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    Können plastikfressende Enzyme das Recyclingproblem lösen?

    Können plastikfressende Enzyme das Recyclingproblem lösen?

    Weniger als zehn Prozent des Plastikmülls werden zurzeit wiederverwertet. Doch eine neue Technologie könnte für eine zunehmend kreislauffähige Wirtschaft sorgen.

    Die Herstellung des ersten Kunststoffs, Zelluloid, im 19. Jahrhundert wurde als revolutionäre Entwicklung gefeiert. Auf diese Entdeckung folgten viele Produkte, die für die durchschnittlichen Konsumentinnen und Konsumenten plötzlich erschwinglich waren. Die günstige, formbare und in grossen Mengen verfügbare Ressource eroberte alle Branchen.

    Heute verschmutzt Kunststoff unsere Meere, türmt sich in Deponien und verdunkelt den Himmel über den Müllverbrennungsanlagen mit dicken Rauchschwaden – unsere Einstellung zu dem einstigen Wundermaterial hat sich grundlegend geändert.

    Seit den 1950ern, als die ersten Werke mit der Produktion von Polyester begannen, wurden schätzungsweise 8,3 Mrd. Tonnen Plastik produziert.1 Weniger als 10%2 der jährlich produzierten 360 Millionen Tonnen Plastikmüll3 werden jedoch recycelt. Der Rest landet auf Deponien, wird verbrannt oder vermüllt die Landschaft. Mikroplastik wurde bereits in Pinguinen, Muttermilch, abgefülltem Wasser, menschlichem Blut und auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden. Die meisten Kunststoffe verrotten nie.

    Selbst recycelter Kunststoff landet am Ende im Müll; denn Kunststoff, der konventionell mechanisch recycelt, also zu Flakes geschreddert, eingeschmolzen und neu geformt wird, ist brüchiger und kurzlebiger als der Ausgangsstoff

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    Selbst recycelter Kunststoff landet am Ende im Müll; denn Kunststoff, der konventionell mechanisch recycelt, also zu Flakes geschreddert, eingeschmolzen und neu geformt wird, ist brüchiger und kurzlebiger als der Ausgangsstoff. Das Material lässt sich oft höchstens dreimal verwenden.

    Die Wissenschaft versucht seit Jahrzehnten, dieses Dilemma zu lösen. In den vergangenen Jahren ist ein unerwarteter Verbündeter auf den Plan getreten: plastikfressende Mikroorganismen.

    Das französische Biotechnologie-Start-up Carbios gehört zu den Innovatoren, die das enzymatische Recycling – die Umkehrung der Polymerisation – vermarkten wollen. Hierbei werden die Polymerketten, aus denen Plastik besteht, mithilfe genetisch veränderter Mikroorganismen aufgebrochen, sodass nur noch die Grundbausteine verbleiben. Diese sogenannten Monomere können dann wieder zu Plastik zusammengesetzt werden, das so gut wie neu ist. Theoretisch könnte eine auf diese Weise hergestellte Flasche unendlich oft recycelt werden.

    Die Wissenschaft versucht seit Jahrzehnten, dieses Dilemma zu lösen. In den vergangenen Jahren ist ein unerwarteter Verbündeter auf den Plan getreten: plastikfressende Mikroorganismen

    „Wir können heute jede Art von PET (Polyethylenterephthalat) recyceln: Flaschen, Lebensmittelverpackungen, T-Shirts“, erklärt Emmanuel Ladent, CEO von Carbios. „Carbios zeichnet sich vor allem durch die Kreislauffähigkeit aus. Eine Flasche, die in mechanischen Prozessen recycelt wurde, ist nach wenigen Zyklen reif für den Müll. 97% einer Tonne Plastik werden bei uns wieder zu Plastikkomponenten. Zudem können wir 30 bis 50 Zyklen durchführen, während es bei konventionellem Recycling drei bis fünf sind.“

    Die Herstellung eines kommerziell verwertbaren Enzyms war keine Kleinigkeit. Als Carbios 2011 mit der Arbeit am Recyclingprozess begann, waren die Enzyme bei den hohen Temperaturen im Reaktor instabil und brauchten mehrere Wochen für die Verarbeitung einer kleinen Menge PET. Erst 2020 gelang es Carbios, das Enzym Cutinase zu entwickeln, das hohen Temperaturen standhält und eine Ladung PET in wenigen Stunden umwandelt.

    Dieser Durchbruch wies erstmals darauf hin, dass das enzymatische Recycling wirklich in grossem Massstab eingesetzt werden könnte. In den darauffolgenden Monaten setzte der Aktienkurs von Carbios zum Höhenflug an.

    Anfang des Monats hat Indien Einwegplastik verboten. China fährt die Produktion von biologisch abbaubaren Kunststoffen hoch. Die EU, Grossbritannien und verschiedene US-Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren verschiedene Kunststoffvorschriften erlassen

    Lesen Sie auch (Artikel in Englisch): From landfill to a new life: dealing with wind turbines' little-known problem

    Dem Unternehmen zufolge ist das Verfahren weniger energieintensiv und hat einen geringeren CO2-Fussabdruck als die Produktion von neuem PET. Bis zu 46% der CO2-Emissionen sollen im Vergleich zur Produktion von neuem PET eingespart werden, wenn man berücksichtigt, dass PET-Müll vor einer möglichen Verbrennung bewahrt wird.

    Die Rechnung geht jedoch nicht ganz auf: Es ist immer noch billiger, Kunststoff auf der Basis von Erdöl zu produzieren. Ladent ist jedoch zuversichtlich, dass sich die Zahlen in die richtige Richtung bewegen. „Die weltweiten Vorschriften veranlassen die Wirtschaft, mehr Recyclingmaterial einzusetzen“, betont er. „Dann gibt es noch die Verpflichtungen. Nehmen wir eine beliebige grosse Marke, etwa Nike, Puma, Pepsi: Sie alle haben Zusagen gemacht. Wenn man die Vorschriften und die Markenverpflichtungen zusammennimmt, ist der Markt da.“

    Der staatliche Umgang mit Plastik hat sich weltweit gewandelt. Anfang des Monats hat Indien Einwegplastik verboten. China fährt die Produktion von biologisch abbaubaren Kunststoffen hoch. Die EU, Grossbritannien und verschiedene US-Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren verschiedene Kunststoffvorschriften erlassen.

    Carbios ist dabei, von dieser „Ära der Verpflichtungen“ zu profitieren. Das Unternehmen ist bereits eine Partnerschaft mit den Abfüll- und Kosmetikgiganten Nestlé Waters, PepsiCo und L’Oreal eingegangen. Zudem hat es kürzlich Verträge mit den Bekleidungsmarken Patagonia, Puma und Salomon abgeschlossen. Diese Kooperationen validieren die Technologie und holen gleichzeitig Branchengiganten an Bord, sodass Skalierbarkeit und Reichweite steigen.

    Die jüngsten Partnerschaften sind für das geplante Textilrecycling von Carbios wesentlich. „Hauptkostenfaktor der Branche sind die Abfälle. Weil wir nach Textilabfällen suchen, die von anderen Recyclinganbietern nicht verarbeitet werden können, ist das für uns ein riesiger Wettbewerbsvorteil“, so Ladent. „Eine Tonne Textilabfälle erhält man für rund USD 200-300, während eine Tonne Flaschen bis zu USD 2'000 kosten kann.“

    PET macht nur elf Prozent des Plastikmülls aus4. Andere Plastikarten haben sich als schwerer verdaulich erwiesen

    2021 hat Carbios in Frankreich eine industrielle Demonstrationsanlage in Betrieb genommen. Im kommenden Jahr eröffnet das Unternehmen sein erstes Werk mit einer Kapazität von 50'000 Tonnen pro Jahr: 2 Millionen Flaschen oder 300 Millionen T-Shirts können hier verarbeitet werden. Anschliessend hofft das Unternehmen, Lizenzen für seine Technologie verkaufen zu können, „um möglichst schnell auf den Markt zu kommen und einen globalen Einfluss zu haben“.

    Doch Carbios hat nicht alle Antworten – noch nicht. PET macht nur elf Prozent des Plastikmülls aus5. Andere Plastikarten haben sich als schwerer verdaulich erwiesen.

    „Unsere Lebensmittelverpackungen bestehen aus einer sehr ungünstigen Kunststoffkombination“, erklärt Lars Blank, Professor für angewandte Mikrobiologie an der RWTH Aachen. Er hat 2015 ein Konsortium aus Wissenschaftlern zur Untersuchung plastikfressender Enzyme ins Leben gerufen. „Lebensmittelverpackungen bestehen aus drei oder vier, manchmal bis zu zwölf Schichten verschiedener Kunststoffe. Das ist die eigentliche Herausforderung, aber auch die Chance.“

    Blank fordert, wie die meisten seines Faches, standardisierte und einheitliche Verpackungen, um Recyclingbemühungen zu unterstützen. Denn so verhindert bereits ein einfaches Papieretikett auf einer Plastikflasche, dass wir sie recyceln können.

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    Mit einem Team aus europäischen und chinesischen Forschenden entwickelt Blank biobasierte Kunststoffe, die sich biologisch recyceln lassen. „Während Carbios den Kunststoff zerlegt und reinigt und neues PET herstellt, verfüttern wir es an Mikroben“, erklärt Blank. Die Mikroben fressen die Plastikmonomere, „und bei dem Feststoff, der am Ende übrigbleibt, sehen wir, ob wir mit chemischen Prozesse oder der Bioverfahrenstechnik andere hochwertige Stoffe gewinnen können.“

    Die Forschungsergebnisse lassen darauf schliessen, dass es Enzyme geben wird, die in der Lage sind, Polyethylen (Plastiktüten) und Polypropylen (Hartkunststoff) zu verdauen

    John McGeehan, Professor für Biowissenschaften an der Universität Portsmouth, beschäftigt sich ebenfalls mit der Entwicklung von Enzymen, die schneller arbeiten und skalierbar sind, um schwierigere Abfälle bewältigen und sie wie das Enzym Cutinase von Carbios in ihre ursprünglichen Monomere zu zerlegen – die dann wiederum als Grundbausteine für neue Kunststoffe verwendet werden können. Die Forschungsergebnisse lassen darauf schliessen, dass es Enzyme geben wird, die in der Lage sind, Polyethylen (Plastiktüten) und Polypropylen (Hartkunststoff) zu verdauen.

    Ebenso wie die Unternehmensleitung von Carbios ist McGeehan davon überzeugt, dass er unbedingt Branchenakteure an Bord holen muss. Derzeit feilt er an einer Partnerschaft mit Coca Cola. „Bei einigen der grossen Flaschenhersteller handelt es sich um riesige Mengen. Wenn wir einen Teil dieser Thermoplaste dem Recycling zuführen könnten, wäre das ein grosser Gewinn für uns alle.“

    Wir sind uns einig, was derzeit die grösste Hürde für mehr Recycling darstellt: unzureichende Sammel- und Recyclingpraktiken. „Die Sammelquoten müssen steigen“, so Ladent. „Abfälle spielen in dieser Branche eine entscheidende Rolle. Wenn Recyclingtechnologien erfolgreich sein sollen, müssen wir sicherstellen, dass wir grössere Mengen erfassen.“

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    Eine bessere Abfallsammlung ist jedoch nicht das einzige fehlende Teil im Recycling-Puzzle. Entscheidend für die Steigerung der Recyclingquote ist eine schnelle und effiziente Sortierung: sowohl mechanische als auch enzymatische Recyclingverfahren sind auf sauberes, genau getrenntes Material angewiesen. Auch eine breitere Wiederverwendung von Kunststoffprodukten, insbesondere von Verpackungsmaterial, wird von Bedeutung sein, damit wir die ökologischen Auswirkungen des Recyclingprozesses auf ein Mindestmass reduzieren können. Wenn aber alle anderen Puzzleteile an ihrem Platz sind, hat das enzymatische Recycling das Potenzial, eine echte Kunststoff-Kreislaufwirtschaft zu schaffen.

    „Sind wir in 15 Jahren so weit? Oder in 20?”, fragt Ladent. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Eines weiss ich aber: Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass es in Zukunft für jede Art von Kunststoff eine Lösung geben wird.“

     

    Production, use, and fate of all plastics ever made | Science Advances
    Overview and policy highlights | Global Plastics Outlook: Policy Scenarios to 2060 | OECD iLibrary (oecd-ilibrary.org)
    Plastics use and waste - Where do we stand? - OECD
    Primary plastic waste generation by polymer, 2015 (ourworldindata.org)
    Primary plastic waste generation by polymer, 2015 (ourworldindata.org)

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