklärt, dass sich die Wirkung der steigenden Zinsen „auf die Wirtschaft immer noch nicht voll entfaltet“ habe.
Deshalb rechnen wir mit einer weiteren Zinserhöhung an der nächsten geldpolitischen Sitzung der BoE am 22. Juni. Ausserdem erwarten wir nun, dass der Leitzins der BoE von aktuell 4,5% im Jahresverlauf einen Höchststand bei vielleicht 5,5% erreichen könnte. Die Wahrscheinlichkeit einer Lockerung der Geldpolitik vor Mitte 2024 betrachten wir als gering.
Steigende Hypothekenkosten, sinkende Reallöhne
Die restriktivere Geldpolitik geht auch am britischen Hypothekenmarkt nicht spurlos vorüber. Der Anteil der Hypotheken mit festem Zinssatz stieg nach der Finanzkrise von 2007 bis 2008 signifikant. Dies hat den Effekt der steigenden Zinsen bislang gedämpft. Allerdings dürften im Vereinigten Königreich, anders als in Märkten wie den USA, viele Hypotheken zu einer variablen Verzinsung zurückkehren (siehe Grafik 1 und 2), insbesondere im dritten Quartal 2023. Der durchschnittliche Zins neuer zweijähriger Festzinskredite beträgt aktuell 5,9%. Die Hauspreise sanken im Mai laut einem in diesem Monat erschienenen Bericht von Halifax und nach Angaben von Bloomberg um 1% im Vergleich zum Vorjahr. Dies war der erste Rückgang gegenüber dem Vorjahr seit 2012.
Die Löhne im Vereinigten Königreich sind stark gestiegen. Denn die Arbeitnehmenden fordern angesichts der hohen Inflation, der höheren Hypothekenkosten und der angespannten Arbeitsmarktlage einen Ausgleich für Kaufkraftverluste. Real, also inflationsbereinigt, sinken die Löhne aber nach wie vor. Es gibt zwar kaum Indizien für eine Lohn-Preis-Spirale, jedoch bereitet ein überhitzter Arbeitsmarkt der BoE grosse Sorgen, weil er die Gefahr eines beständigeren Preisdrucks birgt. Am Arbeitsmarkt sind allmählich erste Anzeichen einer Entspannung zu erkennen, denn die Zahl der unbesetzten Stellen sinkt seit acht Monaten in Folge. Erst wenn das Lohnwachstum nachlässt, dürfte die BoE bereit sein, ihre geldpolitische Straffung auszusetzen.
Nettozuwanderung
Die starke Nettozuwanderung in das Vereinigte Königreich dürfte die Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt abmildern. Im Jahr 2022 erreichte die Zahl der Zuwanderer den Rekordwert von knapp 606’000, mehr als das Doppelte des Durchschnittswerts in den drei Jahren vor dem Brexit-Referendum 2016. Vor dem Austritt aus der Europäischen Union zum 1. Januar 2021 kam fast die Hälfte der Zuwanderer aus der EU. Seitdem kommen 80% aus Drittstaaten. Die Zuwanderung aus der Ukraine erklärt rund einen Sechstel der Nettozunahme, weitere 90’000 Personen stammen nach Angaben der britischen Statistikbehörde ONS aus Hongkong.
Auf politischer Ebene will die Regierung um Premierminister Rishi Sunak das Vertrauen zurückgewinnen, das seine Vorgängerin Liz Truss in ihrer kurzen Amtszeit verspielte. Das von ihr im September 2022 beschlossene „Mini-Budget“ löste einen Einbruch des britischen Pfunds und bei Staatsanleihen aus. Zudem möchte Rishi Sunak mit dem im Februar 2023 vereinbarten „Windsor-Abkommen“ die Beziehungen zur EU verbessern. Dieses Abkommen soll Nordirlands Stellung im Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Europäischen Binnenmarkt klären.
Vor acht Monaten hatte der Markt wenig Vertrauen in die Fähigkeit der damaligen Regierung, die Finanzierung des Haushalts zu sichern. Die Renditen britischer Staatsanleihen stiegen daraufhin. Die Inflationserwartungen haben nun eine ähnliche Wirkung auf die Staatsanleihen. Zehnjährige britische Staatsanleihen („Gilts“) bieten aktuell eine Rendite von 4,38%, so viel wie zuletzt während der Amtszeit von Liz Truss. Die Rendite der zweijährigen Gilts beträgt 4,90%. Diese Niveaus sind eher dem fortgesetzten Kampf der BoE gegen die beharrlich hohe Inflation geschuldet als einem mangelnden Vertrauen in die Wirtschaftspolitik. Die Markterwartungen preisen gegenwärtig ein, dass der Zinszyklus im Vereinigten Königreich bei etwa 5,8% den Höhepunkt erreicht.
Britisches Pfund und Aktien
Anfang 2023 erwarteten wir eine Underperformance des britischen Pfunds gegenüber dem Euro, weil sich die britische Währung in der Vergangenheit in der Spätphase eines Konjunkturzyklus schwächer entwickelte. Wir haben unsere Einschätzung mittlerweile in neutral geändert, weil die höheren Zinsen und die Resilienz der Wirtschaft dem britischen Pfund kurzfristig Unterstützung bieten. Doch sobald der Zinserhöhungszyklus der BoE stärker auf die Wirtschaft durchschlägt und die Aktivität weiter verlangsamt, dürfte das britische Pfund an Wert verlieren.
Der Wohnimmobilienmarkt ist für die britische Währung eine wichtige Variable. Wie in Schweden, Neuseeland und Kanada ist die Verschuldung der privaten Haushalte im Vereinigten Königreich nach wie vor hoch. Steigende Hypothekenzinsen dürften diese Situation verstärken, und ein schwächerer Wohnimmobilienmarkt dürfte sich letztlich ähnlich wie in der Vergangenheit auf die Währungserwartungen niederschlagen (siehe Grafik 3). Wir sehen das EURGBP-Währungspaar auf Sicht von drei Monaten in einer Spanne von 0,8450 bis 0,8650 und auf Sicht von einem Jahr bei rund 0,89. Der GBPUSD-Wechselkurs dürfte unseres Erachtens in drei Monaten bei 1,25 bis 1,30 und in zwölf Monaten bei 1,26 liegen.
Die Ertragskraft britischer Unternehmen scheint robust, und die angespannten Rohstoffmärkte in aller Welt stützen die Preise mittelfristig. Fast ein Viertel der Marktkapitalisierung im FTSE 100 Index entfällt auf die Sektoren Energie und Industriemetalle. Diese beiden Sektoren steuerten zwischen 2021 und 2022 etwa 70% des Gewinnwachstums im Index bei. Was die anderen Sektoren betrifft, kommt den Unternehmen im Gesundheitswesen die Innovation zugute, während Finanzaktien von den positiven Zinsen profitieren. Das Risiko geldpolitischer Fehlgriffe, die beharrlich hohe Inflation, die Abschwächung am Wohnimmobilienmarkt und jede politische Unsicherheit machen einstweilen jedoch eine sorgfältige Überwachung der Entwicklung notwendig. Deshalb bleiben wir bei unserer neutralen Haltung gegenüber britischen Aktien.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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