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Die Pandemie verstärkt bestehende Trends
Herr Chaar, in vielen Ländern kehrt die wirtschaftliche Aktivität langsam zurück, der coronabedingte Lockdown wird aufgehoben. In was für einer Welt werden wir nach der Pandemie leben?
Erst einmal brauchen wir eine Behandlung oder eine Impfung gegen das Virus, damit wir überhaupt von einer Post-Corona-Welt sprechen können. Die Chancen stehen gut, dass wenn nicht schon im Herbst, dann im nächsten Jahr hier ein Durchbruch erfolgen könnte. Kommt es dagegen zur gefürchteten zweiten Welle, droht erneut ein Lockdown und wir wären wieder zurück am Ausgangspunkt. Ein solches Worst-Case-Szenario ist in meinen Augen jedoch sehr unwahrscheinlich.
Warum?
Die Öffnung der Wirtschaft erfolgt schrittweise. Wir müssen lernen mit dem Virus zu tanzen - zwei Schritte vor, einer zurück, falls nötig. Das bedeutet, wir müssen auch weiterhin vorsichtig sein. Je nach Entwicklung der Ansteckungen wird unser Alltag jedoch durchaus wieder zur Normalität zurückkehren. Die Frage ist bloss wann und wie viele schmerzhafte Einschnitte die Erholung mit sich bringt. Für den Tourismus und den internationalen Flugverkehr wird es sicher ein harter Sommer, da darf man sich keine Illusionen machen.
Wie schaut denn die neue Normalität nach Corona aus?
Von einer neuen Normalität zu sprechen, trifft meiner Meinung nach die Situation nicht ganz. Die Covid-19 Pandemie verändert nichts, sondern verstärkt die bereits vorhandenen wirtschaftlichen Trends.
Das müssen Sie mir erklären.
Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie ist die Wirtschaft in vielen Ländern langsam gewachsen. Dazu kommen tiefe Produktionskosten, eine tiefe Inflation, Negativzinsen ebenso wie Einkommensungleichheit und eine hohe Staatsverschuldung. Daran wird sich grundlegend nichts ändern. Nehmen Sie zum Beispiel die Löhne: Es ist nicht davon auszugehen, dass diese nach Covid-19 nun steigen werden. Zudem gehen wir nicht davon aus, dass der Ölpreis in den nächsten Jahren wieder über 50 $ pro Barrel steigen wird. Das heisst, auch bei den Produktionskosten ist kein Anstieg zu erwarten.
Zur Bekämpfung der Rezession greifen die Notenbanken aktuell mit milliardenschweren Konjunkturpaketen in die Wirtschaft ein. Gestern (Donnerstag, 4. Juni) hat etwa die EZB das Volumen ihrer Anleihenkäufe um 600 Mrd. € auf 1,35 Bio. € erhöht. Welche Auswirkungen hat das auf die Inflation?
Es gibt Stimmen, die nach der Pandemie einen Anstieg der Inflation befürchten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Inflation nach Covid-19 sogar noch sinken wird, in der Eurozone ist die Teuerung im Mai auf 01% zurückgegangen. In den Märkten ist eher zu wenig Liquidität als zu viel vorhanden.
Warum?
Was die Zentralbanken machen ist vergleichbar mit einer Bluttransfusion, also absolute Nothilfe. Blut bedeutet für einen Patienten Liquidität, genau das braucht die Wirtschaft jetzt auch. Das ganze Geld was die Notenbanken in die Wirtschaft pumpen gleicht den Verlust an Liquidität überhaupt erst aus, es für nicht zu einem Überschuss. Das zweite Argument ist die wirtschaftliche Aktivität. Flächendeckende Lohnerhöhungen, die ebenfalls für Preissteigerungen sorgen könnten, sind aktuell nicht in Sicht. Im Gegenteil, viele Leute wissen nicht, ob sie morgen überhaupt noch einen Job haben. Ein weiteres Element ist der tiefe Ölpreis.
Was raten Sie Anlegern im aktuellen Umfeld?
Interessant sind Investitionen in Unternehmen, die Lösungen für die Probleme der Zukunft zu bieten haben, etwa im Bereich Gesundheit, Ausbildung oder Energieeffizienz. Wichtig ist, dass diese Firmen über eine solide Bilanz, sowie einen guten Track-Record verfügen. Nachhaltigkeit ist der entscheidende Faktor. Unser Rahmen für Investitionen deckt zwei Dimensionen der Nachhaltigkeit von Unternehmen ab: was Unternehmen tun - ihr Geschäftsmodell und ihre Aktivitäten - und wie Unternehmen arbeiten (ihre Geschäftspraktiken).
Wie balancieren Sie mögliche Risiken im Portfolio aus?
Eine Möglichkeit um Risiken durch Aktien oder Private Equity auszubalancieren sind Immobilien. Neben klassischen Stabilisatoren wie Gold empfehlen wir auch eine Diversifizierung bei den Währungen, etwa mit Schweizer Franken oder Yen. Aber auch die Long- und Shortstrategien diverser Hedge Fonds können sich als nützlich dafür erweisen. Das erlaubt uns ein robustes Portfolio zu bilden.
Sie haben gesagt, dass sich die bestehenden Trends nach der Pandemie nicht gross ändern werden. Haben Sie Ihr Portfolio trotzdem adjustiert?
Wir waren gut vorbereitet und haben einzig kleinere Veränderungen vorgenommen. Zunächst konzentrierten wir uns auf die Liquidität der Vermögenswerte. Zurückhaltender geworden sind wir einzig bei Sektoren und Regionen, die stark vom Erdöl abhängig sind, da der Ölpreis, wie gesagt, noch lange auf einem tiefen Niveau bleiben wird. Das hemmt die Entwicklung in gewisse Länder im Nahen Osten, Osteuropa und Lateinamerika.
Wie steht es mit Asien?
Wir haben unser Asien-Exposure erhöht, übrigens auch das gegenüber Europa und den Vereinigten Staaten. Sektoren die uns gefallen sind etwa die Techbranche, Gesundheit, sowie Energieeffizienz, wie etwa klimabezogene Investitionen.
Sie haben den tiefen Ölpreis erwähnt. Wie stehen Sie zu Aktien aus dem Sektor, es gibt Stimmen die jetzt zu einem Einstieg raten?
Das einzige Argument, dass dafür sprechen würde ist, dass diese im Moment sehr günstig sind. Die Kurse können jedoch sehr lange auf einem tiefen Niveau bleiben. Das haben wir beispielsweise im Finanzsektor während den vergangenen zehn Jahren gesehen. Zudem kommt erschwerend dazu, dass sich die ölproduzierenden Länder kaum auf irgendeine Form der Zusammenarbeit einigen können, nicht einmal innerhalb der OPEC. Das bedeutet, dass auch wenn die Nachfrage nach Öl in Zukunft wieder steigt, die Vorräte immer noch zu hoch sein werden, was sich ebenfalls negativ auf den Preis auswirken wird.
Nun haben ja grosse Energiekonzerne wie etwa BP angekündigt, die Energiewende schaffen und zu CO2-neutralen Unternehmen zu werden. Ändert dies etwas an Ihrer Einschätzung?
Aktuell sind wir in diesem Sektor untergewichtet. Wir beobachten jedoch ganz genau was passiert. Denn auch wenn diese Konzerne im Moment Teil des Problems sind, können sie zu einem Teil der Lösung werden. Die Unternehmen sind gut dafür positioniert um Lösungen zu finden, etwa für den Antrieb von Elektroautos.
Tiefe Zinsen gehören ja ebenfalls zu den Trends, die sich durch die Covid-19 Pandemie noch verstärken dürften. Wie lange werden uns diese noch erhalten bleiben?
Zieht man in Betracht, dass es auch weiterhin keinen Inflationsdruck geben wird und sich die Wirtschaft nur langsam von der Krise erholt, gehen wir davon aus, dass die Zinsen auch Ende 2021 immer noch auf dem selben Niveau sein werden wie heute. Sicher in Europa, wahrscheinlich aber auch in den Vereinigten Staaten. Die Zentralbanken haben keinen Grund sich bei der Erhöhung der Zinsen zu beeilen, schliesslich wollen sie die Erholung der Wirtschaft nicht gefährden. Es ist wie bei der Entlassung eines Patienten aus dem Spital: Setzt dieser die Medikamente zu früh ab, landet er womöglich erneut auf der Intensivstation und sämtliche Anstrengungen waren vergeblich.
Welche Rolle hat die Politik beim Weg aus der Krise. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr französischer Amtskollege Emmanuel Macron haben einen umstrittenen Wiederaufbaufonds im Umfang von 500 Mrd. € angekündigt.
Dieser Fonds ist ein wichtiger Schritt, gerade weil damit Schulden vergemeinschaftet werden. Das sich insbesondere Deutschland, das sich immer gegen Eurobonds gewehrt hat, nun dafür einsetzt, ist definitiv ein Game-Changer. Zwar soll das neue Instrument ausschließlich für die Bekämpfung der Coronakrise genutzt werden. Sollte jedoch in einigen Jahren eine neue Rezession drohen, wissen wir nun, dass die EU über ein weiteres Instrument verfügt, mit dem sie die Krise bekämpfen kann.
Was entgegen Sie den Kritikern dieses Wiederaufbaufonds?
Der vorgeschlagene finanzielle Ausgleich ist angemessen. Italien wird mehr Geld aus dem EU Haushalt erhalten als Deutschland, ganz einfach weil Italien stärker durch die Covid-19 Pandemie getroffen wurde als Deutschland. Bei der nächsten Krise könnte das auch umgekehrt sein. Ich halte dies für einen wichtigen Schritt, dass es nun einen Mechanismus gibt, bei dem es nicht nur nationale, sondern europäische Schulden gibt. Und dass diese genutzt werden um denen zu helfen, die in der Krise am stärksten getroffen wurden, ist positiv.
Die „sparsamen Vier“, Österreich, Holland, Schweden und Dänemark haben Widerstand gegen den Vorschlag angekündigt.
Wie der Plan von Merkel und Macron schlussendlich umgesetzt wird, ist noch Gegenstand von Verhandlungen. Wichtig ist, dass diejenigen Massnahmen umgesetzt werden, die eine möglichst rasche wirtschaftliche Erholung ermöglichen. Sind die „sparsamen Vier“ nicht bereit einzulenken und erholt sich die Wirtschaft nicht, wird der Druck auf die Staaten doch sehr stark steigen. Es wird hart, aber eine Einigung ist wahrscheinlich. Auch wenn die „sparsamen Vier“ sicher versuchen werden, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Dabei geht es nicht zuletzt um Innenpolitik. Sie wollen ihren Wählern zu Hause signalisieren, dass sie nicht kampflos zustimmen werden. Ich erwarte ein ähnlich zähes Ringen wie 2012 als der Euro-Rettungsschirm beschlossen wurde.
All diese Konjunkturprogramme dürften zu einem Anstieg der Schulden führen. Was wird dafür bezahlen?
Sicher, Covid-19 wird dazu führen, dass die Schulden steigen. Die Staatsverschuldung war aber auch schon vorher hoch. Trotzdem, die Schulden werden bezahlt keine Frage. Nehmen Sie Japan, der Schuldenstand ist auf 250% der Wirtschaftsleistung angewachsen, trotzdem hat das Land keine Probleme damit, diese zu bezahlen. Bei Italien liegt der Anteil bei 130% des BIP, aber auch die Regierung in Rom kann ihre Kredite bedienen.
Trotzdem, das Risiko für eine Zahlungsunfähigkeit ist im Fall von Italien doch höher als bei Japan.
Wichtig ist nicht die Höhe der Schulden, sondern die Zinsen, die ein Land dafür bezahlen muss. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich gerade ein Haus gekauft. Angesichts der Gesamtschulden könnten Sie in Panik verfallen. Das bedeutet aber nicht, dass Sie deswegen gleich insolvent sind, zumindest so lange Sie Ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Denn die monatlichen Raten für die Hypothek sind tiefer als das, was Sie früher für Ihre Mietwohnung bezahlt haben. Aber um auf das Thema Staatsverschuldung zurück zu kommen. Italien wird seinen Job nicht verlieren. Das Niveau der Zinsen im Verhältnis zum BIP ist auf dem tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Was sich im Fall von Italien zudem positiv auswirkt ist, dass die privaten Ersparnisse auf einem hohen Stand sind. Es gibt immer noch Geld, auch wenn der Staat über keine Mittel mehr verfügen sollte. Mit der Rückzahlung der Schulden gibt es kein Problem. Die Zinsaufschläge sind nicht das Problem, es geht darum was die Staaten mit ihren Schulden machen.
Was empfehlen Sie?
Investieren die Staaten die zusätzlichen Mittel von der Europäischen Union nicht auf eine produktive Art und Weise, dann wäre es in Verlust. Wichtig sind Investitionen in die Infrastruktur, Ausbildung, Technologie und den Gesundheitsbereich. Die Regierungen müssen die Zukunft der nächsten Generationen sicherstellen. Wir haben jetzt eine historische Gelegenheit das Richtige zu tun.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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