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Die Kosten des Lockdowns: Nahrung, Armut und COVID-19
Lombard Odier Private Bank
Wichtigste Erkenntnisse
- Covid-19 grassiert in armen Ländern besonders stark
- Die globale Lieferkette hat sich als robust erwiesen und die Getreideernten dürften einen Rekord erreichen
- Die niedrigen Rohstoffpreise schwächen manche Volkswirtschaften und die Pandemie bedroht Millionen von Menschen mit Hunger
- Entwicklungsfinanzierung kann in Krisenzeiten den schwächsten Bevölkerungsgruppen helfen
Als im März der globale Lockdown zur Eindämmung der Pandemie ganze Volkswirtschaften lahmlegten, stieg bei den Verbrauchern die Sorge um eine krisensichere Ernährung. In vielen Ländern reagierten die Menschen mit Hamsterkäufen. Inzwischen hat sich die Lage vielerorts entspannt. Doch zeigte die Pandemie, wie verletzlich die globalen Handelsstrukturen der Weltwirtschaft und wie die Sekundäreffekte der Einschränkungen durch die Pandemie viele Entwicklungsländer in akute Gefahr bringt.
Die Grenzschliessungen, Ausgangsbeschränkungen und Social-Distancing-Massnahmen durch das Coronavirus behinderten die Bewegungsfreiheit von Landwirtschafts- und Fabrikarbeitern sowie den Transport von Waren und Endprodukten. Länder wie Russland, der grösste Weizenexporteur der Welt, und Vietnam, der viertgrösste Reisexporteur, verhängten Exportstops, die innerhalb von Wochen ausgeschöpft waren. Am 21. April warnten die Landwirtschaftsminister der G20-Staaten, dass Exportbeschränkungen zum Schutz der einheimischen Produktion zu Verknappung und Preissteigerungen führen könnten. Diese Befürchtungen gelten ganz besonders für Entwicklungsländer. Viele von ihnen sind auf Lebensmittelimporte angewiesen. Ihre Ernährungssicherheit ist entsprechend sehr schockempfindlich (siehe Grafik).
Die Sorge um die Lebensmittelversorgung ist naheliegend. In den 1980er-Jahren berichtet der Ökonom Paul Seabright von einem sowjetischen Beamten, der den Übergang vom Kommunismus zur Marktwirtschaft vorbereiten sollte und den britischen Wirtschaftswissenschaftler fragte, wer die Brotversorgung nach London verantworte. Genauso, wie die Antwort „niemand“ ihn verblüffte, war es zu Beginn der Pandemie schwer zu glauben, dass die Nahrungsmittelversorgung robust genug sein würde, um Anbau, Verarbeitung und Lieferung aufrechtzuerhalten.
Globalen Lieferketten ist es gelungen, Lebensmittel weiter zu produzieren und zu liefern. Einer Prognose der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge, wird die weltweite Getreideproduktion in diesem Jahr die Rekordmenge von 2’790 Millionen Tonnen erreichen, 3% mehr als im Jahr 2019. Die meisten Regierungen haben die Quoten wieder aufgehoben.
Die rasant zunehmende Weltbevölkerung ist eine grosse Herausforderung für die Landwirtschaft. In den letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Dieser Herausforderung kann nur eine immer produktivere Landwirtschaft begegnen. Neue technologische Möglichkeiten reduzierten den Anteil der Menschen, die an Hunger leiden, von einem Drittel auf rund ein Zehntel. Die Ernährung der Weltbevölkerung ist zu etwa vier Fünftel auf Importe angewiesen, die Exporte haben sich seit 1990 versechsfacht. So wie Technologien die Landwirtschaft transformiert haben, hat auch die Digitalisierung sowohl die Lieferketten als auch die Logistik verändert. Und so wie viele Volkswirtschaften in Europa und Asien aus dem Lockdown hervorkommen, hat sich die Logistik nicht als das schwache Glied in der Nahrungsmittelkette erwiesen.
Verschiffung und Arbeitskräfte
Diese Erfolge sind weitgehend der Technologie zu verdanken. Doch verschleiern sie auch andere längerfristige Herausforderungen, etwa Ungleichheiten innerhalb der Lieferkette. Wertvolle Agrarprodukte wie Fleisch, Gemüse oder Molkereiprodukte sind arbeitsintensiv und leiden unter der Knappheit an Arbeitskräften und Lagermöglichkeiten. Im Vergleich dazu sind landwirtschaftliche Rohstoffe wie Getreide und Sojabohnen leichter zu lagern.
Ein logistisches Problem ist die Verschiffung, die rund 80% des globalen Handelsvolumens ausmacht und zwei Millionen Handelsseeleute beschäftigt. Weltweit liegen Frachtschiffe seit vielen Monaten auf See oder blockiert vor Anker. In Folge der Corona-Pandemie stehen diese kurz davor, ein nach internationalem Arbeitsgesetz geltendes Vertragslimit von elf Monaten zu verletzen, weil sie die Quarantänemassnahmen in den Häfen nicht umgehen können. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) warnt, dass schätzungsweise 300’000 Seeleute und Offshore-Arbeiter jeden Monat von Häfen rund um den Globus nach Hause reisen müssen, und fordert, die Crews wie das Gesundheitspersonal als „systemrelevante Arbeitskräfte“ zu behandeln.
Ausserdem fehlt der Landwirtschaft ein Mangel an Saisonarbeitskräften und Erntehelfern. Landwirtschaftliche Arbeitskräfte, die nichts verdienen, müssen ihre Ausgaben einschränken und Bauern ohne Ernte sind nicht in der Lage, ihre Erzeugnisse zu verkaufen. Wer ernten will, muss säen. Doch ohne Erlös, kein Kapital, um in Dünger und Saatgut für die nächste Saison zu reinvestieren. Das zwingt unzählige Landwirte in einen Teufelskreis von Verarmung. All dies wird zu einem dramatischen Anstieg der Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, weltweit führen.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat letzte Woche erklärt, dieses Jahr mehr Menschen mit Lebensmittel zu versorgen als jemals zuvor. Bereits vor der COVID-19-Pandemie hat das Programm etwa 100 Millionen Menschen geholfen, ein Rekordwert. Nach Angaben der Behörde dürfte die Zahl der Menschen, die auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, bis Jahresende auf 270 Millionen steigen. „Solange wir keinen medizinischen Impfstoff haben, sind Lebensmittel der beste Impfstoff gegen Chaos”, sagte David Beasley, der Leiter des WFP. Hunger kann soziale Unruhen, Migration und Konflikte unter Bevölkerungsgruppen auslösen, „die zuvor immun gegen Hunger waren“.
Die UNO schätzt, dass in Ländern, die Nettoimporteure von Lebensmitteln sind, die Zahl der unterernährten Menschen infolge von COVID-19 von derzeit etwa 70–120 Millionen auf 900 Millionen ansteigen wird. Das hat Folgewirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerungen und die Widerstandskraft gegen Krankheiten.
Die am schwersten betroffenen Regionen, Afrika und Lateinamerika, erwirtschaften einen Grossteil ihres Einkommens mit Rohstoffexporten. Die Preise von Rohstoffen, von Öl bis zu Kaffee, Baumwolle und Mineralien, sind alle eingebrochen. Solange sie sich nicht erholen, besteht in vielen Ländern kaum Aussichten auf eine Rückkehr der Wirtschaftstätigkeit auf die Niveaus vor der Pandemie.
Selbst Länder mit mittlerem Einkommen wie Peru, Chile und Brasilien leiden unter einem dramatischen Anstieg des Hungers, sagte der Chefökonom der FAO, Máximo Torero Cullen, im vergangenen Monat in einer Onlinediskussion, die vom Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung veranstaltetet wurde. Ferner haben die G20-Staaten Mitte April zugestimmt, von den 76 ärmsten Ländern bis Ende 2020 keine Schuldenrückzahlung zu verlangen. Diese Entscheidung dürfte die vielen Menschen allerdings nicht vor Hunger bewahren, fügte Torero Cullen hinzu.
Besonders Nationen, die langfristige Bottom-up-Lösungen brauchen, erfordern eine adäquate finanzielle und fiskalpolitische Unterstützung. Auf institutioneller Ebene hat der Internationale Währungsfonds beispielsweise Peru eine zweijährige Kreditlinie über USD 11 Mrd. eingeräumt.
Die Entwicklungsfinanzierung spielt im Erholungsprozess ebenfalls eine Rolle. Im Rahmen der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung haben Finanzinstitute Kredit- und Aktienfonds aufgelegt, die kleinen Unternehmen und Privatpersonen in Entwicklungsländern helfen sollen, sowohl soziale als auch ökologische Ziele zu erreichen. Mikrofinanzinstitute (MFIs) haben Erfahrung darin, Krisen zu bewältigen, indem sie Liquiditätsniveaus aufrechterhalten, Verbindlichkeiten restrukturieren und mit anderen Finanzakteuren zusammenarbeiten. MFIs unterstützen die schwächsten und oft ländlichen Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern und sind dank eines langfristigen Horizonts in der Lage, auch während Krisen investiert zu bleiben. In der aktuellen weltweiten Rezession ist der anhaltende Zugang zu Bankdienstleistungen sowie in jüngerer Zeit zu Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, den diese Strukturen bieten, für schwache Bevölkerungsgruppen lebenswichtig.
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende
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