rethink sustainability
Wachstum und Netto-Null muss kein Widerspruch sein
Gegenwärtig sind die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) am stärksten von den Folgen des Festhaltens an fossilen Brennstoffen betroffen und tun sich schwer, einen konsequenten Weg in Richtung Netto-Null zu finden. Die direkten gesundheitlichen1, sozialen2 und wirtschaftlichen Kosten3 der Umweltbelastung sind inzwischen gut bekannt. Und indirekt werden die Naturkatastrophen und Auswirkungen auf das Klima infolge der bereits in der Atmosphäre befindlichen und in Zukunft emittierten Treibhausgase am stärksten von den Entwicklungsländern zu spüren sein, die in der Regel in den Teilen der Welt liegen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden.
Es wird jedoch argumentiert, dass sich die LMICs, um ihren Bürgern langfristigen Wohlstand zu bieten, zunächst auf das Wachstum ihrer Wirtschaft konzentrieren müssen, bevor sie sich Umweltthemen zuwenden, um Netto-Null zu erreichen – ein Luxus, der, so wird argumentiert, nur von bereits florierenden Volkswirtschaften finanziert werden kann.
Aber ist das sinnvoll?
Muss sich die Geschichte wiederholen?
Vor dem 19. Jahrhundert lagen die CO2-Emissionen weltweit nahezu bei Null. Nach der industriellen Revolution begannen sie zu steigen, um Mitte des 20. Jahrhunderts förmlich zu explodieren – als wir unser wachsendes technologisches Know-how zunehmend für ein rasches Wirtschaftswachstum einsetzten. Zwischen 1950 und 1990 vervierfachten sich die jährlichen CO2-Emissionen. Und obwohl sich der jährliche Anstieg der Emissionen in den Folgejahren verlangsamte, steigen sie noch immer viel zu schnell an4.
Kurz gesagt, unser Wirtschaftsmodell tendierte in der Vergangenheit dazu, auf Wachstum um jeden Preis zu setzen und dabei erhebliche Treibhausgasemissionen in Kauf zu nehmen. Und genau hier liegt das Problem. Denn mit der Zunahme der CO2-Menge in der Atmosphäre steigen auch das Ausmass des Treibhauseffekts und seine Auswirkungen: ein stetiger Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur, der zu immer verheerenderen Unwetter und Klimaveränderungen führen wird. Schlimmer noch: Trotz des Anstiegs der grünen Energieerzeugung in den letzten Jahren ist der Höhepunkt der Emissionen noch nicht in Sicht. Auch wenn die Bedeutung des Wirtschaftswachstums für die Menschen in den LMICs anerkannt wird, befürchten viele, dass dadurch ein weiterer Anstieg der Emissionen beschleunigt wird. Dies würde den Höhepunkt der Emissionen noch weiter in die Zukunft verschieben, so dass der globale Netto-Nullpunkt ein Wunschszenario bliebe.
Vielleicht ist diese Sorge unbegründet. Wenn erneuerbare Technologien nun die Möglichkeit bieten, kohlenstofffreie Energie zu erzeugen, haben LMICs die Chance, das zu tun, was den meisten wohlhabenden Ländern nicht gelungen ist: das Wachstum ihrer Volkswirtschaften von den CO2-Emissionen abzukoppeln. Könnten LMICs dank erneuerbarer Energien tatsächlich eine wirtschaftliche Entwicklung und gleichzeitig eine Netto-Null-Bilanz erreichen?
Für einige ist die Antwort ein klares Nein. LMICs könnten ihre Wirtschaft ausbauen oder ihre Emissionen reduzieren, aber nicht beides. Dies stehe im Gegensatz zu den Industrieländern, die in der glücklichen Lage seien, bereits über den notwendigen Wohlstandsüberschuss zu verfügen, um den kostspieligen Übergang zu erneuerbaren Energien zu finanzieren und aufrechtzuerhalten und gleichzeitig ihre Wirtschaft weiterzuentwickeln. LMICs verfügen fast per Definition über wenig bis gar kein überschüssiges Vermögen, um ein solches Vorhaben zu finanzieren, und stehen somit vor einer Nullsummenwahl: Sie müssen die verfügbaren Mittel entweder in Wirtschaftswachstum oder in erneuerbare Energien investieren. Für Millionen von Menschen in den LMICs, die noch immer um ihr tägliches Brot kämpfen müssen, das ihnen jederzeit weggenommen werden könnte, ist eine solche Wahl überhaupt keine Wahl – Wirtschaftswachstum ist eine Notwendigkeit, während erneuerbare Energien ein Luxus sind, von dem sie nur träumen können.
Wirtschaftswachstum und Netto-Null: ein Positivsummenspiel für LMICs
Auf den ersten Blick ist dieses Argument überzeugend. Bei näherer Betrachtung, wie die Einführung erneuerbarer Energien in LMICs aussehen könnte, wird deutlich, dass dies nicht auf Kosten einer wirtschaftlichen Stagnation geschehen muss.
Erstens können LMICs das Risiko einer wirtschaftlichen Unterbrechung vermeiden, das mit dem unmittelbaren Ersatz der bestehenden Infrastruktur für fossile Brennstoffe verbunden wäre, indem sie in einem vernünftigen ersten Schritt sicherstellen, dass jede neue Energieinfrastruktur auf erneuerbaren Energien basiert. Sobald sie ihre Infrastruktur für erneuerbare Energien ausgebaut und alle wesentlichen Probleme gelöst haben, werden die LMICs in einer bessern Position sein, um mit dem schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu beginnen.
Zu der Behauptung, dass Energie aus fossilen Brennstoffen billiger sei als jene aus erneuerbaren Energien, ist anzumerken, dass Strom aus neuen Solar- und Onshore-Windkraftanlagen 2009 tatsächlich noch deutlich teurer war als Kohlestrom. In den meisten Teilen der Welt wird Kohle allerdings zunehmend unrentabel. Bis 2019 sanken die Kosten für Solar- und Windenergie um 89% bzw. 70% und liegen damit jeweils deutlich unter dem Preis für Kohle5. Der Hauptgrund für diesen rasanten Rückgang ist, dass erneuerbare Technologien im Gegensatz zu Kraftwerken für fossile Brennstoffe einer „Lernkurve“ folgen – wenn sich die kumulierte installierte Kapazität der erneuerbaren Energien verdoppelt, halbieren sich die Kosten. Daher ist zu erwarten, dass der Preisunterschied zwischen erneuerbaren Energien und Kohle in absehbarer Zukunft weiter zunehmen wird. LMICs könnten sich diesen Unterschied zunutze machen, indem sie ihre Energieerzeugung ausbauen und ihre bestehende Infrastruktur ersetzen.
Die Umstellung auf erneuerbare Energien muss daher das Wirtschaftswachstum nicht behindern. Im Gegenteil, ein vernünftiger Weg zu Netto-Null könnte das Wachstum sogar beschleunigen.
Wir bei Lombard Odier sind überzeugt, dass die Nachhaltigkeitsrevolution angesichts der derzeitigen Dynamik unvermeidlich ist und dass keine Branche, kein Unternehmen und kein Land davon unberührt bleiben wird. Selbst wenn die LMICs heute noch nicht von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umsteigen, werden sie dies irgendwann tun müssen. Das Problem dabei ist, dass je länger die Länder den Übergang aufschieben, desto mehr Infrastruktur für fossile Brennstoffe müssen sie in der Zwischenzeit aufbauen, um das Wirtschaftswachstum weiter anzukurbeln. Länder, die das Unvermeidliche hinauszögern, werden mit immer mehr veraltete Infrastruktur belastet, die sie eines Tages abbauen und ersetzen müssen – verlorene Kosten, die den Übergang wirtschaftlich weitaus schmerzhafter machen als nötig.
Darüber hinaus werden Länder, die ein dekarbonisiertes Wachstum anstreben, besser positioniert sein, um die Chancen zu nutzen, die sich aus dem beschleunigten Übergang zur CLIC™-Wirtschaft ergeben. Durch einen frühzeitigen Umstieg auf kohlenstofffreie Energiequellen und Produktionsmethoden können die LMICs Innovationen fördern und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Diesen können sie im Geschäft mit Ländern nutzen, die Netto-Null-Emissionen Priorität einräumen und nach Anbietern nachhaltigerer Lösungen wie umweltfreundlicherer Stahl, Zement und Chemikalien suchen.
Ein entscheidender Moment
Lange Rede kurzer Sinn: Für LMICs ist die Wahl zwischen Wirtschaftswachstum und Netto-Null überhaupt keine Wahl.
Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien können die LMICs dazu beitragen, den Klimawandel und das Ausmass der negativen Auswirkungen, mit denen sie konfrontiert sind, abzumildern und schliesslich umzukehren. Wenn sie dabei einen gut durchdachten Weg zu Netto-Null einschlagen, werden die LMICs das Wirtschaftswachstum ankurbeln, das sie für den Aufbau einer Infrastruktur benötigen, die den Auswirkungen des Klimawandels standhält. Auf lange Sicht wird Netto-Null das Wirtschaftswachstum nicht bremsen. Vielmehr wird es dieses ankurbeln.
All dies bedeutet, dass dies unser entscheidender Moment ist. Für jedes einzelne Unternehmen, jede einzelne Branche – und jedes einzelne Land – geht es darum, voranzukommen oder zurückzubleiben. Denn die Zeit des Dagegen ist vorbei. Jetzt ist der Moment gekommen, die Dinge anders zu machen. Dazu müssen wir nicht auf die Zukunft hoffen, sondern heute damit beginnen. Denn Netto-Null beginnt nicht in 30 Jahren, sondern heute.
1 https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/35721/World-The-Global-Cost-of-Ambient-PM2-5-Air-Pollution.pdf?sequence=1&isAllowed=y
2 https://mitsloan.mit.edu/ideas-made-to-matter/psychological-economic-and-social-costs-air-pollution
3 https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/25013/108141.pdf?sequence=4&isAllowed=y
4 Ritchie, H. and Roser, M. (2020) ‘CO₂ Emissions’, Our World in Data.
5 Roser, M. (2020) ‘Why did renewables become so cheap so fast? And what can we do to use this global opportunity for green growth?’, Our World in Data.
Wichtige Hinweise.
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