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    Welches Potenzial bietet KI? Eine Analyse möglicher Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Branchen und Wachstum

    Welches Potenzial bietet KI? Eine Analyse möglicher Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Branchen und Wachstum
    Stéphane Monier - Chief Investment Officer<br/> Lombard Odier Private Bank

    Stéphane Monier

    Chief Investment Officer
    Lombard Odier Private Bank

    Kernpunkte

    • Die Nachfrage und das künftige Umsatzwachstum durch KI-basierte Hardware, Software und entsprechende Dienstleistungen könnten bedeutend sein.
    • Bedenken über den Verlust von Arbeitsplätzen wegen intelligenter Roboter scheinen noch unbegründet. Allerdings könnten sich Ungleichheiten verstärken.
    • KI dürfte die Produktivität steigern, indem sie die Personalisierung und das Produkterlebnis optimiert und durch eine bessere Modellierung komplexer Systeme Effizienzeinsparungen ermöglicht. Investoren erwarten, dass Start-ups, Big-Tech- und fortschrittliche Halbleiterfirmen Wert generieren.
    • Es bestehen aber auch Vorbehalte gegen KI-Anwendungen: die Rechenleistung, regulatorische, rechtliche und moralische Fragen sowie die bisweilen lange Phase bis zur Kommerzialisierung neuer Technologien.

    Wir erörtern, ob KI die Produktivität steigern kann und ob weitere Fortschritte Arbeitsplätze gefährden. Zudem untersuchen wir, welche Branchen den Mehrwert von KI nutzen können und welche Sektoren durch KI-Anwendungen eine Transformation erleben werden.

    Intelligente Roboter – bloss Science-Fiction oder baldige Realität? Das Aufkommen der künstlichen Intelligenz (KI) geht auf die 1950er-Jahre zurück. KI ist eine Technologie, die es Maschinen ermöglicht, Aufgaben auszuführen, die normalerweise Denkvorgänge des menschlichen Gehirns voraussetzen. Im November 2022 ist ChatGPT, ein KI-basiertes Tool zur Erstellung von Content, lanciert worden. Der Start des Tools hat seinerseits eine Flut von Content über die transformative Kraft von KI und maschinellem Lernen ausgelöst. Google hat am 21. März den konkurrierenden KI-Chatbot Bard vorgestellt. Was ist neu? ChatGPT nutzt „generative“ Sprachverarbeitungsalgorithmen auf der Grundlage von „Foundation-Modellen“. Das heisst, ChatGPT lernt aus einer riesigen Datenmenge, neue Texte zu erstellen, und verbessert sich laufend. Andere Tools könnten das Gleiche mit Bildern, Audio und Video leisten. Solche fortgeschrittenen „Deep Learning“-Modelle haben ein enormes Potenzial für viele Anwendungen, auch für Roboter. Dies gilt insbesondere jetzt, da unsere Gesellschaft exponentielle Datenmengen produziert, die mit herkömmlichen Computertechniken nur schwer zu verarbeiten und zu nutzen sind. Zusätzlichen Auftrieb erhalten KI-Anwendungen durch die Verbreitung von Smartphones, Internetkommunikation und kleinen, schnellen Computerchips sowie den Einsatz von Kameras und Sensoren. Die Nachfrage scheint gross. In den vier Monaten seit der Lancierung durch ein Start-up hat ChatGPT mehr als 100 Millionen aktive Nutzer gewonnen. Das Marktforschungsunternehmen IDC erwartet, dass die weltweiten Umsätze auf dem KI-Markt – einschliesslich der Verkäufe von Hardware, Software und Dienstleistungen – bis 2026 um jährlich 19% steigen.

    Das Marktforschungsunternehmen IDC erwartet, dass die weltweiten Umsätze auf dem KI-Markt - einschliesslich der Verkäufe von Hardware, Software und Dienstleistungen – bis 2026 um jährlich 19% steigen

    Wut gegen die Maschine – „Rage against the machine“

    Werden durch KI-gestützte Anwendungen Stellen verloren gehen – oder wird die Ungleichheit verschärft, indem durch KI Jobs für ungelernten Arbeitskräfte wegfallen? Die aktuelle Gegenreaktion auf die Globalisierung erinnert uns daran, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen grosse politische Konsequenzen haben kann. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology von 2022 über finnische Industrieunternehmen ergab jedoch, dass die Nutzung fortschrittlicher Technologien zu einem Anstieg der Beschäftigung führte. Auch eine Untersuchung der südkoreanischen Notenbank zeigte, dass der Einsatz von Robotern insgesamt keinen Rückgang der offenen Stellen im Dienstleistungssektor und bei Nicht-Routineaufgaben zur Folge hatte. Natürlich sind viele Roboter eher mechanisch als KI-gestützt. Und die Anwendung von KI geht weit über die Robotik hinaus. Ein interessantes Merkmal neuer KI-Anwendungen wie ChatGPT ist jedoch, dass der Schwerpunkt auf qualifizierten statt auf repetitiven Aufgaben liegt. Dazu gehören Teilbereiche der heutigen Tätigkeiten von Programmierern, Wissenschaftlern, Anwälten und Textern. Die Gesellschaft könnte sich fragen, wo die relativen Vorteile der Menschen liegen, wenn sich die KI auch durch kognitive Fähigkeiten auszeichnet.

    Doch auch wenn KI zum Einsatz kommt, braucht es immer noch Menschen, welche KI-basierte Maschinen programmieren und deren Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Wirkung überprüfen. Intelligente Roboter sich noch teuer und bekunden Mühe, „menschliche“ Aufgaben zu erfüllen, bei denen kognitive Fähigkeiten mit Bewegung kombiniert werden. Weitere Verbesserungen dürften jedoch dafür sorgen, dass sie wirtschaftlicher werden und leichter eingesetzt werden können. Interessanterweise könnten sich in einem neuen Zeitalter der KI Bedenken über zunehmende Ungleichheit anders äussern, vor allem in Ländern, die weniger in der Lage sind, die für KI nötige Computerinfrastruktur bereitzustellen.

    Bedenken über zunehmende Ungleichheit könnten sich in einem neuen Zeitalter der KI anders äussern, vor allem in Ländern, die weniger in der Lage sind, die für KI nötige Computerinfrastruktur bereitzustellen

    Unterstützung durch KI

    Könnten neue KI-Anwendungen einen Produktivitätsboom auslösen und den westlichen Volkswirtschaften Schub verleihen? Intelligente Roboter könnten gefährlichere oder weniger beliebte Tätigkeiten übernehmen: Arbeiten in Kraftwerken, Kriegsgebieten, Labors oder Schlachthöfen, das Auffüllen von Regalen oder das Ausführen von Bestellungen. Die Menschen würden Zeit für lohnendere Aufgaben gewinnen, ohne dass Arbeitsplätze insgesamt wegfallen.

    Der Beitrag der KI-gestützten Technologien könnte zu einem günstigen Zeitpunkt kommen: In den westlichen Gesellschaften herrscht ein Mangel an Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit in den USA und Europa ist auf einem Rekordtief. In den USA und im Vereinigten Königreich scheinen viele Menschen dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden zu sein. Wegen der Alterung der Bevölkerung wird die Zahl der Arbeitskräfte weiter zurückgehen: Es ist kein Zufall, dass einige der Länder mit der höchsten Roboterdichte heute auch diejenigen sind, die am schnellsten altern. Mit dem Druck auf die Unternehmen, ihre Lieferketten näher an ihr Heimatland zu verlagern, sinkt ihre Fähigkeit, billige Arbeitskräfte zu finden. Gleichzeitig werden neue Technologien dringend benötigt, um existenzielle Probleme wie die Klimakrise und die Ernährung einer wachsenden Bevölkerung anzugehen.

    Es ist kein Zufall, dass einige der Länder mit der höchsten Roboterdichte heute auch diejenigen sind, die am schnellsten altern

    Vielleicht entstehen durch die KI ganz neue Arbeitsplätze. Die Nachfrage nach Personen, die komplexe KI-Algorithmen entwickeln können, steigt bereits. Die Auswirkungen neuer Technologien lassen sich schwer vorhersagen. Autos und Smartphones haben weltweit eine enorme Nachfrage nach zuvor unvorstellbaren Produkten ausgelöst. Wenn KI zu einer stärker automatisierten Video- und Bilderzeugung führt, könnte der Konsum von Spielen, Virtual-Reality-Simulationen und anderen visuellen Medien steigen. Oder KI könnte Märkte für völlig neue Produkte und Dienstleistungen schaffen.

     

    Wo wird Wert geschaffen?

    Wer wird als Gewinner der KI hervorgehen? Neue Technologien benötigen eine höhere Rechenleistung. Das sind gute Nachrichten für die Hersteller der zugrunde liegenden Hardware: Konnektivität, Beschleuniger und Speicherkomponenten, die in Datenzentren verwendet werden. Nutzniesser sind demnach zum Beispiel fortschrittliche Halbleiterchipfirmen. Die zweite Gruppe von Unternehmen, die von der KI profitieren dürften, sind grosse Technologiekonzerne und Softwarespezialisten. Neue KI-Anwendungen erfordern grosse Forschungs- und Entwicklungsbudgets, Unmengen von Daten und eine Vielzahl von Nutzern, welche die Lösungen durch ihr Feedback optimieren. Fortschritte in der KI lassen sich oft schnell in verbrauchernahe Technologieprodukte wie bessere Suchmaschinen, Chatbots, Übersetzungstools sowie Sprach- und virtuelle Assistenten übertragen. Microsoft hat USD 10 Mrd. in den ChatGPT-Entwickler OpenAI investiert und wird dessen Modelle in seinen Verbraucher- und Unternehmensprodukten einsetzen. Berichten zufolge arbeiten die grössten Konkurrenten von Microsoft an ähnlichen Technologien. Meta Platforms, vormals Facebook, hat kürzlich erklärt, sein grösstes Einzelinvestment sei die Weiterentwicklung von KI und deren Integration in all seine Produkte. Anfang März haben Google und die Technische Universität Berlin einen KI-Roboter vorgestellt. Dieser kann komplexe Aufgaben übernehmen, indem er Sprache, Sehen und die Reaktion auf seine Umgebung kombiniert. Das heutige KI-Rennen könnte sich entlang geopolitischer Linien abspielen: US-amerikanische und chinesische Grossunternehmen könnten versuchen, die Oberhand bei potenziell entscheidenden neuen Technologien zu gewinnen. Die Investoren hoffen, dass auch die Fortschritte von Unternehmen mit kleiner Marktkapitalisierung Wert generieren: Schätzungen des Datenanbieters Pitchbook zufolge flossen im Jahr 2022 USD 1,37 Mrd. in durch Wagniskapital finanzierte KI-Start-ups – fast so viel wie in den fünf Jahren zuvor insgesamt.

    Fortschritte in der KI lassen sich oft schnell in verbrauchernahe Technologieprodukte wie bessere Suchmaschinen, Chatbots, Übersetzungstools sowie Sprach- und virtuelle Assistenten übertragen

    Personalisierung und Produktivitätssteigerung

    Abgesehen von diesem technischen Schwerpunkt dürften die Fortschritte der KI – wenn sie so eintreffen, wie viele hoffen – weitreichende Folgen über die Sektoren hinweg haben. In der Tat haben sie bereits eine grosse Wirkung, die sich auf zwei Bereiche konzentriert: erstens die verbesserte Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen, einschliesslich des Produkterlebnisses, und zweitens Effizienzsteigerungen für Unternehmen, häufig durch die optimierte Modellierung komplexer Systeme. Nehmen wir den ersten Bereich. Dank gut entwickelter Empfehlungssysteme können grosse Medienunternehmen und Vermögensverwalter ihren Abonnenten und Kunden gezieltere TV-, Musik- bzw. Anlageideen anbieten. Einzelhändler haben ein besseres Verständnis für die Vorlieben der Verbraucher – von der favorisierten Mode bis hin zur Feststellung, welche Kleidungsstücke zu ihren individuellen Massen passen könnten. Die Möglichkeit, Bilder zu durchsuchen, und optimierte virtuelle Assistenten verbessern das Online-Einkaufserlebnis.

    Im zweiten Bereich – Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen – gibt es viele Anwendungen. Energieunternehmen nutzen Algorithmen des maschinellen Lernens, um seismische Daten bei der Suche nach neuen Ölfeldern automatisch zu interpretieren und um vorherzusagen, wann mechanische Anlagen gewartet werden müssen. Banken gelingt es besser, die Kreditdynamik über Kundenpopulationen hinweg zu modellieren, um die Ausfallprognosen zu optimieren. Versicherer setzen auf „kognitives Computing“, um die Auswirkungen einfacher Unfallschäden zu bewerten und die Abwicklungszeiten zu verkürzen. KI kann die Verwaltung von Lieferketten und Lagerbeständen sowie die Rechnungsstellung branchenübergreifend verbessern.

    KI kann die Verwaltung von Lieferketten und Lagerbeständen sowie die Rechnungsstellung branchenübergreifend verbessern

    Unternehmen des Gesundheitswesens bieten einen besonders interessanten Einblick in die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von KI. Die Digitalisierung hat in diesem Sektor relativ spät eingesetzt. Doch die schiere Masse an Gesundheitsdaten, die zunehmende Häufigkeit chronischer Krankheiten und die Notwendigkeit einer schnellen Impfstoffentwicklung während der Covid-19-Pandemie haben den Einsatz von maschinellem Lernen beschleunigt. Heute kann jede Phase des Lebenszyklus eines Arzneimittels verbessert werden – von der Auswahl der zu entwickelnden Moleküle über das Konzipieren klinischer Studien bis hin zur Kommerzialisierung. Epidemiologen nutzen maschinelles Lernen, um Krankheitsausbrüche zu modellieren. Intelligente medizinische Geräte helfen Diabetikern, den Blutzucker zu überwachen, und Ärzten, fundiertere Diagnosen zu stellen. Die US-Behörden haben 2018 das erste autonome KI-Diagnosesystem zugelassen, das diabetische Retinopathie direkt anhand von Patienten-Scans diagnostizieren kann.

    Die US-Behörden haben 2018 das erste autonome KI-Diagnosesystem zugelassen

    Realistisch bleiben

    Letztlich ist es vielleicht noch zu früh, um zu beurteilen, ob KI einen revolutionären Produktivitätsschub oder eine schrittweise Verbesserung der Unternehmensrentabilität bewirken wird. Ausserdem bestehen Vorbehalte gegen KI. Erstens steht dem weit verbreiteten Einsatz von KI-Anwendungen eine begrenzte physische Rechenleistung gegenüber. Entsprechend könnte ein deutlicher Ausbau der Computerinfrastruktur und der Interaktion zwischen Verarbeitungseinheiten und Computerspeichern erforderlich sein. Zweitens wirft die KI mögliche regulatorische, rechtliche und moralische Fragen auf, welche die Gesellschaft beantworten muss: Verletzung von Urheberrechten und geistigem Eigentum, Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und der Verwendung persönlicher Daten sowie stärkere Vorurteile durch Computeralgorithmen. Eine weitere Schwierigkeit könnte unsere Beherrschung neuer Technologien sein. Nehmen wir das Beispiel des autonomen Fahrens. Fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme (automatisches Bremsen, Halten der Fahrspur) sind bereits allgegenwärtig, selbstfahrende Fahrzeuge jedoch nicht. Die Unternehmen sagten ihre Markteinführung zunächst für ungefähr 2017 voraus. Doch wegen Problemen mit der Regulierung und dem Einsatz der Technologie in unvorhersehbaren Situationen – man denke an die Rushhour in Bangkok – wurde die Einführung auf 2030 oder später hinausgeschoben. Bei allem Hype um KI in den letzten Monaten spiegeln die Aktienkurse der grossen Technologieunternehmen die wachsende Begeisterung rund um einen KI-getriebenen Gewinnschub noch nicht wider. Es wird wohl noch etwas dauern, bis intelligente Roboter das Zepter übernehmen.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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