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    Europas Energieversorgung infolge der Ukraine-Krise am Scheideweg

    Europas Energieversorgung infolge der Ukraine-Krise am Scheideweg

    Seitdem Russland in die Ukraine eingefallen ist, steht die Funktion des Landes als wichtiger Öl- und Gaslieferant im Rampenlicht. Welche Auswirkungen auf den Wettlauf um die Dekarbonisierung sind zu erwarten?

    Aus Russland stammten 2021 rund 40% des Gasverbrauchs europäischer Haushalte und Unternehmen – sowie 46% der Kohle, die zur Stromerzeugung und für die Schwerindustrie verwendet wird; und 27% des Erdöls, das im Verkehr und in der Industrie eingesetzt wurde.1 Von allen Waren und Gütern, die Russland im vergangenen Jahr in die Europäische Union geliefert hat, entfiel der Löwenanteil auf Energie, d.h. 62% der Gesamteinfuhren im Wert von EUR 99 Mrd.

    Der Einmarsch Russlands in der Ukraine wirft somit dringliche Fragen zu dieser Versorgungsstrategie auf. Darf Europa für lebenswichtige Lieferungen von so feindlicher und instabiler Herkunft abhängen? Darf Europa das russische Regime auf diese Weise finanzieren? Beide Fragen beantworten die meisten Analystinnen und Analysten mit einem klaren Nein.

    Bei der Vorstellung einer neuen Energiestrategie im März erklärte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen: „Wir müssen unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland werden. Wir dürfen uns nicht mehr auf einen Lieferanten verlassen, der uns ausdrücklich bedroht. Wir müssen jetzt handeln, um die Auswirkungen der steigenden Energiepreise abzufedern, unsere Gasversorgung für den nächsten Winter zu diversifizieren und die Umstellung auf saubere Energie zu beschleunigen.“2

    Die Ukraine-Krise wirft ein Schlaglicht auf ein seit Langem bestehendes Problem: den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen

    Einige Länder dürfen es leichter haben als andere. Die USA importieren kein russisches Öl mehr3, Grossbritannien will die Importe bis Ende dieses Jahres einstellen4. Für Länder, die nur wenige einheimische Vorkommen besitzen, bleibt Russland allerdings noch für einige Zeit eine wichtige, wenn auch unbeliebte, Quelle. So wurde Deutschland beispielsweise vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskij beschuldigt, weiterhin „Blutgeld“ für russische Energie zu zahlen. Deutschland antwortete darauf, es habe keine andere Wahl, weil ein Abdrehen des Energiehahns ohne praktikable Alternative die deutsche Industrie zum Erliegen bringen würde. Und das Land - und wahrscheinlich auch den gesamten Kontinent – in ein wirtschaftliches Chaos stürzen würde5. Tatsächlich dürfte ein plötzlicher Stopp der russischen Gaslieferungen einer aktuellen Studie zufolge Deutschland 12% der Jahresproduktion kosten, das sind rund EUR 429 Mrd6.

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    Die Ukraine-Krise wirft ein Schlaglicht auf ein seit Langem bestehendes Problem: den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Langfristig ist dieser Schritt notwendig, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ein Krisenherd wie die Ukraine macht indessen auch die politischen Vorteile der Energieunabhängigkeit deutlich.

    Ein Krisenherd wie die Ukraine macht indessen auch die politischen Vorteile der Energieunabhängigkeit deutlich

    Die Situation ist nach wie vor unbeständig. Ende April setzte Russland die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien7 aus, weil diese Länder sich weigerten, in Rubel zu zahlen; dies erhöhte die Spannungen und die Preise. Anfang Mai stoppte die Ukraine die Gasversorgung an einem Knotenpunkt, über den etwa ein Drittel des russischen Gases nach Europa fliesst8.

    Das Problem ist jedoch nicht neu. Mehrere internationale Krisen heizten in den letzten Jahrzehnten die Preise für Öl und andere Energieträger an; und rückten die Diskussion über die notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen in den Mittelpunkt. Zuletzt geschah dies 2014, als Russland in die Krim einfiel und sie annektierte.

    Politikerinnen wie Ursula von der Leyen halten grünere Alternativen für die Lösung. „Je schneller wir auf erneuerbare Energien und Wasserstoff umsteigen und unsere Energieeffizienz verbessern, desto früher werden wir wirklich unabhängig sein und die Kontrolle über unser Energiesystem erlangen“, sagte sie im März. Das ist Musik in den Ohren der Umweltschützenden und Befürwortenden von erneuerbarer Energien. Ihnen zufolge mache die Ukraine-Krise die Notwendigkeit deutlich, dass die Gesellschaft und die Wirtschaft die Dekarbonisierung dringend beschleunigen müssen.

    Selbst Länder, die weniger von Russland abhängig sind, etwa Grossbritannien, erkannten, dass Investitionen in heimische erneuerbare Energien, beispielsweise Windkraft, vor steigenden Energiepreisen schützen

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    Selbst Länder, die weniger von Russland abhängig sind, etwa Grossbritannien, erkannten, dass Investitionen in heimische erneuerbare Energien, beispielsweise Windkraft, vor steigenden Energiepreisen schützen. „Die einfache Wahrheit lautet: Je mehr billigen, sauberen Strom wir im eigenen Land erzeugen, desto weniger sind wir den horrenden und nicht steuerbaren Preisen fossiler Brennstoffe an den globalen Märkten ausgesetzt“, so der britische Wirtschafts- und Energieminister Kwasi Kwarteng9. Es geht jedoch nicht nur um erneuerbare Energien. Grossbritannien und weitere Länder in Europa denken erneut über einen Ausbau der Kernkraft nach.

    Der Krieg in der Ukraine wirkt sich zudem auf das europäische Emissionshandelssystem und den An- und Verkauf von Emissionszertifikaten aus

    Der Krieg in der Ukraine wirkt sich zudem auf das europäische Emissionshandelssystem und den An- und Verkauf von Emissionszertifikaten aus. Nachdem der Preis für Emissionszertifikate in den ersten Wochen nach der Invasion stark gesunken war10, erholte er sich inzwischen jedoch teilweise. Es ist noch ungewiss, ob der bekanntermassen unvorhersehbare CO2-Preis ein Niveau erreicht, das zur Steuerung erheblicher Investitionen beitragen könnte.

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    Wenn die Preise steigen, bevorzugen wir eher billige anstatt umweltfreundliche Energie. Ein einfacher Ersatz für Gas in der Stromerzeugung wäre die Umstellung auf CO2-intensivere Kohle. Tatsächlich hat Deutschland die Schliessung einiger Kohlekraftwerke bereits verschoben. Als Reaktion auf einige Politikerinnen und Politiker, die die Energiekrise als Vorwand nutzen, um Netto-Null-Klimaverpflichtungen infrage zu stellen, sagte die britische Regierung zu, die Schiefergasförderung, auch bekannt als Fracking, erneut zu prüfen.

    Expertinnen und Experten stehen diesem Ansinnen skeptisch gegenüber. Professor Andrew Aplin, Geologe an der Universität Durham, meint dazu: „Schiefergas würde die britischen Importe nur dann nennenswert verringern, wenn in den nächsten Jahren Tausende erfolgreicher Bohrungen an Hunderten von Standorten in Nordengland durchgeführt würden. Dies ist nicht realistisch. Schiefergas wird somit in den nächsten Jahren keinen wesentlichen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten, selbst wenn die Öffentlichkeit das Fracking befürwortet.“11

    Erneuerbare Energien sind Kritikern zufolge eine zuverlässigere Alternative. Mit dieser Entscheidung ringen heute viele politische Entscheidungsträger, da immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, woher ihre Energie kommt und was sie uns – finanziell und menschlich gesehen – kostet.

     

    1 https://ec.europa.eu/info/news/focus-reducing-eus-dependence-imported-fossil-fuels-2022-apr-20_en
    2 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_1511
    3 https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2022/03/08/fact-sheet-united-states-bans-imports-of-russian-oil-liquefied-natural-gas-and-coal/
    4 https://www.gov.uk/government/speeches/statement-on-the-phasing-out-of-russian-oil-imports#:~:text=The%20UK%20joins%20key%20allies,imposed%20on%20a%20G20%20nation
    5 https://www.bbc.co.uk/news/business-61164894
    6 https://www.ft.com/content/2f860359-7fa0-4b79-aa47-f5a55606ce33
     https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-61240499
    8 https://www.politico.eu/article/ukraine-cuts-russian-gas-flowing-to-europe-via-key-pipeline-sections/
    9 https://www.gov.uk/government/news/major-acceleration-of-homegrown-power-in-britains-plan-for-greater-energy-independence
    10 https://www.theguardian.com/environment/2022/mar/02/eu-carbon-permit-prices-crash-after-russian-invasion-of-ukraine
    11 https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-arguments-about-fracking-for-uk-energy-security/

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