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Die Entwaldung stoppen – erst auf lokaler, dann auf globaler Ebene
Seit die Vereinten Nationen 1992 die erste internationale Übereinkunft über den Erhalt von Wäldern erzielten, ist eine Waldfläche von der Grösse Libyens von der Erde verschwunden. In dem Masse, wie unser Verständnis der ökologischen Bedeutung von Wäldern zugenommen hat – Wälder absorbieren 30% unserer jährlichen Kohlenstoffemissionen und bieten 80% aller an Land lebenden Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum –, sind auch die Aufrufe zur Beendigung der Entwaldung nachdrücklicher geworden. Da Jahr für Jahr noch immer mehrere Millionen Hektar Wald gerodet werden, wird es für Regierungen, Politiker und Finanzinstitute immer dringlicher, Lösungen zu finden.
Ein Imperativ des Klimaschutzes
Die Entwaldung bedroht das Klima auf vielfache Weise: Die Rodung von Wäldern verkleinert eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken der Natur und setzt gleichzeitig riesige Mengen von Kohlenstoff frei. Jedes Jahr sind etwa 11% der von Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen auf die Entwaldung zurückzuführen1, wenn Bäume verbrannt oder gefällt und Böden aus dem Gleichgewicht gebracht werden.
Doch auch wenn es für den Klimaschutz zweifellos unumgänglich ist, die Entwaldung zu stoppen, macht man es sich zu einfach, wenn man die Entwalder zu Sündenböcken macht. Während des grössten Teils der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung mit Entwaldung einher – Schätzungen zufolge ist in den letzten sechs Jahrtausenden über die Hälfte der europäischen Wälder verschwunden2, da wachsende Bevölkerungen Wälder rodeten, um Ackerland zu gewinnen und Holz zum Bauen und Heizen zu beschaffen. Dieser Trend hat sich zwar in den Industrieländern durch die steigende Produktivität der Landwirtschaft umgekehrt, setzt sich aber in vielen Entwicklungsländern fort.
Für die oft weniger wohlhabenden Gemeinschaften, die heute in stark bewaldeten tropischen Regionen leben, können Wälder immer noch nur dann einen finanziellen Wert schaffen, wenn sie als Ressource genutzt oder zugunsten einer anderen Landnutzung gerodet werden. Die Stärkung des Gesetzesvollzugs zur Kontrolle illegaler Entwaldung kann eine wichtige Rolle spielen, genügt aber nicht. Das gilt besonders für häufig unzugängliche und schwer zu überwachende Regionen. Ausserdem ist ein grundlegenderer Wandel der ländlichen Entwicklungsmuster erforderlich, zumal die weltweite Entwaldung innerhalb des nächsten Jahrzehnts vollständig gestoppt und umgekehrt werden muss, um die globalen Klima- und Biodiversitätsziele zu erreichen. Wie bei vielen Klimaherausforderungen dürften positive Anreize der Schlüssel zum Erfolg sein.
Rechte indigener Gemeinschaften
In tropischen Regionen ist der Kampf gegen die Entwaldung eng mit den gesetzlichen Rechten indigener Gemeinschaften verbunden. In Amazonien zum Beispiel war die Entwaldungsrate zwischen 2000 und 2015 innerhalb der Schutzgebiete und gesetzlich anerkannten indigenen Territorien nur ein Fünftel so hoch wie ausserhalb. Indigene Gebiete bedecken etwa 30 % der Landfläche des Amazonas. Sie speichern mehr Kohlenstoff als die gesamte Waldfläche der Demokratischen Republik Kongo oder Indonesiens - und diese Gebiete sind zunehmend bedroht3.
Die Stärkung der Rechte indigener Gruppen im Amazonasgebiet und in anderen Regionen und die Unterstützung ihrer Bemühungen um die Bewahrung des Waldes sind daher von entscheidender Bedeutung – für den weltweiten Schutz der Wälder und damit die Verhinderung des Klimawandels. Eine Studie von Wissenschaftlern der University of São Paulo hat ergeben, dass die Landbewirtschaftung indigener Gruppen „effektiver und kostengünstiger als konventionelle, von der Regierung geförderte Alternativen“ ist. Fazit der Studie ist, dass „die Landschaftspflege durch indigene Gruppen eine globale Umweltdienstleistung darstellt, die sowohl politischen Schutz als auch finanzielle Unterstützung verdient4”.
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Wirtschaftliche Anreize
1995 war Costa Rica eines der am stärksten entwaldeten Länder der Welt, nachdem rund die Hälfte seines Waldes in nur 50 Jahren Holzfällern und Landnutzungsänderungen zum Opfer gefallen war. Daraufhin stellte die Regierung des Landes nicht nur die Rodung von Wäldern unter Strafe, sondern führte ein als „Zahlungen für Wirtschaftsdienstleistungen“ (Payments for Economic Services5, PES) bezeichnetes, innovatives Programm ein, das die Landbesitzer für die Erhaltung bestehender Wälder und die Renaturierung von entwaldetem Land bezahlte.
Das mit einer Kraftstoffsteuer finanzierte PES-Programm erkannte die Notwendigkeit an, eine finanzielle Alternative zur Entwaldung zu bieten – wie Carlos Manuel Rodriguez, der frühere Umwelt- und Energieminister von Costa Rica, es ausdrückte: „Wir haben gelernt, dass die Brieftasche die Herzen am schnellsten öffnet.“ PES erwies sich als spektakulärer Erfolg – heute ist die Mehrheit der verloren gegangenen Wälder Costa Ricas wiederhergestellt.
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Internationale Übereinkunft
Die erste internationale Übereinkunft zur Entwaldung – „The Forest Principles“ – erkannte an, dass „Staaten das souveräne Recht haben, ihre eigenen Ressourcen gemäss ihren eigenen Umweltrichtlinien zu nutzen“. Das offenbarte ein jahrzehntealtes Problem beim Kampf gegen die Entwaldung – dafür zu sorgen, dass der wirtschaftliche Wert der Wälder so hoch ist, dass die Regierungen und Stakeholder sie erhalten und renaturieren wollen, anstatt sie auszubeuten und dadurch zu zerstören.
Dieses Problem ist zwar noch nicht vollständig gelöst, doch gab COP26 letztes Jahr Grund zu Optimismus. In der „Glasgow Leaders’ Declaration on Forests and Land Use“ versprachen mehr als 140 führende Politiker aus aller Welt, auf deren Länder über 85% der weltweiten Waldfläche entfallen, die Entwaldung bis 2030 zu beenden. Vor allem wurde das Versprechen mit Finanzierungsmitteln unterlegt – 12 Milliarden USD von zwölf Ländern; mit dem Ziel, die Walderhaltung im Vergleich wirtschaftlich attraktiver zu machen. Mit weiteren Finanzierungsmitteln in Höhe von 7,2 Milliarden USD aus dem Privatsektor wurde die COP26 auch ihrem Anspruch als „Geschäftsgipfel“ gerecht. Dazu kommen Zusagen von 30 grossen Finanzinstituten, ihre mit Entwaldung verbundenen Engagements bis 2025 zu beenden. Dieser Schritt wird den wirtschaftlichen Anreiz für Landbesitzer verringern, Wald für die landwirtschaftliche Produktion zu roden.
Auf der gleichen Gipfelkonferenz wurde durch eine weniger publik gemachte, aber vielleicht genauso wichtige Erklärung anerkannt, dass indigene Gemeinschaften beim Kampf gegen die Entwaldung an vorderster Front stehen. Das von Deutschland, Norwegen, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und zahlreichen internationalen Stiftungen unterstützte IPLC Forest Tenure Joint Donor Statement versprach, mindestens 1,7 Milliarden USD aufzubringen, um speziell die Landrechte indigener Bevölkerungsgruppen zu unterstützen und deren Bedeutung als „Hüter der Wälder und der Natur“ anzuerkennen. Und in einem bahnbrechenden Schritt zur Schaffung neuer Wege der Wertschöpfung durch Walderhaltung mobilisierte die Lowering Emissions by Accelerating Forest Finance (LEAF) Coalition letztes Jahr 1 Milliarde USD zur Finanzierung von Emissionsreduktionen – „die grösste jemals dagewesene öffentlich-private Initiative für den Schutz tropischer Wälder“.6
In den letzten 30 Jahren hat sich das Tempo der Entwaldung verlangsamt. Da jedoch die meisten vom Weltklimarat (IPCC) in Erwägung gezogenen Netto-Null-Pfade nicht nur ein Ende der Entwaldung, sondern auch die umfassende Renaturierung verloren gegangener Wälder erfordern, bleibt noch viel mehr zu tun. Angesichts der immer umfassenderen Zusagen von supranationalen Einrichtungen, Regierungen und Weltunternehmen stellt die Dynamik zugunsten der Walderhaltung eine historische Chance dar. Eine dauerhafte Veränderung kann jedoch nur erreicht werden, wenn alles richtig gemacht wird. Dazu muss sowohl mit staatlichen Geldern als auch mit privaten, nachhaltigen Investitionen Wertschöpfung durch Walderhaltung geboten und eine elementare nachhaltige Waldbewirtschaftung finanziert werden. Nur wenn die Rechte und Bedürfnisse derer, die von Waldland abhängig sind, anerkannt und wirtschaftliche Alternativen zur Landrodung geboten werden, können effektive Lösungen zur Renaturierung unserer verloren gegangenen und zerstörten Wälder gefunden werden.
1 REDD+ Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation | Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (fao.org)
2 Europe's lost forests – study shows coverage has halved over six millennia (phys.org)
3 Full article: Forest carbon in Amazonia: the unrecognized contribution of indigenous territories and protected natural areas (tandfonline.com)
4 The_role_of_forest_conversion_degradation_and_dist.pdf
5 Payments for Environmental Services Program | Costa Rica | UNFCCC
6 The LEAF Coalition
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