corporate
Rethink Perspectives: 2024 – wirtschaftliche Normalisierung trotz geopolitischer Unsicherheiten
Die letzten drei Jahre waren durch die Pandemie, Chinas Abriegelung, die Konflikte im Nahen Osten und in Osteuropa sowie den Inflations- und den Zinsschock geprägt. Seit einigen Monaten ist jedoch eine wirtschaftliche Normalisierung zu beobachten. Welche makroökonomischen Perspektiven sind vor diesem Hintergrund für den Rest des Jahres zu erwarten? Welche Auswirkungen könnte der geopolitische Kontext auf die Weltwirtschaft haben? Wann senken die Notenbanken die Leitzinsen?
Gleichzeitig ist niemandem die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft entgangen. Die Rivalität zwischen den USA und China hingegen führt zu einer Blockbildung. Wie lässt sich diese Outperformance der US-Wirtschaft erklären und wie lange kann sie anhalten? Und schliesslich: Was bedeuten diese Ansichten für die Positionierung von Portfolios und welche Anlagemöglichkeiten ergeben sich daraus?
Diese Fragen beantwortete Samy Chaar, Chefökonom bei Lombard Odier und Leiter unseres Teams für makroökonomische Analyse, bei unserer letzten Konferenz „Rethink Perspectives“ in Paris mit seinen Analysen.
Welthandel und Immobilienmarkt erholen sich
Der Welthandel und der Immobiliensektor sind Beispiele für diese Rückkehr zu einer Art Normalisierung. Beide Bereiche waren stark vom Zinsanstieg betroffen. „Seit einigen Monaten und besonders jetzt erleben wir jedoch eine gewisse Stabilisierung in diesen beiden Sektoren“, erläutert Samy Chaar. Und weiter: „Das sind hervorragende Nachrichten: Sie bedeuten, dass sich in den beiden so stark von den Zinsen betroffenen Sektoren die Lage beruhigt und sogar leicht verbessert.“
Lesen Sie auch: Ausblick 2024: Endlich Zinssenkungen
Diese Konjunkturentwicklung wird von einem wichtigen Faktor getragen: der Outperformance der USA, insbesondere im Vergleich zu Europa. Wie lässt sich dieser Wachstumsunterschied erklären? Dafür gibt es drei Ansätze. „Die Energie ist der erste wichtige Faktor“, so Samy Chaar, der erläutert: „In Europa war der Energieschock stärker als in den USA. Letztere stellen Energiegüter her und exportieren sie, davon haben sie profitiert.“
Diese Outperformance der US-Wirtschaft lässt sich auch durch eine „gewisse fiskalische Schnelligkeit im Moment in den USA erklären, mit hohen Investitionen in Immobilien“. Diese Investitionen korrelieren mit dem Verhalten der US-Verbraucherinnen und -verbraucher, die eher Zikaden als Ameisen sind. Anstatt wie die Europäer zu sparen, konsumieren die Amerikaner, „als gäbe es kein Morgen“. Zum Vergleich: Die Sparquote der privaten Haushalte in den USA ist dreimal niedriger als auf dem alten Kontinent. Sie liegt bei etwa 4% des verfügbaren Einkommens – gegenüber knapp 15% in Europa1. Die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher, die seit 2020 auf der Reservebank sitzen, könnten jedoch 2024 wieder das Spielfeld betreten: Das liegt vor allem am zyklischen Anstieg der Realeinkommen, da die Inflation sinkt und die geldpolitische Lockerung in der Eurozone trotz angespannter geopolitischer Lage näher rückt.
Lesen Sie auch: Ein Blick auf die Herausforderungen der Eurozone
Verhaltenes Wachstum und Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den Arbeitsmärkten
Die Arbeitsmärkte normalisieren sich ohne grössere Schäden oder Schocks. Daher dürften die Arbeitslosenquoten relativ niedrig bleiben. Auch der Disinflationstrend dürfte sich 2024 verstärken und in den USA und der Eurozone wieder annähernd normale Niveaus erreichen.
Treten in den kommenden Monaten keine neuen Schocks auf, dürfte dieses Szenario eine lockerere Geldpolitik der Notenbanken zur Folge haben – mit einer Senkung der Leitzinsen.
Ein verhaltenes Wachstum, eine Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den Arbeitsmärkten und eine sich normalisierende Inflation: Dies alles sind Faktoren, die die wirtschaftliche Normalisierung fördern. Diese dürfte „die Aktivität, insbesondere im Immobiliensektor, im Handel und im verarbeitenden Gewerbe, etwas ankurbeln“, erläutert Samy Chaar. Gleichzeitig dürfte sie den Konsum der Haushalte in Europa beleben. Die geopolitische Lage bleibt jedoch äusserst angespannt: Der russisch-ukrainische Krieg dauert noch immer an, im Nahen Osten ist keine Deeskalation in Sicht und es steht ein entscheidendes Jahr mit Präsidentschaftswahlen bevor. Könnte vor diesem Hintergrund eine Verlängerung oder gar eine Eskalation der bestehenden Konflikte die makroökonomischen Perspektiven für 2024 verändern?
Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber geopolitischen Turbulenzen
Um die Auswirkungen des geopolitischen Kontexts auf die Wirtschaft zu bemessen, sind mehrere Faktoren zu verfolgen: Dazu zählen „insbesondere die Lieferketten und die Lieferzeiten“, erläutert Samy Chaar. „Das haben wir festgestellt, als China wegen Covid seine Grenzen schloss. Nichts funktionierte mehr, sie produzierten nicht mehr, sie transportierten nicht mehr und die Lieferzeiten wurden länger.“ Ein weiterer sehr wichtiger Übertragungskanal von der Geopolitik in die Wirtschaft: Energiegüter und Öl.
Lesen Sie auch: Wie sollen Anleger Anfang 2024 mit geopolitischen Risiken umgehen?
Der Preis für Rohöl der Sorte Brent hat sich seit Jahresbeginn bei etwa USD 80 pro Barrel eingependelt. Auch die weltweiten Lieferketten scheinen durch die geopolitischen Spannungen nicht beeinträchtigt zu sein. Wenn dem so ist: Wie können internationale Konflikte nur so geringe Auswirkungen auf die Realwirtschaft und die Märkte haben?
USA und China auf Konfrontationskurs: Rückkehr zur Blockbildung
Um dies zu erklären, argumentiert Samy Chaar, dass „wir zu einer Blockbildung zurückkehren, die der des Kalten Krieges ähnelt“. Dabei zieht er Parallelen zwischen dem „strategischen Wettbewerb zwischen der Sowjetunion und den USA damals und der chinesisch-amerikanischen Beziehung heute. Es handelt sich wieder um einen strategischen Wettbewerb“, erläutert er. China und die USA machen sich unabhängiger voneinander und ergreifen Massnahmen zur gegenseitigen „Entkopplung“, um ihre wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.
„Die Amerikaner tun alles, um sich vom chinesischen Block abzukoppeln, und die Chinesen versuchen, mit etwas mehr Mühe, sich vom amerikanischen Block zu lösen“, so Samy Chaar. Dazu verfolgen die Amerikaner mehrere Strategien – wie etwa das „Friend-Shoring“: Im Vordergrund steht dabei der Handel mit politisch nahestehenden Partnern (wie etwa Mexiko – 2023 wichtigster Handelspartner der USA vor China, ein Novum nach 20 Jahren2 –, Kanada und Europa).
Lesen Sie auch: Chinas Reflation kommt an zweiter Stelle nach der nationalen Strategie
Die Folge: Die US-Importe von Waren aus China brachen ein und fielen von Januar bis November 2023 um 21% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum3. „Die Amerikaner versuchen, ihre wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und oftmals kostengünstige Alternativen zu China zu finden“, erläutert Samy Chaar. Zugleich mildert er jedoch ab: „Die USA und China werden aber weiter miteinander interagieren.“ Als alternative und zuverlässigere Handelspartner bei den USA ganz oben auf der Liste: Indien4, Mexiko, Südostasien, Nordasien, Polen und der Maghreb.
Die Fragmentierung des Handels zuungunsten Chinas widerspiegelt sich auch in mehreren weitreichenden Gesetzespaketen der Biden-Regierung, die massive Investitionen auf amerikanischem Boden vorsehen. Dazu zählen der CHIPS-Act zur Stärkung der US-Souveränität im strategischen Halbleitersektor oder der Inflation Reduction Act. Der „IRA“ beinhaltet Steuergutschriften und Subventionen für die Produktion grüner Energien in den USA. Auch der Infrastructure and Jobs Act zur Modernisierung der Verkehrssysteme und der öffentlichen Infrastruktur in den USA ist hier zu nennen. Allein der IRA umfasst mehr als USD 3 Billionen öffentlicher und privater Investitionen über einen Zeitraum von zehn Jahren5.
Für die USA geht es bei diesen drei Gesetzestexten darum, ihren technologischen Vorsprung gegenüber China in den nächsten Jahren zu erhalten. Zudem wollen sie das Wachstum fördern und zum Übergang zu einer saubereren Industrie beitragen. Samy Chaar ist der Ansicht, dass die Lage für die US-Wirtschaft wesentlich günstiger sein dürfte: „China ist mit den USA verbunden, weil es ihnen Produkte verkauft, und die USA sind mit China verbunden, weil China sie für sie herstellt.“ Er fügt hinzu: „Aber die Produkte kann man auch woanders herstellen. Amerikanische Verbraucherinnen und Verbraucher zu ersetzen, ist jedoch viel schwieriger.“
Lesen Sie auch: Weltwirtschaft: US-Verbraucher haben das Steuer weiterhin in der Hand
In diesem Zusammenhang dürfte sich die Blockbildung 2024 weiter konkretisieren: Der amerikanische Block, gefolgt von Europa, und der chinesische Block „koppeln sich voneinander ab und versuchen, sich vor lokalen geopolitischen Konflikten zu schützen. Das ist ihnen bisher gelungen“, so Samy Chaar. Ein weiterer Parameter, den es zu berücksichtigen gilt, ist der Einfluss der Inlandspolitik auf die Weltwirtschaft. 2024 werden in mehr als 60 Ländern weltweit Wahlen oder Referenden abgehalten. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung wird zu den Urnen gerufen. Unter diesen Wahlen steht diejenige des 47. Präsidenten der USA mehr als jede andere im Blickfeld. Bewahrheiten sich die jüngsten Umfragen, nach denen Donald Trump im Rennen um das Weisse Haus6 führt, könnten sich mehrere erwartete Massnahmen des republikanischen Kandidaten auf die Weltwirtschaft auswirken: Dazu zählen die Abschaffung des IRA, die Rückkehr zu „America first“ und eine restriktive Migrationspolitik. Diese könnte „ein Überhitzungsrisiko für den US-Arbeitsmarkt in den Jahren 2025–2026“ mit sich bringen, kommentiert Samy Chaar.
Wie sollte man generell unter diesen Umständen Portfolios im Jahr 2024 positionieren? Sollte man bei anhaltenden geopolitischen Risiken Aktien bevorzugen? Oder sollte man stattdessen Barmittel und Anleihen aufstocken?
Welche Auswirkungen hat dies auf die Positionierung des Portfolios?
Samy Chaar warnt: „Man muss die politische und geopolitische Lage sehr aufmerksam verfolgen. Vor allem aber muss man sehr auf die Zinsentwicklung achten.“ Ein Umfeld, in dem die Notenbanken die Zinsen senken, „ist für Aktien eher günstig“, meint er. „Nach den vergangenen Konjunkturzyklen zu urteilen, sind Zinssenkungen Aktien sehr zuträglich, wenn eine Rezession ausbleibt. Und derzeit gibt es keine Anzeichen für eine grössere Abschwächung, aber wir bleiben agil und wachsam.“ Dennoch „muss man diese Überzeugung mässigen. Bis 2021 gab es keine Alternativen zu Aktien. Heute gibt es Konkurrenz: Festverzinsliche Wertpapiere können Renditen bieten. Folglich muss man bei einem Portfolio ausgewogener vorgehen.“
Lesen Sie auch: 2024, ein entscheidendes Jahr für die Anleger
Aktien über zehn Jahre: eine durchschnittliche Rendite von 7% bis 8%
„Unsere Analyse der erwarteten Renditen über zehn Jahre zeigt, dass Aktien eine durchschnittliche jährliche Rendite von 7% bis 8% erzielen dürften“, erläutert Samy Chaar. Eine optimistische Perspektive, die jedoch gedämpft werden sollte: „In den nächsten zehn Jahren von 2024 bis 2034 dürften Aktien durchschnittlich um 7% bis 8% jährlich zulegen, schlechte und gute Jahre eingeschlossen.“ Die Wahrscheinlichkeit einer Jahresrendite von mindestens 8% liegt dabei bei 80%7. Von fünf Jahren ist also eines schlecht – ein Risikofaktor, den es zu berücksichtigen gilt.
Dollar-Anleihen wiederum „versprechen ebenfalls eine Rendite von 8%, wenn man sich die bonitätsstärkeren High-Yield-Anleihen (Ratingklassen B und BB) anschaut“. Mit einem Unterschied zu Aktien, erläutert Samy Chaar: „Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ziel erreicht wird, steigt auf 90%. Das heisst, von zehn Jahren ist eines schlecht. Beim Portfolioaufbau müssen die Aktien also mit dem Anleihenanteil ausgeglichen werden, der eine höhere Rendite erwarten lässt als in den letzten zwei bis drei Jahren.“
Lesen Sie auch: Zehn Anlageüberzeugungen für 2024
Samy Chaar weiter: „Das bedeutet, dass die Effizienzgrenze viel flacher ist als vor 2021, als es keine andere Wahl gab, als Risiken einzugehen. Das aktuelle Umfeld erleichtert uns als Verantwortlichen für die Vermögensallokation den Aufbau ausgewogener Portfolios.“ In diesem Umfeld kann man also das Aktienrisiko durch einen höheren Anleihenanteil ausgleichen.
„Wir empfehlen daher, auf einem strategischen Niveau zu bleiben. Das bedeutet zum Beispiel 45% Aktien für ein ausgewogenes Portfolio, weniger für ein konservatives Portfolio und für ein risikoreiches Portfolio etwas mehr“, so Samy Chaar. Die Frage, ob Anleihen bei der Zusammensetzung des Portfolios notwendig sind, bejaht Samy Chaar: „Ja. Vor 2020 und 2021 hatten wir etwa 25% bis 30% Anleihen in den Portfolios. Heute sind es 40%. Es hat also ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Man muss strukturell mehr Produkte mit regelmässigen Erträgen haben, insbesondere Unternehmensanleihen.“ Und wie positioniert man ein ausgewogenes Portfolio in Bezug auf das Risiko? „Weder zu konservative noch zu riskante Engagements, mit etwas Liquidität und einigen alternativen Anlagen für qualifizierte Anlegerinnen und Anleger.“
1 https://de.euronews.com/business/2023/11/27/wie-viel-geld-bleibt-den-menschen-in-europa-am-ende-des-monats-ubrig
2 US imports from Mexico surpass China (qz.com)
3 US imports from Mexico surpass China (qz.com)
4 L'Inde et les Etats-Unis scellent leur rapprochement commercial et stratégique | Les Echos
5 Etats-Unis: le coût des mesures écologiques de Joe Biden s’envole - l'Opinion (lopinion.fr)
6 Grafik: Présidentielle 2024: Biden au coude-à-coude avec Trump dans les sondages | Statista
7 Bloomberg
Wichtige Hinweise.
Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG oder einer Geschäftseinheit der Gruppe (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig wäre, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende Abgabe rechtswidrig wäre.
Entdecken Sie mehr.
teilen.