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Kann Japan den Yen vor dem Dollar schützen?
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte
- Nach einem Kursverlust des Yen gegenüber dem US-Dollar von 20% im Jahr 2022 interveniert die japanische Regierung zur Stützung des Yen
- Die Geldpolitik der BoJ bleibt im Gegensatz zu jener anderer Notenbanken der Industrieländer akkommodierend und unverändert. Ein neuer Notenbankgouverneur, der sein Amt im April 2023 antreten soll, könnte eine weniger expansive Haltung einnehmen
- Die Regierung plant höhere Staatsausgaben und eine grössere Energieunabhängigkeit durch Kernkraft
- Wenn die Geldpolitik restriktiver und die Wirtschaft widerstandsfähiger wird, sollte der Druck auf den Yen nachlassen. Dies würde Aufwärtspotenzial für japanische Vermögenswerte schaffen. Wir sehen USDJPY in den nächsten zwölf Monaten in einer Spanne von 138 bis 145 Yen gegenüber dem US-Dollar.
Die japanische Regierung hat begonnen, den Yen gegen eine weitere Schwäche gegenüber dem US-Dollar zu verteidigen. Die Antwort auf die Frage, ob die Intervention trotz weiterhin extrem niedriger Zinsen erfolgreich ist, hat erhebliche Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft und die globalen Währungsmärkte. Wir gehen davon aus, dass die Regierung ihre Devisenmarktinterventionen fortsetzt, um dem Unbehagen der Bevölkerung über die Inflation und den schwachen Yen entgegenzuwirken.
Am 22. September hat das japanische Finanzministerium die Bank of Japan (BoJ) angewiesen, Yen zu kaufen und US-Dollar zu verkaufen. Es war die erste Devisenmarktintervention dieser Art seit 1998. Das japanische Finanzministerium kann Eingriffe am Devisenmarkt beschliessen, delegiert aber die Durchführung der Massnahmen an die Notenbank. Der Schritt bei einem USDJYP-Niveau von 145.7 folgt auf einen Rückgang der japanischen Währung um mehr als 20% gegenüber dem US-Dollar in diesem Jahr. Das Finanzministerium hatte zuvor geäussert, dass grosse Währungsschwankungen nicht „wünschenswert“ seien.
Die BoJ handelt jedoch nicht im Einklang mit der Regierung. Am Tag, an dem das Finanzministerium Dollar-Verkäufe zur Stützung des Yen anordnete, erklärte BoJ-Gouverneur Haruhiko Kuroda an einer Pressekonferenz, die Notenbank plane keine Erhöhung der kurzfristigen Zinsen. Es bestehe möglicherweise „in den nächsten zwei oder drei Jahren keine Notwendigkeit, den geldpolitischen Ausblick zu ändern“, so Kuroda weiter. Der Zielsatz der BoJ von -0,1% ist seit Januar 2016 in Kraft. Die BoJ begrenzt die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen (JGBs) auf 0,25%, indem sie Vermögenswerte ankauft. Dieses Vorgehen, auch als Steuerung der Zinskurve bekannt, könnte den Vorstoss des Finanzministeriums gegen die Yen-Schwäche untergraben.
Viele Währungen haben 2022 gegenüber dem Dollar an Wert verloren, darunter der Euro, das Pfund Sterling und der chinesische Yuan. Doch der Yen hat besonders schlecht abgeschnitten. Die gegenüber den USA abweichende Geldpolitik ist dabei ein Schlüsselfaktor. Die US-Notenbank Fed hat auf die hohe Inflation mit schnelleren und aggressiveren Zinsanhebungen reagiert als viele andere Länder. Das hat Anlegerinnen und Anleger dazu veranlasst, den Schutz und die Rendite von USD-basierten Vermögenswerten zu suchen. Die Inkonsistenz zwischen der Währungsintervention der japanischen Regierung und der Unterstützung des inländischen Anleihemarkts durch die BoJ wird oft als „sterilisierte Intervention“ bezeichnet. Diese ist weniger wirksam als eine geldpolitische Straffung durch Zinserhöhungen und eine Verringerung der Liquidität.
Die Folgen der „Abenomics“
Die Regierung von Premierminister Fumio Kishida versucht aus politischen Gründen, die Yen-Schwäche trotz Widerspruchs zur Politik der BoJ einzudämmen. Die Inflation in Japan ist wesentlich schwächer als in anderen Industrieländern. Die Verbraucherpreise stiegen im August gesamthaft um annualisierte 3% – so schnell wie seit 1991 nicht mehr, wenn man vorübergehende Verbrauchssteuererhöhungen ausschliesst. Demgegenüber zogen die Preise in der Eurozone im August um 9,1% an und in den USA im selben Monat um 8,3%. Doch nachdem die Inflation vier Jahrzehnte lang nahezu bei null lag, weckt der Preisanstieg jüngsten Meinungsumfragen zufolge den Unmut der japanischen Wählerinnen und Wähler. Deren Unzufriedenheit gilt nicht nur dem Yen. Sie begründen den Druck auf die Lebenshaltungskosten mit den reflationären „Abenomics“ der Regierung. Diese Wirtschaftspolitik hat Fumio Kishida von seinem Vorgänger Shinzo Abe und dessen Verbündeten in einem anderen Flügel der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) übernommen. Das Staatsbegräbnis von Shinzo Abe letzten Monat wurde kritisiert und hat die Debatte über sein wirtschaftliches Erbe und dessen Folgen neu entfacht.
Die Regierung muss in ihrem Streben nach einem stabilen Yen auch zeitliche Aspekte berücksichtigen. Erstens wird der Premierminister zwischen März und April 2023 eine neue Führung der BoJ einsetzen. Fumio Kishida könnte für eine weniger expansive BoJ-Spitze sorgen, wodurch sich die Kluft zwischen Devisenmarktinterventionen und geldpolitischer Lockerung verkleinern könnte. Zweitens könnte die Fed Anfang 2023 die Zinserhöhungen aussetzen oder verlangsamen, wenn sich die Wirtschaftsdaten abschwächen. Das würde den Druck auf den Yen und die JGB-Renditen verringern. Dies entspricht unserem derzeitigen Szenario für die Fed, und die Marktpreise deuten auf einen ähnlichen Pfad der US-Zinsen hin. Drittens könnte die Fiskal-, Energie- und Gesundheitspolitik der Regierung die Wirtschaft so stark ankurbeln, dass sich die Aussichten für die Inflation und die Währung ändern.
In der Fiskalpolitik hat die Regierung bereits zu handeln begonnen. Am 30. September forderte Fumio Kishida weitere fiskalische Anreize bis Ende Oktober. Dies zusätzlich zu den bestehenden Subventionen, welche ärmere Haushalte von den steigenden Energiekosten entlasten sollen. Der Umfang des Pakets ist noch unklar. Wir erwarten aber, dass es mehr als JPY 3 Bio. gross sein wird, was etwa 0,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Fumio Kishida hat auch zugesagt, sieben stillgelegte Kernreaktoren wieder in Betrieb zu nehmen. Dies könnte die japanische Atomstromerzeugung um 80% steigern und den Bedarf an Erdgasimporten senken. Diese Massnahme wird kaum im bevorstehenden Winter Wirkung zeigen. Doch die Verbesserung der Energiesicherheit wird die Volatilität des Gasmarkts abfedern und damit den Inflationsdruck auf den Yen 2023 verringern. Ausserdem werden am 11. Oktober die Grenzen wieder für ausländische Besucherinnen und Besucher geöffnet, was Japans Tourismuseinnahmen im Jahr 2023 ankurbeln dürfte. Und schliesslich könnten japanische institutionelle Anleger beginnen, ihre Währungsallokationen anzupassen, was die Wirkung der Interventionen verstärken würde.
Solange nicht mehr Klarheit über die globale Geldpolitik herrscht, erwarten wir, dass Japan seine Devisenmarktinterventionen fortsetzt. Das Land verfügt über Währungsreserven von mehr als USD 1 Bio., wovon ein Grossteil auf US-Dollar und US-Treasuries entfällt. Daher kann Japan es sich leisten, zu intervenieren, bis andere Faktoren greifen. Die „sterilisierte Intervention“ ist nicht risikofrei, da sie sich auf die Renditedifferenz (Spread) zwischen JGBs und US-Treasuries auswirken kann.
Weiterhin eine neutrale Einschätzung für den Yen und japanische Aktien
Steht ein weiterer grosser Angriff auf den Yen bevor? Es zeichnen sich mehrere positive Faktoren ab, die dagegensprechen: eine zunehmend robuste Wirtschaft in Verbindung mit zusätzlicher fiskalischer Unterstützung, eine stabilere Inflation dank der Aussicht auf eine grössere Energieunabhängigkeit sowie die Entschlossenheit der Regierung, die Währung zu verteidigen. Dies signalisiert, dass das USDJPY-Niveau von 145 keine einseitige Wette mehr ist. Andererseits ist die Yen-Schwäche auch eine Folge zäherer Kapitalströme in Form eines sich abzeichnenden Handelsdefizits und höherer Direktinvestitionen im Ausland, und nicht nur eine Folge spekulativer Yen-Verkäufe. In der Tat hat sich die Leistungsbilanz auf +1,4% des BIP verschlechtert, gegenüber +3,3% des BIP im Jahr 2021. Die Entwicklung ist vor allem auf teurere Energieimporte, schwächere Warenexporte und einen Rückgang des Tourismus zurückzuführen: Die Handelsbilanz mit Waren und Dienstleistungen hat sich auf -2,5% des BIP verschlechtert, gegenüber +0,10% im Jahr 2021. Die anhaltende ultralockere Haltung der Notenbank hat die Schwäche der Währung noch verstärkt.
Japan könnte daher 2023 eine bescheidene Outperformance gegenüber anderen Industrieländern verzeichnen, zusätzlich zu einer langen Phase einer über dem Ziel liegenden Inflation, wenn der Yen auf dem aktuellen Niveau verharrt. Haruhiko Kuroda hat versprochen, ein Überschreiten des BoJ-Inflationsziels von 2% zu tolerieren, während ein Lohnanstieg von 3% erwartet wird. Das unterstützt zusammen mit der Steuerung der Zinskurve die expansive Einschätzung des Markts für die BoJ. Diese Einschätzung könnte sich 2023 ändern, wenn die Amtszeit des sehr expansiv eingestellten Gouverneurs endet.
Wenn die BoJ, wie wir glauben, schliesslich zu einer restriktiveren Haltung übergeht, sollte der Impuls für eine weitere Yen-Schwäche nachlassen. Dann wird es wahrscheinlicher, dass sich der USDJPY-Trend 2023 umkehrt. Entsprechend sehen wir USDJPY in den nächsten zwölf Monaten in einer Spanne von 138 bis 145 Yen gegenüber dem US-Dollar. Dies könnte schliesslich ein gewisses Aufwertungspotenzial für japanische Vermögenswerte bieten. Vorerst beobachten wir die raschen politischen Entwicklungen genau.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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