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    Öl entzieht sich dem Einfluss der OPEC+: Wie werden sich die Preise entwickeln?

    Öl entzieht sich dem Einfluss der OPEC+: Wie werden sich die Preise entwickeln?
    Jianwen Sun - Quantitative Investment Strategist

    Jianwen Sun

    Quantitative Investment Strategist

    Kernpunkte

    • Die Ölpreise sinken trotz geopolitischer Risiken, Produktionskürzungen und einer weiterhin soliden Nachfrage.
    • Die neue Untergrenze für die Brent-Rohölpreise im Falle eines Nachfrageeinbruchs scheint bei USD 60 pro Barrel zu liegen. Bei einer schweren Versorgungsstörung könnte die Marke von USD 100 getestet werden, wobei die OPEC+ einspringen dürfte, um Defizite auszugleichen.
    • Wir erwarten, dass sich die Preise in der ersten Jahreshälfte 2024 zwischen USD 80 und USD 90 bewegen. In den ersten Monaten des Jahres könnten sie wegen eines Überangebots nachgeben.
    • Langfristig werden ein grösseres Angebot ausserhalb der OPEC+ und ein Nachfragerückgang aufgrund der Klimawende die Rohölpreise stärker beeinflussen.

    Die Ölpreise widerspiegeln seit Langem die globalen Wachstumserwartungen und beeinflussen die Inflationstrends. Durch die Konflikte zwischen Israel und der Hamas sowie Russland und der Ukraine sind die Ölpreise nun enger mit geopolitischen Risiken verknüpft. Was verraten die in den letzten Wochen stark gefallenen Ölpreise den Anlegerinnen und Anlegern über den Ausblick für 2024?

    Der Rückgang der Ölpreise in den letzten Wochen steht im Widerspruch zu den geopolitischen Risiken und der immer noch soliden Nachfrage. Der Preisrückgang erfolgte trotz der erneuten israelischen Bodenoffensive in Gaza und der weiteren Kürzungen der Ölproduktion, welche die Organisation der Erdöl exportierenden Länder und ihre Verbündeten (OPEC+) am 30. November ankündigten. Rohöl der Sorte Brent notiert derzeit um USD 78 pro Barrel.

    Warum ist der Ölpreis seit Mitte Oktober um 15% gefallen? Der Hauptgrund ist die erneute Besorgnis über die Nachfrage, da die Wirtschaftsindikatoren eine Verlangsamung des globalen Wachstums anzeigen. Die jüngst von der OPEC+ beschlossenen Produktionskürzungen sind zudem geringer und weniger dauerhaft als vom Markt vorweggenommen – teilweise als Reaktion auf das erwartete schwächere Wachstum der Ölnachfrage. Auch handelt es sich um freiwillige Verpflichtungen einiger Länder und nicht um verbindliche, gruppenweite Drosselungen, was auf Uneinigkeit unter den Mitgliedern schliessen lässt. Des Weiteren signalisiert die sinkende implizite Volatilität der Ölderivate, dass die Anleger die Risiken einer Eskalation des Israel-Hamas-Konflikts geringer einschätzen.

    Wir erwarten, dass die weltweite Ölnachfrage 2024 weiter steigt, wenn auch langsamer als 2023. Sie dürfte um etwa 1,5 Mio. Barrel pro Tag (mbpd) zunehmen. Haupttreiber dürften China und die Schwellenländer sein, unterstützt durch eine wahrscheinliche sanfte Landung in den Industrieländern. Zudem gehen wir davon aus, dass die OPEC+ die Produktion weiterhin proaktiv steuert, um die Preise zu stützen. Die Ölnachfrage sinkt traditionell im Januar, und die Märkte dürften nach einem Defizit im Dezember einen kleinen Überschuss im ersten Quartal 2024 verzeichnen; danach dürfte sich im weiteren Verlauf des Jahres wieder ein knappes Gleichgewicht einstellen. Dies stützt unsere Einschätzung, dass sich die Preise für den grössten Teil des Jahres 2024 in einer Spanne von USD 80 bis USD 90 pro Barrel bewegen werden. In den kommenden Monaten ist eine gewisse Schwäche möglich, bis die Nachfrage wieder anzieht.

    Die Ölmärkte dürften nach einem Defizit im Dezember einen kleinen Überschuss im ersten Quartal 2024 verzeichnen; danach dürfte sich wieder ein knappes Gleichgewicht einstellen

    Ist wieder mit USD 100 pro Barrel zu rechnen?

    Natürlich könnten die Preise in die Höhe schiessen, wenn es zu schwerwiegenden Versorgungsstörungen käme. Mögliche Gründe wären eine Eskalation des Konflikts in Nahost, die den Seetransport in der Strasse von Hormuz oder im Roten Meer beeinträchtigt, oder strengere Sanktionen für die russische, iranische oder venezolanische Produktion. Diese Szenarien, die wir für wenig wahrscheinlich halten, könnten das Angebot um 1 mbpd verringern. Rund ein Fünftel des weltweiten Öls (etwa 21 mbpd) wird durch die Strasse von Hormuz transportiert; Iran und Venezuela haben im Zuge der Entspannung ihrer Beziehungen zu den USA zusätzliche Volumen in Höhe von fast 1 mbpd exportiert. Eine Veränderung des Gleichgewichts zwischen Ölangebot und -nachfrage um 1 mbpd würde in unserem Preismodell zu einem Anstieg von mehr als USD 20 pro Barrel führen. Dies würde den Ölpreis über die Marke von USD 100 USD pro Barrel treiben. Unserer Ansicht nach wollen jedoch sowohl die USA als auch China ein solches Szenario vermeiden. Hinzu kommt, dass aus Sicht der OPEC+ ein Preisanstieg die weltweite Abkehr vom Öl beschleunigen dürfte. Mit ihren rund 4 mbpd an Reservekapazitäten dürfte die OPEC+ unseres Erachtens einspringen, um eine grössere Versorgungsstörung abzufangen.

    Die OPEC+ dürfte einspringen, um eine grössere Versorgungsstörung abzufangen

    Wie weit könnten die Preise fallen? Die neue Schwelle scheint bei USD 60 pro Barrel zu liegen – dies aus folgenden Gründen. Die Ölproduzenten würden wohl die Fördermenge reduzieren, um die Preise zu stützen, da die Produktionskosten merklich gestiegen sind. Zudem würden auch das Wiederauffüllen der strategischen Erdölreserven der USA und die Entschlossenheit der OPEC+, die Produktion zu steuern, für Unterstützung sorgen. Zu den Szenarien, welche die Preise belasten könnten, gehören – in der von uns angenommenen Reihenfolge der Wahrscheinlichkeit: ein wider Erwarten grosses Ölangebot aus Ländern ausserhalb der OPEC+; eine drastische Wachstumsverlangsamung in den Industrieländern; eine deutlichere Nichteinhaltung der vereinbarten Quoten durch die Länder der OPEC+; ein Preiskrieg seitens Saudi-Arabiens, um Marktanteile zurückzugewinnen.

     

    Geringerer Einfluss der OPEC+

    Die Nichteinhaltung der vereinbarten Quoten innerhalb der Gruppe und die steigende Ölproduktion in anderen Ländern sind für die OPEC+ problematisch. Die OPEC+ geht auf das Jahr 2016 zurück. Damals unterzeichnete die OPEC eine Vereinbarung mit zehn Nichtmitgliedern, darunter Russland, die zu wichtigen Ölproduzenten geworden waren. Damit gewann die OPEC mehr Kontrolle über den Markt. Zugleich erschwerte der Schritt aber gruppenweite Vereinbarungen aufgrund zunehmend divergierender Interessen. Saudi-Arabien will die Produktion kontrollieren, um die Preise zu stützen. Wir schätzen, dass etwa USD 85 pro Barrel erforderlich sind für einen ausgeglichenen Haushalt des Landes im Jahr 2023 – und um Projekte wie eine riesige neue Stadt in der Wüste zu finanzieren. Angola und Gabun wiederum streben eine kontinuierliche Produktion an, um Investitionen in ihre eigene Ölindustrie zu fördern. An der Sitzung der OPEC+ im November wurden hitzige Debatten geführt über den Umfang der Kürzungen und darüber, welche Mitglieder davon betroffen sein würden.

    Die Nichteinhaltung der vereinbarten Quoten innerhalb der Gruppe und die steigende Ölproduktion in anderen Ländern sind für die OPEC+ problematisch

    Ein grösseres Problem für die OPEC+ könnte die steigende Produktion ausserhalb der Gruppe sein. Die mehrheitlich hohen Ölpreise von 2022 und 2023 haben weltweit Anreize für die Exploration und Produktion geschaffen. Die Förderung ausserhalb der OPEC+ – einschliesslich der USA als weltweit grösster Produzentin – macht nun etwa zwei Drittel der weltweiten Ölproduktion aus; gemessen an den Reserven ist es sogar noch mehr. Entsprechend dürfte die Zunahme des Angebots ausserhalb der OPEC+ den gesamten Anstieg der weltweiten Ölnachfrage im Jahr 2024 abdecken. Brasilien wurde nun eingeladen, der OPEC+ beizutreten, da sein Einfluss auf den Ölmärkten wächst. Guyana könnte aufgrund bedeutender neuer Reserven bis 2028 zu einem der Top-20-Produzenten avancieren. Die Entdeckung dieser Reserven fiel zeitlich mit erneuten Souveränitätsansprüchen Venezuelas auf einen Grossteil des Landes zusammen.

    Guyana könnte aufgrund bedeutender neuer Reserven bis 2028 zu einem der Top-20-Produzenten avancieren

    Die Sitzung der OPEC+ im November fand statt, als die globalen Leader an der COP28 über die dringend notwendige Reduktion der Emissionen fossiler Brennstoffe diskutierten. Prognosen zufolge wird die Nachfrage nach Öl in diesem Jahrzehnt den Höhepunkt erreichen. Bald wird es mehr Elektroautos als Benzin- und Dieselfahrzeuge geben, die derzeit fast die Hälfte des weltweiten Erdöls verbrauchen. Das laufende Engagement mit Blick auf Diskussionen über die Klimawende – und die Umstellung auf sauberere Energie – werden längerfristig die globalen Ölpreise bestimmen.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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