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Rethink Perspectives: Das Jahr 2023 – ein Schritt in Richtung Normalität
Nach einem turbulenten Jahr 2022 mit einem sehr volatilen Marktumfeld deuten die wirtschaftlichen Trends 2023 auf ein Jahr des Übergangs und der allmählichen Normalisierung hin. Doch ist das bereits die Rückkehr zur Normalität? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir einen Schritt zurücktreten, die langfristigen Trends betrachten und uns folgende Fragen stellen: Wie sind die Aussichten für die wichtigsten Volkswirtschaften angesichts der nach wie vor hohen Inflation? Welche Folgen hat die Straffung der Geldpolitik? Und wie wirken sich der geopolitische Wandel, die demografische Entwicklung und der Klimawandel auf die langfristigen wirtschaftlichen Variablen aus?
Daneben eröffnet der Klimawandel neue Anlagemöglichkeiten – insbesondere durch die massive Elektrifizierung der Weltwirtschaft, die ungeahnte Renditequellen schafft. Diese Ausgabe von „Rethink Perspectives“ unter Federführung von Frédéric Rochat, Geschäftsführender Teilhaber von Lombard Odier, bietet die Gelegenheit, mit etwas Abstand langfristige Wirtschaftstrends zu analysieren und konjunkturbedingte Chancen zu erkennen. Gérard Felley, Limited Partner und Leiter des Privatkundengeschäfts in der Schweiz und im französischsprachigen Raum, Samy Chaar, Chefökonom, und Michael Urban, Chief Sustainability Strategist für die Lombard Odier Gruppe, beantworten Fragen und stellen ihre Analysen vor.
Wirtschaftsperspektiven im zweiten Halbjahr 2023: auf dem Weg zur Normalität?
Das Jahr 2023 ist ein Übergangsjahr. Die Volkswirtschaften verarbeiten die Schocks, die das Vorjahr prägten: „Die Abschottung der chinesischen Wirtschaft war ein Schock für die Wertschöpfungsketten. Hinzu kam der Energieschock durch den Krieg in der Ukraine und die Inflationswirkung sowie ein Zinsschock aufgrund der energischen Reaktionen der Notenbanken“, erklärt Samy Chaar.
Seit Jahresbeginn gibt es jedoch erste Anzeichen für eine Desinflation. Zudem besteht die Aussicht, dass die Inflation „im Dezember [2023] in den USA bei etwa 3% liegen dürfte“. Diese Entwicklung „sollte etwas später auch Europa erreichen“, so Samy Chaar.
Die Rückkehr zu normalen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen scheint sich auf mehreren Ebenen abzuzeichnen. Zum einen bei den Lieferketten: Hier deuten Indikatoren auf deutlich schnellere Lieferzeiten für Waren vom Hersteller bis zum Verbraucher hin. Zum anderen haben sich auch die Energiepreise stabilisiert. Die drastischen Kostensenkungen zeugen somit von einer globalen Normalisierung des Energiemarktes: Der Brent-Preis beträgt rund USD 75,1 die Gaspreise sanken in Europa wieder auf EUR 30 pro MWh.
Eine Desinflation – im Spannungsfeld zweier Wirtschaftskräfte
Vor diesem Hintergrund stehen sich zwei Wirtschaftskräfte gegenüber: eine negative Kraft ausgehend von den Notenbanken, die ihre Leitzinsen erhöht haben, um die Inflation zu verlangsamen. Das „übt Druck auf alle zinssensitiven Bereiche der Wirtschaft aus: Immobilien, verarbeitende Industrie und Handel“. Daneben eine positive Kraft, die sich im konsequenten Sparen in unseren Unternehmen niederschlägt. Damit können „die Haushalte und Unternehmen den Schock ausgleichen, der von den höheren Zinsen ausgeht“, analysiert Samy Chaar.
Das hat zur Folge, dass die Verlangsamung der Wirtschaft gering bleibt, was zu einer moderaten Desinflation führt. Die Rückkehr zur Normalität wird also dauern, auch wenn man den aktuellen Kurs optimistisch betrachten kann – unter einer Bedingung: „Die Notenbanken müssen an restriktiven Zinsen festhalten, um den Wirtschaftsmotor zu verlangsamen“, erläutert Samy Chaar.
Welche Folgen hat dieser wirtschaftliche und finanzielle Druck für die Positionierung unserer Portfolios? „Wir wollen uns mit Blick auf das Portfoliorisiko relativ neutral positionieren“, so Samy Chaar. In dieser Übergangsphase bis 2024 ist Vorsicht geboten. Wir geben daher insbesondere „Qualitätsaktien mit soliden Bilanzen und prognostizierbaren Gewinnen“ den Vorzug.
Geopolitische Fragmentierung: eine neue Weltordnung?
Mit Blick auf die Zukunft analysieren wir auch die langfristigen Fundamentaldaten. Dabei teilt Samy Chaar eine starke Überzeugung: „Die nächsten zehn Jahre werden wegbereitend sein und völlig anders verlaufen als die letzten zehn Jahre“. Sie werden beispiellose Anlagemöglichkeiten bieten. Die kommenden Jahre dürften von drei zentralen systemischen Veränderungen geprägt sein: einem geopolitischen Übergang, einem sich verändernden demografischen Umfeld und dem Klimawandel. Sie alle tragen zu einer massiven Elektrifizierung der Wirtschaft bei.
In erster Linie ist aufgrund des Streits zwischen den USA und China die Bildung von Wirtschaftsblöcken zu beobachten. Daraus lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen. Zunächst „nehmen die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Blöcken tendenziell ab. Gleichzeitig intensivieren sich die Beziehungen innerhalb der Blöcke“. Dies hat zur Folge, dass „das Wachstum des Handels zwar weiterhin stark ist, sich aber umstrukturiert“. So entstehen Alternativen zu Billiglohnländern wie China – etwa Indonesien, Indien, Polen oder auch Mexiko.
Die Führungsrolle des US-Blocks dürfte in den nächsten zehn Jahren anhalten. Das zeigt sich auch in der Bewertung von Vermögenswerten.
Zudem trägt der Wettbewerb wesentlich zu dieser Blockbildung bei. Denn beide grossen Wirtschaftsmächte wollen demonstrieren, „dass sie über das beste Wirtschafts- und Sozialmodell verfügen“.
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China macht seinen Status als weltweit grösster Hersteller von Elektrobatterien und als führende Nation beim Bau von Elektrofahrzeugen geltend. Das geschieht in einem Umfeld, in dem die Elektrifizierung der Mobilität weiter rasant zunimmt. So fährt heute jedes siebte gekaufte Auto batteriebetrieben – 2017 war es jedes 80. Auto. Bis 2030 wird es voraussichtlich 1 von 1,6 sein: Dies entspricht einem Marktanteil von 63%. Eine echte Nachhaltigkeitsrevolution ist im Gange.
Die USA ihrerseits haben im Bereich der künstlichen Intelligenz einen erheblichen Vorsprung gegenüber ihrem Rivalen erlangt: Innerhalb von zehn Jahren wurden fast USD 250 Mrd. investiert. In China hingegen beliefen sich die Investitionen nur auf USD 95 Mrd. Diese Dominanz im KI-Markt ermöglicht es den USA, sich bei Dienstleistungsunternehmen entsprechend zu positionieren und ihnen entscheidende Wettbewerbsvorteile zu bieten.
Dies führt Samy Chaar zu der Einschätzung, dass „der US-Block in Bezug auf Nachfragekapazität und Währung einen gewissen Vorsprung vor China hat. Denn der Dollar stellt eine globale Wertreserve dar; und dem haben die Chinesen wenig entgegenzuhalten. Die Führungsrolle des US-Blocks dürfte damit in den nächsten zehn Jahren anhalten. Das widerspiegelt sich auch in der Bewertung von Vermögenswerten.“
Daraus zieht Samy Chaar folgende Schlussfolgerung: „Dank eines Investitionswettlaufs, der attraktive Annahmen für die Bewertung von Vermögenswerten in den nächsten zehn Jahren ermöglicht, wird das Umfeld niedriger, begrenzter Realzinsen anhalten.“ Dieses Umfeld ist von einer globalen Elektrifizierung der Wirtschaft geprägt. Welche Anlagechancen bringen diese bedeutenden systemischen Veränderungen mit sich?
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Elektrifizierung der Wirtschaft: ein neues Paradigma, das eine einzigartige Anlagechance verspricht
Bis 2050 wird die Elektrifizierung der Weltwirtschaft von 20% auf 70% steigen. Diese bedeutende systemische Veränderung führt zu einer tiefgreifenden, grundlegenden Umgestaltung der Weltwirtschaft. Wie ist die globale Elektrifizierung der Wirtschaft zu sehen und zu verstehen?
Der Übergang zu einer CLIC®-Wirtschaft, die Circular (kreislauforientiert), Lean (effizient), Inclusive (integrativ) und Clean (sauber) ist, folgt eindeutigen, klar definierten Regeln.
Für Michael Urban, Chief Sustainability Strategist bei Lombard Odier, „geht es darum, einen Ausblick auf die Endenergienachfrage [nach Strom] zu geben: Heute beträgt sie etwa 20%; bis 2050 wird sie bei rund 70% liegen“. Ausserdem führt der wachsende Anteil erneuerbarer Energien wie Solar- und Windenergie am heutigen Strommix unweigerlich zu einem „beträchtlichen Rückgang der mit fossilen Brennstoffen verbundenen Technologien“.
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Dieser Übergang von einer WILD-Wirtschaft, die Wasteful (unwirtschaftlich), Idle (ineffizient), Lopsided (ungleich) und Dirty (verschmutzt) ist, zu einer CLIC®-Wirtschaft folgt eindeutigen, klar definierten Regeln. „Mittlerweile sind alle Innovationen, die dieser Transformation zugrunde liegen, über das Konzeptstadium hinausgewachsen. Die Technologien sind zukunftsfähig“, erläutert Michael Urban.
Diese technologische Realisierbarkeit führt zu einem „Stärkungsmechanismus, der über staatliche Unterstützungsmassnahmen läuft“, wie im Falle des Pariser Abkommens seit 2015. Oder er erfolgt – wie vor Kurzem – „durch wirtschaftliche oder finanzielle Unterstützung, um den Übergang zu beschleunigen“.
Zudem ist durch die direkte Wirkung dieser Massnahmen „der Einsatz von Privatkapital – auf Unternehmensebene wie auch auf Anlegerebene – an den Kapitalmärkten abgesichert“. Dies führt de facto zu einem Investitionsanstieg, der „die Produktionskapazitäten erweitert, Skaleneffekte ermöglicht und deutliche Kostensenkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen bedeutet“, so Michael Urban.
Die Elektrifizierung hat den Wendepunkt erreicht
Aufgrund dieser Massnahmen hat sich ein Wendepunkt abgezeichnet, der bei der Elektrifizierung bereits erreicht ist und drei miteinander verknüpfte Bedingungen erfüllt.
An erster Stelle steht die Erschwinglichkeit, die einem deutlichen Kostenrückgang entspricht, wie Michael Urban erläutert: „In den letzten zehn Jahren sind die Kosten für Technologien wie Solar- und Windenergie sowie Batterien um 60% bis 90% gesunken. Das entspricht einem drastischen Kostenrückgang.“ Die zweite Bedingung ist die Funktionalität: Technologien wie Wärmepumpen oder Elektromotoren (im Vergleich zu Verbrennungsmotoren) „ermöglichen gegenüber Technologien, die auf fossilen Energieträgern beruhen, dreimal höhere Effizienzgewinne“. Und schliesslich die Zugänglichkeit: Sie wird durch die ersten beiden Bedingungen ermöglicht, die einerseits niedrigere Kosten und andererseits Effizienzgewinne mit sich bringen.
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Die beispiellose staatliche Unterstützung des ökologischen Wandels ist ein starkes Signal: Durch die Elektrifizierung der Weltwirtschaft ist eine neue industrielle Revolution im Gange, die sich mit der Geschwindigkeit der digitalen Revolution ausbreitet.
Direkte und indirekte staatliche Massnahmen wie der „Green Deal“ in Europa, der „Inflation Reduction Act“ in den USA sowie öffentliche und private Kapitalmassnahmen in China belaufen sich „in diesem Jahrzehnt bis 2030 auf jährlich USD 1’000 Mrd.“, erklärt Michael Urban. Ein langfristiger Trend, der unserer Auffassung nach eine der grössten Anlagechancen unserer Zeit darstellt – wie die „erhebliche Umschichtung von öffentlichem Kapital zeigt, die alles, was in den vergangenen Jahren zu beobachten war, bei Weitem übersteigt“.
1 19. Juni 2023
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