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Brasilien setzt Ausgaben fort, während das Rennen um die Präsidentschaft beginnt
Lombard Odier Private Bank
Kernpunkte:
- Zum Start des Wahlkampfs in Brasilien liegt der aktuelle Präsident Jair Bolsonaro in Meinungsumfragen hinter dem ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva
- Die Regierung hat Steuererleichterungen und Subventionen angeboten, um der hohen Inflation entgegenzuwirken. Beide Spitzenkandidaten versprechen, höhere Preise mit zusätzlichen Staatsausgaben zu bekämpfen
- Der Leitzins der brasilianischen Zentralbank steht kurz vor dem Höchststand: Wir erwarten, dass die BCB die Zinsen ab dem zweiten Quartal 2023 senkt
- Wir nahmen Gewinne auf unserer Position in brasilianischen Staatsanleihen mit, da wir vor den Wahlen im Oktober mit Marktvolatilität rechnen.
Die rohstoffabhängige Wirtschaft Brasiliens steht vor wichtigen Wahlen. Vor den Kongress- und Präsidentschaftswahlen im Oktober könnte die Kombination aus hohen Kapitalkosten, Inflation und Staatsausgaben die Volatilität der Vermögenswerte steigern. Meinungsumfragen zeigen, dass der amtierende rechte Präsident Jair Bolsonaro gegenüber dem früheren linken Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zurückliegt.
Am 2. Oktober werden die 156 Millionen brasilianischen Wählerinnen und Wähler den Präsidenten, den Vizepräsidenten und den neuen Nationalkongress bestimmen. Gleichzeitig werden sie die Gouverneure der Bundesstaaten und die Abgeordneten der lokalen Legislativversammlungen wählen. Die elektronische Stimmabgabe erfolgt in zwei Runden. Am 30. Oktober findet ein zweiter Wahlgang statt, es sei denn, ein Kandidat erzielt in der ersten Runde unerwartet eine absolute Mehrheit. Die nächste Regierung wird im Januar 2023 eingesetzt.
Als Bolsonaro 2018 gewählt wurde, erholte sich die brasilianische Wirtschaft von einer schweren Rezession. Anschliessend warf die Covid-Pandemie Brasiliens Wirtschaft stark zurück. Das Land verzeichnete die zweithöchste Zahl an Covid-bedingten Todesfällen nach den USA und mehr als ein Zehntel der weltweit gemeldeten Todesfälle. Im Covid-Jahr 2020 schrumpfte die Wirtschaft nach Angaben der Weltbank um fast 4% im Vergleich zum Vorjahr. 2021 wuchs sie um nahezu 5%. Dennoch ist die Wirtschaft nach mehr als einem Jahrzehnt im Start-Stopp-Modus nicht grösser als 2009. Wir gehen davon aus, dass sich die Wirtschaftsentwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2022 verlangsamen und das Wachstum für das Gesamtjahr 1,5% betragen wird.
Die Wirtschaftsagenda ist zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden. Nachdem sich die gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwölftgrösste Volkswirtschaft der Welt im Zuge eines schnellen Zinserhöhungszyklus zur Bekämpfung der Inflation verlangsamt hat, bietet die Regierung den Haushalten Unterstützung an.
Positive Zinsen, Staatsausgaben
Seit März 2021 hat die Zentralbank Banco do Brasil (BCB) den Leitzins des Landes, den sogenannten Selic, zwölf Mal von einem Niveau von 2% aus angehoben. Am 3. August erreichte der Leitzins 13,75%, womit er sich dem für September erwarteten Höchststand von 14% annäherte. Die BCB könnte bereits im zweiten Quartal 2023 damit beginnen, die Kreditkosten in Schritten von 25 Basispunkten zu senken (siehe Grafik).
Die Inflation, die sich fast auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten befindet, ist im Juli gegenüber dem Vorjahr leicht auf 10,1% zurückgegangen. Damit gehören die realen bzw. inflationsbereinigten Zinsen weiterhin zu den höchsten der grossen Volkswirtschaften der Welt. Die BCB ist von der angestrebten Jahresinflation von 3,5% für 2022 (mit einer Marge von 1,5% nach oben und unten) weit entfernt. Das Land hat versucht, die Inflation neben der Geldpolitik durch Steuererleichterungen, etwa auf Strom und Benzin, das Einfrieren der Treibstoffpreise sowie Subventionen für den öffentlichen Verkehr zu senken. Während die Inflation die Reallöhne relativ niedrig gehalten hat, ist die Arbeitslosigkeit zurückgegangen und lag im zweiten Quartal mit 9,3% unter dem Vor-Covid-Niveau.
Nahezu alle Steuereinnahmen auf lokaler Ebene und ein Fünftel der Steuereinnahmen auf nationaler Ebene hängen von den weltweiten Rohstoffpreisen und dem Wechselkurs ab. Die höhere weltweite Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Öl, den wichtigsten Exportgütern des Landes, hat 2021 zu einem Rekordüberschuss in der brasilianischen Zahlungsbilanz geführt. Dieser Trend dürfte anhalten, da die Weltwirtschaft mehr Massengüter und Soft Commodities nachfragt. Im Zuge der Stabilisierung der Versorgungsketten und Preise für Rohstoffe ist jedoch mit einem Rückgang dieser Einnahmen zu rechnen. Dadurch würden sich die für die Unterstützung der Haushalte verfügbaren Mittel verringern. Dank der sich erholenden Wirtschaft bleibt ein gewisser Spielraum bestehen. Die Staatsverschuldung Brasiliens im Verhältnis zum BIP ist laut Daten des Internationalen Währungsfonds von 99% im Jahr 2020 auf 93% im Jahr 2021 zurückgegangen.
Wir sehen ein geringes Risiko einer Kapitalflucht ins Ausland. Denn der Grossteil der Schulden Brasiliens liegt in inländischen Händen, das Leistungsbilanzdefizit ist unter Kontrolle und es besteht ein positives Zinsgefälle gegenüber den USA.
Rivalisierende Kandidaten und Programme
Vor vier Jahren konzentrierte sich der Präsidentschaftswahlkampf auf die Korruption, und der Rechtsaussenkandidat und spätere Sieger Jair Bolsonaro wurde während der Kampagne niedergestochen. Der ehemalige Hauptmann der Armee bekundete in der Vergangenheit Sympathie für Brasiliens ehemalige Militärdiktatur, die bis 1985 dauerte. Zum Ende seiner vierjährigen Amtszeit warnte Bolsonaro vor Wahlbetrug. Oppositionspolitiker befürchten, dass im Falle seiner Niederlage versucht werden könnte, ein Umfeld zu schaffen, das einen Staatsstreich rechtfertigt. Bolsonaro wurde von der Bundespolizei wegen krimineller Fahrlässigkeit im Umgang mit der Pandemie angeklagt. Er hatte Massnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wie das Tragen von Masken verunglimpft und Impfstoffe als gefährlich bezeichnet.
Der aktuelle Präsident liegt in Meinungsumfragen hinter seinem politischen Erzfeind zurück. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass Lula in der ersten Runde 44% der Stimmen erhält, während Bolsonaro auf 37% kommen könnte. Die anderen wichtigen Präsidentschaftskandidaten, Ciro Gomes (Demokratische Arbeiterpartei, PDT) und Simone Tebet (Brasilianische demokratische Bewegung, MDB), liegen in den Meinungsumfragen bei 6% bzw. 4%.
Lula, der Kandidat der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT), war bis Ende 2010 zwei Amtszeiten bzw. acht Jahre lang Präsident. 2017 wurde er wegen Geldwäsche und Korruption zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Dies geschah im Rahmen des Skandals „Lava Jato“ (Autowäsche), in den weite Teile der politischen Klasse Brasiliens verwickelt waren. Lula bezeichnete seine Verurteilung als Verschwörung. Er wurde nach 19 Monaten Haft freigelassen, als der Oberste Gerichtshof Brasiliens entschied, dass die Beweise gegen ihn gefälscht gewesen waren. Seine Gegner fechten dieses Urteil an.
Ungeachtet der politischen Differenzen hat sowohl Bolsonaro als auch Lula versprochen, an einer Erhöhung der Sozialausgaben von 50% festzuhalten, was insgesamt BRL 70 Mrd. (USD 13,5 Mrd.) pro Jahr entspricht. Diese Massnahme läuft Ende 2022 aus und würde gegen die Ausgabenobergrenze des Landes verstossen, sodass eine Ausnahmegenehmigung des Kongresses erforderlich ist. Bolsonaro stellt in Aussicht, die Gehälter der Regierungsbeamten zu erhöhen und die Einkommenssteuern anzupassen. Lula will die zwei Jahrzehnte alte Ausgabenobergrenze des Landes abschaffen und durch einen Mechanismus ersetzen, der einen höheren Mindestlohn ermöglicht, sowie die Ausgaben für Sozialleistungen und Infrastruktur erhöhen. Der potenzielle Vizepräsident an Lulas Seite ist Geraldo Alckmin, ein ehemaliger Gouverneur von São Paulo, der als wirtschafts- und marktfreundlich gilt. Alckmin unterlag Lula in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2006.
Wer auch immer gewinnt, eine Schwierigkeit besteht darin, dass die Haushaltsdetails für die Ausgaben im Jahr 2023 vor Ende 2022 ausgehandelt werden müssen. Im dreimonatigen Zeitraum, in dem die Mitglieder der Legislative des Landes zwischen der Wahl und dem Amtsantritt der neuen Regierung am 1. Januar stehen, könnte anhaltende politische Volatilität herrschen. Dies deutet darauf hin, dass die bereits bestehenden fiskalischen Entlastungsmassnahmen verlängert werden könnten, insbesondere wenn Lula die Wahl für sich entscheidet und im neuen Kongress auf mehr Verbündete zählen kann. Obwohl Lula weiterhin der Spitzenkandidat ist, könnte das Rennen um die Präsidentschaft enger werden, da die Verbraucher von den kürzlich genehmigten Bargeldtransfers profitieren.
Verwaltung des Engagements in brasilianischen Vermögenswerten
Auf Brasilien entfielen am 1. Juli 10% des JPM Government Bond EM Broad Diversified Index. Eine Verschlechterung des Konjunkturausblicks könnte breitere Auswirkungen haben. Die Bereitschaft von bereits in Schwellenländern engagierten Anlegern, weitere Kredite zu finanzieren, könnte nachlassen.
Wir sind Ende Februar ein Engagement in brasilianischen Lokalwährungsanleihen eingegangen. Gründe dafür waren der fortgeschrittene geldpolitische Zyklus des Landes, der Vorteil höherer Rohstoffpreise bei geringeren geopolitischen Risiken und eine unterbewertete Währung. Doch angesichts der erwarteten Volatilität brasilianischer Vermögenswerte im Vorfeld der Wahlen halten wir nun eine Gewinnmitnahme auf unserem Engagement aus taktischer Sicht für ratsam. Daher haben wir unsere Position in brasilianischen Staatsanleihen mit einem Gewinn von 5% verkauft. Wir werden nach neuen Chancen Ausschau halten, sobald die derzeitige politisch aufgeladene Phase vorbei ist. Eine mögliche Verbesserung der Aussichten für brasilianische Staatsanleihen aufgrund höherer Rohstoffpreise würde die Währung des Landes unterstützen, die wir in zwölf Monaten bei 4.8 Real pro Dollar sehen.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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